Den Aufsatz kommentieren Die Logik der OkkupationEine Diskussion mit dem israelischen Historiker Moshe ZuckermannSeit Monaten kommt es im Nahen Osten zu immer neuen Eskalationen: Selbstmordattentaten und anderen Anschlägen in israelischen Städten folgen regelmäßig Vergeltungsaktionen der israelischen Armee. Nicht erst die Anschläge auf Synagogen in Frankreich, Tunesien oder Deutschland und die Angriffe auf in Europa lebende Jüdinnen und Juden haben deutlich gemacht, dass der Nahostkrieg nicht regional beschränkt ist. In Deutschland, vor allem innerhalb der Linken, führt der Konflikt verstärkt zur Polarisierung. Während die Traditionslinke in der Intifada nach wie vor eine nationale Befreiungsbewegung sieht, die es im Kampf gegen Israels Besatzungspolitik zu unterstützen gelte, proklamieren Antideutsche die Solidarität mit Israel. Die Palästina-Solidarität und weite Teile der Friedensbewegung streiten ab, mit ihrer anti-israelischen Agitation dem Antisemitismus Vorschub zu leisten. Die Israel-Solidarität sieht sich hingegen dem Vorwurf ausgesetzt, durch ihre Parteinahme der Logik des Krieges zu verfallen, statt zum Friedensprozess beizutragen. Vor diesem Hintergrund organisierten die iz3w und die "Salonkommunistische Initiative Freiburger Antideutscher" (SOFA) Ende Februar ein Seminar mit Moshe Zuckermann, der wie kaum ein anderer die Debatten sowohl in Israel als auch in Deutschland verfolgt - und sich an ihnen beteiligt. Zuckermann, Sohn von Auschwitz-Überlebenden, die 1948 nach Tel Aviv emigriert waren, wurde dort 1949 geboren. 1960 kehrten seine Eltern aus ökonomischen Gründen nach Deutschland zurück. Zuckermann lebte bis 1970 in Frankfurt und zog dann wieder nach Israel. Heute ist er Direktor des Institute for German History an der Universität Tel Aviv. In dem folgenden ersten Teil der Dokumentation des Seminars geht es vor allem um den Nahostkrieg selbst sowie um die Konflikte innerhalb der israelischen und der palästinensischen Gesellschaft. Der zweite Teil wird sich in der folgenden iz3w-Ausgabe mit der Rezeption des Holocaust in Israel, in Palästina und in Deutschland befassen. Denn nur vor dem Hintergrund der Vernichtung der europäischen Juden können der Nahostkrieg, der Zionismus und die antizionistischen Reaktionen, vor allem aber die Diskussionen in Deutschland, erklärt werden. Es geht mir um Herrschaftsverhältnisse, die nur dadurch zu verändern sind, dass der Herr aufhört Herr zu sein und der Knecht aufhört Knecht zu sein. Das ist im Moment das zentrale Problem in Israel und Palästina. SOFA: Herr Zuckermann, in Ihren Analysen gehen Sie davon aus, dass in Israel - wie in anderen Staaten auch - die Frage der nationalen Sicherheit zur Integration innerer Widersprüche dient. Wie aber lässt sich die "Sicherheitsideologie" analysieren, ohne auf die reale Gefährdung Israels und die Entwicklung der palästinensischen Nationalbewegung einzugehen? Gerade vor dem Hintergrund, dass inzwischen auch Bush, Putin und Fischer einen palästinensischen Staat befürworten, stellt sich die Frage, ob damit einer friedlicheren Entwicklung viel gedient sein kann. Moshe Zuckermann: Zur Frage, warum ich mich in der Kritik des Nahostkrieges in der Regel auf die israelische und weniger auf die palästinensische Gesellschaft beziehe: Es gibt eine Art Übereinkommen unter israelischen Intellektuellen, jedenfalls innerhalb der Linken, nicht für die Palästinenser zu entscheiden, wie sie ihre eigene Gesellschaft zu analysieren und wie sie zu handeln haben. Bei vielen meiner palästinensischen Gesprächspartner herrscht der Eindruck, dass es immer wieder die aus Europa kommenden Juden waren, die nicht nur wussten, was für Israel, sondern auch was für die Palästinenser und für die gesamte arabische Welt gut sei. Es geht mir um Herrschaftsverhältnisse, die nur dadurch zu verändern sind, dass der Herr aufhört Herr zu sein und der Knecht aufhört Knecht zu sein. Das ist im Moment das zentrale Problem in Israel und Palästina. SOFA: Allerdings zielen bedeutende Teile (nicht nur) der palästinensischen Gesellschaft nach wie vor oder erneut auf die Zerstörung des Staates Israel. So heißt es beispielsweise in einem offiziellen Schulbuch: "Es gibt keine Alternative zur Zerstörung Israels. Der jüdische Anspruch auf Palästina ist die größte Lüge, die die Menschheit kennt. (...) Vielleicht hat Allah die Juden in unser Land gebracht, um sie auszulöschen, wie es bei ihrem Krieg gegen Rom geschah." Die Dynamik der zweiten Intifada und des islamistischen Terrors lässt sich unseres Erachtens im Wesentlichen nicht aus der kompromissunfähigen und provokativen Politik Israels erklären.
Sie haben während eines Vortrags in Hamburg erklärt, die Ursache der zweiten Intifada liege nicht in Ariel Sharons Besuch auf dem Tempelberg, sondern in den zwar weitreichenden, nichtsdestotrotz für Arafat unannehmbaren Vorschlägen Baraks in Camp David im Sommer 2000. Damals stellten Sie die Frage, ob die Gewalt von palästinensischer Seite auf eine "Friedenslösung" oder auf den "totalen Krieg" ziele. Trotzdem konzentrierte sich Ihre Kritik darauf, die Angebote als "unzureichend" zu kennzeichnen. Zuckermann: Wenn ich mich mit orientalischen Juden unterhalte, die 1948 und in den 50er Jahren aus dem Irak, aus Marokko, aus Ägypten gekommen sind, dann sagen sie, wie übrigens auch viele Araber, dass es traditionell keinen islamischen Antisemitismus gegeben habe. Die meisten der orientalischen Juden betonen, sie hätten die besten Beziehungen zur islamischen Welt gehabt. Sie betrachten sich bis heute als arabische Juden. SOFA: Zu befürchten ist doch, dass die Stärke der Hamas sich nicht nur aus dem Elend der Besatzung speist, sondern dass sich ihr Islamismus als eine den ausweglosen sozialen Verhältnissen ‚angemessene' Gemeinschaftsideologie erweist. Auf die Aussichtslosigkeit einer klassischen Staatsgründung reagieren sie, indem sie mit Armenküchen, Koranschulen, Krankenhäusern und militaristischen ‚Kindergärten' traditionell staatliche Funktionen ersetzen. Ideologisch bauen sie auf eine rigide Zwangsmoral und brauchen die stete Mobilisierung gegen den jüdischen Feind. Der Islamismus wäre dann nicht so sehr ein Irrläufer, der mit der Staatsgründung verschwinden wird, sondern eine reaktionäre Avantgarde im ‚postnationalen' Zeitalter. Zudem wird ein palästinensischer Staat ökonomisch vollständig von Israel, den Geldspritzen der EU und der reichen Ölländer abhängig sein. Auch das weitreichendste Angebot kann den Traum nationaler Eigenständigkeit nicht erfüllen. Die Eskalation der Gewalt von palästinensischer Seite scheint uns in der Ahnung der Vergeblichkeit des nationalen Befreiungskampfes begründet. Zuckermann: Mit Max Weber können wir sagen, dass wir erst mal schauen müssen, wie das Subjekt den Sinn seines Handelns konstruiert. Ich versuche es daher mal aus palästinensischer Perspektive zu fassen: Die Palästinenser haben Israel 1988 anerkannt und damit 75 Prozent ihres ursprünglichen Heimatlandes aufgegeben. Die palästinensischen Mindestforderungen sind: Wir wollen die anderen 25 Prozent haben, also 98 Prozent der besetzten Gebiete, so wurde es in Camp David ausgehandelt. Und für das, was wir aufgegeben haben, bekommen wir Ersatz im Kernland Israels. Alle Siedlungen werden abgebaut und die nicht abgebauten gehen in die Hoheit der Palästinenser über. Jerusalem wird im Sinne einer Zwei-Staaten-Lösung zur Hauptstadt beider Staaten. Es muss eine zumindest symbolische Anerkennung des Rückkehrrechts geben, was de facto heißt, dass man zwischen 250.000 und 400.000 Palästinenser im Zuge der Vereinigung von Familien ins Kernland von Israel zurückkehren lässt. Die anderen werden im neuen palästinensischen Staat oder in den Ländern, in denen sie sich heute befinden, repatriiert. Und zwar unter Verwendung der Gelder, die dann wirklich aus dem Westen fließen müssen. Publikum: Die Frage ist doch, ob die Erfüllung der Forderungen wie dem Rückzug aus den Gebieten und dem Abbau der Siedlungen tatsächlich substantiell etwas an dem Hass auf Israel ändern würde. Zuckermann: Wir wissen, dass das bisherige Vorgehen nur zu einer Steigerung der Gewalt geführt hat. Ich halte es für eine deutsche Überheblichkeit, dass man schon vorab weiß, ob es funktioniert oder nicht. Man muss diesen Weg ausprobieren, in der Hoffnung und Erwartung, dass - wenn Israel die Okkupation aufgibt - in Palästina eine Zivilgesellschaft entsteht. Diese Gesellschaft wird dann von sich aus ihren Fundamentalismus zu bekämpfen haben, so wie wir unseren und die Amerikaner ihren. Publikum: Ich stimme zu, dass die Gründung eines palästinensischen Staates die notwendige Voraussetzung für eine Lösung des Konflikts ist. Ich bin aber nicht sicher, ob dadurch das Problem des Fundamentalismus gelöst würde. Für mich heißt das in erster Linie, den Fundamentalismus als zentrales Moment der Intifada zu untersuchen und zu kritisieren. Das hat auch damit zu tun, dass der deutsche Diskurs über den Nahostkonflikt etwas anders verläuft als der israelische. Hierzulande gibt es gerade in der Linken eine sehr unreflektierte Solidarisierung mit Palästina und der Intifada. Zuckermann: Wir unterhalten uns hier über ein politisches Problem, das ideologisiert worden ist. Dies führt dazu, dass mit bestimmten Momenten der Konfrontation und mit allem, was Israel und das Judentum betrifft, in den arabischen Massenmedien eine Menge Schindluder getrieben wird. Das hat durchaus antisemitische Züge. Aber das ist nicht wesenhaft aus dem Islam zu begreifen, sondern aus der Grundverfasstheit des arabisch-jüdischen bzw. arabisch-israelischen Konflikts. Publikum: Es geht gar nicht darum, dem Islam wesenhaft einen Antisemitismus zu unterstellen, sondern darum, welche Rolle der Antisemitismus in der palästinensischen Gesellschaft spielt. Zuckermann: Dann reden wir von Fundamentalismen. Und dann müssen wir auch über den Siedlerfundamentalismus in Israel reden und über die Fundamentalismen in Ägypten, Libyen, und im Middle West der USA. Dann reden wir über die Funktion des Fundamentalismus innerhalb der israelischen Gesellschaft, denn ein soziales Netzwerk, wie Sie es dem Jihad zuschreiben, betreibt heute auch die Schas-Partei: Armenküchen, eigenes Erziehungssystem, Heroisierung der Armut als Asketismus usw. SOFA: Das Elend jeder nationalen 'Befreiung' hat sich für die Palästinenser auf's Äußerste zugespitzt - sie übersetzt jedes Aufbegehren in die Affirmation der 'eigenen' Herrschaft, die sozialen Antagonismen in die Vielstimmigkeit des Volkes und das Leiden in ein nationales Recht. Die Aussichtslosigkeit der staatlichen Unabhängigkeit und ihre sich abzeichnende diktatorische Form werden ideologisch und terroristisch nach außen gewendet - gegen Israel. Daher ist zwar richtig, darauf zu verweisen, dass die Gründung Israels wie jede Staatsgründung kein friedfertiger, sondern ein gewaltsamer Prozess gewesen ist. Richtig ist auch, dass die Besatzung für die ihr Unterworfenen und die Militärpolitik für ihre Opfer namenloses Leid mit sich bringt. Zuckermann: Der Zionismus, so heißt es immer wieder vor allem aus dem Munde von Zionisten, aber zuweilen auch von deutschen linken Intellektuellen, habe die einzig richtige Lösung gefunden für das Problem des Antisemitismus.
Publikum: Die einzig mögliche, nicht richtige... Zuckermann: Das heißt realpolitisch und historisch betrachtet: die einzig richtige. Dazu folgendes: Der Zionismus ist ja nicht in Folge des Holocaust entstanden, sondern schon Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Begründung war in der Tat schon damals der Antisemitismus. Ich frage mich allerdings, ob er heute noch dieselbe Wirkmächtigkeit hat. Für die Diskussion in Deutschland ist es wichtig zu betonen, dass der Zionismus die einzig mögliche Lösung für das durch den Antisemitismus hervorgerufene jüdische Problem ist. Dies hat zwar eine abstrakte, aber keine reale Gültigkeit. Denn ich kann mit allergrößter Bestimmtheit sagen: Der Jude als Individuum ist heute nirgends auf der Welt stärker bedroht in seinem Leben als in dem Land, das ihm die endgültige Sicherheit versprochen hat. Die Frage ist, ob dieses individuelle Moment nicht auch fürs Kollektive gilt: dass nämlich die innere Logik der Politik, wie der Zionismus sie heute betreibt, zu einem regionalen Krieg führen könnte, der nicht nur Damaskus, Amman und Kairo, sondern auch Israel in Schutt und Asche legen würde. Publikum: Ob dies allein auf die konkrete Konfliktsituation zu schieben und die Schuld allein bei der israelischen Okkupationspolitik zu sehen ist, würde ich bezweifeln. Zuckermann: Solche Opferbereitschaft ist immer dann vorhanden, wenn Nationalstaaten entstehen - das gilt genauso für den Ersten Weltkrieg, als Tausende mit Hurra-Rufen in den Tod gingen, um einen Hügel zu erobern, wie jetzt für die Palästinenser, die sich selbst in die Luft jagen, um Israelis zu töten. Die Frage, warum Leute so verblendet werden können, ist aber nur zu beantworten, wenn man die konkreten Strukturen analysiert, unter denen diese Ideologie zustande gekommen ist. Das Gespräch protokollierten Jasmin Dean und Thomas Altmeyer. Der hier abgedruckte Text ist eine redaktionell stark bearbeitete und gekürzte Version dieses Protokolls, das in voller Länge als ca. 40-seitiger Reader im iz3w erhältlich ist. Kontext:
sopos 5/2002 | ||
|
This page is part of the Sozialistische Positionen
website <http://www.sopos.org>
Contents copyright © 2000-2007; all rights reserved. Maintained by webmaster@sopos.org |