Den Aufsatz kommentieren Gefährliche WahlverwandtschaftZu Verfassungsschutz und NPDvon Marcus Hawel (sopos)„Watching the Detectives"
Das Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht gegen die NPD droht aufgrund der sogenannten V-Mann-Affaire bereits im Vorfeld zu scheitern. Eine „Schlamperei" des Bundesinnenministeriums sei dafür verantwortlich, heißt es. Denn es gelangten Informationen an die Öffentlichkeit, die geheim gehalten werden sollten – zum Schutze der Quellen, aus denen man die Beweise für die Verfassungsfeindlichkeit der NPD geschöpft haben will. Genauer: V-Männer, das sind für den Verfassungsschutz tätige Spitzel, seien als Zeugen im Verbotsverfahren vorgesehen gewesen – ohne daß beabsichtigt war, ihren geheimen Staatsdienst dem Gericht bekannt zu machen. – Das flog nun auf. Indes ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat. Während das öffentliche Selbstbild des Staates am demokratischen Ideal orientiert ist, werden Geheimdienste unterhalten, die in Zusammenarbeit mit Faschisten die (illegale) Dreckarbeit leisten, also rassistische Konflikte schüren, Klassenkämpfe spalten, Provokateure einsetzen etc. Ist es nicht merkwürdig, daß das Skandalöse in einer „Schlamperei" gesehen wird – also darin, daß etwas Geheimzuhaltenes an die Öffentlichkeit gelang – aber nicht in dem, was geheim gehalten werden sollte? Die V-Mann-Affaire ermöglicht einen Blick in die anti-demokratischen Machenschaften der Verfassungsorgane, insbesondere des Verfassungsschutzes. Aber daran scheinen sich die Gemüter keineswegs zu erhitzen. Die mangelnde Transparenz der Geheimdienste ist ihr Hauptproblem. Wer kontrolliert die Geheimdienste? Der Bundestag, d.h. der betreffende Ausschuß erhält zur Ausübung seiner Kontrollfunktion nur eine Selektion der ausgeübten nachrichtendienstlichen Tätigkeiten. Die Geheimdienste nehmen diese Selektion selbst vor. Mit anderen Worten: sie selbst entscheiden, wie viel, wann und was genau für den Bundestag und die Öffentlichkeit transparent gemacht wird. Es gibt also keine Kontrolle. Wenn man Demokratie ernst nehmen wollte, müßte man die Geheimdienste sofort abschaffen. Die durch die V-Mann-Affaire aufgedeckten Spitzel des Verfassungsschutzes heißen Wolfgang Frenz und Udo Holtmann – sie sind Spitzenfunktionäre der NPD. Frenz sollte als Zeuge im Verbotsverfahren aussagen. Er soll mehr als 30 Jahre wichtige Informationen über die NPD an den Verfassungsschutz geleitet und dafür monatliche Entgelte in Höhe von ungefähr 300 Euro erhalten haben, berichtet der SPIEGEL (5/2002). Von ihm stammt die als Beweismaterial im Verbotsantrag mit aufgeführte radikal-antisemitische Äußerung: „Wenn es Auschwitz nicht gegeben hätte, müßte es für die Juden von heute erfunden werden. Denn Auschwitz ist die Machtergreifung durch das vernetzte Judentum." Insgesamt sollen ca. 100 Spitzel in der NPD agieren – davon ca. 30 als Spitzenfunktionäre. „Keine Partei ist derart gründlich unterwandert", schreibt der SPIEGEL und wirft die Frage auf, ob die NPD vom Verfassungsschutz gelenkt werde, bzw. inwieweit die Rede davon sein könne, daß die Spitzel nicht nur Beweismaterial be-schaffen, sondern als agens provocateurs auch er-schaffen. Das ist eine durchaus berechtigte Frage - aber es ist wohl eher umgekehrt. Denn bei einem Spitzelgehalt auf 620-DM-Basis kommt wohl nicht sehr viel Staatsfreundschaft auf, wenn man aus ideologischen Gründen und das schon seit viel längerem ein Reichsanhänger ist. Die entscheidende Frage lautet deshalb nicht, wieviel Verfassungsschutz steckt in der NPD, sondern wieviel Rechtsradikale sind im Verfassungsschutz. Eine liebevolle Wahlverwandtschaft zwischen beiden darf vermutet werden: Die Verfassungsschützer lieben ihre Verfassungsfeinde schon allein deshalb, weil sie ihren Beruf behalten wollen. Für Geheimdienste gilt grundsätzlich: gibt es Staatsfeinde, müssen sie nicht erfunden werden. Das galt schon für die RAF und gilt auch für die NPD. Wenn der staatlich geduldete, gar entfachte Nazi-Terror zu arg wird und international in die Schlagzeilen gerät, muß ein "Aufstand der Anständigen" den braunen Spuk zumindest begrenzen. Man kann sich mithin des Eindrucks nicht erwehren, daß der Verfassungsschutz kein Interesse daran haben kann, daß die NPD verboten wird. Auf keinen Fall soll damit gesagt sein, Faschisten und Rechtsradikale – auch im Umfeld der NPD – seien keine Verfassungsfeinde. Eher soll damit angedeutet sein, daß im Verfassungsschutz keine Verfassungsschützer sitzen könnten, und daß die Skepsis groß ist, inwieweit der gesamte Staat seinen Kampf gegen den Rechtsextremismus wirklich ernst meint. Für gewöhnlich ist der Staat auf dem rechten Auge blind – das soll sich nun mit rot-grün geändert haben? Als im Sommer 2000 wieder einmal eine Welle rechtsradikaler Gewalt, also rassistische, ausländerfeindliche, antisemitische Verbrechen, in der Presse massenhaft für Schlagzeilen sorgten, mußte die Bundesregierung „reagieren". – Schröder rief also zum „Aufstand der Anständigen" auf; vorübergehend wurden Fonds eingerichtet, aus denen „anständige" antifaschistische Gruppen und Organisationen finanzielle Zuwendung für ihre Projekte erhalten sollten. – Aus den Augen, aus dem Sinn. Dieser Anstand der Aufständigen war nur eine Inszenierung. Es mag ja sein, daß die rot-grüne Bundesregierung im Kampf gegen Rechtsradikalismus bemühter ist, als es die Kohl-Regierung je war. Aber steht ein Schily einem Kanther oder Beckstein in irgend etwas voran oder nach? Oder anders gefragt: Ist ein demokratischer Staat, der sich selbst zusehends von der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernt, festzustellen imstande, inwieweit sich eine Partei wie die NPD nicht nur gegen die bestehende Ordnung, sondern auch gegen wirkliche Freiheit stellt? Auf das Wissen über rechtsradikale Strukturen, das Antifa-Gruppen zusammentragen, ist dagegen mehr Verlaß als auf staatliche Nachrichtendienste. Von der Praxis ganz zu schweigen. Kontext:
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