"Zynisch ist es allerdings, wenn die Tatsache, daß die Kirchen 72% der Kindergärten unter ihrer Fuchtel haben und auch Eltern, die mit den Kirchen nichts zu tun haben wollen, ihre Kinder dorthin schicken müssen, ein Ansatz ist, die Indoktrination der Kinder weiter zu vertiefen. Die Praxis der kirchlichen Kindergärten, Konfessionslose, Atheisten oder Andersgläubige nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen einzustellen, also Gesinnungstreue einzufordern, ist schon heute unter rechtstaatlichen Prinzipien fragwürdig. Frau Käßmann redet Klartext: "Wo evangelisch draufsteht, sollte auch evangelisch drin sein." Ich kann es ihr nicht verdenken, auch ich wäre enttäuscht, wenn ich zu einem Seminar über Nietzsche gehe und würde die Heilsbotschaft Christi lernen. Allerdings kann ich mich als erwachsener Mensch entscheiden. Lediglich ein Drittel der Eltern, die ihre Kinder in Kindergärten schicken, haben die Chance dies ohne christliche Nebenwirkungen zu tun."
Hierzu möchte ich doch einige Anmerkungen machen.
Es trifft zu, dass Frau von der Leyen bei der Rechtfertigung dafür, sich für ihre Initiative nur kirchliche Bündnispartner gesucht zu haben, darauf hingewiesen hat, daß die Kirchen 72% der "freien Träger" im Kindergartenbereich stellten. Das mutierte dann in den Medien und in Ihrem Artikel zu der Wahrnehmung, die Kirchen stellten zu 72% die Träger insgesamt in diesem Bereich.
Dieser Eindruck ist nicht ganz korrekt.
Von den Kindergärten sind bundesweit etwa 40 % solche von "öffentlichen Trägern" und 60% solchen von "freien Traegern". Vom Angebot der "freien Traeger" stellen die Kirchen/kirchlichen Sozialverbaende etwa 72%. Der gesamte Marktanteil der Kirchen liegt somit nur - aber immerhin - bei maximal 43%. Diese Zahl war aber der interessegeleiteten Rhetorik der Ministerin gerade nicht dienlich!
(Dr. Carsten Frerk rechnet da auf der Basis von Caritas und Diakonie, deshalb kommt er für diese korrekt nur auf einen Marktanteil von 36% - es gibt aber weitere kirchliche Kindergartenträger!)
Die lokale Lage kann von diesen Durchschnittswerten deutlich abweichen. Es kann sein, dass in zumutbarer Nähe nur kirchliche Kindergärten existieren. Diese können zwar dann Nichtkirchliche nur begrenzt abweisen, aber natürlich verlangen, auch diese konfessionell zu unterweisen.
Es kann sein, dass eine städtische Kindergartengruppe in einem kirchlichen Kindergarten untergebracht wird.
In Wommelshausen gibt es mehrere kirchliche und einen städtischen Kindergarten und der städtische Kindergarten bekam von der Kommune eine Satzung verpasst, in welcher ein obligatorisches Kindergartengebet vorgeschrieben wurde. Die Klage dagegen ist in den unteren Instanzen gescheitert, der Kläger wurde so gemobbt, dass er die Klage nicht weiter verfolgen konnte. http://www.hu-marburg.de/hupm0703.shtml
In Sachsen hat die zuständige Ministerin gerade versucht, christliche Erziehungsprinzipien allen Kindergärten vorzuschreiben: http://ibka.org/node/600
Der einzige Bereich, in dem die Kirchen bislang relevant eigene Finanzmittel eingesetzt haben, war die Heranziehung künftiger Kirchensteuerzahler in konfessionellen Kindergärten. Immer mehr gelingt es ihnen jedoch, sich vom Trägeranteil teilweise bis gänzlich - unter Beibehaltung sämtlicher Trägerprivilegien - zu Lasten der Bundesländer bzw. Kommunen zu befreien.
Die Struktur der Wohnbevölkerung ist vielerorts weltanschaulich pluralisiert. Eine Aufgabe der Kommunalpolitik könnte also darin bestehen, angesichts dieser Tatsache - und im Vergleich zu der tatsächlich vorhandenen Trägerstruktur im existenten Angebot - zu ermitteln, wie der Bestand von Kindergärten, Schulen usw. angemessen zu entwickeln ist.
Der Entwurf für eine entsprechende Musteranfrage dazu kann beim IBKA angefordert werden.
Während die Landesregierung NRW plant, die bisherige Differenzierung zwischen "armen" und "reichen" Trägern auf einen einheitlichen Trägeranteil von 12% zu nivellieren - was für von Elterninitiativen getragene Einrichtungen eine Steigerung des Eigenanteiles um ein Drittel bedeutet und für kirchliche Träger hingegen eine Ermäßigung dessen von 40% - ; ist im Entwurf des Staatskirchenvertrages in Hamburg vorgesehen, die Kirchen exklusiv vom Trägeranteil zu Lasten des Staates komplett zu befreien - selbstverständlich bei Wahrung sämtlicher Trägerprivilegien der Kirchen. Diese erklärten prompt, in den künftig zu 100% fremdfinanzierten Einrichtungen mit den frei gewordenen Mitteln verstärkt Mission betreiben zu wollen. Diese Tendenz findet auch andernorts zu Lasten der Kommunen statt.
Die Umsetzung derartiger Vereinbarungen mit der Kirche bedeutet, dass in Kindergärten, die in vollem Umfang aus öffentlichen Mitteln und Elternbeiträgen finanziert werden, z.B. weiterhin die Einschränkungen des Betriebsverfassungsgesetzes gelten, die kirchliche Träger genießen (sog. Tendenzschutzparagraph). Zudem hat die Landessynode der ev. Kirche in NRW empfohlen, in kirchlichen Einrichtungen - noch stringenter als bisher schon gehandhabt - Nicht-Kirchenmitgliedern eine Einstellung zu verwehren. Dass die konfessionellen Kindergärten der christlichen Erziehung und Missionierung dienen, versteht sich von selbst.
Aber auch die Übernahme ehemals kommunaler Kindergärten durch die Kirche kommt vor. Wenn die Städte schon alle Kosten übernehmen, ist das ja auch ein Leichtes. So geschah es im letzten Sommer in Bayern zur Empörung der Eltern, die erst durch die Presse von diesem Trägerwechsel informiert wurden. Eine konfessionslose Erzieherin musste die Einrichtung wechseln.