Ich kann die These des aggressiven serbischen und kroatischen Nationalismus im Vergleich zum slowenischen Nationalismus nicht nachvollziehen. Gerade durch die historisch engere Anbindung slowenischer Intellektueller an Österreich und die wirtschaftliche Prosperität Sloweniens im Tito-Jugoslawien gab und gibt es in Slowenien einen ausgeprägten elitären Kulturalismus. Dieser nahm nicht die Form einer mythologisierten militärischen Vergangenheit an wie im serbischen Nationalismus. Er definierte sich aber gerade im Tito-Jugoslawien durch die Abgrenzung vieler slowenischer Intellektueller von den südlichen jugoslawischen Bundesstaaten (vergleichbar vielleicht mit der Lega Nord in Italien). Kern dieses Kulturalismus war gerade, dass slowenische Professoren in österreichischen Universitäten in deutscher Sprache dozierten und sich von den "barbarischen Völkern des Balkans" abgrenzten. Die umstrittene Band Laibach wählte den deutschen Namen für die slowenische Hauptstadt Ljubljana aus genau diesem Grund.
Beim Zusammenbruch Jugoslawiens war Slowenien der erste Staat, der sich für unabhängig erklärte, unter anderem, weil slowenische Rechtsintellektuelle seit Jahren auf eine Chance gewartet hatten, die "Ausläufer der Türkei" nicht mehr "durchfüttern zu müssen", wo "ihr Land" doch wesentlich näher an den Fleischtöpfen liegt. Ich kann mich noch gut an meine Aufenthalte in Istrien in den 1980er Jahren erinnern. Die Mittelschichtsslowenen aus Ljubljana, die wir kennenlernten, betonten, dass sie Slowenen sind - keine Jugoslawen und Istrien zum Urlaub, das ging noch klar. Sie grenzten sich offensiv ab gegenüber den Montenegrinern und Serben, die wir kennenlernten. Je weiter wir nach Süden kamen, desto häufiger hingen Titobilder in den Kneipen, desto wichtiger war den Menschen, die wir trafen, das Bekenntnis zu Jugoslawien.
Slowenische Professoren dozierten an österreichischen Universitäten, das ist richtig. Aber auch serbische Intellektuelle lebten und lehrten in türkischen Sultanshöfen. Im Tito-Jugoslawien studierten Kroaten in Belgrad, arbeiteten Serben in Istrien. Der jugoslawische Sozialismus war zwar kein Garant für frei entfaltete Individualität, aber zumindest für eine Minderung der nationalistischen Bestialität.
Die Wiederkehr der Nationalismen auf dem Balkan wurde, insbesondere durch die bundesdeutschen Regierungen gezielt betrieben. Hätschelkind war das "westliche" Slowenien, dem "Serbien muss sterbien" Nationalismus der Kulturträger mit der Pickelhaube historisch in guter Erinnerung für die abendländisch-aufgeschlossenen Professoren, die in deutscher Sprache den Habsburgern einst Honig um den Mund geschmiert hatten (und hiess Ljubljana nicht einmal Laibach). Das kleine, aber ökonomisch starke Slowenien konnte Vorteile von der Zerschlagung Jugoslawiens erwarten, Kroatien teilweise ebenfalls (Tourismus in Istrien etc.). "Serbien" nicht. Serbische Geschichte war nicht die Geschichte der grossen Könige, sondern die Geschichte von Verfolgten, aufgerieben zwischen den Interessen der Grossmächte, der Türkei und Österreich-Ungarn, die Geschichte von "giaurs", Bürgern zweiter Klasse in den Pufferzonen des Osmanischen Reiches an der Kriegsgrenze, Outlaws an der innereuropäischen Peripherie. Der heutige "serbische Nationalismus", diese Verknüpfung von Nationalbolschewismus, Tito-Verklärung und pseudohistorischer Militärromantik ist der Nationalismus von Verlierern. Das macht ihn nicht besser. Der "rechte serbische Mythos" in der Krise geriert sich schnell zum Kriegsmythos. Der NATO gebührt das "Verdienst", mit den Bomben auf Belgrad,der Stadt, in der 500.000 JugoslawInnen wenige Monate zuvor gegen Milosevic demonstriert hatten, diesen Kriegsverlierermythos zu schüren.
Im slowenischen Nationalismus spielt noch die elitäre Fantasie hinein, bei kultureller Abgrenzung gegenüber den "wilden Balkanhorden" doch noch mit an der Tafel der Habsburger zu sitzen.
Dem "rechten Mythos" der Serben, dem Amselfeld, fehlt dieser Ausweg. Es ist das Versprechen, das Milosevic brillant in Szene setzte, als Spielball der Grossmachtspolitik zwar nicht gewinnen zu können, aber heldenhaft unterzugehen. Dieser Mythos macht den serbischen Nationalismus gefährlich, den slowenischen aber nicht besser. Es war Titos Politik, die mit der Blockfreiheit Jugoslawiens die verschiedenen beschissenen Nationalismen des Balkans neutralisierte und Jugoslawien der Weltmachtpolitk entzog.
Die Kunstavantgarde, die in Jugoslawien mit Ustaschasymbolik flirtete und nicht allein aus Provokationsgründen, war eine slowenische und kroatische Avantgarde.