Den Aufsatz kommentieren Gelenkte Demokratie – oder: Wie gewinne ich den Mitgliederentscheid zur großen Koalition?Ein Coaching.von Sigrid Gabriel
Du hast eine Bundestagswahl verloren und bist führendes Mitglied der SPD, aber zu weit rechts und ideenlos für rot-rot-grün? Du findest Opposition ist Mist, weil du schon die letzten vier Jahre nicht verstanden hast, was du da genau machen sollst? Du hast Angst, zusammen mit deiner Partei in der politischen Bedeutungslosigkeit zu versinken? Das muss nicht sein! Du glaubst, dass die SPD-Basis total dagegen ist, hörst schon das Jammern von unten und zitterst insgeheim vor dem Messerwetzen des linken Randes? Zugegeben: die letzte große Koalition war für deine Partei ein Rohrkrepierer und von den Folgen habt ihr euch immer noch nicht erholt. Die Folgen der Agenda 2010 sind immer noch schweres Gepäck und manchen Genossen ist aufgefallen, dass gerade eine Troika aus drei Männern, von denen keiner bis jetzt eine Wahl gewonnen hat, überraschender Weise mit ähnlicher Strategie schon wieder verloren hat. Aber: wenn nicht jetzt, wann dann? Vielleicht hat deine Partei in dem Zustand die nächsten zehn Jahre gar nichts mehr zu melden gegen die übermächtige Mutti, die schon nach den Grünen schielt! Deshalb: Nutze die Chance und lerne aus der Vergangenheit – du bist ein Gewinner! Schritt 1: Nutze die Wahlnacht!Falsch: Defensives Organisieren von "Unterstützung"Flashback: Erinnern wir uns an 2009Ihr hattet – ganz alte Schule – Jubelperser organisiert, die Steinmeier, der damals knapp noch schlechter abgeschnitten hatte als jetzt Steinbrück, euphorisch hochjubelten. Dann folgte prompt die Verkündung, dass der absolute Verlierer die Fraktion leiten würde. Ohne Rückkoppelung mit wem auch immer wurden Fakten geschaffen, in dem Bewusstsein, den Morgen sonst nicht zu erleben. Richtig: Aus der Geschichte lernenZurück in 2013: Das zweitschlechteste Ergebnis in der GeschichteWürde dieselbe Strategie noch einmal funktionieren? Gut! Nur noch Zyniker würden nach dieser grandiosen Nummer im Vergleich zum kleinmütigen Auftritt 2009 an "einmal als Tragödie und einmal als Farce" denken. Schritt 2: Wecke die Energie der Partei!Auch der beste Konfliktmanager kann nicht alles unter den Teppich kehren. Du willst in die große Koalition; die Partei ist zunehmend sauer. Bevor der Kessel mit Druck explodiert, muss ein Ventil geschaffen werden. Hier bietet sich eine Mitgliederbefragung an – du könntest sie zu deinem Vorteil nutzen! Doch Achtung: Wenn die ganze Partei in Bewegung gesetzt werden soll, musst du ihr Widerstand geben, den sie überwinden kann. Denn: Wer einen unbewachten Palast einrennt, könnte stutzig werden! Also: Sei gegen die allgemeine Abstimmung! Inszeniere ein kleines Scharmützel – ziere dich! Extra-Tipp: Bravo, das ist die richtige Einstellung! Die erste Hürde ist überwunden. – Sollte alles wieder erwarten in die Hose gehen, ist der Machterhalt schon teilweise gesichert. Schritt 3: Stelle dich mutig an die Spitze der Bewegung!Du hast recht, das ist riskant. Warum schlafende Hunde wecken? JEDES Mitglied muss wahrgenommen werden. Auch die NEIN-Sager müssen wahrgenommen werden – ansonsten scheitert der ganze Prozess. Überwinde die Angst vor dem Kontrollverlust! Ein Bonus winkt: Du verfestigst dabei auch gleich einen neuen Markenkern – Mitgliederpartei! Lebendige Debattenpartei! Dieser ist stromlinienförmig-formal und hält sich nicht mit inhaltlichem Ballast auf, sodass er die alte, mürbe gewordene Idee der sozialen Gerechtigkeit samt dem damit einhergehenden sozialistischen Solidaritätsgequatsche zeitnah ersetzen kann. Aber all dies kommt nicht von selbst, das musst du dir organisieren! Verlass dich drauf: Die Mehrheit weiß, was sie nicht sein will: machtlos. Erwecke in ihnen die Illusion der Macht durch selbstbestimmte Zustimmung zum ohnehin Alternativlosen. Schritt 4: Organisiere den Vorlauf zur Abstimmung!1) Gut: Die Spielräume der Satzung voll ausnutzenEs gibt so viele Möglichkeiten, die Genossen zusammen zu rufen! Lerne von der Natur und verbreite deine Botschaft, wie die Wellen, wenn du einen Stein ins Wasser wirfst! Denke dabei von der Mitte nach außen: ich selbst, mein heimlicher Kungelkreis, Vorstand, Präsidium, kleiner Parteitag, großer Parteitag,... - Konzentrische Kreise schaffen Fakten und füllen zwanglos die Zeit bis zur Abschlussbefragung des einfachen Mitglieds, wenn der fertige Vertrag schon unterschrieben auf dem Tisch liegt. Extra-Tipp: 2) Lass alle bei den Verhandlungen auflaufen - bis ins dritte Glied!Es geht hier nicht darum, mehr Leute in die Schusslinie zu bringen. Wir sind ja nicht im Krieg. Vielmehr sorgst du für Farbe und Abwechslung im Prozess und wertest die dritte Funktionärsebene auf. Folge: Sie fühlt sich wichtig und unterstützt die JA-Kampagne - deine Sache wird ganz zwanglos auch zu ihrer Sache. (Zudem schaffst du so dutzende authentischer Zeugen für die -> Info-Termine!) 3) Für Profis: Stelle Füllmaterial für die lange Zeit bis zur Endabstimmung bereit!Lass die Basis nicht zum Nachdenken kommen – bleibe in Bewegung! a) Trete jeden Vorverhandlungs-Schritt unendlich breit, bis er selbst die hartgesottensten Genossen nicht mehr interessiert. Merke: Der GENERVTE wird sich nicht an der Endabstimmung beteiligen und folglich auch nicht gegen die große Koalition stimmen. Die Medien sind hierbei ein wertvoller Partner. b) Organisiere im Vorfeld der Abstimmung zahlreiche "Info-Termine" mit Genossen, die zugleich Zeitzeugen und Experten sind, aber auch persönliche Elemente einfließen lassen können. Etwa so: "Ich habe in den Verhandlungen gekämpft; die CDU ist soo uneinsichtig; Ihr könnt das wahre Ausmaß des Kampfes nicht ermessen – würde ich euch betrügen?..." Schritt 5: Schaffe den richtigen Überbau!1) Es geht nicht um einzelne Personen, es geht um die Partei!Nörgler wird es immer geben und wenn die Journalisten fragen, ob nicht die komplette Führungsriege zurücktreten muss, wenn nach den langwierigen Verhandlungen die Mitgliederbefragung negativ ausfällt, dann bleibe locker und überrasche dein verdutztes Gegenüber mit der Wahrheit: "Wenn es so wäre, dann wäre es ja Erpressung. Da müssen wir ganz vorsichtig sein, dass dieser Eindruck nicht entsteht." 2) Verkaufe den ganzen Hokuspokus als neues Modell für direkte Demokratie im 21. Jahrhundert!Bringe wirksam den angeblichen Neid der anderen ins Spiel, nach dem Motto: "Wir gehen voran! Die Mitglieder der anderen Parteien werden das auch wollen. Alle anderen Parteien werden sich an uns ein Beispiel nehmen." Merke deshalb: 3) Unterschwellige Botschaften schaffen die richtige Atmosphäre!Sei positiv! Lobe deine Mitglieder:
So schürst du klug Unsicherheit, denn das Schicksal der Menschheit ist natürlich ein bisschen viel Verantwortung für ein einfaches Ortsvereinsmitglied! Lasse dabei zunächst taktisch offen, wie man sich entscheiden soll, wenn sowohl die eigene politische Meinung und als auch das eigene politische Bauchgefühl auf einmal entwertet sind. So vorbereitet, kannst du nun den verunsicherten Massen eine kleine Hilfestellung geben: a) Vereinfachung: Wir gegen die CDU – für den Typ PARTEISOLDAT
Sorge für eine willkommene Blickverengung "CDU gegen SPD" (Anknüpfungspunkt für Worthülsen von "Vor DENEN wollen wir uns doch nicht blamieren" bis zu dem Klassiker "Sie sind so [böse, unfähig, verbohrt,...]und nur wir können sie zähmen". b) Sicherheit geben 1: Wir für Deutschland - für die PARTEIRECHTE
Für rechte Genossen, für die die CDU trotz allem kein Maßstab ist, sollte eine leichte Andeutung von Notwendigkeit und Heroismus eines staatpolitischen Opfergangs (der für die Partei-Elite an den Fleischtöpfen vorbei führt) genügen. Nutze geschickt das neu gewonnene Image der "Deutschland-Partei SPD": Die Menschen sind Deutschland! Ihr seid es, die für Deutschland entscheidet! c) Sicherheit geben 2: Mit gutem Beispiel voran – für die MITTE der Partei "Führung ist die Reduktion von Komplexität!", wie einmal ein Juso-Vorsitzender kalauerte. Stelle die Frage in den Raum, ob es nicht jemanden gibt, der es richtig vormacht, der schon handelt, während ihr, liebe Genossen, noch wie gelähmt seid und euch nicht entscheiden könnt? ("Hmmm... Wart’ mal... – Jetzt hab ich’s! Dieser Dings... Hab ich den nicht neulich selbst gesehen bei dieser Info-Veranstaltung? Der hat sich so bemüht. War gut informiert, der Mann – war ja selbst dabei.") * NOTFALLPLAN: Was tun, wenn eine inhaltliche Debatte droht? * 2) Wehre dich gegen Pauschalisierung 3) Wenn gar nichts mehr helfen will: Pack die Genossen bei ihrer Würde!Mit ihren 150 Jahren ist die SPD die Partei mit dem größten ideologischen Ballast überhaupt. Das hast du schon oft leidvoll erfahren müssen. Aber das ganze Ufftata mit "Deutschlandfest" und "100 Jahre Willy" soll nicht umsonst gewesen sein: Dreh den Spieß um! * Glückwunsch: Jetzt hast du es geschafft! * Hast du immer noch Angst, dass es nicht klappt? Richtig! Denn nichts wäre peinlicher, als ein sozialistisches Ergebnis nahe der 100 Prozent! Schritt 6: Assimiliere die innerparteiliche Opposition!Was im Bundestag sinnlos ist, ist auch in der Partei Mist. Du weißt das und kannst es für dich nutzen: Verlasse dich auf die Linken in der Partei – es gibt immer Unbelehrbare, die deiner Weisheit nicht folgen können oder es lieben, in Schönheit zu scheitern, statt im Maschinenraum die Arbeit zu tun. Du wirst sie nicht überzeugen – vielleicht haben sie gar deine Taktik durchschaut? Jetzt wird gehandelt. Für die Menschen. PS: BEIPACKZETTEL: Risiken und Nebenwirkungen(Kategorien: sehr häufig, häufig, gelegentlich, selten, sehr selten) Intern:Basis
Führungsebene
Nach Alterskohorten:35:
60+:
Allgemein:
Kontext:
sopos 12/2013 | |||
|
This page is part of the Sozialistische Positionen
website <http://www.sopos.org>
Contents copyright © 2000-2007; all rights reserved. Maintained by webmaster@sopos.org |