Wenn von der Volksgemeinschaft die Rede ist, liegt meistens der Fehler darin, daß sie als ein fraglos vollendeter Zustand oder unhinterfragbar wahre Tatsache behandelt wird. Das Wort wird begriffslos verwendet, etwa: "Die Volksgemeinschaft tut mal wieder dies und das." Dabei wird de facto die faschistische Ideologie nur reproduziert, auch wenn sie zugleich vehement abgelehnt wird. Auch wenn das sogenannte Werturteil gegen den Faschismus spricht, das letzte Wort hat das sogenannte Sachurteil. Sehr gut finde ich dagegen die Bestimmung der Volksgemeinschaft als das "per Definition immer erst noch zu vollendende Projekt der zu spät gekommenen deutschen Nation."
Leider steht diese "völkische" Sichtweise in einer schlimmen Tradition. Waren es doch vor allem die Naziideologen, die eine Volksgemeinschaft über alle Klassenschranken hinweg beschworen. Leider ist vor 1933 auch die KPD auf diesen "Volks"-Zug aufgesprungen, so dass keine relevanten politischen Kräfte mehr den wahren Klassencharakter des deutschen Imperialismus aufzeigten und daraus politische Wirksamkeit entfalteten. Dass aber heute noch dieser unmarxistische Fehler von "Sozialisten" gemacht wird ist doch etwas enttäuschend. Dieser Aufsatz ist in seiner Allgemeinheit auch dann noch im Wesentlichen gültig, wenn man "deutsch" durch "französisch" oder "US-amerikanisch" ersetzt, denn jeder kapitalistische Staat kennt diese Art von nationaler Identität. Auch das französisch-bürgerliche Nationalgefühl hat nicht darunter gelitten, dass der Franc durch den Euro ersetzt wurde. Anscheinend gilt es in bestimmten "linken" Kreisen in Deutschland immer noch als schick, sich auf die deutsche "Volksseele" zu kaprizieren und eine politisch-ökonomische Analyse z.B. der Einführung des Euro zu vermeiden.
Dieses begriffliche Beharren auf "Volksgemeinschaft" u.ä. hat mit Marxismus nicht das Geringste zu tun, und man sollte Marx durch Zitate auch nicht in solch einen Zusammenhang stellen. Im Übrigen scheint mir aus dem Aufsatz ein tiefsitzender Kulturpessimismus zu sprechen. Natürlich ist es ein großes intellektuelles Problem, nach dem Holocaust noch "positiv" zu denken. Trotzdem haben gerade Marxisten die Aufgabe, gestalterische Möglichkeiten im globalen Klassenkampf aufzuzeigen, und eben auch Optimisten zu sein, was die Realisierung von Sozialismus betrifft. Wer nur, wie das Kaninchen auf die Schlange, auf die Barbarei starrt, vergibt jede Möglichkeit, genau dieser Barbarei zu entgehen. Für Karl Marx war die Alternative klar.