Provokationen können durchaus sinnvoll sein, wenn es darum geht, Problemfragen zuzuspitzen und Interessen herauszuarbeiten. Mit anderen Worten: Klarheit zu schaffen, die eine Parteinahme erlauben. In der Tat ist die völkerrechtliche Situation auf Zypern absurd, aber dieser rechtliche Zustand verweist auf ebenso reale sozial-ökonomische Interessenlagen wie geistig-ideologische Bindungen. Sich über diese leichfertig hinwegzusetzen, erfordert schon eine erhebliche Abstraktionleistung: unterteilt man die Bevölkerung Zyperns in ethnisch-homogene Gruppen, liegt in der Tat eine politisch-juristische Teilung der Insel nahe. Doch in wessen Interesse liegt eine derartige ?Lösung?? Man kann das ´Nein´ der griechischen Zyprioten zum Annan-Plan nur dann als verpaßte Gelegenheit auffassen, wenn man sich implizit die Position der EU bzw. beteiligten Großmächte zu eigen macht. Ansonsten handelt es sich um einen Rückschlag der beteiligten westlichen Staaten, die ihre geostrategischen Interessen nicht gänzlich durchsetzen konnten. Aus Sicht der EU und der USA ist der Fall Zypern ärgerlich, zumal, wenn man die Insel als Militärbasis für Aufmärsche wie dem Irak-Krieg nutzen möchte und das Zypernproblem der Aufnahme der Türkei in die EU im Wege steht.
Die vollständige Demilitarisierung der Insel, d.h. auch der Abzug der Briten, ein weitgehendes Rückkehrrecht der Flüchtlinge, die Sicherung der grundlegenden Bürgerrechte und eine politische Verfassung, die das Prinzip der Volkssouveränität sicherstellt und eine direkte, verfassungmäßig garantierte Einmischung der Westmächte - wie im Annan-Plan vorgesehen -ausschließt - das sind Grundpositionen vieler griechischer, aber auch türkischer Zyprioten. Man mag diese für falsch halten und kritisieren, ignorieren sollte man sie nicht, will man die Zukunft nicht mit schwerwiegenden Hypotheken zu belasten.
Interessanter wäre nach meiner Auffassung die Frage: welche soziale Gruppen auf der Insel sind für eine emanzipative Politik zu gewinnen, welche die Verwundungen der Vergangenheit nicht übergeht und sie durch eine positive Perspektive ertragbar macht? Da wäre dann auch über den realen Kapitalismus in der EU (incl. Griechenland), der Türkei und auf Zypern, über Geostrategien und Imperialismus, über Tourismus-, Bau- und Agroindustrie, prekäre Arbeit, über Konkurrenz und Ausbeutung, ökonomische, soziale, patriarchale Abhängigkeiten, mithin über reale soziale Beziehungen zu sprechen, in denen die gegenwärtigen Ideologien wurzeln.
Die Sprache der bürgerlichen Diplomatie ist dazu wohl nicht geeignet.
ich stimme dir in den einzelnen Punkten über die Motivlagen, die du anführst, zu. Bspw. war die Ablehnung des Annan Plan in der Gegend um Paphos aus den von dir genannten Gründen besonders hoch. Im Norden wäre die innenpolitische Wende ohne den ‚Seitenwechsel’ führender Wirtschaftsvertreter (zyperntürk. Handelskammer) in dieser Weise nicht möglich gewesen. Besonders hervorzuheben ist, dass die Wähler im Norden in den Gebieten, die laut Annan Plan an die Zyperngriechen abgetreten werden sollen (Morphou/Güzelyurt) und die seit 1974 dort lebenden Menschen umgesiedelt werden würden, ebenfalls mit über 60% für den Annan Plan gestimmt haben. Dies ist das Resultat monatelanger eingehender und kontroverser Diskussionen um die Inhalte des Annan Plan auf Nordzypern. Da diese Diskussion in dieser Intensität stattfand konnte Denktaş die Ängste dieser Menschen (von den Umsiedlungen im Falle einer Lösung wären ca. 30.-40.000 Menschen betroffen) nicht vor seinen Karren spannen – Denktaş bezeichnete den Annan Plan u.a. wegen dieser Umsiedlungen als ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit’ und wurde nicht müde, zu behaupten, dass diese Menschen (mehrheitlich seit 1974 eingewanderte Festlandstürken) im Falle der Annahme des Annan Plan, von der Insel vertrieben würden. Im Süden fand eine inhaltliche (und vor allem kontroverse) Diskussion des Annan Plan praktisch nicht statt und die (wenigen) Befürworter des Annan Plan, die sich trauten, öffentlich für den Annan Plan zu werben, wurden marginalisiert. Der Höhepunkt war schließlich die Weigerung
Teil IIder zyperngr. Medien, de Soto und Verheugen im Vorfeld der Referenda zu Wort kommen zu lassen – mit abstrusen Begründung, man wolle verhindern, dass das zyperngr. Wahlvolk von außen beinflusst würde! Was ich damit sagen will ist, dass der Annan Plan und die Lösung des ethnopolitischen Konfliktes auf Zypern eine Bedrohung des Status und der Machtposition der ethnonationalistischen Eliten im Süden wie im Norden darstellt – diese Eliten brauchen den Status quo und die Aufrechterhaltung der gegenseitigen Feindbilder, um an der Macht zu bleiben.
An dieser Stelle kann ich nur sehr verkürzt meine Begriffsverwendung begründen, ausführlich habe ich dieses in meiner MA-Arbeit dargelegt. Zur Begründung meiner Kategorien: Ich bezeichne beide Volksgruppen als ethnonationale Gruppen und den Konflikt als ethnopolitischen Konflikt. Ich argumentiere aus einer konstruktivistischen, nicht essentialistischen Perspektive. Der Zypernkonflikt existiert nicht etwa deshalb und gründet sich nicht darauf, dass es zwei ethnische Gruppen gibt, die sich eben nicht verstehen und das immer so gewesen sei. Deshalb ethnopolitisch, um eben die Instrumentalisierung deutlich zu machen und sich von bestimmten Konnotationen, die mit Begriffen wie ‚ethnischer Konflikt’ einhergehen, bewusst abzusetzen. Um den konstruktivistischen Charakter nochmals hervorzuheben: Dass sich heute die Zyperntürken und die Zyperngriechen (die Verwendung dieser Bezeichnungen drückt die relative Gleichwertigkeit in der Selbstperzeption
TEILIIIbeider Volksgruppen des griechischen bzw. türkischen ‚Elementes’ aus) in dieser Weise definieren ist nicht ‚natürlich’, weil sie ja zwei verschiedene Ethnien sind, sondern die Identitätsbildung und der heutige Stand sind das Resultat der spezifischen historisch-politischen Entwicklung. Identität ist für mich ebenfalls keine statische Kategorie, sie ist vielmehr ständig im Fluss und wird alltäglich von neuem bestätigt und wandelt sich längerfristig mit dem Wandel gesamtgesellschaftlicher Strukturen. Während für die Zyperngriechen bspw. das ‚griechische’ (im Sinne der Ausrichtung auf das ‚nationale Zentrum’) ihrer Identität in den 40er Jahren bis nach 1963 das zyprische überwog, hat sich bis heute ein Wandel dieses Verhältnisses zugunsten des ‚zyprischen’ ergeben. Für die Zyperntürken lässt sich nach 1974 ähnliches konstatieren, was einerseits mit der Teilung der Insel zu tun hat und andererseits mit der Auseinandersetzung mit den nach 1974 eingewanderten Festlandstürken. Durch eine Lösung des ethnopolitsichen Konfliktes werden die strukturellen Fundamente gelegt, die dazu führen werden, dass sich die heutigen Selbstperzeptionen beider Volksgruppen verändern werden.
Im übrigen macht es gar keinen Sinn, diese ethnopolitische Realität und die ‚ethnische’ Separation zu leugnen, da sie ja Realität ist. Da hilft es auch nicht es z.B. als ‚falsches Bewußtsein’ zu brandmarken, nur weil es in die Weltsicht des jeweiligen Betrachters nicht passt. Selbstverständlich kann eine ernstzunehmende Analyse nicht dabei stehen bleiben, die beiden Volksgruppen
TEIL IVals ‚homogene’ Blöcke gegenüberzustellen, die sich untereinander prächtig verstehen etc., da gebe ich dir vollkommen Recht. Eine Analyse allerdings, die die Realitäten schlicht übergeht, ist ebenso wenig ernst zu nehmen und bestenfalls als realitätsverzerrend zu bezeichnen. Eine Analyse und analytische Kategorien sollten nicht danach gesetzt werden, was der Analytiker/in meint was sein soll, sondern möglichst nach dem, wie es ist, also realitätskongruent sein. Eine Theorie mit ihrem gesamten Begriffsapparat sollte m.E. nach stetig darauf überprüft werden, ob es dem Gegenstand gerecht wird. Es ist wenig fruchtbar, die Wirklichkeit so zusammenzustutzen, dass sie in die Theorie passt. Umgekehrt ist empirisches Material weder zu erheben noch zu ordnen, ohne eine theoretische Konzeption. Theorie und Empirie sind in einem interdependenten Verhältnis zu sehen.....
Es wäre auch recht überheblich, die Selbstperzeption der Volksgruppen oder der Menschen, die den Gegenstand einer Analyse bilden, nicht in Rechnung zu stellen.
Die Republik Zypern von 1960 bis 1963 ist als gescheitertes ‚nation-building’ und ‚state-building’ zu begreifen. Um erneut eines deutlich zu machen, da es hierbei immer wieder Perzeptionsprobleme gibt: Auf Zypern hat sich zu keinem Zeitpunkt ein ‚Volk’ im Sinne einer ‚Nation’ herausgebildet – wie gesagt, das hat seine strukturellen Ursachen in der osmanischen (1571-1878) und britischen (1878-1960) Herrschaftsperiode und der komplexen interdependenten Verflechtung der lokalen, regionalen und internationalen Konfliktebenen.
TEIL V Deshalb ist die Problematik des Begriffs ‚Volkssouveränität’ wie du es in deinem ersten Kommentar geschrieben hast, folgender: welcher ‚Demos’ ist damit gemeint, wer entscheidet denn darüber? Wenn beispw. Makarios in den 50er Jahren vom ‚zyprischen Volk’ sprach, waren per definitionem die Zyperntürken davon ausgenommen. Wenn es um das Selbstbestimmungsrecht ging/geht, so ging es Makarios nicht um das Selbstbestimmungsrecht ‚aller’ Zyprer, sondern um das der Zyperngriechen. Für die Zyperngriechen waren die Zyperntürken schlicht eine ‚nationale Minderheit’ oder nur das Relikt der osmanischen Herrschaft. Der „Unabhängigkeitskampf“ (d.h. der zyperngriechische Antikolonialismus und der Kampf um die ENOSIS - Vereinigung mit Griechenland – ist eben nicht ein ‚klassischer’ Unabhängigkeitskampf) ab Mitte der 1950er Jahre wird schlicht gleichgesetzt mit ‚zyprischem’ Unabhängigkeitskampf und so wurde es nach aussen (Blockfreie Bewegung und UNO etc.) ja auch recht erfolgreich verkauft – will heißen: der ethnonationalistische Charakter wird hierbei schlicht verdeckt. Eine Betrachtungsweise, die aus ideologischen Gründen (weil sich die ‚Zyprer’ als ‚ein Volk’ begreifen sollen) dieses übersieht, leistet den heutigen Ansprüchen eines Papadopoulos (der Denktaş auf der anderen Seite der ‚Grünen Linie’ im nichts nachsteht) Vorschub und unterstützt letztlich (ungewollt) ethnonationalistische Positionen.
TEIL VIWas die Zyperntürken betrifft, so sehen sie sich als politisch gleichberechtigte Volksgruppe. Die überwältigende Mehrheit der Zyperntürken würde eine Lösung, welche ihnen die politische Gleichberechtigung als Volksgruppe (!) wie es ihr verfassungrechtlicher Status vor 1963 auch war, versagt, nicht akzeptieren. Die Stärke derjenigen im Norden, die die Teilung aufrecht erhalten wollen, ist gerade, den Zyperntürken einzureden, dass die Zyperngriechen sie niemals als gleichberechtigt akzeptieren werden. Dies zeigten die Erfahrungen der 50er Jahre und die Zeit 1963-74. Wer, so die Logik, jetzt mit dem Feind paktiert, der setzt die Zyperntürken den gleichen Gefahren aus, denen sie 1974 durch die ‚Friedensoperation’ der Türkei entronnen sind. Talat und Co, die dagegen seit Jahren anrudern, werden auf einem verlorenen Posten stehen, wenn es sich zeigen sollte, dass eine Lösung nach dem Annan Plan, oder eine vergleichbare Lösung, demnächst nicht in Sichtweite rückt. Deine Sichtweise, dass nicht zuerst eine Lösung des Konfliktes im Sinne des Annan Plan anzustreben ist, sondern stattdessen diejenigen Gruppen unterstützt werden sollten, die „unabhängig von der ?ethnischen? Zugehörigkeit eine sozial-ökologische Entwicklungsperspektive verfolgen“ werden überhaupt erst ernsthaft eine Chance bekommen, wenn der ethnopolitische Konflikt gelöst ist.
TEIL VII
Die politische Lösung des Konfliktes sehe ich nämlich als Voraussetzung dafür, dass in Zukunft es überhaupt möglich ist die Dominanz des ethnopolitischen in den politischen Auseinandersetzungen beider Volksgruppen zu reduzieren und dem, worauf du mit Recht aufmerksam machst - und ich mit dir in diesem Punkte völlig übereinstimme – nämlich den sozialen Auseinandersetzungen über die Gesellschaftsstrukturen etc., die erstens durch die Teilung der Insel gar nicht möglich sind und zweitens vom ethnopolitischen Konflikt überschattet sind, mehr Raum zu verschaffen und in den Vordergrund zu rücken.
Was die souveränen Basen der Briten angeht, die du in deinem ersten Kommentar anführst, so verhält es sich m.E. ebenso: Der Nachschub für den Irakkrieg, das Ausfliegen der Verwundeten über die britischen Basen etc. läuft wunderbar mit der Teilung der Insel, zumal diese Basen explizit britisches Territorium sind. Auch hier gilt: Eine ernsthafte Debatte über die Aufgabe dieser Souveränität wird es erst geben können, wenn die Insel nicht mehr geteilt ist und sich die beiden Volksgruppen zudem erfolgreich zusammengerauft haben. Solange die Teilung existiert brauchen sich weder NATO noch Großbritannien Sorgen zu machen...
TEIL VIIIUm meine Argumentation nochmals zu untermauern sei hier auf die AKEL verwiesen, die als kommunistische Partei bis Ende der 40er Jahre die interethnische Kooperation gefördert und sogar zyperntürkische Mitglieder hatte und dann Ende der 40er Jahre auf den ENOSIS-Kurs der zyperngriechischen Nationalisten eingeschwenkt ist, was man im Nachhinein als historischen Fehler werten könnte. In diesem Sinne hat die nun sozialistische AKEL seit 2003 mit dem Aufruf an ihre Klientel, Papadopoulos zu wählen, erneut einen ‚historischen’ Fehler begangen, nachdem sie nach 1974 die Hauptkraft für eine interkommunale Verständigung war. Dies hat bereits maßloses Entsetzen und Unverständnis auf Seiten derjenigen Zyperntürken geführt, die sich für eine Lösung des Konfliktes einsetzen. Die AKEL hat dann bei den Referenda ebenfalls eine negative Rolle gespielt und somit ihre kurzfristigen Machtinteressen über eine mögliche Lösung gestellt – was zeigt, dass der ethnonationalistische Diskurs die Überhand behält und m.E. die Oberhand behalten wird, wenn es keine Lösung des Konfliktes gibt.
Abschließend stellt sich die Frage, was denn die Alternativen zu einer Lösung des Konfliktes jenseits der Prinzipien des Annan Plans sind:
TEIL IX
1. Die Aufrechterhaltung des Status quo – d.h. auf absehbare Zeit ( gar Dekaden?) werden den Zyperntürken weiterhin ökonomische und gesellschaftliche Entwicklung versagt, wenn sie sich dem Diktat der Zyperngriechen nicht beugen.
2. Die Aufrechterhaltung des Status quo (also weiterhin Teilung) mit einer gelinderten Form internationaler Isolation unterhalb der Schwelle einer Anerkennung des Nordens
3. Die Zementierung der Teilung und früher oder später staatliche Anerkennung des Nordens, also zwei Staaten, statt Föderation.
4. Eine erzwungene Lösung, in dem die Zyperntürken sich in einen zyperngriechischen Nationalstaat zu integrieren haben – wie ‚friedlich’ wird eine solche ‚Lösung’ sein?
Zieht man in Betracht, was eine Nicht-Lösung für die griechisch-türkischen Beziehungen bedeuten könnte und dem avisierten Beitritt der Türkei zur EU, werden die Perspektiven auch nicht erfreulicher......
vielen Dank für Deine Erläuterungen - jetzt ist mir Deine Argumentation klar geworden - im wesentlichen Stimme ich Dir zu. Dennoch: An wen richten sich deine Überlegungen?