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Zur Kritik des Sprachmanagagements

von Ufuk Kiritoglu

"Zeitungsdeutsch: Erst denken sie nicht - und dann drücken sie's schlecht aus"
(Kurt Tucholsky)


Sprache, Denken und soziale Praxis stehen in einem Zusammenhang - aus dieser in ihrer Allgemeinheit unstrittigen Aussage folgern die Vertreter[1] eines emanzipatorischen Sprachgebrauchs, man könne an der Sprache ansetzen und so die soziale Praxis verändern. Dieser Optimismus bezüglich der positiven Wirkungen von Sprachregelungen verliert gerne aus den Augen, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Sprache und Praxis nicht gegeben ist. Gleichzeitig, und das ist wesentlich problematischer, zeigen sich die Verfechter von politisch korrekter Sprache zumeist weitgehend unempfindlich gegen das vorherrschende, mit subtileren Mitteln durchgesetzte und damit wirkmächtigere Sprachreglement.

Dieses Sprachreglement wird zumeist unbewusst übernommen. Die Folge ist eine Einengung des sprachlichen Ausdrucks und damit des freien Denkens. Restriktionen erzeugen Widerstand, der - da durch die Sprach- und Denkschablonen das Reflexionsvermögen beschädigt wird - häufig als Ressentiment auftritt. Dieses Ressentiment sucht sich dort Ansatzpunkte, wo die Reglementierung offensichtlich ist und richtet sich daher mit Vorliebe gegen "political correctness". Wer sich permanent den Sprachregelungen von Unternehmen und Institutionen unterordnet, will nicht noch in der Kantine "Schnitzel Balkanart" statt "Zigeunerschnitzel" sagen, mitunter selbst dann nicht, wenn er sich des rassistischen Kontextes bewußt ist.[2] Es fällt daher Leuten wie Thilo Sarrazin leicht, sich als "Tabubrecher" zu präsentieren, der endlich mal ausspreche, was andere sich nicht zu sagen trauten.[3]

Die Alternative zu den vorherrschenden, überwiegend unbewußten Sprachregelungen sind daher nicht bessere Sprachregelungen, sondern eine Entfesselung des freien Denkens. Was wir benötigen, ist schärferes Denken, nicht schöneres Sprechen. Eine Kritik und Subversion des vorherrschenden Sprachgebrauchs - oder besser: des gängigen Jargons - ist daher dringlicher denn je. In fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens haben sich nämlich Sprachschablonen breit gemacht, die ihre Terminologie aus der neoliberalen Ökonomietheorie, genauer: der Neoklassik, entlehnen und die das Denken und die Praxis nachhaltig beschädigt haben.[4] Eine solche Kritik kann den Widerstand im Alltag und neue Formen von Kollektivität befördern: Gegen alle diejenigen privilegierten Schichten, in deren Interesse das freie Denken beschnitten wird und die vom konformistischen Ressentiment á la Sarrazin profitieren.

Entgegen allen anderen Behauptungen hat sich die Betriebswirtschaftslehre mit ihren neoklassischen Termini als stichwortgebende Leitwissenschaft durchgesetzt. Der zentrale Terminus des neoklassischen Jargons ist der des "Optimums". Wenn es früher hieß, etwas sei "ideal" so war der Bezug zur "Idee", also der menschlichen Fähigkeit, etwas gedanklich vorwegzunehmen und in Alternativen zu denken, gegeben. Das Ideal gehört dem Bereich der freien Zwecksetzung an und ist im besten Fall auf das "Reich der Freiheit" bezogen. Heute heißt es selbst im alltäglichen Sprachgebrauch, etwas sei "optimal" oder "suboptimal". Dieser Terminus kommt sehr unschuldig daher, ist aber ideologisch hochgradig aufgeladen. Er bezieht sich auf einen Kernbestandteil ökonomischer Theorie, nämlich das Say'sche Theorem, nachdem jedes Angebot auf dem Markt seine eigene Nachfrage schaffe, weil jeder Verkäufer in gleichem Maße als Käufer auftrete. Wenn Geld nur als Tauschmittel fungieren würde, wäre diese simplifizierende Vorstellung korrekt. Ein Ausgleich von Angebot und Nachfrage stellt demnach das "Optimum" dar. "Effizient" - ebenfalls ein Terminus dessen allgemeine Verbreitung kaum bestritten werden kann - ist folglich all das, was dazu beiträgt, das Optimum zu erreichen.

Dass die These Says längst empirisch und wissenschaftlich wiederlegt ist, hat die vorherrschende neoliberale Theorie auch nach der Pleite der Lehman-Bank nicht im Mark erschüttert oder ihre Anhängerschaft wesentlich verringert.[5] Um Empirie scheren sich neoliberale Ideologen in der Regel nicht. Die seit 2008 verbreitete Verunsicherung hat mehr zu einer Radikalisierung eines Teils des neoliberalen Lagers geführt, wie der Wahlerfolg der AFD zeigt.

Ungebrochen ist daher auch das Gerede im neoliberalen Jargon, wie sich gut an einem weiteren zentralen Terminus, dem "Management", zeigen läßt: Wenn das Effizienzkriterium der Markt bzw. das Marktgleichgewicht ist, muss gesellschaftliches Handeln darauf ausgerichtet werden. Dieses Handeln heißt "managen", und daher gibt es mittlerweile zahlreiche Formen des Managements, die sich der klassischen Form - der der Unternehmensführung - angeglichen haben: Strukturmanagement, Prozessmanagement, Eventmangement, Wissenschaftsmanagement, Sportmanagement, Kulturmanagement, Übergangsmanagement, Bodenmanagement, Gebäudemanagement und vieles andere mehr. Dazu bedarf es natürlich auch Kennern der Materie, die beratend tätig werden. So hat das Abfallmanagement Abfallberater und im Bildungsmanagement lauert hinter jeder Ecke ein "career-office".[6]

Nun mag man das alles für Begriffshuberei halten. Tatsächlich greift das Organisationsmanagement aber nicht nur auf alle Formen gesellschaftlichen Zusammenseins zu und richtet es nach betriebswirtschaftlichen Imperativen aus. Mit der Orientierung von Unternehmen und Institutionen an Kennziffern geht die Zurichtung der Menschen einher, für die es eine Unzahl an Angeboten zur Selbstoptimierung gibt: Karriere-Coaching, individuelles Zeitmanagement, work-life-balance, Fit-for-whatever-Seminare - ein Blick in gängige Weiterbildungsangebote zeigt, dass es immer weniger um reale Inhalte als vielmehr um die Vermittlung von Selbsttechniken geht. Jedermann und Jedefrau ist zum Manager der eigenen Biographie geworden (oder soll dazu gemacht werden) und auf all die Techniken der Selbstinstrumentalisierung angewiesen, wenn er oder sie sich am Markt erfolgreich behaupten will.[7] Das individuelle Scheitern - kollektives Handeln wird in diesem Denken vollkommen zum Verschwinden gebracht - ist dabei durchaus einberechnet: Eine Kultur des Scheiterns soll dem (Markt-)Versager eine zweite Chance ermöglichen, wie überhaupt für alle unerwünschten Begleiterscheinungen marktförmigen Verhaltens Lösungen bereitgehalten werden, vom Konflikt- und Kommunikationsmanagement über die Supervision bis zum individuellen Coaching. Das Scheitern ist aber selbst für die modernen Helden der Arbeit nicht unwahrscheinlich, denn wer sich effektiv selbst optimiert hat, dem droht das Höllenfeuer des Burnout-Syndroms. Ach wie harmlos muten da doch alle vergangenen Versuche in der Sowjetunion an, den neuen Menschen zu schaffen![8] Freilich sind derartige Zwänge und Phänomene nicht neu, wie David Riesmans Begriff des "außengeleiteten" Charakters, oder Oskar Negts Begriff des "leistungsbewußten Mitläufers" zeigt.[9] Wenn Richard Sennett eine "Corrosion of Character" diagnostiziert, deuten sich freilich tiefgreifende Umbrüche in der psychischen Struktur der Menschen im Kapitalismus an.[10]

Nun ist es keinesfalls so, dass die Menschen sich all das in Gänze zu eigen machen, dem Perfektionismus der Selbstoptimierung folgen und nur noch in Freundschaften "investieren", wenn es sich zu lohnen scheint. Keine noch so schöne corporate identity kann darüber hinwegtäuschen, dass schlechte Leistungen, miserable Arbeitsbedingungen und niedrige Bezahlung nicht das Gegenteil, sondern die Folge eines effizienten Pflegemanagements sind. Auch ist die Individualisierung keineswegs total, wie überhaupt keine Institution und kein Unternehmen ihren bzw. seinen kollektiven Charakter abstreifen kann. Im Gegenteil: Die Individualisierung ist äußerst ambivalent und kann, konsequent zu Ende gedacht, äußersten Egoismus, verwilderte Selbstbehauptung und damit destabilisierende Effekte hervorbringen. Aus diesem Grund werden ideelle Integrationsangebote aller Art gemacht, die als Firmenphilosophie oder Unternehmenskultur in sogenannten Leitbildern festgehalten werden. Zumeist handelt es sich um eine Ansammlung von Trivialitäten, gegen die in ihrer Allgemeinheit kaum etwas einzuwenden wäre, wenn es sich nicht um eine ebenso banale wie allgegenwärtige Lüge handeln würde: Der Zweck eines Unternehmens ist schlicht und ergreifend Profit zu machen, nicht Mobilität zu schaffen oder das Ökosystem zu retten. Die "Unternehmenskultur" hat keinen anderen Zweck, als die notwendigen Bedingungen für eine möglichst hohe Profitabilität herzustellen, alles andere ist Rhetorik.

Interessant wird es dann, wenn es darum geht, die handfesten Folgen konkurrenzmäßigen Verhaltens in den Griff zu bekommen und etwa Rassismus im Betrieb zu bekämpfen. Dem eigenen Anspruch nach wollen die Marktideologen, dass die besten nach vorne kommen und ihre "Potentiale nutzen", und zwar unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe. Neid und Missgunst infolge von tatsächlichen oder vermeintlichen Benachteiligungen gilt es daher im Keim zu ersticken. Dazu bedarf es des Diversity-Managements, mit dem die Vorzüge einer nicht näher definierten Vielfalt gepriesen werden. Diese Vielfalt ist durchaus ernst gemeint, setzt aber voraus, dass zuvor eine Einfalt im Denken hergestellt worden ist. Diversity basiert auf der Eindimensionalität ökonomistischen Denkens, das wiederum selbst im Kern rassistisch ist, denn die Erfahrungen von sozialer Ausgrenzung, kolonialer oder sexistischer Unterdrückung sind kaum mit der schönen neuen Welt des Marktes kompatibel. Wer Aufgrund seiner Erfahrungen nicht in der Lage oder Willens ist, sich der modernen Betriebsorganisation anzupassen oder das zumindest glaubhaft vorzutäuschen, ist daher für Führungsaufgaben nicht geeignet.

Die grundlegende Voraussetzung für eine steile Karriere ist allemal eine Verinnerlichung "unternehmerischen Denkens", eines Denkens, "dessen Partialität die Logik des Tausches nicht überschreiten kann und somit den dieser Logik innewohnenden Irrationalismen unterliegt. Die von den Vertretern der 'enterprise culture' angeblich so hoch geschätzten personalen Dispositionen und Schlüsselqualifikationen, insbesondere die sozialen Kompetenzen, widersprechen geradezu einem Menschentypus, der versuchen muss, unter Konkurrenzdruck seine partikularen Interessen gegen andere durchzusetzen."[11]

Anfang der 1990er Jahre wurden von gewerkschaftlichen Co-Managern die neuen Management-Formen mit frappierender Naivität begrüßt; so propagierte ein Gewerkschafter der Volkswagen-AG ohne Ironie, die Arbeiter sollten ideell Besitz von der Fabrik ergreifen. Und er fügte hinzu: Ideell, nicht materiell, denn das wäre Sozialismus.[12] Die Idee einer feindlichen Übernahme von unten durch die Arbeiter selbst liegt zwar in der Logik der Sache, wird jedoch durch eine Netz von Kontrollstrukturen und Abhängigkeiten blockiert, zu deren integralen Bestandteilen die Sprach- und Denkschablonen gehören: Damit alle unternehmerisch Denken, aber keinen Anspruch auf eine reale Beteiligung an den unternehmerischen Entscheidungen erheben, gibt es zahlreiche Gremien und Techniken, vom Qualitätszirkel bis zum Kreativitätsmanagement. Die "flachen Hierarchien" setzen allemal flaches, also eindimensionales Denken voraus und sind daher keinesfalls eine Alternative zu den althergebrachten Formen der Betriebsführung, sondern nur deren modernisierte Variante.

Sozialer Widerstand in den Institutionen fängt mit sprachlicher Subversion an. Darauf will ich an anderer Stelle zurückkommen.

Anmerkungen

[1] Natürlich sollte es Vertreter_innen heißen. Ich teile den Optimismus der Sprachreformer_innen allerdings nicht und benutze daher die konventionelle Form.

[2] Zigeuner kommt von "ziehender Gauner"; wer die Verfolgung von Sinti und Roma im Dritten Reich sowie die gegenwärtigen Kampagnen gegen Migranten aus Bulgarien und Rumänien vor Augen hat, wird der Bezeichnung "Zigeunerschnitzel" nichts abgewinnen können.

[3] Thilo Sarrazins neustes Buch widmet sich diesem Thema: Der neue Tugend-Terror. Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. München 2014. Man muss schon über Chuzpe verfügen, sich als Bestseller-Autor mit fast schon allgegenwärtiger Medien-Präsenz über die Einschränkung der Meinungsfreiheit zu beklagen. Dass ihm viele Medienvertreter das durchgehen lassen, ist ebenfalls aufschlussreich.

[4] Vgl. Michael Krätke, Neoklassik als Weltreligion? In: Loccumer Initiative Kritischer Wissenschaftler_innen (Hrsg.), Die Illusion der neuen Freiheit. Realitätsverleugnung durch Wissenschaft. Hannover 1999. S. 100-144.

[5] Bezeichnend ist, das es nur wenige Kritiker der Marktorthodoxie gibt, die selbst aus diesem Lager stammen, etwa Paul Krugman. Vgl. ders., Austerität: Der Einsturz eines Glaubensgebäudes. Blätter für deutsche und internationale Politik 7/2013.

[6] Vgl. Boris Traue, Das Subjekt der Beratung. Zur Soziologie einer Psycho-Technik. Bielefeld 2010.

[7] Vgl. für eine breite Debatte exemplarisch: Demirovic, Alex, Kaindl, Christina, Krovoza, Alfred (Hrsg.), Das Subjekt - Zwischen Krise und Emanzipation. Münster 2010.

[8] Die Idee, dass der Mensch seine Beschränkungen überwindet, sich selbst erschafft und damit Gott gleich macht, wurzelt freilich im Frühchristentum. Vgl. Thomas Tetzner, Der kollektive Gott. Zur Ideengeschichte des neuen Menschen in Rußland. Göttingen 2013.

[9] David Riesman, Die einsame Masse. Eine Untersuchung der Wandlungen des amerikanischen Charakters. Darmstadt 1956. Auch hier ist der Buchtitel irreführend und müßte eher "Die Masse der Einsamen" heißen.

[10] Der deutsche Buchtitel ist gegenüber der "Korrosion" im Original eine völlige Verharmlosung: Richard Sennett, Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. Berlin 1998.

[11] Tatjana Freytag, Der unternommene Mensch. Eindimensionalisierungprozesse in der gegenwärtigen Gesellschaft. Weilerswist 2008. S. 165f.

[12] Die Arbeiter hatten den faulen Zauber allerdings schnell durchschaut. Der "Kontinuierliche Verbesserungsprozess" (KVP) wurde firmenintern als "Knien vor Piëch" bezeichnet.

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https://sopos.org/aufsaetze/52e50c097d0c2/1.phtml

sopos 1/2014