Den Aufsatz kommentieren Liberalisierter SchattenstaatDrohen in Guinea liberianische Verhältnisse?von Ruben EberleinDer 27. August 2004 nimmt auf dem Markt von Kaloum im Zentrum von Guineas Hauptstadt Conakry scheinbar seinen gewöhnlichen Verlauf: In Dreierreihen bieten vor allem Frauen und Kinder Reis und Bananen, Kartoffeln, Speiseöl und Gewürze, Tomaten und Holzkohle an. Doch die Kundschaft, die von Stein zu Stein hüpfend den Schlamm zu überbrücken sucht, ist spärlich. Das mag am Anstieg der Lebensmittelpreise liegen, aber auch daran, daß der 27.8. eben doch kein Tag wie jeder andere ist. Im August 1977 revoltierten Conakrys Marktfrauen gegen die Durchsetzung des staatlichen Monopols zur Vermarktung von Lebensmitteln und die generell desaströse Wirtschaftspolitik Sekou Toures. Der landesweite Aufstand zwang den ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit des westafrikanischen Landes, seine Verstaatlichungspläne aufzugeben und die Liberalisierung der guineischen Wirtschaft einzuleiten. Seit Mitte der 1980er Jahre - Toure verstarb 1984, die Armee hievte General Lansana Conte an die Macht - wird der 27. August mit staatlich organisierten Demonstrationen und Ansprachen im Palais de Peuple begangen. Doch im vergangenen Jahr schlugen die offiziellen Jubelfeiern in einen Protest gegen das Regime um. Der Innenminister und die erste Frau des Präsidenten wurden mit Schmährufen bedacht. Seitdem hält sich das Interesse des herrschenden Clannetzwerkes, Guineas Jour des Femmes zu begehen, in Grenzen. Eine angekündigte Demonstration wurde in diesem Jahr verboten, alle Veranstaltungen abgesagt. Reisaufstände gegen PreistreibereiContes Klientelregime, das sich im Dezember 2003 in manipulierten Wahlen wieder einmal selbst die Legitimation erteilte, hat allen Grund, Massenveranstaltungen zu fürchten. Der ohnehin hohe Preis für Reis (Guineas Grundnahrungsmittel) verdoppelte sich zwischen März und August dieses Jahres noch einmal. Im September kostete trotz offizieller Preiskontrollen ein 50 kg-Sack Reis bis zu 90.000 Franc Guinee (offiziell ca. 28 Euro). Das sind mehr als drei Viertel des durchschnittlichen Monatseinkommens. Ende August hob die Regierung die Kraftstoffpreise an, was sich umgehend auf die Verbraucherpreise auswirkte. Die derzeit hohen Rohölpreise haben ihren Anteil an dieser Verteuerung, doch für die generelle Misere ist vor allem das fehlende Interesse der Regierung an sozialen und wirtschaftlichen Verbesserungen verantwortlich. Sie kümmert sich nicht um die Interessen jener Mehrheit der Guineer, die weder in den Genuß von Elektrizität noch einer angemessenen Gesundheitsversorgung kommt und sich mit einem geringen Einkommen über Wasser halten muß. Die wichtigste Einnahmequelle für die Elitennetzwerke an der Staatsspitze ist der Bergbausektor. Vor allem nordamerikanische, russische und australische Unternehmen fördern Bauxit, die Grundlage für Aluminium, ferner Gold und Diamanten. Der Mineralienreichtum - Guinea verfügt angeblich über ein Viertel der weltweiten Bauxitvorkommen - sichert der Staatsklasse eine stete Rente, doch ist der Rohstoffsektor vom Rest der Wirtschaft vollständig abgekoppelt. Über die Verwendung der Einnahmen wird öffentlich keine Rechenschaft abgelegt. Einflußreiche Unternehmer mit guten Verbindungen in die Staatsspitze monopolisieren die lukrativen Zweige der guineischen Wirtschaft wie zum Beispiel das Importgeschäft. Investitionen in die Landwirtschaft und Agrarforschung werden seit langem multi- und bilateralen Entwicklungsorganisationen überlassen. So muss das sich einst selbst versorgende Land seit Jahren Reis importieren. Dies nutzen einige der mit der Verteilung von staatlich subventioniertem Reis beauftragten Funktionäre der regierenden PUP dazu, sich ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen. Als Antwort auf die kriminelle Preistreiberei attackierten im Juni und Juli dieses Jahres Jugendliche in Conakry Reistransporte. Bei den Riots kamen nach offiziell unbestätigten Meldungen zwei Jugendliche ums Leben. Fünf Bürgermeister und 98 Chefs de Quartiers wurden daraufhin abgesetzt und durch ihre Stellvertreter ersetzt. Doch die Proteste reißen nicht ab. Im September protestierten Studierende zweier Fakultäten im zentralguineischen Faranah mehrere Tage lang gegen hohe Reispreise und schlechte Lebensbedingungen. Auf dem Gare de Voiture von Labe im Norden des Landes wartet Mamadou schon seit mehreren Tagen auf Passagiere, die den kräftig angestiegenen Fahrpreis nach Conakry bezahlen können. Wenn er nicht Bus fährt, arbeitet der Gangster Rap-Fan als Elektriker in der Hauptstadt, erzählt er - das Ideal einer flexibilisierten Ich-AG, wie sie in Guinea und vielen anderen Ländern der Region mittlerweile die Regel ist. Diallo ist mit seinem Job als Buchhalter bei einer Versicherung schon fast eine Ausnahme. Um zu seinem Arbeitsplatz in Conakry zu kommen, bleibt ihm nichts anderes übrig, als die 30.000 Franc Guinee für die Busfahrt hinzulegen. Ob die Arbeit Spaß macht? Nun ja, die Möglichkeiten sind beschränkt, und besser einen langweiligen Job, als sich mit dem Verkauf von Zigaretten oder Süßigkeiten durchschlagen zu müssen. Am liebsten würde Diallo nach Europa auswandern, wie fast alle jungen Leute, mit denen ich spreche.<(p> Keine AufbruchstimmungVon Aufbruchstimmung oder zumindest der Hoffnung auf bessere Zeiten ist in Guinea wenig zu spüren. Die oppositionellen Parteien sind ebenso ambitioniert wie zersplittert. Zu den Wahlen 2003 konnte man sich zwar auf ein Bündnis - die Front republicain pour l'alternance democratique - einigen, nicht jedoch auf einen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten. So wurde die Weigerung der EU, angesichts der Manipulationen im Vorfeld Wahlbeobachter zu entsenden, genutzt, um die Teilnahme am Urnengang ganz abzusagen. Die Oppositionsparteien sind stark an der Persönlichkeit ihres jeweiligen Führungspersonals orientiert und haben nach Einschätzung der meisten Beobachter dem konfusen Lavieren der Regierung zwischen Schattenstaat und aufgezwungener Liberalisierung inhaltlich wenig entgegenzusetzen. Ihre Basis müssen sie aufgrund extrem schwacher Parteistrukturen ethnisch-regional mobilisieren. Die UFDG mit ihrem Vorsitzenden Mamadou Bah und die UPR des kürzlich verstorbenen Siradou Diallo finden ihre Anhängerschaft vor allem unter den Peul im Fouta Djalon; die RPG unter Alpha Conde gilt allgemein als Interessenvertretung der Malinke; die UPG von Jean-Marie Dore wird überwiegend in der Region Forestière unterstützt. Unter Druck steht die Regierung des kranken Präsidenten derzeit vor allem von Seiten der Europäischen Union. Nach dem Wahlbetrug im vergangenen Dezember fror die EU die Mittel aus dem Entwicklungsfonds des Cotonou-Abkommens in Höhe von insgesamt 221 Millionen Euro ein. Der Internationale Währungsfonds stoppte bereits im Juli 2002 die Zahlungen aus einem Fonds, der an ein Strategiepapier zur Armutsreduzierung gebunden ist. Die Begründung: die dort festgelegten Maßnahmen - Konsolidierung des Haushaltes, Abbau des bürokratischen Apparates, Drosselung der Aufnahme von Krediten und der Ausgaben - wurden nicht eingehalten. Seit bei der EU die Einschätzung vorzuherrschen scheint, die Sicherheitslage in den Nachbarländern Sierra Leone und Liberia sei nun hinreichend gefestigt, erinnert man sich in Brüssel der demokratischen Defizite in jenem Land, das über zehn Jahre als Stabilisator geschätzt wurde. Stabilität ist in dieser Region allerdings ein relativer Begriff. Seit dem Abflauen der Kämpfe in Liberia und der Stationierung von 15.000 UN-Soldaten sucht ein Teil der jugendlichen Milizionäre der Lurd (Liberians United for Reconciliation and Democracy) und anderer Verbände nach neuen Betätigungsfeldern. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Irin halten sich hunderte Kämpfer in Nzerekore in der Region Forestière auf, über lange Zeit ein Rückzugsgebiet der von Guinea unterstützten Anti-Taylor-Milizen. In den dortigen Flüchtlingslagern, die zeitweise bis zu eine halbe Million Menschen beherbergten, rekrutierten sie ihre Gefolgschaft. Das Conte-Regime spielte in den Kriegen der Nachbarstaaten eine entscheidende Rolle. Die Regierung von Ahmad Tejan Kabbah in Sierra Leone erhielt im zehnjährigen Bürgerkrieg militärische Unterstützung gegen die Rebellen der RUF. Nach dem Putsch vom Mai 1997 bereiteten Kabbah und seine Gefolgsleute aus dem Exil in Conakry ihre Rückkehr nach Freetown im März 1998 vor - mit Hilfe von Ecomog-UN-Truppen und ausländischen Söldnern. Auch Sekou Damante Conneh, offizieller Führer der Lurd, die im August letzten Jahres Charles Taylor in Liberia aus dem Amt jagte, residierte in Conakry. Aus den USA wurde über die Ausbildung und Ausrüstung der guineischen Armee den Anti-Taylor-Fraktionen taktische Unterstützung zuteil. Als wichtigste Verbindung zwischen der Lurd und der guineischen Regierung gilt die von Conneh getrennt lebende Ehefrau Aisha Keita, die dem guineischen Präsidenten Lansana Conte die Zukunft voraussagt und dessen Träume deutet. Erkaufte LoyalitätDie Forderungen der EU und anderer Geber nach Demokratisierung mögen von vielen Guineern geteilt werden. Doch der mit der Einstellung von Entwicklungshilfe und Krediten absehbare Niedergang des Regimes könnte nicht Öffnung und politische Demokratisierung zur Folge haben, sondern im Gegenteil der gesellschaftlichen Fragmentierung und dem Kampf der Eliten um die Staatsmacht den Weg bereiten. 2004 fällt der Aufstand der Marktfrauen aus. Wie das in London erscheinende Magazin Africa Week berichtet, wurden Delegationen der Ministerien für Soziales und Finanzen bei den Frauenorganisationen vorstellig und übergaben einen Umschlag mit 250 Millionen Franc Guinee. Die Frage, wie lange sich die Regierung Loyalität noch erkaufen kann, wird die Wahrsagerin des Präsidenten wohl bereits umtreiben. Ruben Eberlein ist Afrikanist und lebt derzeit in Freetown (Sierra Leone).
sopos 12/2004 | |||
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