Warum soll man sich mit Frauen in der Ersten Internationale beschäftigen?Wenn ich von meinem Thema "Frauen in der Ersten Internationale" spreche, kommt meist die Frage "Gab es denn da überhaupt Frauen?" - und in der Tat: Schaut man sich an, was bisher dazu geschrieben wurde, dann scheint es dort keine gegeben zu haben. Andererseits kann die Entdeckung, daß es auch in der Ersten Internationale Frauen gegeben hat, heute niemanden mehr wirklich überraschen. Hat es doch in den letzten dreißig Jahren massenweise Arbeiten mit dem Titel "Frauen in..." gegeben. Also, das große Gähnen macht sich breit, jetzt auch noch Frauen in der Ersten Internationale. Warum es aber trotzdem wichtig ist: Die erste Internationale repräsentiert eine frühe Epoche der europäischen Arbeiterbewegung, in der noch ganz offen über verschiedene Vorstellungen debattiert wurde, wie man die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft abschaffen oder verbessern kann. Im Rückblick ist sie meistens so interpretiert worden, daß hier die erste große Auseinandersetzung zwischen marxistischem und anarchistischem Sozialismus geführt wurde. Die Themen, die nach traditioneller Lesart hier wichtig waren, wären also zum Beispiel, ob Sozialismus "Diktatur des Proletariats" heißt, also die Übernahme des Staatsapparates durch die Arbeiter, oder ob die Abschaffung des Staates besser wäre. Ob das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft, also alles verstaatlicht werden soll, oder ob autonome Kooperativen und Kollektive die neuen Eigentümer sein sollen - also das, was üblicherweise beim Thema Marxismus versus Anarchismus diskutiert wird. Diese Fragestellungen sind heute überholt und langweilig. Wäre es nur darum gegangen, dann wäre es völlig uninteressant oder bestenfalls von historischem Interesse, sich mit der Ersten Internationale zu beschäftigen. Außerdem liegt diesen Positionen ein entscheidender Denkfehler zugrunde, nämlich der, daß sie Männer mit Menschen verwechseln. Man analysiert die Standpunkte von Männern und glaubt, man hätte damit etwas über die Gesellschaft allgemein gesagt. Das ist natürlich besonders absurd, wenn die Gesellschaft, die da kritisiert werden soll, nämlich die bürgerlich-kapitalistische, eine ist, die ganz fundamental auf der Verschiedenheit der Geschlechter aufbaut, die nur deshalb funktioniert, weil Frauen und Männern ganz unterschiedliche Funktionen zugewiesen werden. Deshalb erhoffe ich mir von einer Beschäftigung mit den Positionen, die Frauen damals vertreten haben, Hinweise auf andere Ideen, die diesen Fehler nicht begehen. Es ist doch kaum vorstellbar, daß den Menschen damals die fundamentale Bedeutung der Geschlechterdifferenz für die Gesellschaft, in der sie lebten, nicht aufgefallen sein soll. Und ganz besonders muß sie doch den Frauen aufgefallen sein, die darunter zu leiden hatten. | ||
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