Den Aufsatz kommentieren Die NSDAP und die bürgerlichen Parteienvon Utz Anhalt (sopos) "Dabei müßte gerade bei
CDU/CSU und FDP, deren Vorläufer am 23. März 1933
Hitler ermächtigt haben, nachdem sie ihn zuvor verharmlost
und mit an die Macht gebracht haben, die historische Schuld
alle denkbaren Aktivitäten auslösen." "Wir lassen
uns nicht von einer Partei beleidigen, die in Berlin wieder mit
den Altkommunisten zusammenarbeitet und uns in die Nähe
von Nazis rücken will." Die Gleichung Rot=Braun, wie sie von Friedrich Merz und anderen CDU-Politikern heute behauptet wird (eigentlich gemeint ist: besser braun als rot), ist nicht allein ein dumpfes totalitarismustheoretisches Herumgepolter, sondern beste rechtsbürgerliche Tradition in Deutschland. Schön, daß in dem mehrjährigen Schmusekurs zwischen "Neuer Mitte" und "Alter Rechten" oder "Neuer Rechten" und "Alter Mitte" ein SPD-Mann darauf aufmerksam gemacht hat, daß die SPD einmal eine sozial-demokratische (sozialistische und demokratische) Partei war. Auf einem anderen Blatt steht, daß dies erst in dem Moment passiert, in dem der konservative Flügel der CDU seine offensichtliche Nähe zu den konservativen Revolutionären verrät - und diese ihre zu den Faschisten. Aus aktuellem Anlaß folgt eine kurze Bestandsaufnahme der Zusammenarbeit zwischen bürgerlicher und nationalsozialistischer Rechten vor 1933, deren gemeinsame Abfassung des Ermächtigungsgesetzes nur den letzten Höhepunkt einer langen Kontinuität darstellt. Ich möchte mich dabei weniger auf die Ereignisgeschichte beziehen, als vielmehr auf gemeinsame ideologische Grundlagen zwischen bürgerlichen Parteien und Faschisten. Die Schnittmenge war der Antisemitismus. Völkische Ideologie stellt ein Konglomerat aus Ideen und Spekulationen dar. Ende des 19. Jahrhunderts reichte das Spektrum der völkischen Denker von Johann Gottlieb Fichte bis zu Julius Langbehn und Paul de Lagarde; von dem mörderischen Antisemiten Houston Steward Chamberlain bis zu Richard Wagner. Die apokalyptischen Phantasien von Chamberlains Grundlagen des 19. Jahrhunderts standen in jedem bürgerlichen Haushalt, der etwas auf sich hielt und - in Verbindung mit den Darbietungen des radikalen Antisemiten Richard Wagner - für einen Begriff: Deutsche Kultur.
All diese Vordenker der Rechten der Weimarer Zeit zeichnete aus, daß sie die Welt als Ganzheit, d.h. ohne lästige Partikularinteressen und die Forderung nach rechtlicher und sozialer Emanzipation, in einem antisemitischen Diskurs in praktische Ideologie übersetzten und den christlichen Erlösungsgedanken germanisch säkularisierten. In Deutschland hatte der Antisemitismus der bürgerlichen und rechten Parteien der Weimarer Republik mit seiner Tradierung aus dem Kaiserreich den narzißtisch erlösenden Sinn einer Feuer- und Wasser Verbindung zwischen bürgerlichen und faschistischen Rechten. Eine Opposition gegen die völkisch-antisemitische Ideologie stellten im Kaiserreich und in der Weimarer Republik die Linke und die Linksliberalen dar, während sich Nationalliberale, Konservative und später Nationalsozialisten hinsichtlich der völkischen Einheit des deutschen Vaterlandes einig waren. Einzelne Fraktionen des organisierten Christentums standen dieser völkischen Identität skeptisch gegenüber, da sie sich in konkreten Ansätzen gegen christliche Grundsätze wandte. Die völkische Ideologie des mystischen Germanentums zeichnete vor allem anderen aus, daß ihr Postulat die Ungleichheit der Menschen war. Undeutsch waren in dieser Konstruktion eines homogenen deutschen Volkes die Elemente der Französischen Revolution.
Die historische Grundlage dieser kruden Bewußtseinsbildung des deutschen Bürgertums war zum einen die Zersplitterung des als Deutschland bezeichneten Raumes in hunderte konkurrierende Kleinfürstentümer, zum anderen damit einhergehend ein komplettes ideologisches Kippen der Forderung nach Einigkeit und Recht und Freiheit der demokratischen Revolutionäre von 1848 in einen chauvinistischen Nationalmythos nach 1871. Der das Bürgertum konstituierende Begriff der Nation war in Deutschland auch vor 1933 nicht bürgerlich-demokratisch, sondern reaktionär und völkisch definiert. Mehrheitliche Teile der Liberalen verbanden sich nicht erst 1933 mit völkischen Denkern, sondern integrierten sich bereits 1871 in den Militarismus und völkischen Antisemitismus des Wilhelminischen Kaiserreichs. Der Antisemitismus hatte bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in verschiedenen europäischen Ländern eine - in der Personalisierung des deutschen Faschismus auf Hitler - unter den Tisch gekehrte Funktion gegen die emanzipatorischen Bewegungen. Zum einen hatte kulturanthropologisch die jüdische Religion als erste Glaubensgemeinschaft den Wert des Lebens etabliert, zum anderen verzichtete der jüdische Gott auf das Opfer (und das Selbstopfer). Die jüdische Religion deckte also Kriegsdienst- und Befehlsverweigerung. Zeitgeschichtlich hatten sich die mitteleuropäischen Juden als unterprivilegierte Gruppen des Bürgertums kulturell weitgehend emanzipiert. Als benachteiligte Gruppe engagierten sich deutsche Juden vor allem in innovativen gesellschaftlichen Bereichen: in der Wissenschaft, in Opern, Museen und in der Kunst. Es gab dabei große Schnittstellen zwischen der jüdischen Gemeinschaft und nicht-jüdischen linken und liberalen Kreisen. Wallerstein beschrieb den antisemitischen Rassismus von 1871-1945 denn auch als Wechselspiel zwischen zwei geschichtlichen Konstruktionen. Die im Verlauf des Kapitalismus entstehende Bildung einzelner Nationen verschmolz im Wilhelminischen Kaiserreich bei Konservativen und Nationalliberalen mit der Vorstellung vom christlichen Abendland zum germanischen Vaterland. Die Juden standen als gesellschaftliche Parias für das, was dieses Vaterland angeblich bedrohte: den kosmopolitischen Kapitalismus, den internationalistischen Sozialismus und vor allem als Haßobjekt in der entwickelten Kontinuität der feudalen Eliten in einer industriekapitalistischen Gesellschaft. Die Kritik der bürgerlichen und altrechten Parteien in der Weimarer Republik an den Nazis richtete sich weniger gegen deren Inhalte als vielmehr gegen die Form. Im Ziel der Kritik stand vor allem der proletarische Flügel der NSDAP, die SA. Die in der DVP und der DNVP organisierten Kapitaleigner wollten sich mit dem Schreihals (Hitler) nicht gemein machen. Der offensive Militarismus der Freikorps und Faschisten war dem Bürgertum Kennzeichen für Verfall und Barbarei. Ab 1930 hatten die bürgerlichen Regime seit Brüning die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik durch eine Präsidialdiktatur mit massiver Einschränkung der bürgerlichen Grundrechte und der Agitationsmöglichkeiten von Sozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten ersetzt. Der Übergang in die faschistische Diktatur war bereits vorbereitet. Der Schulterschluß der alten Rechten (von Papen und Schleicher) mit den Nazis diente dazu, diese für eine neofeudale Diktatur zu instrumentalisieren. Der alten Rechten galten die Nazis als Schlägertrupps von der Straße. Wie sehr die Konservativen sich verschätzt hatten, ist allgemein bekannt. Weder vor noch nach 1933 gab es von den bürgerlichen Parteien nennenswerten Widerstand gegen Hitler. Widerstand aus humanistischer Motivation wie durch die Geschwister Scholl basierte auf einem ethisch verantwortlichen Menschenbild von einzelnen Gruppen, aber nicht auf bürgerlichen Traditionslinien. Insbesondere die Integration des Bürgertums seit dem 19. Jahrhundert in die jeweils bestehende autoritäre oder antidemokratische Herrschaft führte in Deutschland dazu, daß es einen organisierten bürgerlichen Antifaschismus wie in Spanien oder Italien nicht gab. Der Feind der bürgerlichen Parteien auch in der Weimarer Zeit war der, der gegen die bestehende Ordnung stand - im Zweifelsfall die Linke. Die Gleichung Rot=Braun, wie sie von Friedrich Merz und anderen CDU-Politikern heute behauptet wird (eigentlich gemeint ist: besser braun als rot), ist nicht allein ein dumpfes totalitarismustheoretisches Herumgepolter, sondern beste rechtsbürgerliche Tradition in Deutschland. Denn die ideologischen Überschneidungen innerhalb der demokratischen und antidemokratischen Rechten waren in Deutschland immer viel ausgeprägter als die der Linken. Literatur:Immanuel Wallerstein; Etienne Balibar: Rasse-Klasse-Nation: Ambivalente Identitäten. Hamburg.Berlin 1990 Doris Mendlewitsch: Volk und Heil. Vordenker der Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert. Rheda-Wiedenbrück 1988 Kontext:
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