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Antifaschistische Emigranten in der Spanischen Revolution zwischen Faschismus und Stalinismus

Rezension

von Thorsten Wegau

Nelles/Linse/Piotrowski/Garcia; Deutsche Antifaschisten in Barcelona 1933-1939 – die Gruppe "Deutsche Anarchosyndikalisten" (DAS); Verlag Graswurzelrevolution Heidelberg 2013; 425 Seiten.

Das Buch behandelt in 10 Einzelbeiträgen Entwicklung, Geschichte und Ende einer kleinen Gruppe von deutschen Migranten im Spanien der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Die "Deutschen Anarchosyndikalisten" (DAS) stellten eine Minderheit in der deutschen Emigration in Spanien bzw. Katalonien dar und sie waren auch eine kleine Minderheit unter den deutschsprachigen Internationalisten, die der bedrängten spanischen Republik nach dem Putsch der verfassungsbrüchigen Generäle unter Franco und der spanischen Revolution – der letzten authentischen proletarischen Revolution in Europa – zu Hilfe eilen sollten. Diese kleine Minderheit rekrutierte sich überwiegend aus den Flüchtlingen vor Hitler oder Dollfuß welche am konsequentesten die Ideale von Selbstbestimmung und Selbstorganisation in der Arbeiterbewegung vertraten, also aus Anarchisten, Anarchosyndikalisten und auch dissidenten Kommunisten.

Der Darstellung ihrer wechselvollen Geschichte ist ein Anhang mit Biographien dieser Antifaschisten beigegeben, der, soweit bekannt, ihr weiteres Schicksal dokumentiert. Dabei werden so unterschiedliche Lebenswege deutlich wie die von Helmut Rüdiger, der – bis zu seinem Tode 1966 bei einer politischen Reise nach Madrid – in Stockholm weiter an der Konzeption eines freiheitlichen Sozialismus arbeitete oder von Rudolf Michaelis, der nach seiner Entlassung aus frankistischer Haft 1946 Mitglied der SED wurde, die ihn 1951 ausschloss. Ab 1975 suchte Michaelis wieder Kontakt zur libertären Bewegung in der BRD und hielt unter falschem Namen Vorträge . Alleine diese 25 Seiten am Ende des Buches lohnen die Anschaffung des Bandes.

Eingeführt wird der Leser in die Geschichte der DAS mit einer Darstellung der deutschen Einwanderung nach Barcelona zu Beginn des 20. Jahrhunderts, lernt aber auch die Situation der deutschen Immigranten ganz Spanien gut kennen. In einem zweiten Kapitel von Ulrich Linse erhält man einen Überblick über die DAS, die bereits vor der Spanischen Revolution gegründet wurde, aber nur wenige Mitglieder aufwies. Diese litten unter den harten wirtschaftlichen Bedingungen, denen sie durch Arbeitslosigkeit, Rechtlosigkeit, Fremdheit, aber auch die "Indifferenz der CNT in allen internationalen Fragen" (S. 75) ausgesetzt waren. Erst im Juli 1936, also nach dem Putschversuch der Frankisten, bequemten sich die spanischen Anarchosyndikalisten zu einer Kampagne für das Asylrecht. Allerding sprach der spanische Redner auf einer Kundgebung dann doch nur über spanische Probleme. Rüdiger kennzeichnete die Confederación National del Trabajo (CNT) deshalb etwas bösartig als "nationale sozialistische Bewegung", deren Internationalismus weitgehend nur auf dem Papier stand (S. 77).

Der längste Beitrag behandelt die Aktivitäten der DAS im Spanischen Bürgerkrieg. Nelles stellt hier ausgiebig die Beteiligung von DAS-Mitgliedern in den Milizen der CNT-FAI (CNT- Federación Anarquista Iberica) dar, sowohl in den an der Front in Aragon kämpfenden Einheiten wie auch bei der Überwachung der Grenzen und möglicher konterrevolutionärer oder antirepublikanischer Aktivitäten in Barcelona. Die DAS übernahm de facto Polizeifunktionen. Sie kontrollierten an den Grenzen die Einreisenden und im Inland die Aktivitäten der Deutschen. Nelles arbeitet hier sehr klar die Konflikte heraus, die sich aus dem Aufeinandertreffen der Ansprüche der Anarchosyndikalisten an eine freiheitliche Gesellschaft und den Realitäten einer zunehmend militarisierten und autoritären Republik ergaben. Dabei ging es nicht nur darum, dass mit dem wachsenden Einfluss der Kommunisten und der Sowjetunion der Spanische Bürgerkrieg von einem sozialen Kampf um eine andere, freiheitliche Gesellschaft zu einem Ersatzschlachtfeld für Großmachtinteressen wurde. Es ist darüber hinaus zu beobachten, wie sehr sich die an der Regierung beteiligten Anarchosyndikalisten in einem Transformationsprozess wiederfanden, der aus den letzten Vorposten einer den Idealen der pluralistischen Ersten Internationale verpflichteten Arbeiterbewegung eine etatistisch eingebundene Fraktion mit schlechtem Gewissen gegenüber den eigenen Militanten machte. Die Zurückhaltung, mit der die CNT-Minister und Leitungsgremien auf die besonders nach dem Mai 1937 anschwellende Repression der Stalinisten und Staatsgewalten gegen Anarchosyndikalisten reagierten, kann man etwas zugespitzt als kalten Verrat an den eigenen Leuten bezeichnen. Immerhin wurden allein in Katalonien zwischen Mai 1937 und Ende 1938 3700 Kämpfer der CNT, POUM[1] und der UGT-PSUC[2] verhaftet. Über das hinhaltende Abwarten der CNT gegenüber den verfolgten Linkssozialisten von der POUM zu lesen, deren Mitglieder in Gefängnissen und Folterkellern der Kommunisten oder gar gleich in Gräbern verschwanden, bereitet auch heute noch Unbehagen.

Die DAS gerieten so in eine Frontstellung nicht nur zu den deutschen Nazis, deren fleißige Zuträgerdienste für die deutsche Gestapo und die spanischen Frankisten von den deutschen Libertären aufgedeckt und bekämpft wurden, sondern auch zu der wachsenden Stalinisierung der spanischen Republik, die wohl nur ihr militärisches Ende im April 1939 davor bewahrte, als Blaupause für die Transformation zu einer "Volksrepublik" nach dem Muster im späteren Osteuropa zu werden. Jedenfalls hatten hier NKWD[3] und die mit ihm operierenden stalinistischen Kader aus anderen KPen ein Übungsfeld für ihre Arbeit nach 1944, bei der auch DAS-Genossen im Fokus standen, wie in einem Beitrag von Carlos Garcia und Harald Piotrowski nachgezeichnet wird. Wer nicht verstehen kann, weshalb George Orwell, Ignazio Silone, Arthur Koestler oder Willy Brandt sich u.a. durch diese Erfahrungen zu Antikommunisten wandelten, der findet hier Quellen dafür.

Der Band bietet weiteres Material um sich mit den grundsätzlichen Fragen an die libertäre Theorie und Praxis im Spanischen Bürgerkrieg auseinanderzusetzen. Aus der Distanz kann man weder den DAS noch der CNT vorhalten, den eigenen Prinzipien untreu geworden zu sein. Es bleibt die Frage, ob die Libertären angesichts der konkreten Lage etwas anders hätten machen können. Gegen die frankistische Kriegsmaschine war eine gewisse Militarisierung aller antifaschistischen Einheiten wohl nicht zu vermeiden. Gegen deutsche und faschistische Spionage und Sabotage mussten die Antifaschisten – auch die Libertären – mit polizeilichen Methoden vorgehen, alleine schon, um den mit Polizeiapparaten gut kompatiblen Stalinisten nicht das Feld zu überlassen. Die Reste der Verhandlungs- und Aktionsfähigkeit der spanischen Republik war, von einem System mehr oder minder gleichgültiger bis feindseliger Nationalstaaten umstellt, ohne eine Regierung überhaupt nicht aktionsfähig, insbesondere auch wegen der verhaltenen Unterstützung durch das sozialistisch regierte Frankreich und der Danaergeschenke der UdSSR. Man kann der CNT nicht vorwerfen, wenn sie sich um der Einheit der Antifaschisten willen – sicher unter Bruch ihrer Prinzipien – an einer Regierung beteiligte.

Inwieweit ein Insistieren der Libertären auf sozialpolitische Erfolge für die Unterklassen sowie das erreichte Niveau der Sozialisierung des Landes und der Produktion dazu beigetragen hätte, den antifaschistischen Kämpfern an der Front das Gefühl zu geben, für eine soziale, freiheitlich Republik zu kämpfen, das steht auf einem anderen Blatt. Inwieweit die im Buch aufgezeigten Dilemmata einer freiheitlichen Agenda in einer gewaltsamen Revolution und einem Bürgerkrieg notwendig auftreten und es daher eines ganz anderen Ansatzes für eine gesellschaftliche, soziale und auch individuell wirksame Transformation bedarf, kann hier ebenfalls nur kurz gefragt werden.

Aber: dass die CNT vor stalinistischer und bürgerlicher Repression zurückwich – ihre Versäumnisse im Einsatz für selbstverständliche Garantien des Rechts und die Garantie demokratischer Freiheiten – das muss man den CNTistas vorhalten. Hier wären eine offensive Öffentlichkeitsarbeit, die ultimative Forderung einer Einstellung jeder Verfolgung und selbst eine Demission aus der Regierung angebracht gewesen. Insoweit bietet der besprochene Band gute Beispiele dafür, wie die konkrete Situation jede Programmatik unterläuft und die Folgen einer politischen Aktion unerwartete und nicht intendierte Effekte auslöst.

Anmerkungen

[1] POUM = Partido Obrera de la Unificatión Marxista (linkssozialistische Partei)

[2] Unión General de Trabajadores = ursprünglich sozialistische Gewerkschaftszentrale, später in Katalonien stalinistisch transformiert; PSUC = Partit Socialista Unificat de Catalunya; stalinistische Partei in Katalonien

[3] NKWD – russische Abkürzung für Volkskommissariat für innere Angelegenheiten, stalinistischer Geheimdienst

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sopos 3/2014