Den Aufsatz kommentieren Das Verstummen der MäuseThe Falling Silent of Micevon André Krebber Ein Gericht hat über den traurigen Tod von dreiunddreißig Mäusen, mutmaßlich beiderlei Geschlechts, zu urteilen. Mit Klebeband auf einem Brett fixiert von jeglicher Flucht abgeschnitten, wird eine ehemalige Soldatin beim Zertreten der Tiere gefilmt. Für solch ein Video soll aus erotischen Motiven in einem Internetforum eine beträchtliche Summe geboten worden sein.[1] Dass die Tat rechtsstaatliche Verfolgung findet, scheint Mitleid mit der nicht-menschlichen Kreatur zu verbürgen und macht glauben, das kreatürliche Bedürfnis auf körperliche Unversehrtheit, auch der kleinsten, unscheinbarsten Anderen, habe zur Anerkennung gefunden. Den Mord als „Ausrutscher“ verteidigen zu können, bedeutet jedoch Zweifel an der Anteilnahme am Schicksal der Opfer. Die Tat erweise sich als eine traurige Folge schwerwiegender psychischer Schäden, die eine Stationierung in Afghanistan hinterlassen habe, so der Verteidiger der Angeklagten. Mehr noch sei zu berücksichtigen, dass die Mandantin als Soldatin zur Überwindung ihrer Tötungshemmschwelle, zum Töten also, ausgebildet wurde, der Mord ihr mitunter wesenhaft. Die gesellschaftlich gewollte Zäsur von Mitgefühl einerseits und Ahndung ihres unkontrollierten Hervorbrechens andrerseits, sprengt den Schein zivilisatorisch erreichter Anteilnahme am Leid des Anderen, menschlichen wie nicht-menschlichen, der ohnehin nicht über die als sinnlos wahrgenommene, pervertierte Vernichtung des Anderen hinaus reicht. Geahndet wird nicht das Vergehen an der nicht-menschlichen Kreatur, das dem klassischer Mausefallen abscheulich ähnlich kommt; gedacht wird nicht dreiunddreißig geschundener Körper. Geahndet wird Kontrollverlust, zur Versicherung bürgerlicher Ordnung. Anstatt sich mit der Kreatur zu versöhnen, offenbaren tierliches wie menschliches Individuum sich als Instrument und Opfer von bürgerlicher Zwangsherrschaft, Verdinglichung und Zurichtung. Mitunter provoziert die unvermittelte, schamlose – und zutiefst abstoßende – Hingabe an die Verdinglichung Wut und Verachtung dafür, dass sie an die Gewalt und Verstümmelung erinnert, die die bürgerliche Gesellschaft, deren soziale Beziehungen von Verdinglichung durchherrscht sind, ihren Subjekten immer wieder auf neues abverlangt; in ihr bricht die Anstrengung sich Bahn, die die Sublimierung von Verdinglichung erfordert. Und doch steckt im sprachlosen Entsetzen, das die Mäuse als mehr denn Dinge, als leidensfähige Objekte anerkennt, der Vorschein auf eine Versöhnung von Mensch und Natur. In ihm keimt wahre Erkenntnis von der Unwahrheit aller Verdinglichung, die an Tier und Natur nicht vorbei aufzuheben wäre, sondern nur durch sie hindurch. Instrumentalisiert zur Ahndung menschlichen Ungehorsams, verstummen die Todesschreie der geschundenen Mäuse jedoch ein weiteres Mal. Verdinglichung entgegentreten hieße erinnern, wie jedes Schnappen einer Mausefalle zu gleichsam grausamer Tragödie führt. Anmerkungen[1] http://www.bundeswehr-monitoring.de/innenansichten/bestialische-tierquaelerei-nach-einsatz-in-afghanistan-13240.html; http://www.rhein-zeitung.de/region/koblenz_artikel,-Koblenzer-Prozess-Afghanistan-Veteranin-zertritt-Tiere-mit-Lackstiefel-_arid,537378.html#articletop Kontext:
sopos 11/2015 | |||
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