Den Aufsatz kommentieren Die Zukunft der Arbeit: Das Jammertal der GegenwartÜber den Themenpark "Zukunft der Arbeit" auf der Weltausstellung Expo 2000 in Hannovervon Gregor Kritidis Die Expo 2000 soll als "Expo neuen Typs" in die Geschichte eingehen, als Weltausstellung, die sich nicht darauf beschränkt, den einzelnen Staaten die Möglichkeit zur Demonstration der eigenen wirtschaftlichen Leistungskraft zu geben, sondern die auch zu gesellschaftlichen Problemen Stellung bezieht. Das zentrale Element, mit dem die Expo diesem selbstgesetzten Anspruch gerecht werden will, ist der Themenpark. In Bezug auf das Thema "Zukunft der Arbeit" muß dieser Versuch als ein völliger Fehlschlag betrachtet werden. Die Organisatoren können dazu wenig beisteuern, da es schon daran mangelt, die Gegenwart auf den Begriff zu bringen.
Schon bei der Übersetzung des Titels ins Englische hätten die Organisatoren auf eine wichtige Differenzierung des Begriffs "Arbeit" kommen können: soll es sich um "future of work" oder "future of labour", also um die Zukunft konkreter Tätigkeiten bzw. Berufe oder um die Zukunft der abstrakten, d.h. der Lohnarbeit handeln? Hätten beide Aspekte thematisiert werden sollen, hätte sich die Frage nach dem Zusammenhang zwischen beiden gestellt. Da es den Organisatoren aber weniger um die mögliche Veränderung konkreter Arbeitsprozesse, wie etwa die Herstellung von Internet-Werbung, die Produktion von Geschoßhülsen oder die telefonischen Erteilung von Auskünften geht, steht unausgesprochen die Zukunft der abstrakten Arbeit, sprich der Lohnarbeit im Mittelpunkt. Es wird zwar die Veränderung der Arbeitswelt im Zuge der mikroelektronischen Revolution hervorgehoben, die sozialen Folgen dieser Veränderungen bleiben jedoch inkonkret. Da ihnen jeglicher Begriff von Lohnarbeit fremd ist, diese mithin als quasi naturgegeben unterstellt wird, können die Themenpark-Planer zur Zukunft der Arbeit keine vernünftige Aussage machen - geschweige denn für ein breites Publikum nachvollziehbar aufbereiten. Unterschiedliche Tätigkeiten wie das Herstellen von Lehmziegeln und das elektronische Übermitteln von Informationen können die gleiche Form der Lohnarbeit haben. Das setzt voraus, daß die Lohnarbeiter nichts anderes als ihre Arbeitskraft zu Markte tragen können, während Besitz und Kontrolle der Ziegeleien und Internet-Unternehmen bei anderen liegt. Diese Tatsache wird von den Organisatoren so selbstverständlich zugrunde gelegt wie die Annahme, daß das auch immer so bleiben wird. Das Resultat ist eine Ansammlung von Mode-Behauptungen wie der "Virtualisierung der Arbeit", von platter Firmen- und Organisationenwerbung, unterschlagener Wirklichkeit und Halbwahrheiten, kurz: ein ideologischer Cocktail, der all das beinhaltet, was auch in den bürgerlichen Medien an Behauptungen über die gegenwärtigen sozialen Veränderungen herumgereicht wird. Da ist z.B. die Zeitarbeitsfirma Adecco, die an exponierter Stelle mit sich ständig wiederholenden Videospots eine zwischen Penetranz und Lächerlichkeit schwankende Eigenwerbung betreibt. Das von Adecco strapazierte Loblied auf die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse erweist sich freilich in der rauhen Wirklichkeit der modernen Tagelöhnerei als Freiheit des sogenannten Arbeitgebers, entsprechend dem schlechten Geschäftsgang auf der Expo die Arbeitnehmer wieder auf die Straße zu setzen. Adecco ist da kein Einzelfall. Untersuchungen der Arbeitszeitmodelle verschiedener Unternehmen kommen immer wieder zu dem Ergebnis, daß die Flexibilisierung der Arbeitszeiten zu immer mehr Zumutungen für die Lohnabhängigen führt und nur in Ausnahmefällen zu der von den Gewerkschaften einmal geforderten "Zeitsouveränität".[1] Daß Frauen, besonders Alleinerziehende, vorrangig in solche prekären Beschäftigungsverhältnisse gedrängt werden, hält freilich Adecco nicht davon ab, die Vorteile der Zeitarbeit speziell für Frauen herauszustellen. An anderer Stelle präsentieren sich die Volkswagen-AG und der VW-Gesamtbetriebsrat in Arbeitsgemeinschafts-Manier als Vorbild für den sozialpartnerschaftlichen Umgang in einem weltweit agierenden Konzern. Für die 1.300 Arbeiter bei VW in Südafrika, die während eines Streiks um eine Lohnerhöhung von 35% und eine Auszahlung der Pensionsfonds in diesem Jahr kurzerhand ausgesperrt und dann fristlos entlassen wurden, muß diese Selbstdarstellung wie bitterer Hohn klingen. Es ist fast überflüssig zu erwähnen, daß der Gesamtbetriebsrat sich nach Kräften bemüht hat, die Solidaritätsaktionen linker Gewerkschafter bei VW in Deutschland zu unterbinden. Ein Blick auf die Internetseiten des labournet erlaubt jedem Interessierten, sich ein genaueres Bild der Wirklichkeit zu machen, etwa über den Streik bei VW in Puebla in Mexico oder den im Emdener VW-Werk. Aber reale Konflikte bleiben in der Arbeitswelt, wie sie sich die Expo-Planer vorstellen, geflissentlich ausgeklammert. Das Kernstück des Themenparks bildet eine Tanzshow mit Videoprojektionen. Wer sich die inhaltlichen Aussagen dieser Show erschließen will, muß sich auf zahlreiche Dinge gleichzeitig konzentrieren können. Angesichts der gebotenen Reizüberflutung läßt sich der Schluß ziehen, daß die Show selbst die Botschaft ist - Ästhetik ohne Inhalt, eine Sammlung verschiedener Gesichtspunkte, die in keinem Zusammenhang stehen und alles und nichts bedeuten können. Der Aspekt der Trennung von Hand- und Kopfarbeit etwa wird dargestellt, aber nicht problematisiert. Die Trennung von planenden und ausführenden Tätigkeiten ist aber nicht ein naturgegebenes Produkt der modernen Industriegesellschaft, sondern Resultat kapitalistischer Arbeitsorganisation.[2] Denn die Teilung der Arbeitprozesse steigert nicht nur die Produktivkraft der individuellen Arbeit, wie schon Adam Smith ausführlich am Beispiel der Nadelproduktion beschrieben hat, sondern erlaubt dem Unternehmer, Arbeiter mit einem den jeweiligen Anforderungen entsprechenden Qualifikationsniveau anzustellen und entsprechend zu entlohnen. Diese Form der Arbeitsorganisation, seit Taylor mit "wissenschaftlicher" Akribie auf die Spitze getrieben, hat freilich die Degradierung der Mehrheit der Lohnarbeiter auf das Niveau einfacher, repititiver Tätigkeiten zur Folge gehabt. Bislang hat sich daran trotz Konzepten der Gruppenarbeit, einer gestiegenen Bedeutung intellektueller Tätigkeiten und diversen neuen "Managementphilosophien" vom Prinzip her wenig geändert, gleichwohl der Widerspruch zwischen der Organisation der gesellschaftlichen Gesamtarbeit und ihre Teilung in einzelne Privatarbeiten eine neue Qualität angenommen hat. Dieser Widerspruch äußert sich beispielsweise in der ständig wiederholten Forderung nach Kreativität und sozialer Kompetenz und dem Jammern über das schlechte Niveau des Bildungssystems, ohne daß sich jemand darüber ernsthaft Gedanken machen würde, was die Voraussetzungen für motivierte Arbeit sind: ein Bewußtsein über den Sinn und Zweck der eigenen Tätigkeit über den eigenen Arbeitsbereich hinaus, ein Verständnis für die "Ökonomie des ganzen Hauses" (O. Negt) und nicht die Fixierung auf den unmittelbaren (Konkurrenz-)Vorteil. Das Thema Ökologie wird in der Tanzshow nicht ganz abwegig als Reparaturarbeit von Umweltzerstörungen thematisiert. Wie diese Zerstörungen zustande kommen - durch fremdbestimmte Arbeit nämlich - wäre eine Überlegung wert gewesen. Daß in dieser Gesellschaft massenhaft Arbeit verausgabt wird, um ökologisch schädliche Produkte herzustellen, die nur deshalb konsumiert werden, um die Entbehrungen und die Entfremdung im Arbeitsprozeß zu kompensieren, ist für die Organisatoren des Themenparks kein Thema. Die Zerstörung der äußeren und inneren Natur der Menschen durch Lohnarbeit - für die Expo kein Problem, sondern die selbstverständliche Voraussetzung der Veranstaltung. Ironischerweise wurde die dem Themenpark zugrundeliegende Vorstellung von der konfliktfreien flexiblen neuen Arbeitswelt der Zukunft in der Realität schnell von der Gegenwart überholt: in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung wurden die Arbeitsbedingungen der Tänzer der Themenpark-Show, die pikanterweise auch vom DGB mitfinanziert wird, als "erniedrigend" bezeichnet und der Begriff der Ausbeutung machte die Runde.[3] Eine wesentliche Verbesserung der Situation trat erst ein, nachdem die Künstler sich an die IG-Medien gewandt und einen Warnstreik organisiert hatten.[4] Auch sonst glichen die Arbeitsbedingungen auf der Expo eher einem frühkapitalistischen Jammertal als einer schönen neuen Arbeitswelt: kaum Erholungsmöglichkeiten, überlange Arbeitszeiten niedrige Löhne und ohnehin nur befristete Arbeitsverträge. Auch wenn Positionen von Kritikern der gegenwärtigen Verhältnisse wie Jeremy Rifkin[5] im Themenpark am Rande vorgestellt werden, so bewegt sich die Darstellung insgesamt doch im Mainstream der herrschenden Wirtschaftswissenschaft, die zu den weltweit zu beobachtenden Veränderungen in der Arbeitswelt wenig beizusteuern hat außer dem Dogma, daß der "freie Markt" grundsätzlich den Wohlstand aller Menschen erhöhe und per se nur vernünftige Ergebnisse zur Folge habe.[6] Wer über die Zukunft der Arbeit etwas hätte sagen wollen, hätte sich mit den gegenwärtigen Veränderungen der Lohnarbeitsverhältnisse auseinandersetzen müssen. Statt dessen bleibt ausgeblendet, daß der in der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre bzw. nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in den Industrieländern geschlossene Sozialpakt nach und nach von den Kapitaleignern aufgekündigt worden ist und sich weltweit die Ausbeutung der lohnarbeitenden Bevölkerungsmehrheit drastisch verschärft hat. Die herrschenden Wirtschaftseliten sind sich dabei im Gegensatz zu den Themenparkorganisatoren durchaus der Risiken bewußt, die diese Entwicklung mit sich bringt. So bemerkte etwa die frühere Chefin des Harvard Business Review, Rosabeth Moss Kanther, auf dem Wirtschaftsgipfel in Davos 1996: "Wir müssen das Vertrauen der Arbeiter und Angestellten wiedergewinnen und gemeinsam dafür Sorge tragen, daß auch die lokalen Verbände, Städte und Regionen profitieren können. Sonst werden wir eines Tages einer sozialen Bewegung gegenüberstehen, wie wir sie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht erlebt haben".[7] Der Zulauf, den die DGB-Gewerkschaften von Beschäftigten auf der
Expo in den letzten Monaten bekommen haben, spricht dafür, daß
der kosmopolitischen "Globalisierung", wie sie die Expo
repräsentiert, eine Internationalisierung der Arbeitskämpfe
folgen könnte. Auch das würde in der Tradition der Expo stehen:
im 19. Jahrhundert nutzten englische und französische Arbeiter die
von ihren Unternehmen zur Verfügung gestellten Reisetickets zur
Weltausstellung, um sich international besser zu organisieren. Damals
allerdings mit dem Slogan, der Lohnarbeit keine Zukunft zu geben. Anmerkungen[1] Vgl. z.B. Christina Klenner, Läßt sich mit Zeitkontenmodellen mehr Zeitsouveränität verwirklichen? In: WSI-Mitteilungen 4/1997. [2] Vgl. Harry Braverman, Die Arbeit im modernen Produktionsprozeß, Frankfurt/Main und New York 1977. [3] Rebekka Neander, Tänzer am Ende ihrer Kraft. Schattenseiten der Expo-Show "Zukunft der Arbeit", HAZ vom 6.7.2000. [4] Druck und Papier, Zeitung der IG-Medien Nr. 9/10/2000. [5] Vgl. Jeremy Rifkin, Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, Frankfurt/Main 1997. [6] Michael R. Krätke, Neoklassik als Weltreligion? In: Die Illusion der neuen Freiheit, Kritische Interventionen Bd. 3, Hannover 1999. [7] Freitag vom 27.8.1999. Kontext:
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