Den Aufsatz kommentieren Warum George W. Bush kein Cowboy istÜber Mountain-Men, Trapper, Cowboys und Indianervon Utz Anhalt (sopos) "Alle Menschen, die es in der übrigen Welt nicht mehr aushalten und zu uns kommen, sind geborene Amerikaner, noch ehe sie den ersten Fußabdruck auf amerikanischem Boden hinterlassen haben." George W. Bush ist genauso wenig ein Cowboy wie Custer ein Indianer oder Axel Springer ein 68er war. Seit dem Anschlag auf das World Trade Center war häufig von der amerikanischen Demokratie die Rede, von der Zivilisation, die gegen die Barbarei steht, von George W. Bushs Rolle als besonnenem Staatsmann, der nicht wie ein wildgewordener Cowboy um sich schieße, etc. Unbehagen fühlte ich in einer Großdemonstration gegen den Afghanistankrieg, auf der Plakate die Amerikaner und die Deutschen verantwortlich für so ziemlich alle Greuel der Weltgeschichte des letzten Jahrhunderts machten - dies alles unter einem Bild von George W. Bush als Cowboy mit rauchenden Colts in der Hand und Otto Schily als Sheriff. Wer oder was ist da eigentlich Amerikaner, oder meinetwegen auch Deutscher? Waren die jüdischen Mitbürger, die in den Vernichtungslagern ermordet wurden, die Homosexuellen, die Kommunisten, die Sozialdemokraten, die christlichen antimilitaristischen Sekten wie die Zeugen Jehovas keine Deutschen? Sprachen sie nicht auch die Sprache von Büchner, Heine, Brecht und Karl May? Würde irgendein kritisch denkender Mensch hier auf die Idee kommen, die wandernden Bauerntruppen von Thomas Müntzer, die Barrikadenkämpfer von 1848, die sozialrevolutionären Jugendbewegungen der Weimarer Zeit oder die Anarcho-Landkommunen nach 1968 in einem Atemzug mit Roland Koch oder Olaf Henkel zu nennen? Roland Koch mit Schiebermütze und Karabiner in der Hand bei der Roten Ruhrarmee? Unvorstellbar, außer in einem Satiremagazin. Der Homogenisierungszwang, in Deutschland historisch gewachsen, in den USA in seiner völkischen Konsequenz marginal, führt zu einer Bildhaftigkeit, die historische Wirklichkeit in einem reaktionären Sinn verschleiert. Der platte Antiamerikanismus wählt einen Vergleich, der auf einem Cowboy-Bild basiert, welches die Mythologie des Marlboro-Man und John Waynes zum Vorbild hat, aber eben nicht die historische Realität. Der Blick auf die USA ist auch bei vermeintlich antimilitaristischen Gruppen in Deutschland sehr stark von Klischees besetzt. Es gibt in den USA eine positive demokratische Tradition. Das Projekt USA, wenn auch nicht die sozialgeschichtliche Wirklichkeit, steht nicht nur für Kapitalismus, sondern auch für Demokratie. Die amerikanische Gesellschaft ist äußerst heterogen. Den utopischen Überhang des Projekts Demokratie: die pursuit of happiness zu verwirklichen, scheiterte immer wieder daran, daß entstandene lokal verankerte demokratische Organisationsformen überlagert wurden durch ökonomische Macht, durch den Heißhunger des Kapitals nach Mehrwert. Gerade in den USA existiert aber eine kritische Öffentlichkeit, der dieser Zusammenhang sehr bewußt ist und die die wirtschaftliche Schere zwischen Arm und Reich als Verrat an den Werten der USA begreift. Die Multimillionäre des 19. Jahrhunderts rechtfertigten ihren Reichtum mit der Ideologie eines ökonomischen Darwinismus, nach dem sie diesen durch Tüchtigkeit erworben hätten, Arme dagegen untüchtig seien und wie Indianer, Schwarze oder wilde Tiere am besten ausgerottet gehörten. Ideologische Basis dieses pervertierten Liberalismus war die calvinistische Lehre vom Gottesstaat. Es gab und gibt in den USA aber sehr starke basisdemokratische Traditionen, die diesen, sich selbst als moral majority bezeichnenden kapitalistischen Sektenführern entgegenstehen. Die Selbstverständlichkeit mit der die amerikanische Linke und verschiedene Subkulturen ihre politischen Forderungen vehement einklagen, fällt in der hiesigen Gleichsetzung von amerikanischer Regierung und Opposition regelmäßig unter den Tisch. Dabei kam und kommt die massivste Kritik an der Regierung Bush aus den USA selbst - von Vietnam-Veteranen, Seattle-Gruppen, Hinterbliebenen der Opfer von New York, etc. George W. Bush kommt aus der reaktionärsten amerikanischen Tradition, die der texanischen Großgrundbesitzer, die das freie Land der südlichen Plains mit Stacheldraht einzäunten, die Ureinwohner in Reservate pferchten, mit Lynchjustiz und Vigilanten kleine Farmer von ihrem Land jagten, "Viehdiebe" und Habenichtse an die Bäume hängten. Diese Schattenseite des pursuit of happiness ist aber nur die eine Seite der Heterogenität einer demokratischen Tradition, in der die Stars and Stripes auch anders definiert wurden. Hier gilt es, die mit dem Wilden Westen verbundenen Mythen in die Wirklichkeit zurückzuholen. In der Genese der Gesellschaften des amerikanischen Mittelwestens des 19. Jahrhunderts polarisierten sich für Europäer schwer nachvollziehbare Mythen heraus, die kennzeichnend für eine antistaatliche Rechte und eine antistaatliche Linke wurden. Beide - das macht es kompliziert - sind auf das engste mit dem Mythos der frontier-men verknüpft, der Überschreitung der Grenze der USA nach Westen. Beide Mythen, die der Rechten und die der Linken, bezeichnen aber gesellschaftliche Gruppen, deren Interessen sich in der sozialgeschichtlichen Wirklichkeit konfrontativ gegenüberstanden. Wie jeder Mythos basiert auch die frontier auf einem wahren Kern. Der Mythos der Linken basiert auf der freien Assoziation und dem Ausbruch aus der calvinistischen Enge durch zwei Berufsgruppen, die die Vorstellung des Wilden Westens wie keine andere prägten. Wenige Berufsgruppen wurden in den letzten 150 Jahren mit mehr Klischees besetzt als diese beiden. Sie bildeten Stoff für reaktionäre Legenden einerseits und für Sozialromantik andererseits. Die zwei Gruppen waren: Mountain-Men und Cowboys. Die Mountain-Men hatten die Frontier der Oststaaten als erste überschritten und lernten, in der Wildnis zu überleben. Sie lebten als Trapper und Jäger und im Austausch mit den lokalen indianischen Kulturen. Kern des um sie entstehenden Mythos war ihre Selbstverantwortung fernab staatlicher Autorität. Sie lebten dort, wo noch kein Weißer vor ihnen seinen Fuß gesetzt hatte und waren Menschen, die nicht geflohen waren, sondern aus freier Entscheidung die Grenze überschritten hatten. In den amerikanischen Großstädten des Nordostens wurden sie zum Sinnbild der rebellierenden Jugend des Yankee-Spießertums, frei von der Prüderie Neuenglands. Ihre Attraktivität wuchs aus der selbst gebildeten synkretistischen Kultur. Es gibt allerdings wenige schriftliche Überlieferungen ihrer Selbstdefinition und ihres Lebensgefühls, Trappergeschichten, wie sie z.B. der den amerikanischen Anarchisten nahestehende Jack London verfaßte, waren Geschichten über das Trapperleben, keine aus dem Trapperleben. Zweifellos war ihr Leben alles andere als bequem und romantisch. Es war an den Rhythmus der Natur gebunden, und im Krankheitsfalle gab es keinerlei Hilfe von außen. Die Blütezeit der Mountain-Men dauerte ungefähr von 1810 bis 1840. Mit dem Vordringen der "Zivilisation" ist ihre einzigartige Kultur untergegangen. Ihre zur Legende gewordene Geschichte hat sich in Erzählungen wie "Lederstrumpf" oder den Romanen von Karl May erhalten. Die Cowboys trieben die halbwilden Longhornrinder und waren, vor allem nach der Ausrottung der großen Bisonherden in den 1870er Jahren, von Südtexas bis nach Montana und von New Mexico bis Kansas unterwegs. Sie waren bis zur Einzäunung des Landes und der Verdrängung der mageren und zähen Longhornrinder durch die schweren und trägen Herefordrinder quasi Subunternehmer, die zu gleichen Anteilen am Erlös, den die Rinder in den Verkaufsstädten erzielten, beteiligt wurden. Nicht der Verdienst, sondern das freie Leben reizte. Cowboys kamen aus allen Klassen und verschiedenen Nationalitäten mit unterschiedlicher Hautfarbe. Kein Berufsstand der USA zeichnete sich durch einen ausgeprägteren Antirassismus aus. Überdurchschnittlich viele Schwarze, 30 Prozent, wurden nach 1864 Cowboys. Im Viehtrieb zeigte sich eine Freiheit, die mit Bereicherung auf Kosten anderer nichts zu tun hatte. Keine andere Berufsgruppe hatte ein so hohes Ausmaß an persönlicher Freiheit, und die Cowboys waren sich dessen sehr bewußt. Sie verachteten geregelte Arbeit, die Kirchen und das Streben nach Besitz. Ihr Dogma war die Natur und das Leben. In den durch ihre Arbeit in der Natur vorgegebenen Gesetzen gab es nicht die Tabus der "zivilisierten" Welt. Der Himmel und die Erde gehörten allen Cowboys. Sexuelle Tabus waren hier, wo die Söhne von Adligen neben denen von Bauern und Sklaven saßen, lächerlich. Die Gewaltkriminalität in der Cowboygesellschaft war die geringste in den USA. Dennoch galt ihr Berufsstand genau wie die Kultur der Mountain-Men den White Anglo Saxon Protestants, den Puritanern, den stationären Zuchtbetrieben, den Heimstättern und den Großgrundbesitzern als Verkörperung von Sodom und Gomorrah. Nicht zuletzt waren die Cowboys neben den Mountain-Men die einzigen nichtindianischen Amerikaner, die sich mit den indigenen Kriegsnomaden-Demokratien der Plains freundschaftlich verstanden. Von den bei den texanischen feudalen Pflanzern aus Texas als "Geißel Gottes" verhaßten Comanchen bis zu den von den gen Oregon ziehenden Trecks gefürchteten Lakota wurden die Cowboys als Freunde geachtet. Sie feierten mit den Plains-Indianern zusammen Feste, heirateten indianische Frauen und veranstalteten Reitwettkämpfe. Die sich durchsetzende kapitalistische Marktordnung: der Aufbau der Rinderfarmen in den Plains, die Ausweitung des ökonomischen Pragmatismus von Uncle Sam, der Siegeszug der Yankees führte zur Zerstörung der im täglichen Plebiszit verwirklichten Demokratie der Cowboy-Gesellschaft. Zwar gab es blutige Auseinandersetzungen zwischen freien Cowboys und Rinderfarmern bis hin zu bewaffneten Kleinkriegen mit einzelnen Großgrundbesitzern, doch in den 1880er Jahren war die große Zeit der Cowboys vorbei. Die meisten wurden zu schlechtbezahlten Lohnarbeitern, einige zu Outlaws. Während Texas, die Heimat von 40.000 Cowboys, mit einem Netz von Stacheldrahtzäunen und Öltürmen überzogen wurde und die letzten Comanchen in ihren erbärmlichen Reservationen fast verhungerten, zogen vereinzelte freie Reiter noch als Revolverhelden durch das Indianerterritorium, als Desperados - Verzweifelte - gejagt. Die Wild Bunch von Butch Cassidy, die stets Institutionen wie Banken und Eisenbahnen beraubte und bei ihren Überfällen keinen einzigen Menschen tötete, kam aus der Cowboy-Tradition. Als white trash teilten viele ehemalige Cowboys das Schicksal ihrer gebrochenen indianischen Brüder und Schwestern in den Reservaten. Viele endeten in der Gosse, viele am Galgen. Alle, die nach ihnen kamen, die Goldsucher, Eisenbahnbauer, Prospektoren, Prostituierte, Siedlertrecks etc. waren klassische Gründergenerationen, die den Westen eroberten, um sich im eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Vor den Stacheldrahtzäunen, an den Öltürmen, an den Sheriffs Offices von den Großgrundbesitzern bezahlter Marshalls, überall in der einst freien Prärie hingen Schilder: Dead or alive. Darunter das Konterfei von "Pferdedieben", Männern, die Weidezäune zerschnitten hatten, Halbblutindianern, freigelassenen Sklaven, Männern mit Halstüchern und breitkrempigen Hüten. George W. Bush verwendete diese Phrase, als er sich auf die Jagd nach den Taliban machte. Er spricht aus Erfahrung: Seine Gesinnungsgenossen waren es, die die Bisons abschlachteten, um den Nomadendemokratien der Sioux, Comanche, Kiowa und dutzenden anderen heute ausgerotteten Kulturen ihre Lebensgrundlage zu entziehen. Seine Vorfahren waren es, die den freien Westen mit ihren Terrorkommandos überzogen, die die Häuser von mit Indianern befreundeten Farmern niederbrannten und Cowboygruppen zusammenschossen. Er ist es, der für seine Kumpels aus der Ölindustrie den größten Nationalpark Alaskas zerstören möchte und damit die Existenz der dort ansässigen Indianer zerstört. Er unterschreibt Todesurteile am Fließband, so wie seine Vorfahren jeden sich bewegenden Menschen an ihren Stacheldrahtzäunen zum Desperado werden ließen - zum verzweifelten Menschen, auf der Flucht wie ein gejagtes Tier. Er steht in der Tradition der texanischen Ölbarone, die das Beste ermordeten, was die amerikanische Tradition jemals hervorgebracht hat. Er steht gegen den verwirklichten Traum eines freundschaftlichen Zusammenlebens von Menschen verschiedener Herkunft und Hautfarbe, von indigenen und eingewanderten Amerikanern. Er steht für die Zerstörung des und den Verrat am pursuit of happiness, gegen den Traum der Siedler von 1776, gegen die Verwirklichung der Demokratie im amerikanischen Westen. Wer immer auch George W. Bush gewählt hat - die Erben der Cowboys und Mountain Men können es nicht gewesen sein. George W. Bush ist genauso wenig ein Cowboy wie Custer ein Indianer oder Axel Springer ein 68er war.
sopos 3/2002 | |||
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