Den Aufsatz kommentieren Steinbruch GramsciHegemonie im internationalen politischen Systemvon Erik Borg Hegemonie bezeichnet in der Tradition Gramscis einen Modus von Herrschaft, der über bloße, potentiell gewaltsame Dominanz hinausgeht, da er auf einem Konsens beruht. Wenn man von »Hegemonie« auf internationaler Ebene spricht, betritt man ein diskursiv längst bestelltes Feld. Deutlich wird dies in der politikwissenschaftlichen Debatte um die weltpolitische Führungsrolle der USA - einer Debatte, die in den letzten drei Dekaden starken Schwankungen unterlag: In den 70er Jahren addierten sich das militärische Desaster in Vietnam, das ökonomische Aufholen Europas und Japans sowie der Zusammenbruch des Systems fester Devisenwechselkurse von Bretton-Woods zur Diagnose eines »Niedergangs der USA«. Hieran konnte auch die Tatsache nichts ändern, daß es sich um eine Weltwirtschaftskrise handelte. Im Gegenteil, die Turbulenzen galten als Indiz dafür, daß die USA aufgrund ihrer relativen ökonomischen Schwäche nicht mehr in der Lage waren, in ausreichendem Maße jene »öffentlichen Güter« bereitzustellen, die für ein stabiles internationales System notwendig sind. Die 80er Jahre waren dann geprägt vom US-Rüstungskeynesianismus Reagans sowie einem aggressiven amerikanischen Unilateralismus im Hinblick auf die Weltwirtschaftspolitik. Interessanterweise wurden diese Politikmuster sowohl als Mit-Ursache des hegemonialen Niedergangs wie auch als Ausdruck weiter bestehender Dominanz der USA interpretiert. In den 90er Jahren bescherte der Zusammenbruch des Ostblocks den USA plötzlich das Attribut der »einzigen Supermacht«. Entsprechend war recht bald von einer »neuen«, diesmal »unipolaren Weltordnung« die Rede, wenngleich deren Verhältnis zur gewachsenen Rolle Europas und Japans umstritten blieb. Inzwischen hat sich quer durch die politischen Lager der Eindruck einer erneuerten Hegemonie der USA gefestigt: Die imposante militärische Übermacht erlaube es ihnen, an den Vereinten Nationen vorbei ihre eigene Weltordnungspolitik zu betreiben. Dazu geselle sich ein rund eine Dekade andauernder wirtschaftlicher Boom sowie die Fähigkeit der USA, »ihr« Modell einer flexibilisierten und deregulierten Ökonomie und Gesellschaft weltweit durchzusetzen. Zwei Charakteristika zeichnen diese Diskursstränge aus: Zum einen bezieht sich das Attribut »hegemonial« ausschließlich auf das Verhältnis zwischen Staaten; zur Debatte steht die Position der USA im Staatensystem, nicht aber die Macht etwa von transnationalen Konzernen oder Kapitaleliten. Zum anderen ist das Konzept der Hegemonie erstaunlich unklar. Begriffe wie Macht, Führung, Dominanz, Unilateralismus, Kostenübernahme und Fähigkeit zur Kostenabwälzung schwirren munter durcheinander. Gerade in den letzten Jahren scheint sich aber wieder die Gleichung »Hegemonie = Dominanz« durchzusetzen. Die Frage, ob »der Hegemon« seine überlegenen Ressourcen »egoistisch« oder im Sinne einer »wohlwollenden Führerschaft« einsetzt, wird dabei sekundär. Nationalstaat internationalDie Internationale Politische Ökonomie (IPÖ[1]) unterscheidet sich - dem Anspruch nach - in beiden Punkten von dieser 'herkömmlichen' Fassung des Hegemoniebegriffs. Erstens bezeichnet Hegemonie in der Tradition Gramscis einen Modus von Herrschaft, der über bloße, potentiell gewaltsame Dominanz hinausgeht, da er auf einem Konsens beruht. Der »herrschenden Gruppe« gelingt es, ihre Interessen als die der Allgemeinheit zu universalisieren. Voraussetzung ist dabei, daß zu einem gewissen Grad auch die Interessen der Unterworfenen berücksichtigt werden. Im Idealfall gelingt es so, den »aktiven Konsens der Regierten« zu sichern (Gramsci). Dafür sind neben den materiellen die 'ideellen' Ressourcen entscheidend: Hegemonie hängt wesentlich von der Fähigkeit zur Etablierung »kollektiver Vorstellungen von sozialer Ordnung« (Cox) ab. Sie ist am stabilsten, wenn sie sich als Normalität im »Alltagsverstand« (Gramsci, siehe Kasten) der Beherrschten etabliert hat. Gramscis Hegemonietheorie bezog sich im wesentlichen auf den Nationalstaat sowohl als Gegenstand der Analyse wie auch als Feld politischen Handelns. Seine Gegenüberstellung des »Ostens« mit dem »Westen«[2] zielte auf die Analyse bürgerlicher Hegemonie (bzw. in Rußland deren Fehlen) in den jeweiligen Zivilgesellschaften sowie auf die Frage, wie man diese brechen könne. Es ging ihm also um Klassenhegemonie, die sich in der jeweils historisch-konkreten Form des »erweiterten Staates« (siehe Kasten) manifestierte. Wenn nun Gramscis Hegemoniebegriff auf die inter- bzw. transnationale Ebene transferiert werden soll, dann stellen sich automatisch zwei Fragen: Wie vermitteln sich die nationalen Kämpfe um Hegemonie mit jenen auf inter- bzw. transnationaler Ebene, und wer 'tritt an die Stelle' der Klassen als Subjekte der Kämpfe? Wiederum Klassen bzw. Klassenfraktionen oder Staaten bzw. Staatenblöcke? Staaten und Klassen ...Das »internationale System« ist im nicht-idealisierenden Sinne »Weltgesellschaft«; entsprechend wird auch die Zivilgesellschaft als Kampfplatz um Hegemonie 'globalisiert'. Damit ist der zweite Unterschied zu den konventionellen Theorien internationaler Beziehungen angesprochen: Im Gegensatz zu letzteren begreift die IPÖ nämlich neben Staaten auch soziale Kräfte als Akteure von Hegemoniebildungsprozessen und beansprucht damit, »die Klassendimension internationaler Beziehungen« (Gill/Law) zu berücksichtigen. Das Handeln sozialer Kräfte vermittelt sich zwar über das von Staaten, geht aber weder in diesem auf noch wird es lediglich durch diese gebündelt (wie z.B. im Neorealismus). Zum einen wird der Staat nicht als souverän handelnde Einheit, sondern in Anlehnung an Gramscis Begriff des »erweiterten Staates« als »state/society complex« gefaßt, dessen strategische Orientierung und Handlungsfähigkeit nach außen wesentlich von den in seinem Inneren herrschenden Kräfteverhältnissen und gesellschaftlichen Widersprüchen abhängt. Zum anderen ist der Staat für die Einwirkungen sozialer Kräfte von außen prinzipiell offen. Dies bedeutet aber auch, daß soziale Kräfte nicht ausschließlich auf nationaler Ebene agieren - ihnen wird eine transnationale Handlungskompetenz zugesprochen. Das »internationale System« ist im nicht-idealisierenden Sinne »Weltgesellschaft«; entsprechend wird auch die Zivilgesellschaft als Kampfplatz um Hegemonie 'globalisiert'. Eine bestimmte hegemoniale Konstellation wird so nicht ausschließlich als ein Verhältnis zwischen Staaten begriffen, sondern im Sinne von Gramscis Begriff des »historischen Blocks« gefaßt: Hegemonie ist ein soziales Verhältnis auf der Basis einer geschichtlich spezifischen Konstellation von materiellen Strukturen, politischen und sozialen Kräften sowie herrschenden Normen und Diskursen. ... und die Frage ihrer VermittlungEin Streifzug durch wichtige Beiträge der IPÖ zeigt allerdings, daß sich die Autoren im skizzierten Spannungsverhältnis zwischen Staaten- und Klassenperspektive in gehörige Widersprüche verwickeln. So modelliert etwa Robert Cox die Entstehung einer hegemonialen Weltordnung als einen Prozeß, der sich über einen dominanten Nationalstaat vermittelt. Eine Welthegemonie ist »in ihren Anfängen eine nach außen gerichtete Expansion einer internen (nationalen), durch eine dominante soziale Klasse geschaffenen Hegemonie« (Cox 1993, S. 61). Aus dieser Perspektive läßt sich auch ein Binnenkonsens als Wurzel der globalen US-Hegemonie des 20. Jahrhunderts ausmachen: Eine auf Ausweitung des Massenkonsums gerichtete »Politik der Produktivität« unter Einbeziehung der entradikalisierten Gewerkschaften wurde zum Vorbild der übrigen westlichen Industrieländer. Auch für die Gegenwart beschreibt Cox den Nationalstaat als einzig adäquaten Handlungsrahmen zur Entwicklung eines neuen, »gegenhegemonialen« historischen Blocks. Dabei rechnet er gleichzeitig jedoch den sozialen Kräften durchaus eine eigenständige transnationale Qualität zu. So spricht er schon seit den frühen 80er Jahren von einer »transnationalen Managerklasse«, die bei der globalen Verallgemeinerung hegemonialer Diskurse und Praktiken eine wesentliche Rolle spiele. Hinzu kommt die Diagnose, die Nationalstaaten agierten immer weniger als souveräne Akteure nach außen, sondern würden zu »Transmissionsriemen« weltökonomischer Anpassungszwänge im Zeichen des Neoliberalismus. Er bezeichnet dies als »Internationalisierung des Staates«. Hier kommt zum Ausdruck, was Hans-Jürgen Bieling und Frank Deppe (1996, S. 734) als »paradoxe Situationsbeschreibung« seitens der IPÖ bezeichnen: eine »neoliberale Hegemonie in einer posthegemonialen Ära«. Hegemonie also, da »überall neoliberale Strategien auf dem Vormarsch sind«; »Post-Hegemonie«, weil es keine stabile Weltordnung mehr nach dem Muster der pax americana mit einem hegemonialen Staat im Zentrum gibt. Auch die Arbeiten von Stephen Gill sind von dieser begrifflichen Unentschiedenheit geprägt. Was den Fordismus betrifft, so stimmt Gill weitgehend mit Cox' Schema einer internationalen Verallgemeinerung einer zunächst nationalen Hegemonie überein. Mit der Krise des Fordismus seit den 70er Jahren entstehe hingegen allmählich ein »transnationaler historischer Block sozialer Kräfte«. Als dessen Kern macht Gill eine »transnationale kapitalistische Klassenfraktion« aus, deren politisch-strategisches Selbstverständnis sowohl im Rahmen privater Think-Tanks als auch in internationalen Organisationen wie der OECD oder der G7 Formen annimmt. Gewissermaßen 'an die Stelle' der Hegemonie eines Staates sieht er auf diese Weise eine »Hegemonie des transnationalen Kapitals« treten. Auch hier bleiben Staaten- und Klassenperspektive relativ unvermittelt nebeneinander stehen, denn während Gill einerseits feststellt, daß das neoliberale Projekt des transnationalen Kapitals vermehrt konstitutionell in den Nationalstaaten verankert wird (z.B. in Gestalt unabhängiger Zentralbanken), spricht er im Hinblick auf das Verhältnis von Staaten weiterhin von einer »posthegemonialen Weltordnung«. Um alles noch komplizierter zu machen, wirbelt er an anderer Stelle diese beiden Ebenen von Hegemonie wieder durcheinander - z.B. wenn er anmerkt, die entstehende »US-zentrierte transnationale Hegemonie« sei als »unvollständige Form transnationaler Dominanz« zu verstehen, »die dennoch in der politischen und militärischen Zentralität der USA« verankert sei (Gill 1993b, S. 246). Hinzu kommt, daß er zumindest im Hinblick auf die EU in jüngster Zeit davon ausgeht, daß der »disziplinierende Neoliberalismus« mehr und mehr autoritär, also dezidiert nicht-hegemonial durchgesetzt wird. Wie sich dies mit seiner Diagnose einer hegemonialen »Kultur des Marktes« verträgt, bleibt ungeklärt. Herrschaft der Kapitaleliten?Globalisierung ist weder bloßer ökonomischer Sachzwang noch einfach eine stringente politische Strategie, sondern ein komplexes Resultat von Strukturveränderungen, ihren hegemonialen Wahrnehmungsweisen und daraus hervorgehenden politischen Strategien und Projekten, die sozial umkämpft sind. Neben der wesentlich von Cox und Gill geprägten »York School« der IPÖ hat sich im Umkreis des niederländischen Sozialwissenschaftlers Kees van der Pijl die sogenannte »Amsterdam School« herausgebildet. Innerhalb der IPÖ wird hier am deutlichsten die Rolle sozialer Kräfte, genauer von Klassen(-fraktionen), als maßgebliche transnationale Akteure hervorgehoben. Schon die Nachkriegshegemonie der USA wird weniger als eine Staatenordnung betrachtet, sondern primär als ein liberal-korporatistisches Projekt politisch-ökonomischer Integration, das von einer transatlantischen kapitalistischen Klassenkoalition getragen wurde. In seinen jüngeren Texten hat van der Pijl diesen Blick auf »transnationale Klassen« radikalisiert: Von England ausgehend bildeten sich demnach spätestens seit dem 17. Jahrhundert durch Migrationsprozesse eine liberale »transnationale Zivilgesellschaft« sowie »transnationale Elitenetzwerke« einer sich emanzipierenden Bourgeoisie heraus. Auf deren Basis entstand eine spezifische liberale Staatsformation, die durch ihre strikte Trennung von staatlicher und privater Sphäre gekennzeichnet war. Während sie bis zum Ende der bipolaren Weltordnung mit einer Reihe von zum Teil mächtigen Herausforderern konfrontiert war (Warschauer-Pakt-Staaten und Teile der Peripherie), die durch einen weit interventionsfreudigeren Staatsapparat geprägt waren, so ist die gegenwärtige Entwicklung davon gekennzeichnet, daß sich die liberale Staatsformation mehr oder weniger ungehindert ausbreitet. Dabei setzt sich in Gestalt des Neoliberalismus das Interesse des Geldkapitals als Allgemeininteresse des Kapitals durch. Das Geldkapital übernimmt also gegenüber den anderen Kapitalfraktionen eine hegemoniale Rolle. Mit der so hervor gehobenen Bedeutung von Kapitaleliten, denen van der Pijl - von den Freimaurerlogen des 17. und 18. Jahrhunderts bis zur Mont Pèlerin Society der Gegenwart - gewissermaßen eine globale Steuerungskompetenz zuspricht,[3] tritt die Frage staatlicher Hegemonie fast zwangsläufig in den Hintergrund. Zugleich verliert mit dieser Interpretation von Weltpolitik und -gesellschaft auch der Hegemoniebegriff seine Konturen: Trotz des expliziten Bezugs auf die Terminologie bei Gramsci erscheint Hegemonie weitgehend als 'von oben' aufgezwungene Herrschaft, während die Einbindung sozialer Kräfte außerhalb der verschiedenen Fraktionen des Kapitals kaum eine Rolle spielt. Die Frage, ob der Neoliberalismus gegenwärtig als »hegemonial« oder »vorherrschend« betrachtet werden muß, wird zwar gestellt, erübrigt sich so aber im Grunde. Mängel in der MangelTrotz aller erwähnten Mängel in ihrer 'Anwendung' bietet die IPÖ mit ihrer hegemonietheoretischen Perspektive eine interessante Alternative zu Ansätzen, welche die Prozesse der Globalisierung im Rahmen einer Dichotomie von Markt und Staat[4] erfassen zu können glauben: Globalisierung ist weder bloßer ökonomischer Sachzwang noch einfach eine stringente politische Strategie, sondern ein komplexes Resultat von Strukturveränderungen, ihren hegemonialen Wahrnehmungsweisen und daraus hervorgehenden politischen Strategien und Projekten, die sozial umkämpft sind. Es ist lohnenswert zu untersuchen, auf welchen Ebenen diese Kämpfe mit welcher Wirksamkeit geführt werden, welche Kräfte daran beteiligt sind und welche sich jeweils in welchem Maße durchsetzen. Für eine linke politische Praxis ist es besonders wichtig, die Konsensdimension von Herrschaft auszuloten, um einen Blick für die Stabilitätsreserven der Verhältnisse zu bekommen. Doch um die IPÖ in diesem Sinne wirklich fruchtbar zu machen, bleibt noch eine Menge zu tun. So haben sich die Arbeiten der IPÖ bisher zu stark auf die inter-/transnationale Ebene einerseits und Kapitalkräfte andererseits festgelegt. Das Resultat ist oft eine Top-Down-Perspektive, die suggeriert, daß das, was sich Kapitaleliten ausdenken, letztendlich auch immer 'gemacht' wird. Dem müßte eine Analyseperspektive entgegen gesetzt werden, die sich gerade dem Zusammenspiel der verschiedenen räumlichen Ebenen (transnational, national, lokal, Branchenebene etc.) und Bewußtseinsformen (Elitendiskurse, Alltagsverstand etc.) widmet. Das würde bedeuten, daß nicht nur die Produktion von neoliberalem 'Wissen' in Think-Tanks etc., sondern auch die zivilgesellschaftliche Rezeption entsprechender Diskurse systematisch in die Analyse einbezogen werden müßte. Gerade im Hinblick auf die Wechselbeziehungen dieser beiden Ebenen sind nämlich Unterschiede zwischen verschiedenen »politischen Kulturen« zu erwarten.[5] Neben den »klassischen« Akteursgruppen Kapital und Arbeit müßten zudem Nichtregierungsorganisationen (NGO) größere Beachtung finden, denn im Hinblick auf Hegemoniebildungsprozesse ist ihre Rolle mit Sicherheit bedeutend. Die Frage ist nicht, ob momentan »eine Hegemonie« existiert oder nicht, sondern wie Hegemonie funktioniert, auf welchen Ebenen sie wie wirkt und welche politischen und sozialen Kräfte ihre Träger sind; wo sie stabil wirkt und wo nicht. Des weiteren täte der IPÖ eine staatstheoretische Unterfütterung gut, die über die bloße Bezugnahme auf Gramscis »erweiterten Staat« hinausgeht: Nur dann wäre das sich wandelnde Verhältnis von sozialen Kräften und Staat auch auf inter- bzw. transnationaler Ebene zu klären. Das, was in der IPÖ als »Internationalisierung des Staates« verhandelt wird, bezieht sich zu ausschließlich auf die strategischen Orientierungen des nationalen Staates. Supranationale Organisationen werden hingegen kaum als Teile von Staatlichkeit betrachtet, sondern fast vollständig den Eliten des transnationalen Kapitals zugeschlagen. Dabei verweist aber Gills Begriff des »neuen Konstitutionalismus«, konsequent weiter gedacht, auf einen Wandel von Staatlichkeit auf transnationaler Ebene. Auch hier kommen die NGOs ins Spiel, deren Rolle bei der Internationalisierung von Staatlichkeit bereits im Umfeld der Regulationstheorie analysiert wird (vgl. Brand et al. 2001). Auch das begriffliche Instrumentarium der IPÖ müßte systematisch geschärft werden. Gramscis Texte werden häufig zu leichtfertig als Steinbruch genutzt. Oft scheint es so, als ob die Begriffe als sich selbst erklärende Labels verwendet werden. Demgegenüber müßten sie zunächst in ihren ursprünglichen Bedeutungskontexten rekonstruiert werden, um zu entscheiden, ob und mit welchen Modifikationen sie auf andere Zusammenhänge, z.B. die transnationale Ebene, übertragen werden können. Wichtig wäre, noch einmal eine deutliche Abgrenzung des neogramscianischen Hegemoniebegriffs gegenüber dem 'herkömmlichen' in den internationalen Beziehungen vorzunehmen und diese dann auch einzuhalten. Die Aufspaltung des Hegemoniebegriffs in eine Klassen- und eine Staatendimension muß nicht per se problematisch sein. Allerdings müßten diese Dimensionen systematischer aufeinander bezogen und nicht nur addiert werden. Vielleicht kann dies mit einer (weiteren) paradoxen Denkbewegung gelingen. Die Frage ist nicht, ob momentan »eine Hegemonie« existiert oder nicht, sondern wie Hegemonie funktioniert, auf welchen Ebenen sie wie wirkt und welche politischen und sozialen Kräfte ihre Träger sind; wo sie stabil wirkt und wo nicht. Das Fragen nach den spezifischen Qualitäten einer konkreten hegemonialen Situation ist in jedem Falle fruchtbarer als der Rekurs auf den binären Code »Hegemonie: ja/nein«, als dessen Maßstab weiterhin die fordistische pax americana dient. Enter GramsciZivilgesellschaft/erweiterter Staat: Zivilgesellschaft bezeichnet bei Gramsci den gesellschaftlichen Bereich, in dem der Konsens der Beherrschten organisiert wird. In »privaten« Institutionen (Vereinen, Zeitungen, Kirchen etc.) bilden sich unter maßgeblicher Führung der Intellektuellen Rationalitätsstandards und Alltagspraktiken heraus, die als 'normal' anerkannt werden und so die Substanz von Hegemonie bilden. Insofern ist die Zivilgesellschaft die »Basis des im engen Sinn als Regierungs- oder Zwangsapparat verstandenen Staates« (GH 815). Eine systematische Analyse des Staates muß diesen daher immer als »erweiterten Staat«, d.h. als integralen Zusammenhang von Zivilgesellschaft und Staatsapparat ins Auge fassen. Alltagsverstand: Gramsci definiert als Alltagsverstand »die unkritisch von den verschiedenen gesellschaftlichen und kulturellen Milieus aufgenommene Weltauffassung, in der sich die moralische Individualität des Durchschnittsmenschen entfaltet« (GH 1393). Er ist ein Konglomerat von Vorstellungen, Begriffen etc., welches trotz und wegen seiner inneren Widersprüche die Basis von Normalitätsvorstellungen bildet und damit wesentlich die gesellschaftlich anerkannten 'Grenzen des Möglichen' markiert. Anmerkungen:[1] Die Abkürzung bezieht sich im Folgenden allein auf die neogramscianischen Ansätze. [2] Die Frage war: Wie konnte es sein, daß der Staat in Rußland dem Ansturm der Oktoberrevolution nicht gewachsen war, während sich die westlichen Staaten als entscheidend stabiler erwiesen? [3] Der verschwörungstheoretische Hauch der Amsterdam School ist zu Recht kritisiert worden (z.B. Scherrer 1998). [4] Mit ihrem häufigen Bezug auf Karl Polanyis Theorem der »Doppelbewegung« zwischen Marktkräften und den Selbstschutzmechanismen »der Gesellschaft« geraten auch die Neogramscianer dieser Rhetorik nahe. Dies ist aber keinesfalls notwendig im theoretischen 'Design' der IPÖ angelegt. [5] Ein Beispiel für die Anpassung von Elitendiskursen an eine spezifische (nationale) politische Kultur ist die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«, die einen ziemlich 'nackten' Neoliberalismus im Gewand einer Neuauflage des Erhardtschen »Wohlstand für alle« propagiert (vgl. www.chancenfueralle.de). Literatur:
Erik Borg ist Politikwissenschaftler und DJ
in Hannover. Von ihm erschien kürzlich das Buch: Projekt
Globalisierung. Soziale Kräfte im Konflikt um Hegemonie.
Offizin Verlag 2001. Kontext:
sopos 10/2001 | |||
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