Den Aufsatz kommentieren Vorboten der Barbarei – Anders Breiviks Massenmorde im gesellschaftlichen KontextRezensionvon Utz Anhalt (sopos) Rainer Just, Gabriel Ramin Schor (Hg.) Vorboten der Barbarei. Zum Massaker von Utoya. Laika Verlag 2011. Vier Dutzend Menschen fielen in Norwegen einem "Spree-Killer" zum Opfer, der erste Verdacht fiel auf islamistische Terroristen – denn der Mörder ist immer der "Andere". Dann stellte sich heraus, dass Anders Breivig kein "Islam-Terrorist", sondern ein Muslime hassender Fan des "christlichen Abendlandes" ist. Bei Linken gilt der Killer als Neonazi, ein Nazi im klassischen Sinne ist der selbst ernannte Kreuzritter jedoch nicht: Damir Fras schrieb in der BZ: "Der Massenmörder Anders Behring Breivik versteht sich als Begründer eines neuen Ordens der Tempelritter. Sein Ziel: Europa bis zum Ende dieses Jahrhunderts vom "Multikulturalismus", den er auch als politischen und kulturellen Marxismus definiert, und vom Einfluss des Islam zu befreien." Dieses Weltbild hat er mit der Neuen Rechten in Europa ebenso gemein wie mit katholischen Konservativen. Wie die so genannten Neokonservativen versteht sich Breivik als proisraelisch und proamerikanisch. Seine Feinde sind "der Islam" und die "multikulturelle Gesellschaft." Er definiert sich als Tempelritter, als Kreuzritter, als Krieger des christlichen Abendlandes gegen die "Invasion des Islam." Mit "Vorboten der Barbarei" präsentiert der Laika Verlag eine Anthologie, die Breiviks Massenmord als ver-rückte Dimension systemischer Gewalt der westlichen Gesellschaft untersucht. Isolde Charim erkennt den "christlichen Schläfer" Breivik als Teil einer Masse, der Bestätigung in seinem Milieu findet, dieses Milieu, die apokalyptische Rechte, liefert ihm den Nährboden, um den Mord zu unterfüttern. Den Islam sieht er als Konkurrent, aber als gleich berechtigten Feind. Die Front verlaufe für ihn aber zwischen der "vollen", nationalistischen Identität und der nicht eindeutigen; deshalb ermordete er Sozialdemokraten, so Charim. Die "Fundamentalisten", Breivik und Al Quaida, Gotteskrieger und Religionsfaschisten richten sich zuerst gegen die entwickelte Kultur im eigenen Land, in der Traditionen zusammen fließen und neue Freiräume entstehen: Der katholische Mob zerstörte die multiethnische Hochkultur in Cordoba, die Taliban verboten alles, was die Afghanen liebten, Musik und Dichtung, die Nazis verbrannten die Bücher deutscher Autoren, die die deutsche Kultur des Humanismus und der Liberalität geprägt hatten. Charim zeigt diese Vernichtung der Vielfalt des "Eigenen" an Breivik. Gabriel Ramin Schor skizziert Breiviks Mythos als kulturellen Code, als einen "Clash within a Civilization". Der Massenmörder und "Kreuzritter" kollidierte demnach mit einer liberalen Gesellschaft und rechnete ein, dass ihn die Polizei Norwegens selbst nach seinem Verbrechen nicht erschießen würde und ihm damit ermöglichte, sein "Manifest" zu verbreiten. Der "konservative Revolutionär" Breivik demonstriert, laut Schor, die Verdrängung der Dialektik der konservativen Ideologie. Das Verdrängte kehrt wieder – in mörderischer Form, der Mörder wird eine "terroristische Ich-AG". Breivik, in seiner sozialen Klasse gescheitert, lehnte Marx und Freud kategorisch ab; deshalb konnte er die Probleme im System selbst nur nach außen pervertieren und in "Moslems" verorten, in "politisch akzeptabel gewordenen Angstbildern eines klimatisierten Alptraums". Georg Seeßlen untersucht Breiviks Terror in seinen Bildern des explodierenden Kreuzritters: Psychologie, Ideologie und die Erzählung zusammen ergeben den Terror-Akt. Die Medien wollten nicht wahrhaben, dass dieser Zusammenhang "ins finstere Herz unserer eigenen Kultur" führe. Religiöse Bilder verknüpften das Pathologische mit dem Rhetorischen und Symbolischen, Religion enthalte einen terroristischen Kern. Ob sich Terrorismus im Gewand der Religion oder Religion im Gewand des Terrorismus entwickle, komme auf die historische Situation an. Breivik sei neu, weil das Selbstopfer fehlt, zudem beging er seine Tat in zwei Akten: ein klassischer Sprengstoffanschlag und danach eine Massen-Exekution. "Die Erzeugung der Neo-Kreuzritter im mythischen Nebel von Christentum, Unterhaltungsindustrie, Politik und elektronischen Ideologieschleudern (ist) von der Gefahr begleitet, dass einer von ihnen am falschen Ort, nämlich in der "Heimat", explodiert.", so Seeßlen. Rainer Just "Die Unmöglichkeit einer Insel" erklärt den Terror Breiviks aus und in der westlichen Gesellschaft. Slavoj Zizek zeigt in "Die Entgiftung des Nächsten" Breivik als keineswegs wahnsinnig, sondern als Kombination neu gemischter Elemente des Faschismus, der von Rechtspopulisten imaginierten "Krise Europas" und das Paradox eines philosemitischen und rassistischen Nazis. Laut Zizek zeigt sich im Ausländerhass der Rechten die andere Seite der liberalen Multikulturalität: Deren Respekt gegenüber den "Anderen" bedeutet Distanz. Die Alternative wäre, so Zizek, ein universelles Projekt für alle Beteiligte. Klaus Ganglbauer erörtert in "Terror der Immanenz", dass westliche Kommentare Breiviks Tat als barbarische Gewalt aus der westlichen Industriegesellschaft ausgrenzten. Ganglbauer zufolge zeigt Breivik jedoch die implizite Gewalt eben dieser Gesellschaft. Wer den Spree Killer Anders Breivik, wer die Nazi-Serienmörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt oder die Amokläufer in Schulen als Monster ansehen will, die in eine heile Welt einbrechen, für den ist dieses Buch nichts. Wer die politische Pathologie der Gewalt verstehen will, dem sei "Vorboten der Barbarei" ans Herz gelegt. Kontext:
sopos 6/2012 | |||
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