Das einzig Gute, das ich von Lenin kenne, ist seine Aussage in Bezug auf die Frage, wann eine revolutionäre Situation entsteht: Wenn die Herrschenden nicht mehr können und zugleich die Beherrschten nicht mehr wollen.
"Zur Revolution genügt es nicht, daß sich die ausgebeuteten und geknechteten Massen der Unmöglichkeit, in der alten Weise weiterzuleben, bewußt werden und eine Änderung fordern; zur Revolution ist es notwendig, daß die Ausbeuter nicht mehr in der alten Weise leben und regieren können. Erst dann, wenn die ´unteren Schichten´ die alte Ordnung nicht mehr wollen und die ´Oberschichten´ nicht mehr in der alten Weise leben können, erst dann kann die Revolution siegen. Diese Wahrheit läßt sich mit anderen Worten so ausdrücken: Die Revolution ist unmöglich ohne eine gesamtnationale (Ausgebeutete wie Ausbeuter erfassende) Krise." (W.I. Lenin: Der ´linke Radikalismus´, die Kinderkrankheit im Kommunismus, in: Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Berlin 1954, Bd. II, S. 729.)
Mir scheint - vor allem mit etwas zeitlichem Abstand gelesen -, daß dem Autor etwas von der Kinderkrankheit anhaftet. Die Revolution ist nicht schon dadurch da, daß man sie sich sehnlichst wünscht, oder weil sie schlicht notwendig ist. Ein persisches Sprichwort sagt, daß man das, was man im trunkenen Zustand fabrizierte, am nächsten Tag im Brunnen waschen sollte. Dasselbe gilt für das mit heißer Feder gestrickte, im Handgemenge Losgetretene, dem sich Brecht am nächsten Morgen zweifelnd näherte.
Der Synkretismus aus apokalyptischen Teilen ergibt in der Summe zum Glück nicht den Untergang und leider auch nicht die Revolution.
Wir leben nicht in einem verdunkelten Zeitalter - gleichwohl in einem Zeitalter der Verdunkelung. Auf diesen Unterschied kommt es genauso an, wie schon Kant unterschied zwischen einem aufgeklärten Zeitalter und einem Zeitalter der Aufklärung. Wir können die Zeichen der Zeit nur dann richtig erkennen, wenn wir sie weder schwärzer noch blasser zeichnen als sie sind; aber eben auch nicht schwärzer.