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Auf einer der Brachen trifft sich die Familie Carvaloho zum Grillen. Das Autoradio bespielt die Szene, sie trinken eine Art Whisky, und die Würste auf dem Rost werden schwärzer. Auf dem Gipfel des Montmartre, malerisch eingerahmt von Fassaden des 19. Jahrhunderts mit gußeisernen Balkonen voller Geranien, verscharrt Vicy ihre Notdurft mit Duftnote. Madame Brust wartet etwas ungeduldig auf ihre weiße Hündin, denn sie muß nachher noch mit dem Bürgermeister des Quartiers telefonieren – es geht um die Kleinkriminellen, die sich im Viertel rumtreiben. Obwohl die Carvalohos und Madame Brust nur etwa 20 Kilometer voneinander entfernt leben, ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie sich jemals begegnen, sehr gering, denn zwischen Paris und seinen Vororten gibt es Mauern, die weder Beton noch Stacheldraht brauchen und trotzdem so stark sind, daß sie selten überwunden werden. Sie bestehen aus der Idee, die man sich auf beiden Seiten vom Anderen gemacht hat. Die wenigsten Pariser kommen je in einen Vorort wie Clichy-sous-bois, während es für die Leute von dort keinen Grund gibt, nach Paris zu fahren. Dennoch glaubt man auf jeder Seite genau zu wissen, wie es auf der anderen aussieht. Clichy-sous-bois ist zum Synonym für die sozialen Probleme der französischen Vororte, Banlieues, geworden. Jeder führt es als solches im Munde, seit die gewalttätigen Unruhen von 2005 hier ihren Anfang nahmen und den Funken auf den Rest des Landes überspringen ließen. Die explosive Mischung wurde aber weit früher zusammengestellt. Clichy zwischen den Wäldern wurde in den 1960er Jahren als eine ruhige Residenz für die gehobene Mittelschicht geplant. Als aber der versprochene Autobahnzubringer sowie Zug- und Metroanbindungen ausblieben, verlor der Ort für dieses Klientel an Attraktivität. Stattdessen wurden immer mehr der überdimensionierten Betonbauten nebeneinander gesetzt, die für Immigranten zum Wohnen gut genug sein sollten. Eine urbane Struktur gibt es bis heute nicht, keine eigene Polizeistation, nicht mal ein Kino. Lamya Monkachi wischt sich ungeduldig eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie ist die Pressesprecherin des Bürgermeisters von Clichy-sous-bois – eine Frau, die keine Zeit mit unnötiger Höflichkeit verschwendet. »Die Probleme wurden in die Vororte gedrückt, und hier konzentrieren sie sich jetzt«, sagt sie. In Clichy leben heute 30 verschiedene ethnische Gruppen, und die Arbeitslosigkeit ist mit 23 Prozent doppelt so hoch wie im Rest des Landes. Die Jugendlichen werden bei Jobbewerbungen schon aufgrund ihrer Postleitzahl aussortiert. Eine andere Welt jenseits dieser Frustration lernen viele von ihnen kaum kennen, der Vorort ist ihre abgeschlossene Enklave. Paris ist zwar nah, aber wenn sie hinfahren wollten, würde es vom Bus in den Zug und schließlich in die Pariser Metro über eine Stunde dauern. Lamya erklärt: »Die Grenzen zwischen Clichy und Paris sind nicht nur psychologisch, sondern sehr wirklich. Es geht um Transport und Segregation. Die Menschen hier sind weit weg von Arbeitsplätzen und von den kulturellen Zentren.« Cyril Carvaloho will mich unbedingt zu einem Schluck Whisky-Imitat überreden. Der 26jährige Schlosser hat eine 19-Quadratmeter-Wohnung in Clichy, gleich gegenüber vom McDonalds. Zu seiner Arbeit braucht er zu Fuß fünf Minuten. Wenn seine Freundin das Baby bekommt, wird die Wohnung, in der Ungeziefer ohnehin der Hauptmieter ist, endgültig zu klein sein, doch eine größere zu finden, ist im Moment nicht möglich. Die Stadtverwaltung sagt ihm nur, er solle warten. Trotzdem kommt es für Cyril nicht in Frage, Clichy zu verlassen. Einmal war er in Paris, ist den Eiffelturm hochgefahren und hat sich danach ins McDonalds an den Champs Elysées gesetzt. »Warum sollte ich nach Paris gehen? Ich wohne doch in der Pariser Region. Außerdem habe ich Angst vor der Fahrt dorthin. Ich weiß nicht, welche Linien ich nehmen muß, und es gibt so viel Gewalt in den Zügen.« Anthony und seine Gang vom Block spielen Fußball vor einem klobigen Betonzaun. Als ich ihn frage, was sie sonst so machen, grinst er und sagt: »Autos anzünden, natürlich.« Auch Anthony geht nicht oft nach Paris. »Es ist langweilig, und die Leute gucken einen komisch an, weil sie merken, daß man nicht von da ist. Sie denken, wir sind Gesindel, und fragen sich, was wir in ihrer Stadt machen.« Und sarkastisch fügt ein Freund hinzu: »Und dann rufen sie die Polizei.« Die Ressentiments sind beidseitig, und die Wir-Fronten bringen eher kaltes Wetter. Während Madame Bruste von Vicy hin und her gezerrt wird, erklärt sie: »Die Banlieue ist voller Drogen!« Dort war sie, Gott bewahre, natürlich noch nicht, das wäre schließlich viel zu gefährlich. Im Garten der sozialwissenschaftlichen Elite-Universität »Sciences Po« (Institut des Études Politiques), im Herzen von Paris, gurren die kopfnickenden Tauben. Die Studenten, die es hierher geschafft haben, werden in der zukünftigen Führungsschicht des Landes aufgehen. So auch Pierre-Jean, der es sich in seinem mintgrünen Hemd auf dem Rasen bequem gemacht hat. »Ich sehe die Vororte nur im Fernsehen. Das sind Quartiere aus großen Blöcken, Gettos. Dort gibt es Sicherheitsprobleme, Gewalt, Drogenhandel, Kriminalität und von Zeit zu Zeit Aufstände.« Und Jullien, weißes Hemd, fügt hinzu: »Ich kenne niemanden aus diesen Vierteln persönlich, aber ich stelle mir diese Leute als Gesindel vor.« Nach einigem Zögern räumt er ein: »Ich weiß aber, daß ich nur ein limitiertes Bild habe. Es ist sicher voller Fehler, und in Wirklichkeit ist alles hundertmal komplizierter, als wir es uns vorstellen. Es wäre wohl besser, auch mal miteinander zu reden.« Es ist schwierig, über etwas zu reden, das viele nicht als Problem erkennen. Doch es ist eine Kunst der Kunst, das Verborgene sichtbar zu machen. So haben sich einige Artisten auf das Wagnis eingelassen, auf der unsichtbaren Mauer zu balancieren. Das Projekt »Clichy sans Cliché« hat namhafte Fotografen in den Vorort geholt. Der Regisseur Luc Besson dreht eine Dokumentation über die Stadt. Wie ihnen geht es auch dem Künstler JR (der anonym bleiben muß, da er seine Arbeiten illegal im öffentlichen Raum plakatiert) darum, das Bild des Anderen zu verändern. Für sein Projekt »28 millimètres« hat er durchs Fischaugenobjektiv Portraits von Menschen aus Clichy gemacht: grimassierende Menschen. Stark vergrößert wurden die Bilder in den Banlieues, aber auch an Hauswänden in Paris aufgehängt, von wo aus das »Gesindel« den Passanten nun entgegen schielt, grinst oder die Zunge auf sie herunterstreckt. JRs Verleger, Gérard Aimé, erklärt: »Die Pariser haben Angst vor den Leuten aus der Banlieue. Das ist der Grund für die Grimassen auf den Fotos. Sie ironi-sieren die Angst und zeigen, daß diese Menschen eigentlich überhaupt nicht zum Fürchten sind.« Gleichzeitig ist Aimé skeptisch, ob die gängige Meinung, wie von Pierre-Jean oder Madame Brust, durch solche Aktionen zu beeinflussen ist – ganz zu schweigen von den Verhältnissen: «Es braucht politischen Willen, um die Dinge wirklich zu verändern. Die Probleme sind zu massiv, um von Künstlern, Verlegern oder Intellektuellen gelöst zu warden.« Doch Lamya Monkachi glaubt: »Es ist wichtig, der Gesellschaft zu zeigen, daß ihr Bild von Clichy falsch ist. Hinter diesen Mauern leben Menschen.« Für seine neue Arbeit läßt JR muslimische, jüdische und christliche Geistliche von der großen Betonwand grimassieren, die Jerusalem teilt. Ob Berlin, Paris oder die Heilige Stadt, Mauern werden immer unter dem Vorwand errichtet, uns vor den Anderen zu schützen. Für die Wiedervereinigung von Paris mit seinen Vororten müssen beide Seiten überzeugt werden, daß gar kein Schutz nötig ist. Ich weiß nicht, ob die deutsche Einheit leichter geworden wäre, wenn wir vom Treptower Park zum Ku'damm gekommen wären, um den Wertheimtüten schleppenden Damen die Zunge rauszustrecken. Doch nach meiner Zeit in Paris halte ich es für einen Versuch wert.
Erschienen in Ossietzky 18/2007 |
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