Den Aufsatz kommentieren Prinzipientreuer Regierungspazifismus?Zur Position der Rot-Grünen Bundesregierung im gegenwärtigen Irak-Konflikt und dem historischen Rückstand der Unionsparteienvon Gregor Kritidis (sopos)Die Union erweist sich als unfähig, "deutsche Interessen" wahrzunehmen, d.h. sicherzustellen, daß deutsche Firmen sich weltweit an der Ausbeutung von Mensch und Natur beteiligen können. Das kollektive Gedächtnis in Deutschland scheint besonders kurz zu sein: Vor nicht einmal eineinhalb Jahren versicherte Bundeskanzler Schröder den USA die "unbedingte Solidarität" im "Kampf gegen den Terrorismus" und drängte sich in Washington auf, an möglichst einflußreicher Stelle an den internationalen Militäreinsätzen teilnehmen zu dürfen. Selbst die nach und nach an die Öffentlichkeit durchsickernden Informationen über die Hintergründe und Begleitumstände des Anschlages vom 11. September - erinnert sei etwa an die gute Informationslage der westlichen Geheimdienste über die Gruppe der Attentäter vor dem Anschlag - hatten bisher nicht dazu geführt, die außenpolitische Linie von Rot-Grün in Frage zu stellen. Und es ist keine fünf Jahre her, daß die Bundesregierung behauptete, sie hätte sich dem Druck der US-Regierung, an der Aggression gegen Jugoslawien teilzunehmen, nicht widersetzen können. Hat sich nun das Kriegskabinett Schröder-Fischer aus wahltaktischen Erwägungen und unter dem Druck der Friedensbewegung um 180 Grad gedreht? Das zumindest behauptet schäumend die CDU/CSU-Opposition und die ihr nahestehende Rechtspresse. Die Bundesregierung habe die Solidarität mit der westlichen Welt aufgekündigt und die Bundesrepublik politisch isoliert. Es ist durchaus bezeichnend und realpolitisch auch nicht ganz falsch, von "Isolation" zu sprechen, wenn sich die Bundesregierung gegen die Positionen der US-Regierung wendet. Dieses trifft allerdings viel mehr zu: Wenn eine politische Kraft isoliert ist, dann die CDU/CSU mit ihrem unkritischen pro-Imperialismus. Die Union dokumentiert damit, daß sie noch nicht in der "neuen Weltordnung" angekommen ist. Die christlichen Demokraten, gewohnt, sich außenpolitisch an den Westen anzulehnen, haben noch nicht gemerkt, daß mit dem Ende des Kalten Krieges dieser "Westen" so nicht mehr existiert. Und daß ihnen der Papst auch noch abtrünnig geworden ist, macht ihr die Sache nicht einfacher. Die Union erweist sich als unfähig, "deutsche Interessen" wahrzunehmen, d.h. sicherzustellen, daß deutsche Firmen sich weltweit an der Ausbeutung von Mensch und Natur beteiligen können. Dabei müßte sie es eigentlich besser Wissen: In den unter der Regierung Kohl verfaßten Verteidigungspolititischen Richtlinen (VPR) von 1992 heißt es lapidar, die Außenpolitik müsse sich der "Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zugangs zu den strategischen Rohstoffen" widmen; dabei müßten sich die Interessen Deutschland nicht in jedem Fall mit denen der Verbündeten decken.[1] Dieser Fall ist nun aber eingetreten: Deutschland ist nicht nur einer der wichtigsten Handelspartner der arabischen Staaten, sondern wäre ebenso wie Frankreich nach einem erfolgreichen Golfkrieg der USA von einer wirksamen Kontrolle des Ölpreises weitgehend ausgeschlossen. Da die US-Regierung jedoch bisher offenbar nicht gewillt ist, die EU-Staaten an der Kontrolle des irakischen Öls zu beteiligen, muß den EU-Kernstaaten Frankreich und Deutschland daran gelegen sein, die USA an einem Alleingang zu hindern. Umgekehrt stellt das irakische Regime ein Problem für die US-Regierung dar, da es sich kaum ihren Bedingungen unterwerfen wird, solange die Möglichkeit besteht, mit anderen Staaten ins Geschäft zu kommen. Im Kern geht es aber nicht nur um den Irak, sondern um die Neubestimmung des weltpolitischen Kräfteverhältnisses: Mit der National Security Strategy hat die Regierung Bush letztes Jahr die "informelle Weltherrschaft der USA"[2] proklamiert, gegen die nun die Achse Paris-Berlin-Moskau-Peking opponiert. Man sollte die Flexibilität der US-Diplomatie allerdings nicht unterschätzen: Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß die US-Regierung nach ihrer Niederlage im UN-Sicherheitsrat am 14. Februar 2003 von dieser Doktrin graduell wieder abrückt und versucht, die aufsässigen Europäer ins Boot zu holen. Die französische Regierung hat sich für diesen Fall eine Hintertür offengelassen, als sie erklärte, zum gegenwärtigen Zeitpunkt einen Krieg abzulehnen, nicht jedoch prinzipiell. Diese Woche ist die Bundesregierung ebenfalls endgültig von ihrem kategorischen Nein abgerückt. Von deutschen Alleingängen oder Sonderwegen kann also bei aller "imperialistischen Unerfahrenheit" nicht die Rede sein. Die Empörung innerhalb des konservativen Lagers hat aber durchaus Gründe; diese sind aber stärker innenpolitisch motiviert: Nach der Delegitimierung durch das "Dritten Reich" hat das deutsche Bürgertum seine ideologische Machtbasis stets aus der politische Anlehnung an die Westmächte bezogen. Gerichtet war dieses Bündnis sowohl gegen den Ostblock als auch gegen die innere Opposition. Rot-Grün ist darauf nicht so sehr angewiesen und bemüht sich nach Kräften, Deutschland als "normale" Nation zu rehabilitieren, die auf dem politisch-kulturellen Niveau der westlichen Staaten angekommen sei. Dieser Kurs beinhaltet dabei durchaus außenpolitische Risiken, die sich innenpolitisch als Delegitimierung des gesamten politischen Personals niederschlagen könnten. Die Rede von einer an pazifistischen Prinzipien orientierten Außenpolitik oder einem rein wahltaktisch motivierten Vorgehen ist aber trotz dieser Risiken Schaumschlägerei. Die alte Arbeiterbewegung hat vor der Kriegsfrage oft genug kapituliert; die Friedensbewegung sollte nicht den Fehler machen, nun in der sozialen Frage zu versagen. Nicht die Friedensbewegung treibt die Bundesregierung vor sich her; es ist eher umgekehrt: Aufgrund der Differenzen zwischen Regierung und Opposition in der Außenpolitik kann sich ein soziales Unbehagen artikulieren, das bisher aus den Pseudo-Debatten in der Mehrheit der Medien ausgegrenzt wird. Denn um welches Thema es sich auch handelt - ob Renten-, Steuer- oder Grundheits"reform" - nicht einmal die Gewerkschaften sind in der Lage und Willens, grundlegende Gegenpositionen im Sinne der betroffenen Mehrheit der Lohnabhängigen zu äußern. Die weltweiten Massenmobilisierungen gegen einen möglichen Krieg gegen den Irak zeigen jedoch, auf welch dünnem Eis sich die herrschenden sozialen und politischen Eliten bewegen. Die soziale Frage und die des Krieges bedingen sich gegenseitig; für einige Regierungen könnte die erstarkte innere Opposition durchaus zum Anfang vom Ende werden. Die alte Arbeiterbewegung hat vor der Kriegsfrage oft genug kapituliert; die Friedensbewegung sollte nicht den Fehler machen, nun in der sozialen Frage zu versagen. Denn dieses Problem ist durchaus gegeben: Die Teile der Friedensbewegung, die ihre Opposition an die Entscheidung im Sicherheitsrat geknüpft haben, kämen in Erklärungsnot, sollte der Sicherheitsrat in wenigen Wochen doch im Sinne der US-Regierung entscheiden. Ein Krieg gegen den Irak würde aber um keinen Deut besser, wenn er mit dem Segen der UN und mit stillschweigender oder offener Duldung oder gar Beteiligung der Bundesregierung stattfände. Man sollte sich vergegenwärtigen: Auch diejenigen, die bisher keine Einwände gegen die Aggression gegen Jugoslawien gehabt und kein Problem damit haben, daß - so Minister Struck - die Bundeswehr "deutsche" Sicherheitsinteressen "auch am Hindukusch verteidigt" werden,[3] protestieren jetzt gegen den Krieg gegen den Irak. Der jetzige Regierungspazifismus ist nicht das Gegenteil der bisherigen aggressiven Außenpolitik, sondern nur eine Variante davon. Es kommt also darauf an, die politische Opposition gegen den Krieg in die soziale Opposition gegen die gesamte Politik der regierenden politischen und sozialen Eliten zu transformieren und zu stabilisieren. Nicht der rot-grüne Regierungspazifismus ist der Bündnispartner der Friedensbewegung, sondern die weltweite Opposition gegen die kapitalistische "Globalisierung", von der der Krieg nur eine Erscheinungsform ist. Der Gegner steht nach wie vor im eigenen Land. Anmerkungen:[1] Freitag vom 29. März 1996. [2] So der Historiker Heinrich August Winkler in der Frankfurter Rundschau vom 15.2.2003 [3] Frankfurter Rundschau vom 6.12.2002. Kontext:
sopos 3/2003 | |||
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