Editorial
Die brisanteste Konfliktregion auf dieser Welt ist der Nahe Osten. Der Krieg zwischen Israelis und Palästinensern auf engem Raum ist ohne die europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht zu verstehen.
Ohne den beispiellosen Massenmord an den europäischen Juden, der von den deutschen Faschisten in Auschwitz und in den anderen Tötungsfabriken begangen wurde, hätte es den Zionismus als Massenbewegung, der unter dem Protektorat britischer Truppen schließlich im Mai 1948 zu der Gründung des Staates Israel führte, nicht gegeben. Der Staat Israel ist somit ein vermitteltes Resultat von Auschwitz gewesen. Zwar gab es schon vor der Staatsgründung in Palästina eine jüdische Gemeinschaft aus Einwanderern, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als Pioniere das Land besiedelt und politische Institutionen gegründet hatten. Von einer jüdischen Gesellschaft konnte aber noch keine Rede sein. Wenn auch bereits der Zionismus, der das im Alten Testament in seinen Grenzen beschriebene und von Gott den Juden verhießene "gelobte Land" als Rechtfertigungsgrundlage benutzte, um politisch-geographische Ansprüche für die zukünftige Gründung eines Staates Israel zu stellen, den Weg vorgezeichnet hatte, den Juden ist kein Gefallen damit getan worden, daß die westlichen Mächte vor dem Hintergrund des deutschen eliminatorischen Antisemitismus der politischen Geographie des Zionismus zum Durchbruch verhalfen. Denn darin lag neuer - diesmal jüdisch-arabischer Sprengstoff: was den einen gegeben wurde, mußte den anderen genommen werden. In der damaligen Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel wurden die Grenzen des Staatsgebietes nicht festgelegt, weil sich Maximalisten und Minimalisten nicht einigen konnten. -Das geht auch darauf zurück, daß an den unterschiedlichen Stellen im Alten Testament die Grenzen des "gelobten Landes" höchst widersprüchlich ausgelegt sind. Die Siedlungspolitik der Israelis dient seitdem dem Ziel der Maximalisten, das Staatsgebiet auf Kosten der Palästinenser stetig zu vergrößern. Israel, vom Westen bis an die Zähne bewaffnet, um sich gegen die Vernichtungsphantasien islamistischer Fundamentalisten behaupten zu können, hat ein aus Auschwitz abgeleitetes und deshalb völlig nachvollziehbares Bedürfnis nach Sicherheit entwickelt. Gleichwohl steckt in diesem Verhältnis zur Vergangenheit auch die Quelle neuen Unrechts. Die Palästinenser haben unter der Gewaltherrschaft der israelischen Armee nichts zu lachen. Daß sie sich wehren - auch gegen die einstige Landnahme - daß sie darauf drängen, einen eigenen Staat zu errichten, um sich besser vor den israelischen Aggressionen schützen zu können, erscheint ebenso wie das Sicherheitsbedürfnis der Israelis nachvollziehbar. Der Kriegszustand, in dem sich faktisch und permanent nicht nur zu Zeiten der Intifada Israel und Palästina befinden, zieht ungleiche Bedingungen in der Kriegsführung nach sich - zwangsläufig, weil Israel ein Staat ist, dessen Armee mit modernstem Kriegsgerät ausgestattet ist, und Palästina ein Gebiet ist, in dem staatliche und gesellschaftliche Strukturen erst im Entstehen sind. Eine palästinensische Armee gibt es nicht, nur eine militarisierte Bevölkerung, die folglich in diesem Krieg mit Mitteln und Strategien operiert, die eher an Bürgerkrieg erinnern und deshalb auch von der israelischen Regierung als "Terrorismus" bezeichnet werden. Weil die israelische Armee in diesem Krieg haushoch überlegen und im Prinzip unangreifbar ist, richten sich die palästinensischen Attacken in Gestalt der Selbstmordattentate gegen die israelische Zivilbevölkerung. Die israelische Armee antwortet mit militärischen Vergeltungsschlägen - diese richten sich, weil es keine palästinensische Armee gibt, gegen die palästinensische Zivilbevölkerung. Auf beiden Seiten stauen sich deshalb die Erfahrungen des Terrors in den jeweiligen Bevölkerungen zu einem Gemisch aus blinder Wut und Verzweiflung zusammen. Auf beiden Seiten haben deshalb die fundamentalistischen Rechten großen Zulauf. Ariel Scharon ist ein rechter Krieger, der an einer wirklichen Lösung des Konfliktes nicht wirklich interessiert zu sein scheint. Yassir Arafat ist ein autoritärer Autokrat, der auf der internationalen Bühne der Diplomatie wohl nur freundlicher erscheinen muß, als er tatsächlich ist; faktisch hat er zudem keine Kontrolle über die ultrafundamentalistischen Untergrundorganisationen, von denen die Selbstmordattentate ausgehen.
Zwischen diesen beiden Seiten einseitig Position zu beziehen, ist schlechterdings kaum möglich. Zu fragen wäre auch, welche Interessen der westlichen Staaten - allen voran die der USA - in der Vermittlung oder Fortsetzung des Krieges im Nahen Osten eine Rolle spielen. Immerhin galt der imperialistischen Politik des kapitalistischen Westens Israel stets als eine militärische Bastion gegen die arabische Welt - quasi als ein militärischer Dauerposten auf dem afrikanischen Kontinent, um von dort aus die Rohstoffinteressen in der Golfregion notfalls auch auf militärischem Wege wahrzunehmen. Der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist zugleich die offene Wunde des deutschen Faschismus und das Fahrwasser imperialistischer Politik nach 1945.
Die in diesem Dossier versammelten Beiträge nähern sich dem Thema auf kritische Weise. ( Zurück zum Dossier... )
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