Editorial
Die Fundamente des "Goldenen Zeitalters" (Hobsbawm) des Nachkriegskapitalismus sind unwiederbringlich zerstört, seit die Welt ab 1973 in eine erneute Krise geriet. Diese Krise erfaßte die gesamte Welt – also auch den "real existierenden Sozialismus", wenngleich das ganze Ausmaß der Krise erst nach der Auflösung der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten und dem Wegfall der bipolaren Weltordnung erkennbar wurde. Die Ideologie der Freihandelslehre (Friedman) sollte die weltweite ökonomische Krise beseitigen; nicht zuletzt durch ihre Umsetzung wurde genau das ausgelöst, was man später "Globalisierung" nennen sollte und wodurch in jenen Krisenjahrzehnten der Nationalstaat zunehmend seine Macht einbüßte. Auch die etatistisch ausgerichteten Gewerkschaften konnten weltweit ihren Einfluß immer weniger geltend machen. Mit dem Nationalstaat stehen nunmehr in Europa auch Sozial- und Rechtsstaat auf dem Prüfstand. Der radikale Liberale Ralf Dahrendorf sprach nüchtern vom Ende der Sozialdemokratie und prognostizierte für das 21. Jahrhundert ein autoritäres Zeitalter. Während die Apologeten des Kapitalismus und der bürgerlichen Demokratie den vermeintlichen Sieg feierten und optimistisch das "Ende der Geschichte" herausposaunten, warnten andere - eher pessimistisch Gestimmte - vor dem "Clash of Civilisation" (Huntington), in dem sich der christliche und reiche Westen gegen den barbarischen und armen Rest der Welt zu behaupten habe, wenn er nicht untergehen wolle. Der antikoloniale Befreiungskampf in der Dritten Welt begann in eine ethnisierende Revolte umzuschlagen. Die mißglückte Befreiung an der Peripherie, der mit dem Untergang des real existierenden Sozialismus eine Befreiungsideologie abhanden gekommen war, gab dem islamischen Fundamentalismus als Ersatzreligion Auftrieb. Ein neues Feindbild für den Westen war geboren.
Obwohl die undogmatische Linke in den meisten Ländern der Welt gegenüber dem real existierenden Sozialismus eine ablehnende Haltung eingenommen hatte, war sie nach dem Epochenbruch von 1989 orientierungslos geworden. Mit zunehmender Distanz zum Marxismus ging ihr das theoretische Werkzeug verloren, diese Welt angemessen zu interpretieren, so daß viele auf den gefährlichen Quatsch der bürgerlichen Apologeten a la Fukuyama, Huntington oder Friedman hereinfielen. - Der Anspruch, die Welt nicht nur zu interpretieren, sondern auch zu verändern, wurde ohnehin der Resignation preisgegeben. Nur mühselig und erst allmählich wurden die theoretischen Begrifflichkeiten der klassischen Kapitalismuskritik und der Imperialismustheorie wieder hervorgeholt und öffentlich zu aktualisieren versucht. In den letzten Jahren ist wieder eine reges Bedürfnis nach theoretischen Analysen und Strategiediskussionen in der Linken zu bemerken.
Mit den in diesem Dossier versammelten Beiträgen legen wir den Schwerpunkt auf Analysen, die zum einen den Epochenbruch von 1989 reflektieren und zum anderen die Möglichkeiten einer sozialistischen und internationalistischen Politik in der Gegenwart kritisch ausloten.
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