Zur normalen Fassung

Testfall Zypern?

Der griechische Teil Zyperns ist der nächste Dominostein im europäischen Krisendrama

von Gregor Kritidis (sopos)

EU-Rettungsschirm für Zypern, der "Bank mit angeschlossenem Reisebüro"

Den Antrag auf EU-Finanzhilfe hat die Regierung Zyperns vor langem gestellt – seit Sommer letzten Jahres ist die Insel offiziell zu einem Fall für den europäischen Rettungsschirm geworden, seitdem wird über die Konditionen der "Rettung" verhandelt. Diese Entwicklung war vorhersehbar, es muß eher überraschen, daß es erst im fünften Jahr der Weltwirtschaftskrise zu dieser Zuspitzung gekommen ist. Denn die zypriotischen Banken waren unmittelbar und in großem Umfang betroffen, als nach der de-fakto Pleite des Staatskonzerns Dubai-World 2009 und der darauf folgenden Bankenrettung der griechische Staat ökonomisch in Schieflage geriet. Nur ein Kredit von russischer Seite verschaffte der Regierung Christofias eine kurze Atempause.

Die geplante "Rettung" Zyperns vor der Staatspleite ist aber viel mehr noch als die Griechenlands von einigen Besonderheiten gekennzeichnet, welche die Intervention der EU zu einer pikanten Angelegenheit macht.

Zum einen bereitet das Geschäftsmodell Zyperns den Staatschefs der Eurozone äußerstes Kopfzerbrechen. Denn Zypern ist quasi eine Bank mit angeschlossener Tourismusabteilung. Der Bankensektor ist je nach Berechnung zwischen sechs- bis achtmal größer als der Rest der Ökonomie. Während das BIP 17,8 Mrd. € beträgt, betragen die Bilanzsummen der Banken 152 Mrd. €[1]. Es dürfte naheliegend sein, daß angesichts dieser Relationen einem Austeritätsprogramm wie in Griechenland, Spanien oder Portugal schon allein quantitativ sehr enge Grenzen gesetzt sind. Die zypriotische Regierung benötigt 17 Mrd. € zur Refinanzierung, das sind fast 100% des gesamten BIP! So viele Rentner, Staatsbedienstete und sonstige lohnabhängig Beschäftigte hat die Republik Zypern gar nicht, um relevante Summen zur Bewältigung der Bankenkrise durch Lohn- oder Sozialkürzungen und Entlassungen zusammenzubekommen. Die Abwälzung der Krisenlasten auf die breite Masse der Bevölkerung ist mangels Masse schlicht nicht möglich – was nicht bedeutet, dass die Schuldenkrise nicht zu Lohn- und Gehaltssenkungen sowie zur umfassenden Streichung sozialer Leistungen genutzt werden soll.

Damit steigt der Begründungsaufwand für eine Teilnahme Zyperns am Rettungsschirm: Im Gegensatz zur bisherigen Rettungs- und Krisenpolitik, die mit Kampagnen gegen die "faulen Südeuropäer" flankiert wurde, ist mehr als offensichtlich, daß es sich in diesem Fall um eine reine Bankenrettung handelt. Aber was noch viel schwerer wiegt: Zypern war ganz im Sinne und zur Freude neoliberaler Politiker und Ideologen ein Steuerparadies mit wenig Kontrollen für Anleger aller Art. Die kriminellen Aktivitäten, die damit zusammenhängen und nun wortreich beklagt werden, sind nicht eine Begleiterscheinung, sondern die Basis der zypriotischen Ökonomie. Jeder Versuch, an diesem Geschäftsmodell etwas zu ändern, löst das Problem eines Bankensektors, der auf einem Haufen fauler Kredite sitzt, nicht.

Die andere Besonderheit besteht in den politischen Verhältnissen des griechischen Teils Zyperns: Das Selbstverständnis der Bevölkerung von rechts bis links, von den Eliten bis zum Subproletariat wurzelt im antikolonialen Befreiungskampf gegen das britische Kolonialregime. Die seit 2008 regierende AKEL steht in einer orthodox-marxistischen Tradition, und alle politischen Kräfte unterhalten traditionell gute Beziehungen zu Rußland. Mit anderen Worten: Anders als etwa die Regierung Papandreou, die 2010 im vorauseilenden Gehorsam und gegen die Verfassung staatsstreichartig die Kreditverträge mit IWF und EU abgeschlossen hat,[2] ist die Regierung Christofias ein vergleichsweise sperriger Verhandlungspartner.

Diesem Problemen ist man bisher in Deutschland mit einer modifizierten Argumentationsstrategie begegnet, indem man gleich zu Beginn einen besonders groben Keil zum Einsatz gebracht hat: Im Herbst letzten Jahres wurde die Nachricht verbreitet, der BND habe in einem geheimen Report davor gewarnt, von EU-Hilfsmaßnahmen würden Besitzer russischer Schwarzgeldkonten profitieren.[3] Allein die Kuriosität, daß der Inhalt eines "Geheimreports" durch die Medien geht, hätte die Frage aufwerfen müssen, wie und in wessen Interesse diese Information an die Öffentlichkeit gelangt ist. Daß in dieser Frage nicht nachrecherchiert wurde, ist nicht nur bezeichnend für die hiesige Medienlandschaft, sondern verweist auf die dahinterstehende Absicht, Druck auf die zypriotische Regierung auszuüben. Denn die Behauptung, die regierende AKEL habe durch ihre Sozialpolitik die Schuldenkrise verursacht, ist selbst der von kritischem Denken weitgehend befreiten deutschen Öffentlichkeit nur sehr eingeschränkt plausibel zu machen.

Auch in Deutschland beliebt: Geldwäsche als Geschäftsmodell

Das Argument der Geldwäsche auf Zypern ist allerdings äußerst heikel. Die Profite aus illegalen Geschäften – neben dem Handel mit Drogen, Waffen, Giftmüll, nuklearem Material, Sklaven, Organen sowie dem Menschenschmuggel – sind ohne Geldwäsche gar nicht zu realisieren. Zu den Geldwäsche-Paradiesen gehören neben illustren Ländern wie Panama u.a. Österreich und die Schweiz, denen bisher selten mediterane oder mafiose Mentalitäten nachgesagt worden sind.[4] Aber auch die deutsche Bundesrepublik steht keinesfalls sauber da. In einem Bericht über eine Anhörung des Finanzausschusses des Bundestag am 22.10.2012 heißt es mit Bezug auf Roberto Scarpinato, leitender Oberstaatsanwalt im Anti-Mafia-Pool in Palermo, für internationale Verbrechersyndikate wie die Mafia sei Deutschland für Zwecke der Geldwäsche eines der "gefragtesten Länder". Der Schweizer Sachverständige Andreas Frank warf der Bundesregierung vor, das Geldwäschegesetz auch 19 Jahre nach seinem Inkrafttreten nicht umzusetzen; Deutschland verletze die EU-Geldwäsche-Richtlinie und täusche die EU über deren Umsetzung.[5]

Die öffentliche Debatte ist von der Kenntnisnahme solcher Diskussion natürlich weitgehend frei. Insbesondere die SPD, im Wahlkampf infolge ihres Kanzlerkandidaten Steinbrück in eine schwierige Lage gekommen, versucht sich, mit dem Verweis auf Zypern als Geldwäsche-Paradies von der Linie der Regierung Merkel abzusetzen. Freilich ist diese Argumentation ebenso zweischneidig wie die Drohung mit einem Ausschluß Griechenlands aus der Eurozone. Was für eine Bank wie die Lehmann-Brothers gilt, gilt allemal auch für mehrere Banken und die davon abhängigen Staaten wie Zypern: Sie sind "too big to fail". Zu gegebener Zeit wird man also wieder eine Kehrtwende vollziehen müssen mit dem Argument, die zypriotische Regierung habe alle Auflagen der EU erfüllt. Unvermeidlich wird daher – gerade im Wahljahr – Zypern zu einem Sprengsatz, welcher der ohnehin porösen Legitimationsstrategie der EU-Rettungspolitik insgesamt irreperablen Schaden zufügen könnte.

Es gibt gute Gründe, die Rettungspolitik abzulehnen – dies mit dem Argument zu tun, Zypern sei ein Geldwäsche-Paradies, führt allerdings notgedrungen zu der Frage, wer denn bisher mit dem Euro-Rettungsschirm gerettet worden ist und was diese Leute und Institutionen von ihren zypriotischen Kollegen unterscheidet.

Anmerkungen

[1] Vgl. SZ v. 20.12.2012.

[2] Vgl. Giorgos Kassimatis, EU verstößt gegen demokratische und europäische Rechtskultur. Zum Kreditabkommen der Troika mit Griechenland. In: Widerspruch 61. 31. Jg. 2. Hj. Zürich 2011. S. 49-60.

[3] Exemplarisch: Spiegel online v. 3.11.2012.

[4] Vgl. Michael Krätke, Gewalt und Ökonomie. Die Halb- und Unterwelten des Weltmarktes. In: Loccumer Initiative Kritischer WissenschaftlerInnen, Gewalt und Zivilisation in der bürgerlichen Gesellschaft. Kritische Interventionen Bd. 6. Hannover 2001. S. 34-78.

[5] "Eines der gefragtesten Geldwäsche-Länder". Bericht auf der Seite des Bundestages http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2012/40864073_kw43_pa_finanzen_geldwaesche/index.html (Zugriff am 17.1.2013).

Zur normalen Fassung


https://sopos.org/aufsaetze/511a526106535/1.phtml

sopos 2/2013