Den Aufsatz kommentieren Jagoda auf dem Weg in die ArbeitslosigkeitDie Auseinandersetzung um die frisierten Vermittlungsstatistiken bei den Arbeitsämtern ist eine Scheindebattevon Gregor Kritidis (sopos)Die Behauptung, Lohnverzicht schaffe Arbeitsplätze, greift nicht mehr, wenn gleichzeitig die Arbeitslosenzahlen ansteigen. Die Veröffentlichung der offiziellen Arbeitslosenzahlen durch die Bundesanstalt für Arbeit haben zu Beginn dieses Jahres für eine schrille Diskussion gesorgt: erstmals wurde wieder, allen statistischen Tricks zum Trotz, deutlich die vier-Millionen-Grenze überschritten. Kurze Zeit darauf war der Schuldige gefunden: die mit der Arbeitsverwaltung betraute Bundesanstalt für Arbeit und ihr Chef Bernhard Jagoda. Die Aufregung des politischen Establishments und die gegenseitigen Schuldzuweisungen haben aber weniger durch die Dezember- und Januar-Statistik ihre Brisanz bekommen, sondern durch die politischen Entwicklungen der vergangenen Zeit: Einerseits zeichnet sich durch die Lohnforderungen der IG-Metall, die bei ihrem tarifpolitischen Kurs von den anderen DGB-Gewerkschaften Rückendeckung bekommen hat, eine außergewöhnlich harte Tarifrunde ab. Schon zu Beginn der Tarifdebatte, d.h. bereits während der Diskussion, ob im "Bündnis für Arbeit" wie in der Vergangenheit auch über Lohnleitlinien verhandelt werden solle, wurden Streiks nicht ausgeschlossen. Mit der Drohung, Arbeitsplätze abzubauen oder zu verlagern, ist es offenbar nicht mehr ohne weiteres möglich, Null- und Minusrunden zu erzwingen. Die Behauptung, Lohnverzicht schaffe Arbeitsplätze, greift nicht mehr, wenn gleichzeitig die Arbeitslosenzahlen ansteigen. Die Neigung, sich selbst einen Teil vom Kuchen zu holen, dürfte zunehmen. Ein größerer Arbeitskampf könnte dabei die politische Szenerie erheblich verändern. Andererseits hat Kanzler Schröder sein politisches Schicksal mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit verknüpft, eine politische Fehlentscheidung, die der SPD noch erhebliche Probleme bereiten dürfte. Nun mag es für die deutschen Konzerne unerheblich sein, ob die SPD das politische Führungspersonal stellt, oder ob eine Regierung unter Regie des frisch gekührten Ersatzkanzlers Stoiber gebildet wird, solange die Richtung aus ihrer Sicht grundsätzlich stimmt. Die Frage der Arbeitslosigkeit ist jedoch politischer Sprengstoff, der nicht nur die Glaubwürdigkeit der SPD unterhöhlt, sondern sich schnell in eine Systemkrise auswachsen kann, wenn das Vertrauen in die wirtschaftlichen und politischen Eliten bröckelt. Vor diesem Hintergrund ist die Debatte um die Bundesanstalt für Arbeit zu sehen: Es mag für die Bundesregierung, zumal den Bundesarbeitsminister Riester, unangenehm sein, in der Frage der Dienstaufsicht öffentlich vorgeführt zu werden. Ein wirkliches Problem stellt die "Ineffizienz" der Arbeitsämter nicht dar, im Gegenteil: nun kann sich die Bundesregierung als moderate, aber konsequente Kraft darstellen, welche die problematischen Institutionen mit Augenmaß und Schwung reformiert. Jedem müßte klar sein, daß es nicht die "Modernisierungsdefizite", sondern gerade die "Erfolge" der Regierung Schröder sind, die Widerwillen und Widerstand provozieren. Der Ablenkungscharakter der Debatte um die Bundesanstalt für Arbeit wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, was es bedeuten würde, wenn die Arbeitsämter "erfolgreicher" arbeiten würden: die Geschwindigkeit bei der Vermittlung von Stellen wäre höher, die Arbeitslosenrate geringfügig niedriger, und die Kosten der Bundesanstalt wären entsprechend geringer. Mit anderen Worten: die friktionelle Arbeitslosigkeit nähme ab. Am strukturellen Problem der Massenarbeitslosigkeit würde sich aber nichts ändern, da die Nachfrage nach Arbeitskräften durch bessere Vermittlung schlechterdings nicht steigen würde. Im übrigen ist die Arbeitsweise der Arbeitsämter auch dem politischen Establishment bestens vertraut, die jetzige Empörung allemal inszeniertes Polit-Theater. Auf lange Sicht wird es schwieriger werden, Sündenböcke für die soziale Krise im Land zu finden. Jedem, der es nicht offensiv verdrängt, müßte klar sein, daß es nicht die "Modernisierungsdefizite", sondern gerade die "Erfolge" der Regierung Schröder sind, die Widerwillen und Widerstand provozieren. Aus Sicht der "Modernisierer" aus Politik und Wirtschaft besteht das Problem der Arbeitsvermittlung der Arbeitsverwaltung ohnehin nur insofern, als die Arbeitsämter Arbeitslose nicht offensiv genug unter Druck setzen und in McJobs "vermitteln". Sollte es so etwas wie sozialen Fortschritt - und nicht "Modernisierung" - geben, wäre eine größere Streik- und Protestbewegung die geeignete Notbremse, um die Politik des sozialdemokratischen Kahlschlags zu stoppen. Die Regierung Schröder würde das vermutlich aus dem Amt fegen; gleichzeitig würden einer Regierung Stoiber enge Grenzen gesetzt. Und schließlich würde die Zahl derer, die sich von den Berufspolitikern noch etwas erwarten, kleiner werden, die Zahl derjenigen, die ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen, würde steigen. Ein wenig unternehmerischer Wagemut in Richtung Streik würde der Republik nicht schaden, auch wenn das Herrn Westerwelle nicht gefallen dürfte. Kontext:
sopos 2/2002 | |||
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