Den Aufsatz kommentieren Der politische Journalist Albert CamusRezensionvon Wilfried Gaum Jacueline Lévi-Valensi (Hrsg.), Albert Camus – Journalist in der Résistance, Hamburg 2014, 2 Bände 340 und 261 Seiten; Übersetzung von Lou Marin; zusammen 49,80 € Über die Jahrzehnte hat sich in der deutschen Darstellung und Rezeption des Nobelpreisträgers Albert Camus (1913 – 1960) das Bild eines bisweilen etwas weltfremden, zumindest aber "idealistischen" Schriftstellers gehalten. Daran hat auch das 2013 stattgefundene Jubiläumsjahr mit verschiedenen Biographien, Monographien, Veranstaltungen und Lesungen nur geringe Korrekturen erreicht, wenn es denn überhaupt zur Kenntnis genommen worden ist. So taugt Camus immer noch allzu oft dazu, seine intransigente Haltung gegenüber allen totalitären Ideologien vorzugsweise einseitig gegen "den Marxismus" in Stellung zu bringen. Dahinter verschwinden Facetten im Denken, Leben und Handeln Albert Camus‘, die insbesondere durch drei Bände aus dem Hamburger Laika-Verlag hervorgehoben werden. Vor 2 Jahren erschienen dann die "Libertären Schriften" Camus aus den Jahren 1948-1960, von dem aus Deutschland stammenden, aber in Frankreich lebenden Schriftsteller Lou Marin herausgegeben.[1] Das politische Credo Camus' fußte auf der vollständigen Durchsetzung der Menschenrechte, wie sie in der allgemeinen Erklärung der UNO zum Ausdruck kommen. Seine Vorstellung von der wirtschaftlichen Basis einer freien Gesellschaft war deutlich gegen zentralistische Lösungen und eine vorgebliche "Planwirtschaft" gerichtet, vertraute demgegenüber auf die Organisation der Ökonomie durch Kommunen und Gewerkschaften. Weder verbanden ihn – wie Sartre u.a. – Sympathien mit dem stalinistischen Ostblock noch nahm er es hin, wenn westliche Demokratien wenig Interesse an der weltweiten Durchsetzung demokratischer Freiheiten zeigten, soweit die mit ihnen verbündeten Diktaturen ein hinreichendes Maß an Antikommunismus zeigten und/oder Rohstofflieferanten waren und sich in die Blockdisziplin des "christlichen Abendlandes" einfügten. Wo er stand, zeigte sich besonders bei seinem Eintreten für die von allen Großmächten und großen politischen Strömungen verratene Spanischen Republik. Er imponiert durch seine Aufkündigung einer ihm angetragenen Mitarbeit in der UNESCO, als diese auf Betreiben der USA das francistische Spanien aufnimmt, während die Verteidiger der spanischen Revolution und der Republik dort noch zu Tausenden gejagt, eingesperrt und auch hingerichtet werden. Der von Marin herausgegebene Band wird nun durch zwei weitere empfehlenswerte Werke flankiert, in denen die Rolle und die Ansichten Camus' als Journalist in der Résistance sowie in der Zeit des Wiederaufbaus einer französischen Republik zwischen Anfang 1944 und 1949 beleuchtet werden. Insoweit sind allerdings weder die Untertitel der Bände noch der von ihnen angezeigte Zeitraum korrekt wiedergegeben. Dem Inhalt tut dies freilich keinen Abbruch. Entscheidend ist, dass die Herausgeberin Lévi-Valensi alle von Camus mit Sicherheit und mit großer Wahrscheinlichkeit verfassten Artikel auf etwa 450 Seiten vorlegen kann. Hinzu kommen neben einem Namensindex pro Band jeweils eine "Thematische Anordnung der Artikel", die es dem Leser erleichtern, zu den ihn interessierenden Sachkomplexen die jeweiligen Artikel Camus` bequem zu finden. Die Herausgeberschaft und – nach seinem sowohl aus privaten als auch politischen Gründen vollzogenen Rückzug –Mitarbeit in einer späteren Phase des "Combat" von Camus beweist ein weiteres Mal, dass wir es mit einem sehr klar denkenden, politisch eingreifenden und handelnden Menschen zu tun haben. In dem instruktiven Vorwort von Jacqueline Lévi-Valensi wird aufgezeigt, wofür der "Combat" während der Mitarbeit Camus` stand. Die Zeitung stand für diejenige Strömung in der französischen Widerstandsbewegung, die als nicht-kommunistische Linke "von der Résistance zur Revolution" voranschreiten wollte und sich deutlich von den französischen Parteiorganisationen der Vorkriegszeit abgrenzte. In dem programmatischen Artikel mit gleicher Überschrift, erschien am 21. August 1944, dem Tag, an dem der Aufstand von Paris gegen die deutschen Besatzer es ermöglichte, zum ersten Mal nach 1940 offen antifaschistischen Zeitungen zu verkaufen, heißt es: "…wollen wir sofort die Verabschiedung einer Verfassung, in der die Freiheit und die Gerechtigkeit festgeschrieben sind…eine tiefgreifende Strukturreform, ohne die eine Politik der Freiheit nur ein Schwindel wäre, die unerbittliche Zerschlagung der Trusts und der Mächte des Geldes sowie einer Außenpolitik, die auf der Würde und der Treue zu ausnahmslos allen unseren Alliierten basiert. So wie die Dinge im Moment liegen, muss das eine Revolution genannt werden." (Bd. I, S. 105f) Und an dieser Linie hielten "Combat" und Camus fest. Aber der Geist der Résistance, von dem sich Camus in Übereinstimmung mit ihren anderen Strömungen getragen fühlte, hielt nicht lange vor und verflüchtigte sich mit der Niederlage Hitlerdeutschlands im Frühjahr 1945. Die akuten Probleme der französischen Nachkriegsgesellschaft, die sich um kräftezehrende Alltagsprobleme drehten, der Widergang der alten Parteien, deren Machtansprüche, die Restauration der alten Eliten – all das ließ die politische Reichweite der Tageszeitung mehr und mehr schrumpfen, die Auflage sank, die Konkurrenz der parteiorientierten und Boulevardpresse ließ immer weniger Luft zum Atmen. Dazu kamen Differenzen in der Redaktion, so dass Camus im November 1945 als Leitartikler ausschied und danach nur noch gelegentlich im "Combat" schrieb. Darunter allerdings seine bedeutsame Arbeit "Weder Henker noch Opfer", die im zweiten Band des Werkes mit einer kurzen Einleitung abgedruckt wird und bis heute als Manifest einer freiheitlichen, libertären Linken gelesen werden kann (Band II, S. 157-185). Der Zugewinn, den die Herausgabe der beiden Bände birgt, liegt aber gerade darin, dass die Werte der Résistance wieder und wieder an den innenpolitischen Konfliktfeldern, der Behandlung des Algerienkonflikts wie auch internationaler Probleme durchdekliniert werden. Diese Fähigkeit zu einer "prinzipienfesten, radikalen Realpolitik" widerspricht all den Geistern, die meinen, Politik als Synonym für den Verrat an Prinzipien betreiben zu müssen. Was bleibt, beschreibt Jacqueline Lévi-Valensi so: "…die Einführung der Moral in die Politik; die Notwendigkeit einer klaren Sprache und einer wahren Konzeption von Gerechtigkeit für Einzelmenschen und ganze Bevölkerungsgruppen; die Weigerung, zu lügen und Kompromisse zu machen; der Respekt für die Demokratie; der Aufbau einer neuen internationalen Ordnung, welche den kleineren Nationen einen Platz einräumt. Mit einem Wort: die Teilhabe an der Geschichte, aber mit dem beständigen Verlangen, `jene Seite des Menschen zu bewahren, die ihr [der Geschichte] nicht angehört‘." (S.77) Nicht nur Freunden des Schriftstellers und Aktivisten Camus seien die beiden Bände zur Anschaffung empfohlen, auch Leser, die an gutem Journalismus und an einer der wichtigsten Epochen der französischen neueren Geschichte interessiert sind. Auch dank der exzellenten Übersetzung von Lou Marin ist ein Fehlkauf ausgeschlossen. Anmerkungen[1] LAIKA Verlag Hamburg 2013, 380 Seiten, 24,90 €; vgl. dazu die auf dieser Website erschienene Rezension von Hannes Denck,"Ein Mensch in der Revolte – eine Edition zum 100. Geburtstag zeigt eine vergessene Seite Albert Camus'" mit weiteren hilfreichen Hinweisen zu anderen Publikationen; sopos 2/2014 Kontext:
sopos 1/2015 | |||
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