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Bush Präsident sein darf - erklärte es in knappen Worten im Sommer 2001 in seinem Energiebericht: »Aus energiepolitischer Sicht erhält Afghanistan große Bedeutung auf Grund seiner geographischen Lage als potentielle Transitroute für Öl- und Erdgas-Transporte aus Zentralasien hin zum Arabischen Meer.« Die zentralasiatischen Energievorräte bezeichnete Cheney ungeniert als »US-Nachschubquelle«. Kann die Erklärung so einfach sein? Ja. Winfried Wolf beseitigt in seinem Buch »Afghanistan, der Krieg und die neue Weltordnung« die verbreiteten Unklarheiten, indem er aufs Wesentliche orientiert: Die Weltwirtschaft wird mit Öl geschmiert, vor allem die US-amerikanische. Dieses eine Land verbraucht 25 Prozent des weltweit geförderten Öls und steigert seinen Verbrauch noch immer - entgegen allen Versprechen und Vereinbarungen wie z.B. das Abkommen von Kyoto. Unter den 100 größten Industriekonzernen der Welt erreichen die ölfördernden, ölvertreibenden und ölverarbeitenden Unternehmen fast ein Viertel des Gesamtumsatzes. Unter den zehn größten sind acht Unternehmen der Öl- und der mit ihr eng verbunden Autoindustrie. Wegen der kaum zu überschätzenden Abhängigkeit der Wirtschaft, vor allem der US-amerikanischen, von Öl und Gas erlangte diese Branche geradezu zwangsläufig entscheidenden Einfluß auf die Politik; selbstbewußt wies schon 1989 George Bush senior am Vorabend seiner Ernennung zum US-Präsidenten darauf hin: »Die Leute haben einen Präsidenten der Vereinigten Staaten bekommen, der aus der Öl- und Gasindustrie kommt und das Geschäft kennt.« Zur Hauptleistung jenes Präsidenten wurde dann der Golf-Krieg. Der weitaus größte Teil der bekannten Vorkommen an Öl und Gas liegt in der Golfregion, am Kaspischen Meer und in Zentralasien. Zur Förderung der gemeinsamen Interessen in der kaspischen Region schlossen sich 1995, unter Präsident Clinton, die großen US-Ölfirmen in Washington zur Foreign Oil Companies Group zusammen und gewannen als Berater so einflußreiche Außen- und Militärpolitiker wie Zbigniew Brzezinski, Lawrence Eagleburger und Henry Kissinger. Für die US-Politik in Zentralasien wurde ein Konzept entwickelt, dessen Hauptziele sind: Stärkung der Unabhängigkeit der Staaten in dieser Region von ihren Nachbarn, Stärkung ihrer Bindungen an den Westen, Brechung des russischen Monopols über die Öl- und Gas-Transportwege aus der Region. Diese Zielsetzung wurde dann im Jahre 2000 vom zuständigen Unterausschuß des US-Repräsentantenhauses bestätigt. So ist es nur logisch, daß das Wallstreet Journal zwei Wochen nach dem 11. September 2001 die Entscheidung Rußlands, die Stationierung von US-Truppen und Flugzeugen in den ehemals sowjetischen zentralasiatischen Republiken zu gestatten, als »eine weitreichende positive Veränderung in dem mehr als siebenjährigen Kampf zwischen Moskau und Washington in der Frage des Zugangs zu dieser ölreichen Region« feierte. Winfried Wolf widerspricht der These, nach dem 11.9.2001 sei nichts mehr wie zuvor. Tatsächlich, schreibt er, sei alles so wie immer. Zwar schildert er dann im einzelnen, was sich doch alles verändert hat, wie sich vor allem die US-amerikanische Vorherrschaft weiter ausgeweitet und gefestigt hat. Das Wesentliche aber, daran läßt er keinen Zweifel, ist unverändert geblieben: eben die ökonomischen Interessen als Triebkräfte imperialistischer Politik. Und auch die Methoden dieser Politik. Indem Wolf die Aktualitäten den Kontinuitäten zuordnet, gelingt es ihm, Klarheit zu schaffen im Durcheinander der täglichen Meldungen, der schnellen Behauptungen und der geplanten Propagandalügen. Wolf läßt sich nicht auf Spekulationen über die wahren Täter des 11. September ein. Aber er zeigt einprägsam, wer aus der Tat Nutzen zieht - im kleinen und im großen. Schon in der knappen Frist zwischen dem Einschlag der Boings und der Evakuierung des World Trade Centers räumte die Führung eines im 15. Stock ansässigen Börsenunternehmens 105 Millionen Dollar Investorengelder ab und verschwand damit. Am 14.9. meldete die Financial Times: »Der Verlust von Büroflächen dürfte die New Yorker Immobilienpreise anziehen lassen« - nachdem wegen fast 25 Prozent Leerstands in Lower Manhattan das Immobiliengeschäft scheinbar ausweglos in die Baisse geraten war. Zur frohlockenden Ölindustrie gesellte sich als großer Nutznießer die Rüstungsindustrie. George W. Bush, der schon kurz nach der Übernahme des Präsidentenamts im Haushaltsentwurf für 2002 den Ansatz für die Militärausgaben von 296 Milliarden Dollar auf 310,5 Milliarden Dollar erhöht hatte, präsentierte im Februar 2002 fürs nächste Haushaltsjahr einen Entwurf, der Militärausgaben von 380 Milliarden Dollar vorsieht - womit er ein gewaltiges Konjunkturprogramm ankurbelte. In Afghanistan wurden inzwischen neue Waffen getestet, darunter im März 2002 die kurz zuvor entwickelte »thermobarische Bombe«, die den in Höhlen versteckten Menschen ein qualvolles Ende bereitet. Erstmals kamen auch mit Raketen bewaffnete Drohnen zum Einsatz, unbemannte Flugzeuge, worüber die Washington Post in Jubel ausbrach: Mit diesem »revolutionären Schritt in der Kriegsführung« habe es sich als möglich erwiesen, von CIA-Schaltzentralen in den USA aus einen »Krieg ohne Menschen« zu führen, womit gemeint ist, daß der Aggressor keine eigenen Menschenleben riskiert; die Opfer der Gegenseite werden ausgeblendet. Mit der Stationierung von US-Truppen nicht nur in Afghanistan, sondern auch in den angrenzenden rohstoffreichen Staaten Zentralasiens, mit der Einkreisung des Iran, mit der militärischen Präsenz mitten zwischen Rußland, China und Indien, mit dem Zugriff auf riesige Öl- und Gas-Vorkommen und auf die Transportwege, nicht zuletzt mit der Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes bauen die USA ihre Stellung als einzige Weltmacht aus, und sie demonstrieren der ganzen Welt, daß sie nicht mehr gewillt sind, völkerrechtliche Schranken zu akzeptieren. Schroff lehnen sie es beispielsweise ab, sich jemals dem Weltstrafgericht zu unterwerfen, das auf Initiative der UNO gegründet wird. Schon vor dem 11.9.2001 sah Zbigniew Brzezinski in seinem Buch »Die einzige Weltmacht« den »gesamten eurasischen Kontinent von amerikanischen Vasallen und tributpflichtigen Staaten übersät, von denen einige allzu gern noch fester an Washington angebunden wären«. Nachdem die NATO im Krieg gegen Jugoslawien die Vereinten Nationen links liegen ließ, lassen die USA jetzt im terroristischen »Krieg gegen den Terror« nicht mehr nur die UNO spüren, wer der Herr ist, sondern auch die NATO - die zwar erstmals in ihrer Geschichte den »Bündnisfall« ausrief, aber von vornherein an den Rand des Geschehens gedrückt wurde. Die US-Politik nutzt die Chance, den Abstand zur EU auf militärpolitischem wie auch auf militärtechnischem Gebiet zu vergrößern, was ihr auch dadurch mühelos gelingt, daß sich die »Bündnispartner« gegeneinander ausspielen lassen. Nicht nur die Angebote der NATO zu gemeinsamer Kriegsführung, sondern auch etliche Offerten einzelner europäischer Staaten wurden ausgeschlagen - gerade auch dann, wenn Regierungen sich förmlich anbiederten. Wolf erinnert daran, daß Bundeswehr-Einheiten, die sich im Dezember 2001 auf den Weg nach Kabul machten, tagelang in der Türkei hängenblieben, angeblich wegen schlechter Wetterbedingungen, in Wirklichkeit, weil die US-Militärs ihnen keine Landekapazitäten auf den afghanischen Flughäfen zur Verfügung stellten. Ebenso erging es Außenminister Fischer, als er im Februar 2002 einen Frontbesuch in Kabul abstatten wollte und im usbekischen Taschkent nach vergeblichem Warten die Rückreise antreten mußte. Schon nach Bushs Ankündigung, das Abkommen von Kyoto zu kündigen, erläuterte Bill Stokes vom einflußreichen Council on Foreign Relations: »Unsere Alliierten werden akzeptieren müssen, daß wir uns nicht darum zu kümmern brauchen, was sie über uns denken.« Nach dem 11. September fühlte sich Bush auch stark genug, den ABM-Vertrag zu kündigen, und der russische Präsident Putin versicherte brav, dadurch würden »die guten Beziehungen zwischen Moskau und Washington nicht in Frage gestellt«. Es dauerte dann nicht mehr lange, bis Rußland als mögliches Ziel US-amerikanischer Atomwaffen genannt wurde. Die USA selber wollen sich mit einem gigantischen Raketenschutzschild unangreifbar machen. Zu den Nutznießern des 11. September gehört in aller Welt die politische Rechte - z.B. in Israel, wo Präsident Scharon gleich am 12. September die Panzer in die Westbank rollen ließ. Die demokratischen, gewerkschaftlichen, umweltpolitisch engagierten und sozialistischen Kräfte dagegen sind überall geschwächt. Parlamente, die mit Mehrheiten von 95 Prozent (Deutschland) oder gar 99 Prozent (USA) für den Terrorkrieg gegen Afghanistan stimmen, beschließen im Nu auch den Abbau demokratischer Rechte. Treffend sagte der Liberale Burkhard Hirsch schon über Schilys erstes Gesetzespaket, daß sich dagegen die hart umkämpften Notstandsgesetze der 60er Jahre »wie Träumereien am Kamin ausnehmen«. Auch in der PDS, die sich bislang als einzig konsequente Antikriegspartei darstellte, werden vor allem an der Spitze Stimmen der Anbiederung laut. Wolf registriert sie wachsam; er selber ist Bundestagsabgeordneter dieser Partei. Kein erbauliches, aber ein lehrreiches Buch. Wer durchblicken will, muß es lesen. Winfried Wolf: »Afghanistan, der Krieg und die neue Weltordnung«, Konkret Literatur Verlag, 208 Seiten, 15 Euro Kontext:
Erschienen in Ossietzky 9/2002 |
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