Vor Genua dachte ich ähnlich wie Du. Die Toleranz (ohne Beliebigkeit), die sich in dieser im Enstehen Begriffenen Sozialen Bewegung zeigt, läßt aber meiner Meinung nach die Möglichkeit offen, ob sie wegintegriert werden kann, in Militanzfallen oder Caritasfunktionen aufgespalten wird, oder ob sie eine emanzipatorische Kraft entwickelt. So glatt, wie Du es in deinem Artikel beschreibst, läuft die Funktionalisierung der NGOs nicht. So einfach ist auch die Situation des grossen Netzwerkes ATTAC nicht. In Genua habe ich eher erlebt, dass es eine wundervolle, ernst geführte Diskussion über mögliche Alternativen zum Bestehenden gibt, die mit allen Gruppen des Protestes geführt wird. Das G8 Treffen hat gezeigt, dass die Deutung, wie sie die Mächtigen gerne hätten, hier die NGOs dort die "Gewalttäter" nicht auch nur ansatzweise funktioniert hat. Was Du in deiner Analyse übersiehst,ist, dass es sich in der Breite der Bewegung auch um unterschiedliche Teilbereiche handelt, die nicht unter einem abstrakten Revolution oder Reform abgehandelt werden können. Gruppen, die protestieren, um Land- und Menschenrechte für indigene Kulturen einzufordern, handeln dieser Definition nach reformistisch. Es wäre allerdings fatal, mit solchen reformerischen Forderungen auf die Revolution zu warten, aus dem einfachen Grund, dass die indigenen Kulturen bis dahin möglicherweise ausgerottet sind. Was die 200.000 Menschen in Genua vereinte, war nicht Antiglobalisierung, sondern Kapitalismuskritik. Ich denke, da können wir ansetzen. Gerade in Genua habe ich zum Teil sehr radikale Statements von Leuten aus der Kirche und von ATTAC gehört, die sich inhaltlich von Autonomen kaum unterschieden. Was diese Bewegung vielmehr auszeichnet, ist Kritik am Bestehenden aus dem individuellen Erfahrungsbereich heraus, zum Beispiel der Naturschützer, der merkt, dass Naturschutz nur dann Beachtung findet, wenn ökonomische Interessen nicht berührt werden, oder der Menschenrechtler, der vor Ort sieht, wie er ein Feuer löscht, während die Brandstifter Öl hineingiessen. Die verbreitetste Forderung beim G8 Treffen war Drob the Debt, verbunden mit Debt is illegal. Das ist ein Konsens, der meines Erachtens die Organisation des bestehenden Weltwirtschaftssystems in Frage stellt. Die Spaltung, die momentan von den Herrschftsorganen versucht wird (was auf die Stärke der kapitalismuskritischen Bewegung hindeutet) sollten wir uns nicht anziehen, sondern gemeinsam neue Konzepte erarbeiten, die eine Alternative zum Bestehenden erfahrbar werden lassen. Die Fuzzis, die im SPIEGEL beschrieben wurden und anscheinend garnicht so recht wussten, warum sie in Genua sind und nicht in der FDP oder bei den Jusos, habe ich in Genua nicht gesehen, sondern sehr viele sehr kritische Menschen. |