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Was nun folgte, ist als "Hamburger Kessel" in die Geschichte des Kampfes um Bürgerrechte eingegangen: Bevor sich der Protestzug in Bewegung setzen konnte, wurden die Wartenden plötzlich von einem gewaltigen Polizeiaufgebot umzingelt und über viele Stunden auf dem Platz festgehalten - obwohl keinerlei gewaltsame Ausschreitungen vorangegangen waren. Später wurden die Eingekesselten auf verschiedene Revierwachen verbracht und in Arrestzellen gesperrt. Erst in den Morgenstunden des folgenden Tages kamen die letzten von ihnen frei. Die Hamburger Gerichte haben das Verhalten der Polizei einhellig als rechtswidrig gewertet. Vor allem das dortige Verwaltungsgericht hat mit vorbildlicher Klarheit den Verstoß gegen das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 Grundgesetz) gebrandmarkt und die Auffassung zurückgewiesen, daß dieses Grundrecht nur die Versammlung oder den Demonstrationszug selbst schütze: "Das Freiheitsrecht, sich zu versammeln, umfaßt auch die Tätigkeit des Sich-Versammelns. Für den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG ist eine bereits bestehende Versammlung nicht Bedingung. Art. 8 Abs. 1 GG verleiht ein Freiheitsrecht, nämlich das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Dieses Recht schützt nach seinem Wortlaut und Sinn den Bürger bereits auf dem Wege zum Versammlungsort. Es würde weitgehend leerlaufen, wenn es im ›Vorfeld‹ eigentlicher Versammlungen keine Wirkungen entfalten würde." Was das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Feststellungsurteil vom 30. Oktober 1986 formulierte, ist inzwischen "herrschende Meinung" in juristischen Fachkreisen: Der Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit muß sich auch auf die Anreise zu einer Demonstration erstrecken, um als Freiheitsrecht gerade auch für politische Minderheiten überhaupt wirksam werden zu können. Davon offenbar völlig unbeeindruckt versuchen Polizeikräfte immer wieder, einzelnen Teilnehmern die Anreise zu Protestdemonstrationen zu erschweren, wenn nicht gar zu vereiteln. Das Arsenal ihrer Maßnahmen reicht von schleppenden Personenkontrollen und Durchsuchungen bis zu Platzverweisen oder Aufenthaltsverboten. Noch gravierender ist die "vorbeugende Ingewahrsamnahme" zahlreicher Menschen, die gegen die "Castor"-Transporte nach Gorleben protestieren wollen. Dieses Wegsperren für einige Stunden, häufig ohne die von der Verfassung verlangte richterliche Entscheidung, soll offenbar auf die Betroffenen wie eine Strafe wirken, zumindest aber der Abschreckung dienen. Alle diese polizeilichen Maßnahmen zielen darauf, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gleichsam auszusperren. Die Polizei nutzt eine Lücke im Versammlungsgesetz aus: Mangels genauer Bestimmungen über den Schutz der Anreise von Demonstrationsteilnehmern kann sie auf die sogenannten Standardbefugnisse des allgemeinen Polizeirechts zurückgreifen, die dann mitunter ohne Rücksicht auf das Verhältnismäßigkeitsgebot exekutiert werden. Angesichts solcher Praktiken ist eine Reform des Versammlungsgesetzes dringend notwendig. In diesem Bundesgesetz müßte genau geregelt werden, unter welchen Voraussetzungen die Polizei bei der Anreise zu Demonstrationen eingreifen darf. Auch wären die Tatbestände des Verbots und der Auflösung von Versammlungen demokratiekonform - im Sinne der Anforderungen des wegweisenden Brokdorf-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts von 1985 - zu präzisieren. Immerhin gehen manche Bestimmungen des Versammlungsgesetzes auf die obrigkeitsstaatlichen Regelungen des Reichsvereinsgesetzes von 1908 zurück. Es ist also an der Zeit, den hohen Rang des Grundrechts der Versammlungsfreiheit als eines unverzichtbaren Funktionselements der Demokratie auch in einer grundrechtsfreundlichen Ausgestaltung des einfachen Rechts zum Ausdruck zu bringen. Allerdings darf füglich bezweifelt werden, daß die knapp wiedergewählte Bundestagsmehrheit den Mut zu einer solchen Reform aufbringt. Jedenfalls empfiehlt sich weiterhin: Wir schützen die Versammlungsfreiheit wie auch die anderen Grundrechte am besten, indem wir aktiv und mutig von ihnen Gebrauch machen. Professor Dr. Martin Kutscha ist Vorsitzender der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen Kontext:
Erschienen in Ossietzky 23/2002 |
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