Deine Glückwünsche zu Hermann Gremlizas 30jährigem Jubiläum als Konkret-Herausgeber haben mich doch sehr geärgert, lassen sie doch nach meiner Auffassung eine kritische Distanz zum Gegenstand vermissen. Du übernimmst Positionen, die ich als Mythen einer Strömungsgeschichtsschreibung charakterisieren würde (Du hast Deinem Beitrag auch fast ausschließlich Konkret-Quellen, also die eigenen Aussagen von Konkret-Autoren zugrunde gelegt - das ist immer problematisch). Ein Beispiel: Die Kritik vom damaligen Konkret-Chef Bissinger, daß Helmuth Kohl zu Beginn seiner Kanzlerschaft mit seiner Sekretärin Juliane Weber zusammengelebt hat, wertest Du Beleg für eine Tendenz zum "Skandaljournalismus", die Gremliza dann schleunigst rückgängig machte. Das halte ich bestenfalls für einen Gremliza-Mythos. Anfang der 80er Jahre propagierte die CDU die "geistig-moralische Wende". Wer die Debatten über den §218 noch im Ohr hat, weiß, daß dieser Versuch, die Errungenschaften der 68er-Bewegung zurückzudrehen, keine Kleinigkeit darstellten. In diesem Zusammenhang - und nur in diesem - wurde mehr oder weniger offen seitens der Linken die Doppelmoral Kohls thematisiert (im Spiegel gab es nur Anspielungen). Was ist daran falsch? Den Bissinger von damals mit seinen Büchern von heute anzugehen, geht zudem fehl.
Völlig distanzlos wird Dein Beitrag, wenn Du schreibst: "Mit großer Sicherheit würde Gremliza heute den Beginn dieses Satzes anders formulieren,..." - muß das sein? Du schreibst an anderer Stelle: "Entstanden sind diese Sätze zu einer Zeit, als sich die herrschende Klasse in Deutschland in stumpfer Israel-Solidarität befand, bevor die deutschen Eliten umschwenkten und nach 1989 durch die Wiedervereinigung ihre historische Schuld getilgt sahen und nun offen gegen die USA und Israel opponieren". Das sind Formulierungen, die in ihrer Pauschalität nicht richtig sind, und genauso gut in der Konkret stehen könnten.
Ich habe den Eindruck, daß Du viele Deiner Positionen bei Gremliza wiederzufinden glaubst, wenn Du ihm von ihm annimmst, er würde ernsthaft an der Befreiung der Menschheit arbeiten. Es ist wohl doch eher so, daß er es "mangels Masse" für aussichtslos hält, den praktischen Versuch der Befreiung zu unternehmen und sich in eine Position begeben hat, die der der beiden Alten auf dem Balkon in der Muppet-Show entspricht: Man polemisiert und ätzt herum. Das ist nicht verwerflich, entspricht aber keineswegs dem revolutionärem, auf praktisches Handeln bezogenen Standpunkt der Feuerbach-Thesen.
Nach meiner Meinung verkörpert Konkretund die damit verundene Leserschaft ziemlich gut die Dauerkrise eines Teils der Linken: Da man keine historische Perspektive hat (und sich auch keine erarbeitet), versucht man, Pflöcke einzuschlagen, um Schlimmeres zu verhüten (das führt dann mitunter zu einer unkritischen Haltung gegenüber der "antifaschistischen" DDR und anderen Formen von Bekenntnis-Diskussionen). Mit einer solch resignativen Grundeinstellung kann man sich dann im Prinzip immer nur wiederholen in der wenig konkreten (und daher praktisch auch so wirkungslosen) Kritik an immer denselben Kräften - das schreckt viele ab und viele nehmen es auch gar nicht mehr ernst. Im Grunde ist es ein Mißverständnis, wenn "die Linke" glaubt, ihr müßten irgendwann einmal "Massen" zuströmen, und solange das nicht der Fall ist, brummelt man griesgrämig in Zeitschriftenspalten herum. Linke Tätigkeit sollte doch in dem Aufbau von kooperativen Strukturen für gemeinsame Theorie- und Praxistätigkeit bestehen. Zu einer breiten Masse kann ich mich dagegen nur als intellektueller Stichwortgeber, im besten Falle klassisch leninistisch verhalten.
Es ist wohl doch so, daß man die Welt nur richtig interpretieren kann, wenn man eine Vorstellung davon hat, wie sie anders aussehen könnte. Insofern plädiere ich für eine Umbenennung von "Konkret" in "Abstrakt".
Als Abonnent der Zeitschrift seit über 20 Jahren und Vorbesteller der neuen CD habe ich keinen Einwand, Texte der KONKRET im Internet zur Verfügung gestellt zu stellen.
Es wäre dann möglich, etwa in Diskussionsforen per Link direkt auf KONKRET-Artikel zu verweisen.
Die Wochenzeitung FREITAG veröffentlicht seit einigen Jahren auf der Website www.freitag.de sogar die komplette aktuelle Ausgabe.