Den Aufsatz kommentieren EZLN – Die widerspenstige SchneckeRezensionvon Utz Anhalt (sopos) Torben Ehlers: Der Aufstand der Zapatisten – Die "widerspenstige Schnecke" (EZLN) im Spiegel der Bewegungsforschung; Wissenschaftliche Beiträge aus dem Tectum Verlag, Reihe Sozialwissenschaften, Band 24; Marburg; 2009; 241 S. "Der Aufstand der Zapatisten – Die 'widerspenstige Schnecke' (EZLN) im Spiegel der Bewegungsforschung" lautet der Titel einer neu im Tectum Verlag erschienen Arbeit des Sozialwissenschaftlers Torben Ehlers aus Hannover. Der Auftstand der Zapatisten in Mexiko in den 1990er Jahren fiel in eine Zeit, als Liberal-Konservative nach dem Ende des Ostblock-Kommunismus vom Ende der Geschichte schwadronierten und sich die orthodoxe Traditionslinke in einer existenziellen Krise befand. Undogmatische Linke, Indigenenorganisationen, Basisgewerkschaftler, Menschenrechtler und Aktivisten sozialer Bewegungen sahen mit den Zapatisten den Aufbruch in eine neue Zeit, den "dritten Weg" abseits von Kapitalismus und Stalinismus. Subcommandante Marcos, der Sprecher der Zapatisten, wurde zum Symbol für Graswurzellinke weltweit in der Kritik gegen die kapitalistische Globalisierung. Neue Widerstandsformen wie die Tutti Bianci in Italien lehnten sich an die "Welt, in der viele Welten Platz haben", das Modell der Zapatisten an. Der zapatistische Slogan "Land und Freiheit" fand sich auf Transparenten von ATTAC ebenso wie in den Flugblättern autonomer Jugendzentren. Was war in Mexiko passiert? Neujahr 1994 hatten sich die Indios in Chiapas gegen den Zentralstaat erhoben; der setzte das Militär ein. Was anfangs noch wie einer der verschiedenen Aufstände in der Peripherie Lateinamerikas wirkte, entzündete den Funken im Zentrum und brachte hunderttausende auf die Straßen von Mexiko-City, die bald nicht mehr nur die Einstellung der Kriegshandlungen, sondern eine andere Gesellschaft forderten, in der "viele Welten" Platz haben sollten. Es kam zu einer Waffenruhe, die die "Ejercito Zapatista de Liberación Nacional", die Zapatisten, einhielten und ihren Kampf auf die zivile Ebene verlagerten. Konkrete Verbesserungen in der medizinischen Versorgung, der Aufbau einer zivilen Infrastruktur in den ärmsten Bundesstaaten Mexikos, die Einrichtung von Schulen und die Stärkung der lokalen Märkte, waren nur einige der sozialen Reformen, die die Zapatisten forderten und teilweise auch umsetzten. Dies war aber keineswegs ein Modell wie in Venezuela unter Chavez: Die Zapatisten standen nach wie vor im Konflikt mit der Zentralregierung und versuchten, sich selbst zu bestimmen, gründeten eigene Kollektive, autonome Kooperativen und sogar eigene Räte, die die Belange der Gemeinden umsetzen sollten. Das erinnerte einerseits an die Graswurzel-Bewegungen des 20. Jahrhunderts, andererseits an rätekommunistische Entwicklungen. Stichworte wie "postmoderne Guerilla" oder auch "postkommunistische Bewegung" deuten aber darauf hin, dass es sich um eine historisch neue Form der Organisation handelte. Fünfzehn Jahre nach dem Aufstand der Zapatisten und der Entwicklung der Globalisierungskritik ist es an der Zeit, eine vorläufige Bilanz zu ziehen. Und eben hier liegt das Verdienst der Arbeit von Torben Ehlers. Der erste Teil des Buches behandelt die geographischen und soziostrukturellen Besonderheiten der Region Chiapas und beleuchtet die Wurzeln des Widerstandes im Lichte der mexikanischen Entwicklung. Es handelt sich um eine klare und detaillierte Untersuchung der Zeitgeschichte seit den 70er Jahren – genau die Hintergrundinformationen, die für Engagierte in der Globalisierungsbewegung von Interesse sind. Deutlich wird, dass der Autor auf jahrelange Recherche und Erfahrungen vor Ort in Mexiko zurückgreifen kann. Für die politische Einordnung der Zapatisten ist der zweite Teil von Ehlers Arbeit wichtig: Er unternimmt den Versuch, die Zapatisten mit den Methoden der sozialen Bewegungsforschung zu begreifen. Der Sozialwissenschaftler bezieht sich dabei sowohl auf die Cultural Politics, das neue soziale Bewegungsparadigma, als auch auf die Theorie der Ressourcenmobilisierung. Das Framing-Konzept, das gerade die flexible und situative Entwicklung von Bewegungen zu fassen versucht, nimmt Ehlers mit auf. Es handelt sich hier, wohlgemerkt, nicht allein um eine Arbeit über die Zapatisten, sondern um die Auseinandersetzung mit verschiedenen Theorien zur Genese sozialer und politischer Bewegungen. Mit diesen setzt sich Ehlers differenziert und kenntnisreich auseinander. Darin liegt, gerade für europäische Leser, eine Stärke der Arbeit. Denn die Zapatisten teilen ein Schicksal mit anderen sozialen Bewegungen, deren politische Aktivisten sich stark über Symbole definieren: Das eigene Wollen vermischt sich mit den Vorstellungen vom Vorbild, die Ziele und Erfahrungen der Aktiven verbinden sich mit den Ideen der Sympathisanten, bis Wirklichkeit und Romantik kaum mehr zu unterscheiden sind: Das Che Guevara Syndrom. Und gerade die Vertreter von Bewegungstheorien neigen dazu, diese auf social movements anzuwenden, ohne sich jedoch mit anderen Ansätzen auseinander zu setzen und auch ohne die Leser darüber aufzuklären, auf welche Theorie sie sich beziehen und warum. Das mag zwar dem einen Leser oder der anderen Leserin, die sich vor allem für "Land und Leute" interessieren, zu viel des Guten sein; hiermit liegt jedoch eine fundierte Studie vor, mit der sich sozialwissenschaftlich arbeiten lässt. Und das ist, wenn es um die Zapatisten geht, im deutschsprachigen Raum auch an der Zeit. Torben Ehlers versucht, die soziale Bewegung der Zapatisten wissenschaftlich vom Kopf auf die Füße zu stellen. Er erweist sich dabei als Kenner der sozialen Wirklichkeiten, Widersprüche und Probleme der mexikanischen Gesellschaft. Die prinzipielle Sympathie des Autors zu den Zapatisten wird zwar deutlich; er untersucht sie aber kritisch und verdeutlicht ihre Widersprüche. Der erste Teil "Das Phänomen Chiapas – Zur Geschichte des Widerstands" lässt sich gut lesen und verschafft einen tief gehenden Einblick in die Geschichte der Zapatisten und ihre Wurzeln, die weit über die Gründungszeit 1982/83 hinausreichen. "Theorien neuer sozialer Bewegungen im Spiegel von Chiapas" eignet sich darüber hinausgehend, die Struktur und die Probleme, die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Social Movements zu verstehen, aber auch, sie analytisch zu fassen. Gerade die oft unreflektierten Bewegungsmythen in der Globalisierungskritik lassen sich so erkennen und hinterfragen. Das ist gerade für all diejenigen wichtig, die sich in diesen Bewegungen politisieren und ihnen bejahend gegenüberstehen. Das Buch hat seinen Platz sowohl im "Eine-Welt-Laden" um die Ecke als auch in der Fachbibliothek der Sozialwissenschaften. Es ist für alle zu empfehlen, die sich mit Bewegungsforschung, Lateinamerika im Allgemeinen, Mexiko im Besonderen, aber auch mit Entwicklungspolitik und Totalitarismusforschung beschäftigen. Kontext:
sopos 3/2010 | |||
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