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Vom Wachstumswahn zur Ökonomie des "guten Lebens"

Rezension

von Wilfried Gaum

Robert & Edward Skidelsky, Wie viel ist genug? Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens, Verlag Antje Kunstmann, München 2013, 319 Seiten

1. Ein paar Worte zu den Autoren[1]

Robert Skidelsky wurde am 25. April 1939 in China, in der mandschurischen Stadt Harbin geboren und stammt aus einer russischstämmigen Fabrikantenfamilie mit britischer Staatsangehörigkeit. Skidelsky studierte in Oxford Geschichte und wurde 1978 zum Professor of International Studies an der University of Warwick ernannt. Seit 1997 ist er Honorary Fellow des Jesus College, Oxford. Er war Mitglied der Labour Party und Gründungsmitglied der Social Democratic Party, der er bis zu ihrer Auflösung 1992 die Treue hielt. 1992 schloss er sich den Konservativen an, verließ sie 2001 aber wegen des Kosovo-Krieges. Einem größeren deutschen Publikum wurde er durch die 3-bändige Biographie über John Maynard Keynes bekannt, die 2004 auch in deutscher Übersetzung erschienen ist.

Sein Sohn Edward Skidelsky ist Professor für Philosophie an der Universität Exeter. In seiner Biographie gibt er an, an Kunst und Architektur, Kochen und Tischtennis-Spielen interessiert zu sein.

2. Einleitung

In der Diskussion um eine Ökonomie und Gesellschaft jenseits der Wachstumsgesellschaft, um eine Antwort auf die zunehmenden Belastungen dieses Planeten spielt die Frage "Wieviel ist genug?" eine zentrale Rolle. Wir können diese Frage nicht beantworten, wenn wir dafür keine Maßstäbe entwickeln. Die Skidelskys sagen: "Genug" ist, wenn "gut gelebt" wird. Das Buch will helfen zu klären, was ein "Gutes Leben" ausmacht und wie ein solches Leben möglich wird.

Den Autoren gelingt es, auf einem keynesianischen Fundament aufbauend, einen ethnologisch und philosophisch fundierten Beitrag zu einer neuen Moralökonomie zu leisten, der zudem die wichtigsten Argumente in der Postwachstumsdiskussion berücksichtigt. Interessant ist ihr Ausgangspunkt. Dieser ist eine These des britischen Ökonomen Keynes aus dem Jahre 1930, die darauf abzielte, auf der Grundlage einer kapitalistischen Ökonomie eine überzeugende Alternative zum sowjetischen Modell zu entwickeln. Er meinte, "die Menschheit werde … imstande sein, all ihre materiellen Bedürfnisse mit einem Bruchteil des gegenwärtigen Arbeitsaufwands zu befriedigen – höchstens drei Stunden täglich, damit ‚der alte Adam in uns …zufrieden. ‘ ist."(S. 30) Keynes weiter:

"Ich sehe also für uns die Freiheit, zu einigen der sichersten und gewissesten Grundsätze der Religion und herkömmlichen Tugend zurückzukehren: das Geiz ein Laster ist, das Verlangen von Wucherzinsen ein Vergehen, die Liebe zum Geld verächtlich, und dass diejenigen, die sich am wenigsten um den Morgen sorgen, am wahrsten in den Pfaden der Tugend und maßvoller Weisheit wandeln. Wir werden die Zwecke wieder höher werten als die Mittel und werden das Gute dem Nützlichen vorziehen. Wir werden wieder diejenigen ehren, die uns lehren, wie der Stunde und dem Tag tugendhaft und gut gerecht zu werden, jene köstlichen Menschen, die zu einem unmittelbaren Genuss der Dinge fähig sind, die Lilien des Feldes, die sich nicht mühen und die nicht spinnen."(zitiert nach Skidelsky, S. 31)

Das Buch knüpft an diese These von Keynes an. Es grenzt sich damit bewusst ab von einer Ökonomie, deren zentrales Frage ist, "wie die Menschen begrenzte und knappe Ressourcen einsetzen in dem Bestreben, ihre grenzenlosen Begierden zu befriedigen" – einer Ökonomie, die sich in der Realität aber so verhält, als sei nichts begrenzt und knapp und nur die Begierden der Unterschichten grenzenlos.

Das Ziel des Buches ist demgegenüber, "die alte Idee von der Wirtschaftswissenschaft als einer moralischen Wissenschaft wiederzubeleben – einer Wissenschaft von Menschen, die in Gemeinschaften zusammenleben, nicht von interagierenden Robotern."(S. 17)

Es geht den Autoren um eine Ökonomie des "Guten Lebens". Mit seiner Bestimmung wird zugleich die Frage beantwortet, wieviel den genug sei. Sie gehen damit über eine Kritik der heute herrschenden ökonomischen Ziel-Mittel-Relationen hinaus. Deshalb grenzen sie sich von anderen Konzepten wie dem "Streben nach Glück", diesem wunderbaren Grundrecht aus der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ab. Das Buch liefert einen weiteren Beitrag zu dem wohl begründeten Schluss, dass die endlose Jagd nach immer mehr Wohlstand Wahnsinn sei und keineswegs zum guten Leben führt. Sie versuchen dafür eine Beweisführung auf statistischer Grundlage zu liefern. Die Skidelskys definieren das gute Leben durch sieben Basisgüter. Und diese Basisgüter sind für sie das gute Leben. Damit sind die wesentlichen Inhalte des Buches kurz skizziert. Ich konzentriere mich im Folgenden auf die Frage, was die Skidelskys zum "Guten Leben" entwickeln, weil ich diese Passagen für unsere Debatte um Alternativen zum herrschenden Modell des Kapitalismus am wichtigsten halte.

3. Was zu einem guten Leben gehört

Für ein gutes Leben brauchen wir eine Ökonomie, in der wir zwar weiter nach Wachstum streben, damit wir die erforderlichen Technologien finanzieren können, um die Folgen der Erderwärmung zu lindern. Man kann diese Aussage kritisch sehen, denn damit ist natürlich inzident das Ziel aufgegeben, die Erderwärmung zu beschränken. Aber: die Autoren meinen damit nicht "Wachstum von egal was und um jeden Preis". Um sich dieser Bestimmung zu nähern, erinnern die Skidelskys daran, dass politische Ökonomie bedeutet, die gemeinsame Schnittmenge ethischer und moralischer Grundlagen der wohl meisten menschlichen Kulturen ernst zu nehmen. Also: "moral matters"! Allen Kulturen sind gewisse Institutionen gemeinsam: die Menschen leben in aller Regel in Gruppen, die sich eine politische Organisation geben, es gibt Eigentum und Tausch, die Menschen hegen und verfolgen ästhetische und religiöse Bedürfnisse, sie kennen gewisse Schamgrenzen und behandeln ihre Toten mit Respekt (S.198).

Es herrscht zwischen ihnen eine breite Übereinstimmung darüber, was die Skidelskys Basisgüter nennen. Diese Basisgüter sind "die Dinge, die zu einem guten Leben gehören." (S. 199) "Dazu gehören Gesundheit, Respekt, Sicherheit und vertrauens- und liebevolle Beziehungen, diese zählen überall zu einem guten menschlichen Leben." (aaO.) Dabei wird nicht übersehen, dass diese Basisgüter in vielfältigen Ausprägungen und Formen existieren. Entscheidend ist, dass diese Güter nicht bloß Mittel für ein gutes Leben sind oder die Menschen zu einem solchen befähigen sollen.[2] Für die Skidelskys sind "Basisgüter, wie wir sie definieren, sind nicht nur Mittel oder Befähigungen zu einem guten Leben, sie sind das gute Leben."(S. 201) Diese Güter nennen sie "Basisgüter", wenn sie universell sind, gut an und für sich sind, final sind, also nicht lediglich zu etwas anderem vermitteln, das gut ist, sie müssen sui generis, also nicht Bestandteil anderer guter Dinge sein und sie sind schließlich unverzichtbar (S. 204 ff.). Diese Definition ermöglicht nicht nur eine Diskussion über eine neue Moralökonomie, sondern sie ermöglicht auch eine politische Debatte jenseits der berechtigten moralischen Kritik der herrschenden Wirtschaftsweise und von bloß symbolischem Handeln.

Anhand dieser Kriterien diskutiert das Buch die Basisgüter Gesundheit, Sicherheit, Respekt, Persönlichkeit, Harmonie mit der Natur, Freundschaft und Muße (S. 208-225). Am Beispiel des Basisguts "Respekt" soll verdeutlicht werden, wie die Skidelskys argumentieren (S. 213ff): "Jemandem Respekt zu erweisen, bedeutet, durch eine förmliche Geste oder auf andere Weise zu zeigen, dass man seine Ansichten und Interessen für beachtenswert hält, für etwas, das man nicht ignorieren oder mit Füßen treten darf. Respekt ist dabei ein Basisgut für sich: nicht umsonst gilt Sklaverei als vollkommene Verweigerung von Respekt ebenso wie die Behandlung von Menschen in KZ’s, Gulags oder Todeslagern." Das Basisgut Respekt erfordert also eine gewisse Gleichheit, diese darf eine gewisse Grenze nicht unterschreiten. Daraus folgt: "Demokratische Solidarität erfordert mehr Gleichheit – wenn auch nicht vollkommene Gleichheit – bei der Verteilung von Besitz und Einkommen." (S. 215).

Interessant fand ich zudem die Ausführungen der Skidelskys über das Basisgut "Muße" (S. 223-225). Muße ist "das, was wir um seiner selbst willen tun, nicht als Mittel zu etwas anderem" (S. 223). Warum ist es ein Basisgut? "Die Erklärung ist offensichtlich: Ein Leben ohne Muße, in dem alles um etwas anderen willen getan wird, ist nutzlos. Es ist ein Leben in beständiger Vorbereitung, das nie beginnt. Muße ist die Quelle von Nachdenklichkeit und Kultur, denn erst wenn wir uns vom Druck der Notwendigkeit befreit haben, sehen wir die andere Welt wirklich, nehmen wir sie in ihrem anderen Charakter und Umriss wahr."(S. 224)

Wie verhalten sich die Basisgüter zueinander? Das Buch plädiert für eine Pluralität an Basisgütern, da der Mangel an einem nicht durch den Überfluss an einem anderen aufgewogen werden kann (S. 227). Und die Rolle des Staates besteht darin, diese Pluralität zu garantieren: "wenn das erste Ziel eines Menschen darin besteht, für sich ein gutes Leben zu verwirklichen, dann ist es die erste Pflicht des Staates, ein gutes Leben für alle seine Bürger zu verwirklichen, soweit es in seiner Macht steht."(S. 227) Diese Rolle des Staates resultiert daraus, dass die Basisgüter ihrem Wesen nach nicht marktfähig sind: man kann sie nicht wirklich kaufen und verkaufen (S. 230) Soweit versucht wird, solche Güter marktfähig zu machen oder sie als solche zu behandeln tritt "corrosion of charakter" (Richard Sennett) ein: der Zerfall der Persönlichkeit, weil sie zum Werbeschlagwort wird. Für diese Resultate der Ökonomisierung der Gesellschaft im Zuge eines besinnungslosen Wachstums ziehen die Skidelskys Statistiken aus Großbritannien heran, die zeigen sollen, wohin die Unterwerfung der Gesellschaft unter die Herrschaft eines bedingungslosen Wachstums führt. Als Belege führen sie das Wachstum tödlichen Alkoholismus‘, von Fettleibigkeit, Arbeitslosigkeit, das Wachstum der Ungleichheit bei der Einkommensverteilung und die sinkenden Eheschließungs- und steigenden Scheidungsraten an (S. 231–240). Man kann diese Beweisführung kritisch sehen – richtig ist allerdings, dass sie Schlaglichter darauf werfen, dass wir eben nicht "ein gutes Leben" führen.

Das Fazit des Buches: "Generell sieht es nicht gut aus für die Befürworter von Wachstum um jeden Preis. Obwohl sich das Pro-Kopf-Einkommen in Großbritannien seit 1974 verdoppelt hat, besitzen wir von den Basisgütern nicht mehr; in mancher Hinsicht haben wir sogar weniger. Wir jagen Überflüssigem nach und vernachlässigen Notwendiges."(S. 240) Daher sollte das langfristige Ziel von Wirtschaftspolitik nicht Wachstum sein, sondern die Gestaltung unserer kollektiven Existenz in einer Weise, die ein gutes Leben erleichtert."(S. 241) Damit beschäftigt sich das letzte Kapitel des Buches, indem es die erforderlichen politischen Schritte diskutiert. Die Skidelskys skizzieren eine Sozialpolitik für die Her- und Bereitstellung der Basisgüter. Dazu nur einige Stichworte: Basiseinkommen, Luxusgesetzgebung, Beschränkung der Werbung, "umgekehrter" Protektionismus.

4. Was das Buch leistet und was es nicht leistet (Kritik)

Ich stelle eine Buch vor, das nicht nur gut lesbar ist, sondern dessen Wissenschaftlichkeit in typisch angelsächsischer Art und Weise angenehm daherkommt: Es spricht in der 1. Person Mehrzahl und nicht von "Man", die Skidelskys reden nicht von oben herab, sie decken ihre Hypothesen auf und machen unaufdringlich und mit gesundem Menschenverstand klar, um was es ihnen geht. Als Leser fühlt man sich ernst- und mitgenommen.

Die wirkliche Leistung des Buches besteht meines Erachtens zweitens darin, dass es die Wirtschaftswissenschaften re-volutioniert, wieder zur Gesellschaftswissenschaft machen will. Es knüpft an die lange Tradition einer moralischen Ökonomie an, die bis hin zu Karl Marx als politische Ökonomie fungierte. Sie befinden sich damit in einer Linie mit Albert O. Hirschman und anderen, die in ihren Untersuchungen die gesellschaftlichen Implikationen ökonomischen Handelns untersuchen. Sie wenden sich ab von dem totalitären Theorem eines "methodologischen Individualismus" und dem Abstractum der "rational egoistischen Nutzenmaximierer", die "vollständig informiert" und "von gleich zu gleich" als Marktsubjekt agieren und überdies mit dem eigenen zum allgemeinen Besten operieren sollen. Allerdings wird die Re-volution zu einer neuen moralischen Ökonomie durch staatliche Aktivitäten, also von Oben, vorangetrieben. Es bleibt offen, auf welche Ressourcen sie sich in der Psyche des Menschen stützen kann und soll.

Das Buch "Wieviel ist genug" will eine Vorstellung davon geben, was ein "gutes Leben" ausmachen kann. Die Frage nach dem Genug ist demzufolge leicht zu beantworten: Genug ist, wenn alle Menschen durch die Bereitstellung von Basisgütern ein gutes Leben führen können. Erscheint auch diese These idealistisch, so ist sie doch historisch verankert. Für Jahrhunderte war das gute Leben – dies stellt das Buch in langen Exkursen klar – das Leitbild für gesellschaftswissenschaftliche Debatten, spätestens seit der Antike und in Übereinstimmung mit den Vorstellungen der größeren außereuropäischen Kulturen. Überzeugend legen die Skidelskys dar, dass die Vorstellungen vom "Guten Leben" in allen großen Kulturkreisen ähnlich sind. Damit zeigen sie ein starkes Argument dafür auf, dass das "Gute Leben" als Konzept verallgemeinerbar und dem Menschen immanent ist.

Das gute Leben ist letztlich: disponible Zeit – Zeit zur Muße, Zeit zur Aneignung der Welt. Es ist ein Verdienst des Buches, dies ins Zentrum seiner Argumentation zu stellen. Muße ist Abwesenheit von äußerem Zwang, sie ist nicht entfremdete Arbeit, freie Lebensäußerung, daher "Genuss des Lebens."(S. 223)

Dieses gute Leben wird nicht durch eine Zweck-Mittel-Relation zwischen Basisgütern und "Glück" abgebildet, es besteht in der Bereitstellung von Basisgütern, zu denen Sicherheit, Respekt, Persönlichkeit und Harmonie mit der Natur gehören. Die Basisgüter sind sich "selbst genug." Damit wird eine gewisse Art von Paternalismus vermieden. Andererseits geht die gesellschaftliche Pflicht, und das ist bei den Skidelskys die Verpflichtung des Staates nicht weiter als bis zur Bereitstellung der Basisgüter: sind sie zur Verfügung gestellt, hat die Gesellschaft genug getan. Damit ist implizit eine Abgrenzung zu totalitären staatlichen Verteilungsystemen vollzogen und ein Raum der Freiheit für die Individuen beschrieben. Die Basisgüter stellen uns dann vor die Wahl, das eine statt des anderen zu wählen, z.B. Liebe zu Lasten der persönlichen Autonomie. Aber noch einmal: alle diese Entscheidungen sollen auf der Grundlage eines Mindestniveaus von Basisgütern stattfinden, so dass Wahlfreiheit, ja Freiheit selbst, wirklich möglich ist. Es ist dieser freiheitliche und optimistische Grundton, der die Lektüre des Buches zu einem Genuss macht.

Wichtig zu erwähnen scheint mir, dass die Skidelskys kein "Paradies", sondern eine "Realutopie" skizzieren. Nichts von ihren Vorstellungen ist unrealisierbar. Ihre Utopie ist keineswegs "romantisch", sie ist weder kommunistisch noch anarchistisch. Sie ist kein Gesellschaftsentwurf, der ohne Staat oder Geld auskommen will, oder ohne Herrschaftsbeziehungen, ja nicht einmal ohne Privateigentum. Sie ist eine Utopie "von mittlerer Reichweite", sie eröffnet einen Möglichkeitsraum, sie beschreibt eine ideale Variante eines regulierten Kapitalismus. Das korrespondiert mit dem ursprünglichen Ziel von Keynes, nämlich einem Leben mit wenig Arbeit, hinreichendem Versorgungsniveau und viel Muße – auf der Grundlage einer kapitalistischen Wachstumsgesellschaft, deren Wachstum aber gezielt ist und gelenkt wird auf der Grundlage gesellschaftlich vereinbarter Basisgüterproduktion. Implizit ist darin eine Kritik der Postwachstumsökonomie Paechs oder Latouches enthalten, mit denen sich die Skidelskys aber leider nicht auseinandersetzen. Man darf sich die Gesellschaft, die die Skidelskys vor Augen haben also als kontrollierte Industriegesellschaft vorstellen. Damit bleibt die Reichweite dieser Utopie auch insoweit beschränkt – die Meriten dieses Buches liegen dafür auf einem anderen Feld.

Ist es möglich, den dafür erforderlichen Mentalitätenwandel zu bewirken? Warum soll ein solcher Wandel, wie er ja auch ganz praktisch auch beim Wandel des ökologischen Lebensstils vom linksradikalen Snobismus hin zum main stream lifestyle eingetreten ist, nicht auch anderweitig möglich sein?

Es gibt neben viel Licht aber auch einigen Schatten. Das Buch tut die Diskussion über die Klimaentwicklung zu leichtfertig ab und der Ökologiebewegung ziemlich Unrecht. Dies gehört nicht zu den Stärken des Buches. Ihre Kritik an der marxistischen Kritik der Lohnarbeit geht fehl, weil sie systematisch die Geschichte der Lohnarbeit als eines erzwungenen sozialen Gewaltverhältnisses ausblendet. Sie vernachlässigen den Faktor des Zwanges zur Arbeit. Das Buch macht es sich zu leicht, den Drang und Zwang zur extensiven Arbeit auf die menschliche Unersättlichkeit nach Statusgütern zu fokussieren. Überhaupt beziehen sie Machtverhältnisse nicht in dem gebotenen Maße in ihre Analyse und die Vorschläge ein. Zu den Eigentumsformen – insbesondere der Produktionsmittel - ihrer Gesellschaft schweigen sie sich ebenso aus. Die Fragen, welche Rolle die Banken spielen, ob und welche (Kapital-)Gesellschaften es geben soll, welche Anteile Groß- und Kleinproduktion haben sollen, all das wird im Buch leider nicht beantwortet. Warum sagen sie nichts zu den Auswirkungen der unterschiedlichen Unternehmensformen auf "das gute Leben"? Schließlich spielen die sozialen Bewegungen außer der eher negativ konnotierten Auseinandersetzung mit der Ökologiebewegung keine Rolle. Deren Wurzeln werden eher denunziatorisch auf Nietzsche und Heidegger zurückgeführt.

Dennoch möchte ich das Buch im Ergebnis zur Lektüre empfehlen: gerade unsere deutsche Debatte um Wachstum, seine Grenzen und Alternativen wird vielfach verbissen geführt. Das vergällt einem das phantasievolle und fröhliche Nachdenken, das mit den Skidelskys besser gelingt. Der Ansatz der Skidelskys, der vom "Guten Leben" möglichst Aller als der Quelle einer erneuerten moralischen Ökonomie ausgeht und eine positive, wenn auch kapitalistische, Realutopie skizziert, ist ein guter Kontrapunkt dazu und sollte auch als solcher ernst genommen werden.

Anmerkungen

[1] Die Angaben sind weitgehend der Wkipedia bzw. Websites der University of Exeter entnommen.

[2] Hier in Abgrenzung von John Rawls, Amartya Sen und Martha Nussbaum

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sopos 7/2014