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Warum soviel Theater um TTIP?

Oder: Der Versuch der Implementierung des Neoliberalismus als einzige herrschende Ideologie weltweit

von Andreas Brändle

Im Folgenden sollen Auswirkungen von TTIP, der Transatlantic Trade and Investment Partnership (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft) und TISA, dem Trade in Services Agreement (Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen) im Kontext der Globalisierung beleuchtet werden. Dabei sollen insbesondere die Interessen der deutschen Akteure kritisch hinterfragt werden.

Kern von TTIP: Schutz der Investoren

Was nach dem Sturz der Allende-Regierung in Chile 1973 durch die Errichtung einer Militärdiktatur unter Pinochet unter tatkräftiger Mithilfe des CIA und dem ökonomischen "Strippenzieher" Milton Friedman – einer der Väter des Neoliberalismus - und seinen "Chicago-Boys" exemplarisch seinen Anfang genommen hat, soll zukünftig als alleinige Staatsdoktrin weltweit umgesetzt werden. Hierfür sollen TTIP und TISA, die parallel verhandelt werden, als Instrumente dienen.

TTIP ist im Kern ein Investitionsschutzabkommen. Laut Ulrich Grillo, Vorsitzender des Bundes der Deutschen Industrie, sind "Investitionen das Grundnahrungsmittel unserer Wirtschaft".[1] Es zielt auf eine Sozialisierung des "Kapitalrisikos" für Investoren und hebt gleichzeitig Konzerne auf eine Stufe mit Staaten, macht sie also mit ihnen gleichberechtigt, was auch das Klagerecht auf ausgegangene Gewinne, also nicht realisierte Gewinne beinhaltet.[2]

TTIP wird geheim verhandelt. Selbst die Bundesregierung musste jüngst auf eine kleine Anfrage der Grünen eingestehen, nicht gänzlich informiert zu sein.[3] Beispielsweise könnte Exxon, einer der größten Fracking-Konzerne, im Falle eines Moratoriums den betreffenden Staat auf entgangene Gewinne verklagen. Diese Klagen sollen dann nicht vor "ordentlichen" Gerichten verhandelt werden, sondern vor sogenannten 'privaten Schiedsstellen', die mit drei Rechtsanwälten besetzt sind und deren Spruch keine Revisionsmöglichkeit zulässt.

Noch kurz vor Ende der Legislaturperiode hat das Europaparlament mit den Stimmen der Abgeordneten der SPD, der CDU und der FDP und gegen die Stimmen der Vertreter der Linken und der Grünen den Investorenschutz im Rahmen von TTIP beschlossen, grünes Licht für die Einrichtung von Schiedsstellen gegeben und dabei gleich noch deren bindende Wirkung festgelegt.

Früher dienten solche Freihandelsabkommen, von denen es weltweit ca. 3.000 gibt und die zumeist bilateral abgeschlossen wurden, dem Abbau von Zöllen und Handelshemmnissen. TTIP hat dagegen eine völlig neue Qualität. So soll das Abkommen zwischen den beiden größten Wirtschafts- und Finanzmächten – China einmal ausgenommen – abgeschlossen werden. Davon sind ca. 75.000 Konzerne diesseits und jenseits des Atlantiks, einschließlich deren Klagemöglichkeit betroffen. Zudem ist mit dem Abschluss eine Aushebelung demokratischer Errungenschaften und des Parlamentarismus verbunden.

Einmal angenommen, das Ergebnis der Verhandlungen zwischen Europa und Amerika und der USA ist, dass alles dem neoliberalen Credo, dem "freien Spiel der Kräfte", oder anders ausgedrückt, dem "freien Markt" unterworfen wird, dann müssten demnach auch alle Gesetze und Verordnungen in Deutschland von der Bundes- bis zur kommunalen Ebene überprüft und entsprechend ausgerichtet werden. Damit könnte man auch gleich mit dem "lästigen" Umwelt und Verbraucherschutz aufräumen und ihn entsorgen. TTIP ist also ein Instrument zur Durchsetzung eines allumfassenden Primats der Ökonomie, wobei dem Staat die Rolle als ausschließlicher Erfüllungsgehilfe für die Erlangung von Höchstprofiten zukommt.[4] Der Staat stirbt unter neoliberalen Verhältnissen nicht ab oder wird aufgelöst, sondern ändert nur seinen Charakter.

TISA flankiert TTIP

Damit kein Bereich von der neoliberalen Einflussnahme ausgespart bleibt, wird zeitgleich mit TTIP auch über TISA verhandelt. Die aktuelle Verhandlungsrunde hat soeben begonnen. TISA soll für Vermögende, Konzerne, Fonds, Kapitalgesellschaften etc. lukrative Anlagesphären durch die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, insbesondere in den Bereichen Wasser, Gesundheit und Bildung schaffen. Die Bereiche sollen nicht abschließend geregelt, sondern jederzeit ausgeweitet werden können. Außerdem soll TISA die in den Augen der Befürworter etwas unzureichend durchgeführten Privatisierungen im Rahmen des GATS-Abkommens - General Agreement on Trade in Services (Allgemeines Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen) - aus dem Jahre 1995 obligatorisch und allumfassend werden lassen. An den Verhandlungen sind derzeit 50 Länder beteiligt.

Es soll zukünftig auch keine Möglichkeit der Re-Kommunalisierung mehr geben, wie z. B. bei der Wasserversorgung in Berlin. Die Regulierungsmöglichkeiten des Staates wären dadurch noch stärker eingeschränkt, etwa bei der Lizensierung von Gesundheitseinrichten oder bei der Zulassung von Schulen und Universitäten.

Für die Durchsetzung dieser allumfassenden Forderungen wird wieder die Propagandamaschine angeworfen, wie wir sie bereits von TTIP kennen. "Die Perspektive eines Dienstleistungsabkommens auf breiter Basis ist eine exzellente Nachricht für Jobs und Wirtschaftswachstum", so Karel de Gucht, Handelskommissar der EU-Kommission und Verhandlungsführer.[5] Auch hier wird das Arbeitsplätze-Argument bemüht, wie schon zuvor bei TTIP. Dort stellte sich dann nach kurzer Zeit heraus, dass der Zuwachs an Arbeitsplätzen allenfalls in homöopathischen Dosen erfolgen wird. Das von der Bertelsmann-Stiftung zitierte ifo-Institut in München bestritt sogar, eine derartige Studie mit verlässlichen Zahlen verfasst zu haben.[6]

Kein Land profitiert so von der Globalisierung wie Deutschland

Die Stiftung für Wissenschaft und Politik hat gemeinsam mit dem German Marshall Fund, eine Studie[7] vorgelegt, in der festgestellt wird, dass kein Land globalisierter ist und mehr von der Globalisierung profitiert hat als Deutschland. Dies erklärt wohl zum einen, warum Deutschland bisher schon ca. 130 Freihandelsabkommen abgeschlossen hat, und zum anderen ließe sich daraus auch die Begründung für den Abschluss von TTIP und TISA ableiten. Offensichtlich verspricht man sich von TTIP und TISA besonders große Effekte bezüglich der Umsetzung von expansiven und geostrategischen Interessen. Grundlage sind die hierzulande herrschenden ökonomischen Determinanten: der größte Niedriglohnsektor Europas, die hohe Produktivität auf Basis eines hohes Ausbildungsniveaus und die auch dank zahmer Gewerkschaften weitgehend befriedeten abhängig Beschäftigten sowie die daraus resultierenden geringen Lohnstückkosten. Das alles führt nicht nur in Europa zu einer brachialen Durchsetzungskraft der deutschen Exportindustrien. TTIP und TISA sollen diesen Prozess flankieren und beschleunigen.

Gerade Banken und Versicherungen versprechen sich von den Abkommen die Aufweichung des wesentlich restriktiver organisierten amerikanischen Finanzmarktes, um ihn in Zukunft besser erobern zu können. Ebenfalls verspricht sich die Chemie- und Pharmaindustrie eine Ausweitung ihres Amerikageschäfts. Demgegenüber sollen bei uns der Arbeits-, Gesundheits – und Verbraucherschutz geschleift werden, den Ausverkauf und die Zerstörung der Kulturlandschaft gleich inbegriffen.

TTIP und TISA sind nur Instrumente

Wir müssen begreifen, dass TTIP und TISA nur - wenngleich sehr wirkungsvolle - Instrumente, zur Durchsetzung der Interessen von Wenigen sind, die gegen die Interessen der Vielen gerichtet sind. Eine bloße Modifizierung oder Bekämpfung der beiden Abkommen greift zu kurz. Deutschland sollte sich deshalb jenen Staaten, wie Brasilien, Argentinien, Australien, Ecuador, Indien, Südafrika und Venezuela anschließen, die entweder Freihandelsabkommen aufgekündigt, oder gar nicht erst unterschrieben haben oder zumindest bekannt gegeben haben, zukünftig keine weiteren Abkommen mehr zu unterschreiben.[8] Dies wäre auch ein Schritt hin zu fairem und solidarischem Handel.

Andreas Brändle ist Mitglied von Attac Hannover.

Anmerkungen

[1] So auf dem Verbandstag des BDI am 6.05.2014.

[2] “Klagen als Geschäftsmodell”, Die Zeit vom 28.02. 2014.

[3] Bundestagsdrucksache 18/828.

[4] Vgl. Michel Foucault, Pariser Vorlesungen, 1978.

[5] Veranstaltung des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, April 2014.

[6] Monitor, März 2014.

[7] Neue Macht, neue Verantwortung, Oktober 2013.

[8] Die Zeit vom 10.03.2014.

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https://sopos.org/aufsaetze/53904721b7c11/1.phtml

sopos 6/2014