politisch mit den Begriffen Normalität und Pathologie hinsichtlich des NS-Systems zu operieren, ist immer problematisch, da es die TäterInnen leicht auf eine psychologisierende Ebene hebt. Die Begrifflichkeiten zeigen indes den Kern der Diskussion an. Normalität ist die Anpassung an die Norm. Gerade der Begriff der "Normalisierung" dürfte dabei so manchem NS-Mörder aus dem Herzen sprechen. Denn es war ja gerade die Argumentation der "normalen" Wehrmachtssoldaten und "normalen" SS-Männer, dass "es schlimm war damals, aber wenn die Partisanen nicht...".
Klaus Theweleit zeigte auf, dass es gerade die Norm (Anpassung der Körperlichkeit an mörderische Entfesselung) war, die den Drill der Nazi-Soldaten auszeichnete. Gerade die Nazi-Militärs zeichnete die "erlaubte Kriminalität" als Kitt ihres Männerbundes aus. Generationen deutscher Männer, geboren zwischen 1870 und 1920 fiel es leichter, Millionen von Menschen zu ermorden, als gegen die "Norm" ihrer Erzieher vorzugehen.
Und wenn dann in diesem Land die Rede von "Normalisierung" ist, verbindet sich dies nicht zufällig mit einer Rennaissance militaristischer "Tugenden". Auf einmal sehen wir wieder "heldenhafte Bundeswehrsoldaten" bei der Elbeflut, es ist "normal", dass Angelika Beer Puffs für Soldaten fordert, weil es "normal" ist, dass Männerbünde Frauen kaufen und über Frauen verfügen. Und, gar nicht zufällig, führt das "normalisierte" Deutschland auch ganz "normal" wieder Kriege und zwar weltweit.
Sicher, die Pervertierung menschlicher Triebbedürfnisse stand vor der Genese der NSDAP. Die Körperfeindlichkeit prügelten schon Bismarck, Kaiser Wilhelm I. und Kaiser Wilhelm II. den Soldaten ein, so dass Lebens- und Lustbedürfnisse massenhaft in Rache- und Mord (umgekehrte Zeugung) transformiert wurden. Im psychoanalytischen Sinne waren die Nazi-Mordeinheiten also pathologisch (Erich Fromm). Sie waren aber absolut an der Norm ihrer Zeit orientiert.
Nicht die Massenvernichtung, aber das darunterliegende Körperbild konservierten und transformierten sie in die Genese der BRD. Normal waren "Normalbürger" (auf, die sich Horst Mahler in der NPD heute zu Recht bezieht). "Pervers" waren in der BRD Schwule, Lesben, teilweise Linke (wenn sie nicht wie die DKP brav jede Woche ihre Vereinssitzung abhielten), Nacktbader, "Kümmeltürken", "Spaghettis"...
Wenn man sich überlegt, dass die infantilen und eigentlich ziemlichen pubertären Selbstdarstellungen der Kommune 1 und die Oswald Kolle Filme als "sexuelle Revolution" galten, kann man sich vorstellen, was von den Habermasschen Liberalisierungsprozessen zu halten ist.
Klar, wenn dann über Jahrzehnte jeder Wehrmachtssoldat in den Untersuchungen der Alltagsgeschichte erzählt, wie normal es war, in die Armee zu gehen, dann gewöhnt man sich irgendwann daran, und zu Recht: Denn es war ja normal. Es war das, was die Masse der deutschen Bevölkerung spätestens seit 1936 als normal betrachtete.
Heute hat dann Rot-Grün das größte Bedürfnis, endlich wieder normal zu werden. Normalität heißt indes nicht, eine humane Gesellschaft aufzubauen, sondern Normalität in Deutschland heißt, über "EU-Kompromisse in der Irak-Krise" zu debattieren, in der die einzelnen Opfer an der fünften oder sechsten Stelle der Zahlenkette stehen.
Nachdem die 68er sich mit "Frei ficken" und "was interessiert mich der Vietnamkrieg, wenn ich ein Orgasmusproblem habe" einige Jahre die Nachwehen des NS-Staates pubertieren durften, werden sie heute normal, nützliche Mitglieder dieser Gesellschaft.
Frei nach Theweleit nehmen die Achtung-Setz-Dicher die letzte Chance in diesem Land wahr, erwachsen, also normal, zu werden: Sie ziehen in den Krieg.
Mal gucken, wie in 20 Jahren die Geschichtsbücher aussehen: Der besonnene Bismarck, der weise Wilhelm I., der übermütige Wilhelm II., die Verwirrung nach 1918 mit dem Helden Noske, der das Staatsschiff wieder in heimische Gewässer brachte, der irgendwie durchgeknallte Gefreite aus Österreich, Adenauer und sonstige große Staatsmänner, die Unruhestifter nach 1968, das "unnormale Rumgeschwafel" der 1970er und 1980er und schließlich die Reifeprüfung der 68er, die nach einigen Angriffskriegen begriffen, dass SS-Papi doch klasse war.
Irgendwo am Rand stehen dann einige "pathologische Subjekte", die behaupten, dass die "humanitären Einsätze" Kriege seien und nicht nur George W.Bush, sondern auch der nette Joschel von nebenan ein Kriegstreiber.
Dagegen indes wissen deutsche Normalbürger vorzugehen: "Man muss ja nicht gleich Lager einrichten, aber so ein bißchen..."