Den Aufsatz kommentieren [Palästina]Vom Klassen- zum MassenkampfDie Ziellosigkeit der Intifada spiegelt das Scheitern des arabischen Nationalismusvon Thomas Uwer und Thomas v. der Osten-SackenIn der Hinwendung der zweiten Intifada zu den heiligen Stätten des Islam spiegelt sich nicht nur die Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft, sondern vielmehr das Scheitern politischer Konzepte, die eine erreichbare bessere Zukunft versprachen. Sechzehn Monate nach dem Ausbruch der sogenannten Al-Aqsa-Intifada sind die Palästinenser weiter von einem eigenen Staat entfernt als je zuvor. An internationaler Solidarität halten mit wenigen Ausnahmen nur diejenigen fest, denen es bei der Palästinafrage ohnehin immer nur um die Juden ging oder die sich im Nahen Osten als Alternative zu den USA profilieren wollen. In der Hinwendung der zweiten Intifada zu den heiligen Stätten des Islam spiegelt sich nicht nur die Islamisierung der palästinensischen Gesellschaft, sondern vielmehr das Scheitern politischer Konzepte, die eine erreichbare bessere Zukunft versprachen. An ihre Stelle ist aussichtslose Gewalt getreten. Die tiefe Krise der palästinensischen Nationalbewegung hängt damit unmittelbar an der Frage der Gewalt. Deren Sinnbild ist der Kämpfer der Hamas, der bei seiner Beerdigung im wahrsten Sinne des Wortes im Volke wie ein Fisch im Wasser schwimmt. Die palästinensische Bewegung, die spätestens nach Oslo zwischen den institutionalisierten Teilen der PLO, der marginalisierten Linken (PFLP & DFLP) und den islamistischen Gruppen (Hamas & Jihad) zersplittert war, hat sich während der zweiten Intifada wieder in einer Art »Volksfront der nationalen und islamischen Kräfte« zusammengefunden. Zugleich wurde aber das Ziel des gemeinsamen Aufstands immer nebulöser. Die uneingelösten Versprechen...Die Kampfform nicht abstrakt zu erfinden, schrieb einst Lenin, sondern an den »tatsächlich sich abspielenden Massenkampf« zu knüpfen, sei der erste Imperativ der revolutionären Bewegung. Dieser verkam aber so oft zur Legitimierung von gewaltförmiger Herrschaft, daß der zweite Imperativ in Vergessenheit geriet: Denn was die Revolutionäre von allen anderen Formen der Gewalt unterscheidet, ist ihre historische Legitimität, die darin besteht, Gewalt abzuschaffen. Der palästinensischen Bewegung mangelt es an genau dieser Perspektive; nicht zuletzt deshalb, weil sich das bis dato propagierte nationale Modell im Nahen Osten als unfähig zeigte, der Gewalt gegen die Bevölkerung ein Ende zu bereiten. Was die Revolutionäre von allen anderen Formen der Gewalt unterscheidet, ist ihre historische Legitimität, die darin besteht, Gewalt abzuschaffen. Der Widerspruch zwischen dem objektiven Anspruch der palästinensischen Bevölkerung auf ein besseres Leben und der Unmöglichkeit »nationaler Selbstbestimmung«, diesem Anspruch gerecht zu werden, schlägt sich in der Unklarheit darüber nieder, was die Intifada konkret bezweckte, als sie über das Stadium der Entladung jahrelang angestauter Frustration hinaus war und von Milizen und Sicherheitskräften der Palestinian National Authority (PNA) mit Gewalt am Leben gehalten wurde. Gemessen am Ziel der Gründung eines palästinensischen Staates haben sich Arafat und die Intifada-Komitees nicht nur ungeschickt verhalten, sondern sogar jeden möglichen Schritt in diese Richtung sabotiert. Als sich in Sharm El-Sheikh und Taba die Intifada als nationaler Erfolg hätte herausstellen können und die israelische Verhandlungsführung von der Räumung von Siedlungen über die Aufnahme palästinensischer Rückkehrer bis zur Frage der Souveränität von Ostjerusalem fast alle Hürden aus dem Weg zu räumen anbot, die noch in Camp David als Ursachen für das Scheitern der Staatsgründung ausgemacht wurden, verweigerte die palästinensische Seite die Rückkehr zu Verhandlungen. Die Ursache dafür ist nicht zuletzt in der tiefgreifenden Delegitimierung des nationalen Entwicklungsmodells im Nahen Osten zu sehen. Die Palästinenser, die ihre Politik immer an der Errichtung eines eigenen Nationalstaates ausgerichtet hatten, sahen sich innerhalb der Autonomiegebiete mit dem Dilemma der gescheiterten arabischen »Befreiung« konfrontiert, die überall dort, wo sie erfolgte, durch das Umschlagen in ultranationalistische Herrschaft diskreditiert wurde. Bernard Lewis beschreibt das Phänomen so: »In jedem arabischen Land außer Palästina erreichten die Nationalisten ihr Ziel – die Niederlage und den Abzug der imperialistischen Herrscher und die Begründung der nationalen Souveränität unter nationalen Führern. Eine Zeitlang galten Freiheit und Unabhängigkeit als mehr oder weniger synonyme und austauschbare Begriffe. Schon die ersten Erfahrungen der Unabhängigkeit enthüllten dies jedoch als traurigen Irrtum. Unabhängigkeit und Freiheit sind sehr verschieden.« Als »letzte arabische Nation ohne Staat« galt dieses Synonym einzig noch für Palästina, dem innerhalb des arabischen Nationalismus die ideologische Rolle zukam, als letzter fehlender Baustein der arabischen Befreiung deren Verharren in diktatorischen Nationalstaaten zu legitimieren. Und: Nichts dürfte den Befreiungsanspruch des nationalen Modells mehr in Frage gestellt haben, als die absehbare Erreichbarkeit der palästinensischen Unabhängigkeit, die sich seit Oslo in Arafats repressivem Geheimdienst- und Überwachungsregime über die Autonomieverwaltung ankündigte. Der palästinensischen Bewegung ist es nicht geglückt, Alternativen für eine nationale Unabhängigkeit jenseits der Koordinaten des arabischen Nationalismus zu entwickeln. ...der nationalen BefreiungDie Al-Aqsa-Intifada ist eine Reaktion auf den arabischen Nationalismus und seine Fortschreibung zugleich. Mit dem Ausbruch der zweiten Intifada hat die palästinensische Nationalbewegung zwar erneut die Führungsrolle in einer panarabischen Ideologie angenommen. Hinter dieser stehen allerdings längst keine Bewegungen mehr, sondern Staaten wie der Irak. Ihnen dient der Kampf der Palästinenser einmal mehr als reine Chiffre für ein Weltbild, in dem das gewalttätige Innenleben des Staates mit der Bedrohung durch äußere Feinde begründet wird. Israel, ob als imperialistischer Brückenkopf oder zionistische Kolonisation, spielt eine zentrale Rolle in dem dazugehörigen Geschichtsbild einer verhinderten Befreiung, die erst vollendet werden kann, wenn der ‚Judenstaat' beseitigt ist. Dies hängt mit der Radikalisierung der ultranationalistischen Regime im Irak und in Syrien zusammen, die direkt auf die Niederlage im Sechstagekrieg 1967 und dem damit verbundenen Ende des Nasserschen arabisch-sozialistischen Entwicklungsversuchs folgte. Daraus resultiert auch der ungebrochen antiimperialistische Duktus des irakischen Baath-Regimes, das in den 80er Jahren die Kurden nicht als Terroristen oder Separatisten, sondern als »Agenten des Imperialismus und Zionismus« ermordete. Die Al-Aqsa-Intifada ist eine Reaktion auf diesen arabischen Nationalismus und seine Fortschreibung zugleich. Reproduziert hat sie ihn mit der Übernahme eines Geschichtsbilds, das den Menschen als Teil eines Kollektivs faßt, dem Geschichte nur von Außen widerfährt. Dieses Geschichtsbild ist eines des nicht enden wollenden Verlierens, des Ausgeliefertseins an fremde Mächte – ein Zustand, der nur durch die Vernichtung des Gegners beendet werden kann. Während aber der arabische Nationalismus »Befreiung« zuallererst mit der Herrschaft über staatliche Strukturen gleichsetzte, begann mit der zweiten Intifada eine Auflösung der nationalen Strukturen. Sie äußerte sich in der Umwandlung der PNA in eine Guerilla-Organisation und in der Einsetzung von Intifada-Komitees, in denen die staatlichen Institutionen sukzessive die Kontrolle an Milizverbände übergaben. Im Gegensatz zu den 60er Jahren, als das Scheitern des Nasserismus eine Blüte marxistischer Bewegungen hervorbrachte, wurde die Alternative zum nationalen Modell aber nicht in der Überwindung nationalistischer Strukturen, sondern in der historisierenden Abwendung von konkreten Entwicklungsmodellen gesucht. Wie der Panarabismus dem westlich-kapitalistischen und dem sowjetischen Entwicklungsmodell die Rückkehr zum arabischen Großreich entgegensetzte, setzte die Al-Aqsa Intifada dem Verhandlungsprozeß um die Staatsgründung die Rückeroberung der heiligen Stätten entgegen und damit zugleich die Rückeroberung des Heiligen anstelle des profan Machbaren. Die Selbstmordattentäter zementierten die Perspektivlosigkeit einer Verhandlungslösung, da ihr Ziel nicht verhandelbar war. Diesen Aufstand, dessen Ziel nur scheinbar ein konkretes ist, und die in ihm enthaltende Hoffnungslosigkeit haben in praktischer Konsequenz die Selbstmordattentäter in Haifa, Jerusalem und Tel Aviv umgesetzt, die alle nicht »für« etwas mordeten. Sie zementierten die Perspektivlosigkeit einer Verhandlungslösung, da ihr Ziel nicht verhandelbar war. In ihnen kommt der kompromißlose Hass der arabischen Panarabisten auf Israel genauso zum Tragen, wie die radikale Verneinung aller staatlichen Strukturen, die der arabische Nationalismus zum Ergebnis hatte. Ihr Krieg kennt keine Forderungen, die Verhandlungen mit »dem Anderen« einleiten sollen, sondern fußt auf einer »historischen Gerechtigkeit«, die sich selbst genügt und keine Perspektiven für eine bessere Zukunft offen läßt. Objekt der GeschichteIm Gegensatz dazu stand die erste Intifada ab 1987 für den Versuch der Palästinenser, zum Subjekt ihrer Geschichte zu werden. Nicht die Ideologen des Exils, sondern die Menschen vor Ort trugen diesen nationalen Aufstand, der sich auch gegen die Herrschaftsformen der arabischen Nachbarstaaten wendete. Aus eigener Anschauung nämlich konnten die Palästinenser, als Flüchtlinge oder rechtlose Arbeitsemigranten, das Scheitern der arabischen Entwicklungsmodelle studieren. Die erste Intifada war der Versuch, einen eigenen nationalen Weg zu finden, der Beginn der zweiten markierte dessen endgültiges Scheitern. Aus welchen Gründen auch immer – extern oder intern –, der in Oslo ausgehandelte palästinensische Staat wäre weder ohne dauerhafte Fremdfinanzierung überlebensfähig noch die jahrelang angekündigte ‚erste Demokratie in Arabien' geworden. Abgezeichnet hat sich ein weiterer korrupter und diktatorisch regierter arabischer Staat, der nur mit Hilfe einer Ideologie wie des arabischen Nationalismus hätte zusammengehalten werden können. Wie wenig attraktiv ein solcher Staat war, zeigte vor dem Oktober 2000 eine Umfrage, nach der die überwältigende Mehrheit aller jugendlichen männlichen Bewohner des Gazastreifens eine arabische Israelin zu heiraten wünschten, um mit der israelischen Staatsbürgerschaft in den Genuß eines höheren Lebensstandards zu kommen. Dieser Wunsch verweist auf eine weitere Widersprüchlichkeit des palästinensischen Nationalismus: Implizit fordert er große Teile seiner potentiellen Staatsbürger auf, in einem anderen Staat zu siedeln. Anstatt aber die Paradoxien aufzulösen, die dem palästinensischen Nationalismus noch mehr inhärent sind als allen anderen, verfiel die dazugehörige Nationalbewegung wieder in alte Denk- und Handlungsmuster und damit in jenen lähmenden Objektstatus, aus dem heraus lediglich Dritte zum Handeln aufgefordert werden können. Die permanenten Handlungsappelle an UN, EU oder die vermeintlich allmächtigen USA spiegeln diesen Status ebenso wieder wie die ununterbrochen vorgetragenen Verschwörungstheorien. Geblieben ist Geschichte als Mythos – Verlierergeschichte, deren Fixierung die rückwärtsgewandte und damit reaktionäre politische Bewegung ausmacht. Der längst zum alles beherrschenden Narrativ gewordene Verweis auf in der Vergangenheit erlittenes Unrecht zwingt die Handelnden, sich als Geschichte nur Erleidende zu imaginieren. Alle Versuche, sich mittels der Aneignung eigener Geschichte realistische Handlungsoptionen zu schaffen, sind gescheitert. Geblieben ist Geschichte als Mythos – Verlierergeschichte, deren Fixierung, wie Walter Benjamin einmal notierte, die rückwärtsgewandte und damit reaktionäre politische Bewegung ausmacht. Eine Linke, die sich diesen Blick zu eigen macht, gesteht ihr Scheitern ein, denn ihr soziales und politisches Kapital liegt einzig im Versprechen auf eine bessere Zukunft. Das Schlüsselproblem der Al-Aqsa-Intifada – die Gewalt – ist nur durch »ein historisches Herangehen an die Frage der Kampfformen« (Lenin) zu lösen. Damit ist allerdings nicht die Rückeroberung historischer Mythen gemeint, die Geschichte zum bedeutungsgebenden Inhalt von Konflikten macht, sondern die Rückeroberung des revolutionären Imperativs »Geschichte wird gemacht«. Thomas Uwer und Thomas v. der Osten-Sacken sind Mitarbeiter der
entwicklungspolitischen Organisation WADI e.V. Kontext:
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