von Leonor Abujatum Berndt
»Sie können wohl alle Blumen abschneiden,
aber sie können den Frühling nicht verhindern.«
Pablo Neruda,
chilenischer Literaturnobelpreisträger
14. Juli
2011 in Santiago de Chile
© Héctor Gonzalez de Cunco
Wie an vielen anderen Orten der Welt auch, bebt es seit 2011 in Chile ununterbrochen - vor allem im übertragenen Sinne. Gleich mehrere, unterschiedlich motivierte Massenproteste erstarkten in diesem Jahr und sind nunmehr dabei, die politische Landschaft des südamerikanischen Landes zu verändern. Doch soll daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass die Geschehnisse in Chile spontan seien und erst im Rahmen der weltweiten indignados – der Empörten – entstanden sind. Ein Großteil der Bevölkerung Chiles ist schon länger empört, beziehungsweise hat die Phase der bloßen Empörung bereits überschritten. Mit viel Geduld wurde seit 1990 darauf gewartet, dass eine Demokratie ohne Kleingedrucktes eingeführt wird. In einem langen Prozess, der darauf basierte, die Schwächen und tiefen Ungleichheiten des Systems zu erkennen, wird jetzt nach vorne geschaut, mit dem Willen und der Hoffnung, eine wirkliche Alternative für das Land aufzubauen. Die landesweite Umfrage der Universidad Diego Portales, die vor Kurzem veröffentlicht wurde, belegt, dass über 80 Prozent der Befragten der Aussage zustimmen, die Bildungsmobilisierungen spiegelten den sozialen Unmut in der Bevölkerung wider.
Es geht um etwas sehr Tiefgründiges, das durch die Studierenden in diesem Jahr kanalisiert wurde. Die in den vergangenen fünf Monaten von der chilenischen Jugend angetriebenen Bildungsproteste wuchsen zu einer sozialen Bewegung an, die sich gegen das ungleiche System stellt und die Unterstützung immer breiterer Teile der Gesellschaft genießt. Von verschiedenen Seiten aus wird Kritik an dem neoliberalen Gesellschaftsmodell Chiles geübt, welches die beschämenden, ohnehin vorhandenen Ungerechtigkeiten weiter vertieft. Unter dem Motto »Bildung für Alle« gehen Frauen und Männer, Kupferminenarbeiter, Studenten, Schüler, Arbeiter, Umweltaktivisten, Ureinwohner, Gewerkschaftler, queer-feministische Gruppierungen, Tierschützer, Alt und Jung, gemeinsam und massiv auf die Straßen und fordern (Chancen-)Gleichheit. Allerdings ist es noch ungewiss, ob die Bewegung schlussendlich das Land nachdrücklich verändern wird. Bereits sicher ist, dass sich die Protestbewegung durch zunehmende staatliche Repression nicht einschüchtern ließ, wie es sich wohl die Regierung erhoffte, sondern im Gegenteil: sie wuchs noch stärker an.
Was als »Chilenischer Winter« begann, setzt sich also im Frühling weiter fort. Die Stimmen für ein bindendes Plebiszit, um nach einer Lösung des Bildungskonfliktes zu suchen - selbst für die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung - werden lauter, während nachts Abertausende in allen Vierteln - wie einmal gegen Augusto Pinochet - auf Kochtöpfe schlagen, um ihre Solidarität mit der Bewegung auszudrücken. Mittels unzähliger kreativer Interventionen im Alltag und Massendemonstrationen, die wegen ihrer Größe von bis zu einer halben Million Teilnehmenden eine historische Dimension erreicht haben, lässt die Kraft dieser sozialen Bewegung im letzten Winkel der Weltkarte nicht nach.
Nach siebzehn Jahren Diktatur läutete in Chile 1990 die erste wieder demokratisch gewählte Regierung unter Patricio Aylwin die Rückkehr zur Demokratie ein. Es handelte sich um einen paktierten Übergang, in dem sich die Militärs und die Profiteure der Diktatur vorab viele materielle und juristische Privilegien gesichert hatten. In der 1980 ins Leben gerufenen Verfassung wurden die Weichen gestellt, um das neoliberale System flächendeckend und schockartig einzuführen. Der Prozess der transición wurde in Chile »Postdiktatur« genannt, nicht etwa »Re-Demokratisierung«, wie im Nachbarland Argentinien. Der semantische Unterschied ist seither paradigmatisch für die Entwicklung Chiles: Zwanzig Jahre lang (1990-2010) regierte das Mitte-Links-Bündnis Concertación, und selbst die sozialistischen Regierungen verzichteten darauf, das vom Militärregime vererbte liberal-regressive Modell in Frage zu stellen. Fairerweise muss erwähnt werden, dass jegliche Verfassungsänderung von einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat abhängt. In einem binominalen System, wie das Chilenische seit 1990, konnte in den vergangenen 20 Jahren die konservative Mitte-Rechts-Opposition einiges an Veränderungen verhindern. Um das fragile demokratische System nicht (erneut) zu gefährden, regierte zwischen den beiden wichtigen Koalitionen die Politik des Konsenses, wodurch nur einige wenige Korrekturen vorgenommen werden konnten, während gleichzeitig mögliche Konflikte eingedämmt wurden. Die Bürger_innen wurden in der Konsumgesellschaft aus Angst vor etwaigen Krisen sukzessiv zu unmündige Konsument_innen degradiert, während die Politik alles dafür tat und tut, die Mobilisierung von Massenprotesten zu verhindern und, wo sie trotzdem aufkommen, mit Gewalt zu bekämpfen. Wie sich jetzt zeigt, blieben die Spannungen im Gesellschaftsinneren nicht ohne Folgen; sie entluden sich im Laufe dieses Jahres im ganzen Land. Die Jugend weiß von den Vorzügen der jetzigen Phase beschleunigter Globalisierung zu profitieren und organisiert sich in diversen sozialen Netzen, ebenso in den besetzten Bildungseinrichtungen zu einer ernstzunehmenden und dynamischen Bewegung, die seit Mai ununterbrochen und vorrangig friedlich (auch wenn die Medien ein anderes Bild liefern) ihren Unmut kundtut. Das »soziale Erdbeben« scheint Chile aus einem langen Schlaf wachzurütteln.
Morgen werden wir vielleicht vor unseren Kindern sitzen und ihnen sagen
müssen, dass wir besiegt wurden. Aber wir könnten ihnen nicht in die Augen schauen, wenn wir ihnen sagen müssten, dass
sie so zu leben haben, weil wir den Kampf nicht wagten.«
Oktober 2011 in Providencia, Santiago de Chile, vor der
öffentlichen Schule Liceo 7 de Niñas
© Héctor Gonzalez de Cunco
Bisher schien es so, als hatte sich der neoliberale chilenische Weg bewährt, doch nun brodelt es gehörig im schmalen südamerikanischen Land, welches sich über 38 Breitengrade und über eine Entfernung erstreckt, die jener von Lissabon bis Moskau entspricht, dabei aber im Durchschnitt gerade einmal 180 Kilometer breit ist. Nicht nur geographisch und klimatisch stellt sich dieses Land als Extrem dar. Makroökonomisch betrachtet handelt es sich um ein auf regionaler Ebene kaum zu übertreffendes und international oft zitiertes Erfolgsmodell – Chile ist unter anderem stolzes Mitglied der OECD,[1] gilt als Paradies für Investoren und zählt zu den wichtigsten Kupferexporteuren der Welt. In verschiedenen internationalen Rankings über Ungleichheit liegt der Staat allerdings immer ganz weit vorn: Die Schere zwischen Arm und Reich ist enorm, Tendenz steigend. Das während der brutalen Diktatur unter Pinochet eingeführte soziale, politische und wirtschaftliche Modell, welches in der Verfassung von 1980 verankert wurde, ist ein ambitioniertes neoliberales Nations-Projekt. Nahezu alle Bereiche, darunter auch die Bildung, werden seitdem entweder ganz offiziell laut Verfassung oder einfach in der Praxis maßgeblich oder gar komplett vom Markt geregelt.
Präsident Sebastián Piñera bezeichnet Bildung dementsprechend als »Konsumgut« und erinnert daran, dass »nichts im Leben umsonst ist«. Bildung ist in Chile zu einer reinen Ware reduziert worden: Gesegnet sei, wer sich den Zugang zu Bildung - und damit zu etwas mehr Chancengleichheit, um auf dem Markt als Arbeitskraft zu überleben - leisten kann! Denn wie bei den meisten anderen käuflich zu erwerbenden Produkten gilt auch im Falle des chilenischen Bildungswesens seit dem Militärregime die Logik: je höher die Qualität, desto höher auch der Preis. Die, leicht überspitzt gesagt, nach sozialen Kasten dreigeteilte-Schulwesen-Formel ist einfach: Wohlhabende haben Zugang zu einer qualitativ hochwertigen, privaten Schulbildung, während sich die Angehörigen der Mittelschicht nur Mittelmaß leisten können (vom Staat subventionierte, halb private Einrichtungen mit Profitausrichtung) und die Armen mit einer unwürdigen öffentlichen Schulbildung abserviert werden. Zudem obliegt die Verantwortung der staatlichen Schulen nicht dem Bildungsministerium, sondern den jeweiligen Gemeinden. Es ist nicht schwierig nachzuvollziehen, dass die ärmeren Gemeinden, die ohnehin mit großen sozialen Schwierigkeiten konfrontiert sind, von wenigen Ausnahmen abgesehen, eher schlecht als recht mit dieser Aufgabe umgehen können. Gerade dort sind die Zustände am schlimmsten: die Gehälter der Lehrerschaft viel zu niedrig, die Probleme der Kinder aber größer und dramatischer, die Rahmenbedingungen, wie Infrastruktur, teils unzumutbar, die pädagogischen Lernerfolge am niedrigsten und die Bürgermeister_innen maßlos überfordert.
Da der Staat von den Gesamtkosten im Bildungssektor nur 15 bis 20 Prozent trägt, ist der zu zahlende Privatanteil der Familien und der einzelnen Student_innen der höchste – weltweit! Dabei zählen - laut Studien der OECD - die Studiengebühren in Chile, selbst die der euphemistisch so genannten staatlichen Universitäten, mit durchschnittlich 350 Euro monatlich zu den teuersten überhaupt. Es muss dazu noch bedacht werden, dass das Mindesteinkommen bei etwas mehr als 250 Euro liegt. Trotz Gesetz, welches den Profit in universitären Einrichtungen verbietet (die Idee war, dass die Einnahmen in Forschung, Lehre, Ausstattung usw. reinvestiert werden), ist das Hochschulsystem in der Praxis vorrangig ein Geschäft geworden, worunter die Qualität vor allem vieler privater Universitäten sehr stark leidet. Es herrscht die so genannte »Freiheit der Lehre«, die zwar ein hohes Ideal ist, in der Praxis aber führt sie dazu, dass keine demokratische Regulierungsmöglichkeit besteht, wenn die Angebote der Universitäten den Arbeitsmarktchancen nicht entsprechen. Die Nicht-Verantwortung seitens des Staates geht so weit, dass man sich im Falle von Beschwerden nicht an das Bildungsministerium sondern an die Verbraucherzentrale wenden muss. Und das passiert aufgrund der mangelnden Qualität der Studiengänge oft. So konnten die universitären Einrichtungen Studiengänge ohne jegliche Zukunftsperspektiven erfinden oder schon vorhandene Studiengänge einfach nur umbenennen, damit sie besser »verkauft« werden können. Selbst Fächer wie BWL und VWL, Tontechnik und Agrarwissenschaften wurden auf diese Weise den Ingenieurwissenschaften zugeordnet. Das Ergebnis: Weniger als die Hälfte der Studienabgänger_innen arbeitet jemals im erlernten Beruf und von 100 Eingeschriebenen beenden nur 60 ihr Studium. Ein akademischer Titel kostet mithin sehr viel Geld, ist aber tatsächlich in der Regel immer weniger wert und garantiert nur eines: abzubezahlende Schulden. Die Student_innen prangern deshalb an, der chilenische Staat stelle die Freiheit der Bildungsunternehmer über das Recht des Volkes auf Bildung.
Ausreichende Stipendien, weiche Kredite vergleichbar mit BAföG oder an die Zahlungskraft angepasste Studiengebühren gibt es bisher nicht. Stipendien sind rar und in der Regel nur für die Ärmsten der Armen vorgesehen. Zuschüsse in Form von Verpflegung, Transport oder Materialien sind ebenfalls begrenzt. Da große Teile der Mittel- und Unterschicht sich die hohen Studiengebühren nicht leisten können und keinerlei oder nur sehr wenig Unterstützung vom Staat erhalten, weil sie nicht »mittellos genug« sind, nehmen sie Studienkredite auf. Mit Zinsen zwischen fünf und sieben Prozent ist das ein rentables Geschäft für die Banken. Dadurch zahlen die Wohlhabenden, die sich Bildung »bar« leisten können, bis zu drei Mal weniger als diejenigen, die sich dazu gezwungen sehen, einen Kredit mit enormer Zinslast aufnehmen zu müssen, welchen sie in der Regel zwölf Jahre lang abbezahlen. Bildung sei somit längst kein Recht mehr, sondern ein Privileg, prangern die Jugendlichen an. Wenn unter den Plakaten auf den Demonstrationen »Nein zur Bildungs-Apartheid« zu lesen ist, dann muss dies als eine klare Forderung verstanden werden, in der keinerlei Metaphorik steckt.
»Bildung Ja!! Profit Nein!! Die Wende erzählen, was das Fernsehen verschweigt«
Immer mehr Wände werden
landesweit mit Protestparolen geziert.
19. Oktober 2011 in Santiago de Chile
© Leonor Abujatum Berndt
In zuletzt zwölf konkreten Punkten hat die Bildungsbewegung ihre Forderungen zusammengefasst. Es sei notwendig, so die Vertreter_innen, zuallererst das Bildungssystem allgemein zu überdenken und gemeinsam die Frage zu klären, was für ein Wert der Bildung gesellschaftlich zukommt. Um das marode Modell zu sanieren, reiche keine weitere kosmetische Veränderung. Eine wirkliche Reform, welche alle Bildungsstufen inklusive die Ausbildung der Lehrerschaft einbezieht, werde gebraucht. Zugang zu Bildung sollte ein in der Verfassung verankertes soziales Recht werden; dazu müssten unter anderem durch eine Steuerreform mehr Gelder in den öffentlichen Sektor fließen und zugleich die Verschuldung der Familien gestoppt werden.
Die Sprecher_innen stellen sich kategorisch gegen das Konzept, nach dem Bildung gekauft werden müsse. Der Bildungszugang sollte für alle, zumindest aber für die Armen bis hin zur Mittelschicht durch Stipendien und andere Maßnahmen gewährleistet werden, weil die Aufnahme eines Studienkredits mit hohen Zinsen bei Privatbanken für die betroffenen Familien den sozialen Ruin bedeutet, wenn die Tilgungsraten nicht beglichen werden können und harte Sanktionen greifen.
Es geht nicht darum, sich gegen die privaten Institutionen, welche die überwältigende Mehrheit in der chilenischen Hochschullandschaft bilden, zu wenden – das wäre im Moment illusorisch. Diese sollten aber vorrangig auf Qualität und nicht allein auf Profit ausgerichtet sein. Das heißt, sie sollten sich einfach nur an das bereits vorhandene Gesetz halten und der Staat müsse das durchsetzen. Vor allem soll aber der De-Finanzierung und Verwahrlosung der staatlichen Universitäten und Institutionen ein Ende gesetzt werden. Im Verständnis der Bildungsbewegung muss jedes Land, welches sich heutzutage in politischer, kultureller, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht als fortschrittlich bezeichnen will, einen öffentlichen Bildungssektor unterhalten, welcher sich in der Zeit bewähren und entwickeln kann, indem eben dies vom Staat garantiert wird.
Denkbar wäre, inspiriert durch die Umstrukturierungen der chilenischen Student_innenbewegung der Jahre 1967 und 1970, eine universitäre Ausbildung, in der Studiengebühren sozialverträglich nach der Höhe des jeweiligen Einkommens gestaffelt werden. Ebenso gibt es Vorschläge seitens der Sprecher_innen der Bewegung, eine progressive Besteuerung einzuführen. Das würde bedeuten, dass die Kapital- und Ertragssteuern für Unternehmen (auch der vielen inter- und multinationalen Konzerne) erhöht, bzw. überhaupt erst einmal eingeführt werden. Dasselbe gilt für den Spitzensteuersatz, der in Chile derart gering ist, dass von einem wahrhaftigen Steuerparadies für Besserverdienende gesprochen werden kann. Dabei belegen aktuelle Studien, wie die der Fundación Sol, dass die obersten fünf Prozent der Wohlhabenden in Chile 830 Mal mehr verdienen als die untersten fünf Prozent der Armen. Weitere schockierende Zahlen: Zehn Prozent der Reichsten ziehen 40 Prozent aller Einkommen des Landes auf sich, während 40 Prozent der Ärmsten lediglich auf einen Anteil von einem Prozent kommen.
Fakt ist, dass es im Chile der 1960er und Anfang der 1970er Jahre, als das Land sieben Mal ärmer war als heute und wo knapp unter 2,5 Millionen Menschen zur Schule gingen oder studierten, keine Studiengebühren im gesamten öffentlichen Sektor erhoben wurden. Heute gibt es fast doppelt so viele Schüler_innen und Studierende, doch während in den 1970ern Kupfer im Wert von 550 Millionen Dollar exportiert wurde, geht es heute um das Achtzigfache, also um 44.000 Millionen Dollar.
Unter dem Gesicht des Präsidenten Piñeras steht: »Ich habe KOSTENLOS studiert, aber du darfst IN RATEN
zahlen. Es gibt keine Zukunft ohne Bildungsreform«
30. September 2011 in Santiago de Chile
© Leonor Abujatum Berndt
Studierende und Kupferarbeiter sind sich darin einig, dass die Gelder sehr wohl zur Verfügung stehen könnten, um einen qualitativ hochwertigen öffentlichen Bildungssektor in all seinen Ebenen zu unterhalten. Wenn die Reichen mehr Steuern zahlen und wenn der Staat die Steuerbefreiung multinationaler Firmen (beispielsweise auch der Kohleabbau- und Energiekonzerne) aufheben würde, wie es selbst der Internationale Währungsfond im Oktober 2011 geraten hat, könnte wahrhaftig Bildung in Chile gewährleistet werden, die für die Familien frei von Kosten ist.
Die Bildungsbewegung knüpft an dieser Stelle an andere Bewegungen wie die zur »Wiederverstaatlichung« des Kupfers[2] oder die der Umweltaktivist_innen[3] an. Die jungen Sprecher_innen der Bewegung weisen darauf hin, dass die Kupferreserven in absehbarer Zeit erschöpft sein werden und Chile dann mit einer überwiegenden Mehrheit an kaum gebildeten Menschen dastehen wird, die noch nicht einmal etwas ab- oder anbauen könnten, weil alles entweder bereits abgebaut wurde oder durch Umweltverschmutzung nicht mehr wachsen kann. Die technischen Grundlagen für ein kostenloses Bildungssystem hat die Studierendenkonföderation Confech zuletzt in einem Arbeitspapier vom 22. September 2011 bekannt gemacht.[4]
Im April 2006 begannen in Chile Schülerproteste, die in Anlehnung an die im ganzen Land verbreiteten weiß-dunkelblauen Schuluniformen als »Rebellion der Pinguine« in die Geschichte eingingen. Sie richteten sich gegen das Gesetz LOCE, welches die chilenische Bildungslandschaft bestimmt und in den letzten Tagen der Militärdiktatur erlassen wurde. Es ging um Verbesserungsforderungen seitens der Schüler_innen, die von den Studierenden und anderen sozialen Akteuren unterstützt wurden: Die Gebühren für den öffentlichen Nahverkehr sollten für Inhaber des Schüler- und Studierendentickets günstiger sein; die Abiturprüfung, die in Chile zentralisiert ist, sollte ohne Erhebung zusätzlicher Gebühren erfolgen; Verpflegung sollte in öffentlichen Bildungseinrichtungen gewährleistet werden, Praktika gezahlt und das dreigeteilte Schulwesen reformiert werden. Im Rahmen der zunächst von der Politik weitgehend ignorierten Proteste kam es zu massenhaften Streiks, die in heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei endeten, was damals der Bewegung schadete. Obwohl von der Regierung Michelle Bachelets ursprünglich nicht anvisiert, wurde eine Arbeitskommission eingerichtet, um ein neues Bildungsgesetz zu verabschieden. Die Schüler_innen gingen nach monatelangen Mobilisierungen schließlich auf das Dialogangebot ein und beendeten ihre Proteste. Das neue Gesetz, das LGE, unterschied sich jedoch kaum von dem vorherigen LOCE-Gesetz, ging keineswegs auf die von den Schüler_innen erkannten Makroprobleme der Bildung ein. Das Inkrafttreten eines Teils der 2006 minimalen, doch mühevoll erkämpften Gesetzesänderungen wird indes im Laufe des Jahres 2011 erwartet.
Die Schülergeneration, die 2006 massenhafte Proteste zustande brachte, ist nach der Militärdiktatur geboren worden, musste aber trotzdem, nun im Kontext der Konsumgesellschaft, auf den Straßen und selbst in ihren Schulen durch Polizeigewalt erfahren, was staatliche Repression bedeutet. Sie wurden als Kriminelle abgestempelt, aufgrund ihres Alters als unwürdige Dialogpartner abgetan und mit einer Pseudoreform und billigen Zugeständnissen abgespeist. Dass die um fünf Jahre älter gewordenen ehemaligen Schüler_innen, dem politischen System noch weniger trauen, wie es die weiter sinkende Wahlbeteiligung von Jugendlichen ihrer Altersklasse bezeugt und von Umfragen belegt wird, ist unter diesen Umständen nicht verwunderlich. Die Schüler_innen von damals sitzen nunmehr in den Hörsälen der Universitäten und in spärlich ausgestatteten Räumlichkeiten - ausschließlich privater - technischer Institute. Sie scheuen sich nicht vor parteiübergreifender Kritik an dem ungleichen System, welches zwar vom Militärregime eingeführt, aber während der Regierungen der Concertación gefestigt wurde und in der gegenwärtigen Amtsperiode weiter vertieft wird. Sie haben die gesellschaftliche Dimension des Problems, das transversal alle sozialen Schichten und Altersklassen betrifft, umfassend erkannt und nutzen das know-how ihrer Generation, um aus dem Unmut unmündiger - weil nicht repräsentierter - Bürger_innen eine dynamische Bewegung zu machen, die den Mythos des selbsternannten Jaguar de Latinoamérica, als welcher Chile gegenüber seinen Nachbarn und in der Welt wahrgenommen werden möchte, zu Fall.
Die chilenische Berichterstattung setzt in Bezug auf soziale Bewegungen jeglicher Art ihren Akzent vornehmlich auf vereinzelte Randale und trägt somit, zusammen mit dem Vorgehen der Polizei und der Verunglimpfung durch Politiker_innen, zur Kriminalisierung der Gruppen bei. Aus diesem Grund bediente sich die Bewegung von vornherein des Internets, um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Nicht ohne Grund trägt diese Bildungsrevolution den Nachnamen 2.0. Wikipedia beschreibt Web 2.0 als »ein Schlagwort, das für eine Reihe interaktiver und kollaborativer Elemente des Internets […] verwendet wird. Hierbei konsumiert der Nutzer nicht nur den Inhalt, er stellt als Prosument selbst Inhalt zur Verfügung.« In Chile nutzen die Jugendlichen, genauso wie im »Arabischen Frühling«, Plattformen wie Facebook und Twitter, aber auch Blogs und Civil Media als alternative Informationsmedien. Youtube und Vimeo, sind zum Beispiel voller kurzer Info-Spots [Video 1] und Mikrodokumentarfilme [Video 2], welche den vorrangig friedlichen Charakter der Proteste [Video 3] und die Gründe der Bewegung hervorheben, aber auch solcher Videos, welche die polizeiliche Gewalt und Provokationen festhalten [Video 4-6].
»Die Evolution wird zur Wirklichkeit wenn sie mit R anfängt«
30. September 2011 in
Santiago de Chile
© Leonor Abujatum Berndt
Am 4. August 2011 wurde ein Marsch untersagt und gegen die dennoch Protestierenden mit polizeilicher Gewalt extrem vorgegangen. Zum Einsatz kamen Wasserwerfer, mit einem Gemisch aus Chemikalien und Wasser, sowie tausende Tränengasbomben, die teils sogar in die Bildungseinrichtungen hinein abgefeuert wurden. Jede Person, die auf der Straße potenziell als Schüler_in oder Student_in galt, musste damit rechnen, von Polizist_innen auf brutalste Weise am helllichten Tage regelrecht misshandelt zu werden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich über Twitter und Facebook der Aufruf zu einem cacerolazo, eine Protestart, die es in Chile seit den 1980er Jahren nicht mehr gegeben hatte. Als es 21 Uhr[5] war, schlugen landesweit abertausende Bürger_innen, teils auch in wohlhabenden Vierteln, auf Töpfe und Pfannen, um die staatliche Repression zu verpönen und die Bewegung zu unterstützen [Video 7]. Seitdem kommt es immer wieder spontan oder geplant zu cacerolazos, vor allem an Marschtagen und während der etwa zehn Generalstreiks, die es seitdem gab. In der Hafenstadt Valparaíso wurde sogar ein »Karneval der tausend Trommeln für die Bildung« ausgerufen, der zu einer Art »Festival del cacerolazo« wurde [Video 8].
Die hohe Mobilisierungskapazität tut der chilenischen Gesellschaft insofern gut, als sie beginnt, klare Forderungen resolut an die Politik zu richten. Die Jugend thematisiert zwar vorrangig das Problemfeld Bildung, dadurch werden jedoch auch globalere Fragen aufgeworfen, die dem Charakter der in Chile herrschenden formalen Demokratie neoliberaler Ausprägung kritisch auf den Grund gehen.
Die Kampagne der seit 2010 amtierenden Mitte-Rechts-Koalition um Sebastián Piñera lautete während des Wahlkampfes »Die neue Art zu Regieren«. Als Parodie darauf darf die von den Jugendlichen so ernannte »neue Art zu Demonstrieren« verstanden werden. Diese Bewegung ist nicht nur sehr geschickt in der Formulierung und Artikulation ihrer Ziele und Forderungen, sondern vor allem auch sehr kreativ hinsichtlich ihres Modus-Operandi. Die Jugendlichen sind äußerst einfallsreich darin, Aufmerksamkeit zu schaffen, zu informieren, aufzuklären, noch Abseitsstehende und Unbeteiligte für ihre Sache zu bewegen. Sie sind in einer vernetzten und medialisierten Welt groß geworden, dementsprechend gestalten sie ihre Proteste auf alltägliche und unterhaltsame Weise in Performances und bedienen sich einprägsamer audiovisueller technischer Mittel. Sie nutzen soziale Netzwerke und die besetzten Bildungseinrichtungen, um weitere ausgefallene Info-Aktionen zu koordinieren.
Als Polizei und Wasserwerfer verkleidete Protestierende
Temuco, 2011
© Héctor Gonzalez de Cunco
Die Proteste, die bei einer Gesamtbevölkerung von 16 Millionen mit 500.000 Menschen landesweit und bis zu 200.000 allein in der Hauptstadt Santiago [Video 9] eine historische Dimension erlangt haben, weisen den Charakter eines bunten Karnevals auf [Video 10]: Es wird getrommelt und musiziert, es gibt ein Meer an ausgefallenen Plakaten und viele Kostümierte. Dass so viele teilnehmen, wird nicht dem Zufall überlassen: Visuell und spielerisch, organisieren die Jugendlichen zum Beispiel auch Vorlesungen und Theaterstücke auf zentralen Straßen und Plätzen, um für ihr Anliegen zu mobilisieren. Immer wieder treten landesweit kleine, mittlere und große Gruppen in Erscheinung, die populäre Lieder originell umtexten, um damit auf die mangelnde Qualität und den hohen Preis der Bildung sowie auf die Tatsache, dass Bildung in Chile ein kommerzielles Geschäft ist, hinzuweisen. Sie bedienen sich dabei eingängiger Pop-, Rock-, Latin- und Folkloresongs [Videos 11-14], sogar ein Requiem auf die »Trauernden der Bildung« [Video 15] wurde geschaffen. Der Kreativität, die sich vorrangig während der Universitätsbesetzungen kollektiv im Umdichten und Einstudieren entfaltet, ist keine Grenze gesetzt. [Video 16] So werden zum Beispiel für rote Ampelphasen auf dieses schmale Zeitfenster zugeschnittene Info-Konzerte entwickelt.
Inszenierung ist das A und O. Flashmobs und große Verkleidungsaktionen gibt es in allen Varianten. So gingen hunderte Superhelden unter dem Motto »mit vereinten Superkräften für Bildung in Chile« auf die Straße [Video 17]. An einem anderen Tag machten mehr als 3000 Zombies mit entsprechender »Thriller«-Choreographie auf das »Sterben der öffentlichen Bildung« aufmerksam [Video 18 und 19]. Auch zu Lady Gaga´s Lied »Judas« tanzten rund 500 Jugendliche im Zentrum der Hauptstadt [Video 20].
Während manche in kleinen Interventionen auf der Straße als Prediger auftreten [Video 21] und mit theatralischem Geschick für die Revolution eintreten, die notwendig sei, um dem Volk eine würdige Bildung zu ermöglichen, gehen andere als »Penner« auf die Straße [Video 22] und wiederholen stundenlang mit monotoner und weinerlicher Stimme »No tengo pa´ estudiar« (»Mir reicht´s nicht zum Studieren«). Als traurige Clowns Verkleidete deuten wiederum in den Märschen auf den schlechten Witz hin, der das chilenische Bildungsmodell darstellt. »Piraten« suchen indes den langersehnten Schatz, der die Bildung ausmacht und in Chile längst verloren gegangen ist.
Jack Sparrow auf der Suche nach dem Schatz: die verlorengegangene
öffentliche Bildung
Juni, Santiago de Chile, 2011
© Héctor Gonzalez de Cunco
Eine Gruppe von Student_innen aus der Universidad de Chile programmierte die Webseite YoDebo, auf deutsch: »Ich schulde« [der Account der Website ist inzwischen ausgesetzt; Red.]. Hier haben tausende Student_innen die Höhe ihrer Schulden aufgelistet, die sie aufgrund der Studienkredite in Kauf nehmen müssen. Mitte August hatten über fünftausend Eingeschriebene annähernd 140 Millionen Dollar Schulden zusammengetragen.
In den Protesten und Interventionen werden auch die Macht der Massenmedien sowie die einseitige und diffamierende Berichterstattung thematisiert. [Video 23] Auf die nackte Verzweiflung hindeutend, welche die Bildungskatastrophe bei der chilenischen Jugend auslöst, werden auch Proteste in Unterwäsche veranstaltet. [Video 24 und 25] Selbst zu einem symbolischen »Massenselbstmord« kam es.[Video 26] Viel spontaner versammelten sich aber auch immer wieder zahlreiche Gruppen zu sit ins vor staatlichen Gebäuden wie dem Kongress, dem Bildungsministerium oder dem Präsidentenpalast. [Video 27]
Eine aktuelle Studie der Universität Playa Ancha aus der Stadt Valparaíso belegt, dass zur Zeit 300.000 Student_innen an staatlichen Einrichtungen eingeschrieben sind. Die Studiengebühren aller ergeben zusammengerechnet im Jahr 1,8 Milliarden Dollar. Das entspricht einem Drittel des Budgets der chilenischen Streitkräfte. Um die Zahl 1.800 konzentrierten sich aus diesem Grund zahlreiche Protestaktionen.
»Mit Leidenschaft für die Bildung«
Juni 2011, Santiago de Chile
© Héctor Gonzalez de Cunco
1.800 Sekunden, mithin 30 Minuten lang, wurde im Rahmen des Besatón por la educación [Video 28] an den wichtigsten Plätzen Chiles geküsst. »Mit Leidenschaft für das Recht auf Bildung« war das Leitmotiv dieser öffentlichen Kussaktion, welche mehrmals wiederholt wurde und weltweit als Solidaritätskundgebung stattfinden soll.
»1.800 Minuten Sendung für die Bildung« war das Konzept von Journalismusstudent_innen, Akademiker_innen, Moderator_innen, NGO´s und anderen zivilen Akteuren. In diesem Übertragungs-Marathon wurde auf der Webseite tvparachile (TV für Chile) 1.800 Minuten lang in verschiedenen Formaten (Sendungen, Dokumentarfilme, Diskussionsrunden, usw.) sowohl über die historischen und aktuellen Forderungen rund um den Bildungssektor gesprochen, als auch über soziale Proteste in anderen Bereichen.
Eine Gruppe Studierender organisierte einen 1.800-stündigen Staffellauf um den Präsidentenpalast La Moneda [Video 29 und 30]. Auf freiwilliger Basis wurde ununterbrochen vom 13. Juni bis zum 27. August 2011 um die Moneda gerannt, mit einer Fahne, auf der »Kostenlose Bildung – jetzt!« zu lesen war. Damit sollte signalisiert werden, dass die staatliche Finanzierung der Bildung von den Repräsentanten des Staates zwar als eine unrealistische, »verrückte Idee« bezeichnet wird, tatsächlich aber nur auf einer politischen Entscheidung beruht, nicht auf ökonomischen Unwägbarkeiten. Nach 75 Tagen ununterbrochenem Lauf, an dem sich über 4.000 Menschen beteiligten, die zusammengerechnet ungefähr 30.000 Kilometer zurücklegten, hatten die Studierenden zumindest eindringlich demonstriert, dass ihre »absurde Idee« eines 1.800-stündigen Marathons durch den Willen vieler Läufer möglich war: Wieso sollte dann eine öffentliche, hochwertige und kostenlose Bildung nicht auch möglich sein? Andere Student_innen übernahmen die Aktion und veranstalteten weitere gemeinschaftliche Läufe landesweit, wobei sie in jeder Stadt, die sie durchliefen, 180 Minuten rannten und in der Summe wiederum auf 1.800 Kilometer kamen.
»1.800-Kilometer-um-den-Präsidentenpalast-Rennen für die Bildung«
Juli 2011,
Santiago de Chile
© Héctor Gonzalez de Cunco
Die Regierung hat auf den Konflikt eher unbeholfen reagiert. Zunächst stellte sie sich taub, ignorierte die Proteste oder redete diese klein. Als Ende Mai die Massenproteste noch größeres Ausmaß annahmen, eine Reihe von Schulen sowie die Mehrheit der Universitäten des Landes besetzt waren und Märsche mit hunderttausenden Teilnehmer_innen veranstaltet wurden, halfen auch die besten Oro-Pax und polemische Kriminalisierungskampagnen in den Medien nicht mehr.
Der inzwischen abgesetzte Bildungsminister Joaquín Lavín, Opus Dei und selbst jahrelang als Unternehmer am illegalen Hochschulbildungsgeschäft beteiligt, unterbreitete einen als nationales Abkommen getarnten unilateralen Vorschlag (GANE), der keineswegs auf die Forderungen der Bewegung einging und von dessen Vertreter_innen deshalb uni sono abgelehnt wurde. Als Demobilisierungsstrategie wurden vom Bildungsminister zunächst die Winterferien in den besetzten Bildungseinrichtungen vorverlegt, was die betroffenen Jugendlichen mit Humor parodierten, indem sie im tiefsten Winter vor dem Bildungsministerium und der Kathedrale in Santiago eine Strand- und Sommerferienatmosphäre [Video 31] aufkommen ließen.
»Gefahr: Bullen an der Arbeit«
19. Oktober 2011 in Santiago de Chile
© Leonor Abujatum Berndt
Von Anfang an wurden die Protestierenden in den Medien pauschal als Gewalttäter diskreditiert, während die Polizei auf den Straßen keinen Unterschied zwischen friedlichen Jugendlichen und Randalierern machte und völlig unangemessene Gewalt anwandte, um die Demonstrationen zu zerschlagen. [Video 32] Gegen Ende der Märsche kommt es immer wieder vereinzelt zu Ausschreitungen - Deutlich häufiger als zu Beginn werden in den letzten Wochen seitens Vermummter Barrikaden angezündet, Steine gegen Uniformierte geworfen und Farbgläser auf die Polizeiautos geschmissen. »Nieder mit dem gewaltsamen Finanz-Terror-System« lautet die Parole. Vielen scheint der Kragen geplatzt zu sein aufgrund der Untätigkeit der Regierung, den Konflikt zu lösen, und der Anmaßungen der Polizei. [Video 33] Diese agiert provokativ statt deeskalierend und setzt Gewalt auch gegen Unbeteiligte, Kinder und Jugendliche ein, so dass sich UNICEF und andere Organisationen veranlasst sahen, dagegen offiziell Protest einzulegen.
Die Regierung erklärte im Juli 2011 durch den Innenminister, die Zeit der Proteste sei vorbei und drängte darauf, die Mobilisierungen zu beenden, bevor der Dialog beginnt. Einige Märsche und Demos wurden seitdem entweder gänzlich verboten und mit aller Kraft verhindert oder sind nur mit einer veränderten Route in letzter Minute zugelassen worden. Auch genehmigte Demonstrationen werden ohne offensichtlichen Grund, dafür aber mit harter polizeilicher Brutalität beendet. [Video 34] Die Gewaltstrategie des Staates ging nicht auf, die Bewegung nahm aufgrund der Eskalation sogar noch zu. Aufgrund der zugespitzten Situation wurde Mitte Juli der Bildungsminister ausgetauscht. Seitdem hat der vorherige Justizminister Felipe Bulnes das Bildungsgeschäft übernommen.
Begleitet von Hungerstreiks, die von minderjährigen Schüler_innen Ende Juli 2011 initiiert wurden, nach hunderten Besetzungen von Schulen und Universitäten samt gewaltsamen Räumungen [Video 35], nach mehreren Generalstreiks, nach unzähligen Massenmärschen, vielen Solidaritätsbekundungen seitens der chilenischen Bevölkerung sowie auch international [Video 37, 38 und 39 (Kommentar von Axel Honneth, Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung)] und nachdem das erste Todesopfer, ein 16-jähriger Junge, in der Nacht nach dem Generalstreik Ende August 2011 zu beklagen war - er wurde von einem Polizisten erschossen - lenkte die Regierung Piñeras nach vier Monaten Anfang September endlich ein und öffnete den Weg zum Dialog. Die Sprecher_innen der Protestbewegung hatten lange zuvor einen Dialog mit der Regierung an die Bedingungen geknüpft, dass an einem solchen die studentischen und schulischen Vertreter_innen sowie die der Lehrerschaft beteiligt sein müssten, und dass das Bildungssystem als solches analysiert und diskutiert werde.
Trotz anhaltender Proteste setzten sich am 3. September zum ersten Mal die Vertreter_innen der Bewegung mit dem Präsidenten und dem Bildungsminister an einen Tisch und begannen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, wie es von offizieller Seite zur Bedingung gemacht wurde, mit den Gesprächen. Es war damit höchste Zeit, denn die »Beliebtheit« der Regierung war in Umfragen des Forschungszentrums CEP in der Bevölkerung auf ein historisches Tief von 23 Prozent gefallen. Die Verhandlungsrunden wurden allerdings von den nachfolgenden, sich überschlagenden Ereignissen in den Schatten gestellt:
14. Juli 2011 in Santiago de Chile
© Héctor Gonzalez de Cunco
Präsident Piñera hielt am 22. September 2011 vor der UN eine Rede, in der er hervorhob, dass »in den letzten Wochen [Wochen, nicht Monaten!; LAB] Tausende chilenische Jugendliche auf die Straße gegangen seien, um für eine edle, wundervolle und legitime Sache, wie es eine qualitative Bildung für alle ist, zu demonstrieren, die ihnen erlaubt, Protagonisten und nicht nur Zuschauer dieser Wissens- und Informationsgesellschaft zu werden.« Am gleichen Tag durften diese »ehrenvollen Jugendlichen« landesweit erneut die Polizeigewalt erfahren.
Am 29. September 2011 fand die erste Dialogrunde statt, am 5. Oktober die zweite - und letzte. Der Regierung war vor allem wichtig, dass die Mobilisierungen enden und das zweite Semester regulär und flächendeckend begonnen wird. Als Druckmittel wurden im Vorfeld die Stipendien, die eigentlich für das ganze Jahr zugesprochen werden, gestrichen, wodurch mindestens zehntausend Studierende, die Verpflegungszuschüsse vom Staat bekommen, momentan auf solidarische Volksküchen angewiesen sind. Zudem wurden die Lehrergehälter der besetzten Schulen nicht an die Gemeinden ausgezahlt.
Die Vetreter_innen der Bewegung wollten unter anderem das Bildungsbudget für 2012 diskutieren, welches zeitgleich von der Regierung als große Sache dargestellt wurde und nun im Kongress beschlossen werden soll. Es hieß, es sei das größte Budget, das jemals in Chile dem Bildungssektor zugewiesen wurde, und ein wichtiger Sprung nach vorn. Ein Großteil der Gesellschaft sah dies aber differenzierter: Zugegeben, es ist zwar ein höheres Budget als jemals zuvor, aber man darf nicht vergessen, dass das Budget in den letzten Dekaden von Jahr zu Jahr immer zugenommen hat. Es ist daher genauso wenig überraschend, wie die Tatsache, dass man jährlich ein Jahr älter wird. Auch das Budget für 2013 wird, wenig überraschend, höher sein, als das so eben für 2012 beschlossene. Das Perfide besteht darin, dass das Budget für Bildung im kommenden Jahr tatsächlich einen Rückschritt darstellt, weil dessen Wachstumsrate im Vergleich zu den letzten sechs Jahren sogar um die Hälfte geschrumpft ist und nur noch um sieben statt wie bisher um 15 Prozent steigt.[6]
Parallel zu den Verhandlungsrunden und den hoffnungsvollen Worten des Präsidenten in Bezug auf das Budget und vor der UN, hat die Regierung in Windeseile ein Gesetz entworfen, welches die »soziale Sicherheit« bewahren soll. Wenige Tage vor dem zweiten Verhandlungstermin wurde es unterzeichnet und eingereicht. Dieses Gesetz ist als »ley (Gesetz) Hinzepeter« bekannt geworden, in Anlehnung an den Innenminister Rodrigo Hinzpeter. Es sieht eine drastische Erhöhung der Strafen für Vermummte und Plünderer auf Demonstrationen vor, ebenso derjenigen, die ein Gebäude auf »illegale Weise« besetzen. Die Strafen liegen zwischen 541 Tagen und drei Jahren Haft. – Man fragt sich nur, wie eine Besetzung auf legale Weise vorsichgehen könnte... Zudem sind härtere Strafen für Menschen vorgesehen, die sich allgemein den Anweisungen der Polizei widersetzen, sie diffamieren oder sich Festnahmen verweigern, sowie für Menschen, die im Rahmen einer Demonstration den normalen Straßenverkehr gefährden. Die Vertreter_innen der Bildungsbewegung zeigten sich enttäuscht darüber, dass die Regierung mehr Zeit und Energie darauf verwendet, die sozialen Bewegungen zu kriminalisieren und zu provozieren, statt der Bildungsmisere auf den Grund zu gehen und offen und mit gutem Willen in einen Dialog zu treten, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
»Wir Großeltern unterstützen unsere Enkel«
18. August 2011, Santiago de Chile
© Héctor Gonzalez
de Cunco
Die Ersten, die den Verhandlungstisch wieder verlassen haben, waren die Vertreter_innen der technischen Institute, gefolgt von den Schüler_innen (denn auf ihre Forderungen wurde überhaupt nicht eingegangen), den Studierenden und dem Lehrerverband. Sie alle kritisieren, dass die Regierung nur Versprechen vor ausländischen Kameras mache, sich aber konstruktiven Gesprächen verweigere. Statt die vier Monate anhaltenden Proteste zu nutzen, ein tragfähiges Bildungskonzept zu entwerfen, habe die Regierung das GANE-Konzept von Ende Mai 2011 mit leichten Veränderungen erneut präsentiert. Obwohl dieses Projekt in der Tat einige Verbesserungen vorsieht (niedrigere Zinsen der Studienkredite, Aufstockung der Stipendienvergabe, usw.), handelt es sich um die Fortsetzung des elitären und ausgrenzenden Bildungssystems, welches vor dreißig Jahren eingeführt wurde. Das Interesse der Bewegung besteht aber längst nicht mehr darin, an dem vorhandenen Bildungssystem herumzudoktern und geringfügige Verbesserungen zu erreichen, aber die bestehenden Ungleichheiten im wesentlichen unangetastet zu lassen, sondern sie möchte Bildung zu einem wirklichen Recht machen, dessen Qualität und Zugang nicht von der Größe des Geldbeutels abhängt. [Video in Fußnote 7] Die Regierung argumentiert aber immer wieder damit, dass eine kostenlose Bildung nicht möglich sei, weil es ungerecht wäre, wenn die Armen die Bildung der Reichen durch ihre Steuern mitfinanzieren müssten.
Nach Abbruch der Verhandlungen Anfang Oktober 2011 erklärte Camila Vallejo im Namen der Vertreter_innen der Protestbewegung, sie könnten sich nicht mit solch einfachen und verzerrten Darstellungen abservieren lassen. Das Thema sei viel zu ernst dafür, und es ginge ihnen darum, dass diese fünf Prozent der Wohlhabenden, die sich heutzutage und unter den gegenwärtigen Gegebenheiten überhaupt Bildung ohne Verschuldung leisten können, durch höhere Steuern ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten. Die Gelder und Strukturen sollen auf das Wohl der großen Mehrheit der Bevölkerung ausgerichtet werden. Das Ziel sei es, Schritt für Schritt in die Richtung eines fairen und solidarischen Bildungssystems zu schreiten.
Inzwischen fanden seit Mai nahezu 40 große Bildungsproteste statt. Am 6., 18. und 19. Oktober 2011 kam es nach friedlichen Protesten [Video 40] erneut zu heftigen Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten – nachts ertönten wieder die Töpfe. Minister Hinzpeter sah dies als weiteres Argument für die Verabschiedung seines Gesetzes, denn es könne nicht sein, dass »Plünderer« das Land beherrschen. Die Vertreter_innen der Bewegung zeigten sich empört und erwiderten, der Minister täusche sich, denn die Plünderer im großen Stil würden schon längst das Land beherrschen.
Das Volk fordere, dass die wirklichen Plünderer die Bildung mitfinanzieren, anstatt das Land auszuplündern und nichts zum Gemeinwohl beizutragen. Abgesehen von den vielen Umfragen, die eine hohe Zustimmung für die Ziele der Bewegung belegen, wurde ein selbstorganisiertes Plebiszit, welches am 8. Oktober 2011 endete, von verschiedenen Gruppierungen im Internet und in den meisten Städten des Landes abgehalten. An der »Volksabstimmung«, die nicht bindend war, da sie in der Verfassung nicht vorgesehen ist, haben sich etwa zehn Prozent der Bevölkerung beteiligt. Das Ergebnis der Abstimmung ist eindeutig gewesen: Die überwältigende Mehrheit hat sich für die Forderung der Protestbewegung ausgesprochen. Man sollte meinen, dass ein solch klares Votum die Regierung zum Nachdenken bewegen müsste. Bisher jedoch hoffte man darauf vergebens.
Verschiedene Politiker_innen der Regierung bezeichneten die Sprecher_innen der Protestbewegung als Radikale und Ultras, mit denen nicht verhandelt werden könne, weil sie überideologisiert und unnachgiebig seien. Es wird vor allem darauf hingewiesen, dass die Sprecherin der Studierenden, Camila Vallejo, Mitglied der Kommunistischen Partei Chiles ist und es wird auf Neuwahlen gedrängt. Dabei wird komplett verkannt, dass die Studentin wie auch die anderen Vertreter_innen demokratisch gewählt sind und dass das, was Vallejo öffentlich kommuniziert, das Ergebnis von ebenso demokratischen Abstimmungen ist und keine persönliche Meinung Einzelner.
Als Kopf der Bewegung gilt, neben dem Lehrerverband, der Assoziation der Schüler_innen und der technischen Institute, eben auch die Confech. Diese ist die Konföderation der Student_innen Chiles und vereint Studierende der traditionellen Universitäten (etwa 25 staatliche und halbstaatliche Hochschulen des Consejo de Rectores), die wiederum in demokratisch gewählten Föderationen organisiert sind.[8] Die vor zehn Jahren gegründete Confech ist die einzige Student_innenorganisation auf Landesebene. Die 23-jährige Geografiestudentin Camila Vallejo ist die erste Frau, die das Präsidentenamt der Universidad de Chile (Fech) erreicht hat und zudem Sprecherin der Confech ist. Zusammen mit Giogio Jackson, dem Vertreter der Universidad Católica, sind sie zum Gesicht der Bewegung geworden. Sie finden klare Worte, bringen in Debatten gestandene Politiker_innen durch ihre Rhetorik und Argumentationskraft zum Schwitzen, nehmen kein Blatt vor den Mund und sind voller Energie. Sie sind zu Hoffnungsträgern geworden, umso mehr, seitdem sie, wie im Falle von Vallejo, Morddrohungen bekamen und trotzdem bei den Märschen immer ganz vorn dabei sind. Bis zum 19. Oktober befanden sich beide, zusammen mit zwei weiteren Vertretern der Bewegung, in Europa. Sie kontaktieren internationale Beobachter_innen und haben Termine für Vorträge und Gespräche in verschiedenen Universitäten sowie mit der Kommission für Bildung im Europäischen Parlament, der Kommission für Menschenrechte der UN in Genf und der OECD wahrgenommen. In Frankreich trafen sie sich mit dem renommierten Soziologen und Philosophen Edgar Morin und mit Stéphane Hessel, Verfasser der Streitschrift »Empört Euch!«.
»›Ich verarsche Dich‹, sagen der damalige
Bildungsminister Lavín und Innenminister Hinzpeter«
Juni 2011, Santiago de Chile
© Héctor Gonzalez
de Cunco
Die chilenische Assoziation der Berichterstatter_innen internationaler Presse sowie »Journalisten ohne Grenzen« zeigen sich anlässlich der sozialen Proteste besorgt über die kontinuierlichen Angriffe auf die Presse- und Meinungsfreiheit in Chile durch die Polizei im Laufe der letzten zwei Jahre und besonders seit 2011. Verschiedene Journalist_innen und Fotograf_innen wurden in Chile in letzter Zeit grundlos angegriffen und festgenommen, gerade erst wieder am 6. Oktober. In der Regel verfrachtet man sie mit aller Gewalt in ein Polizeiauto, löscht ihre Ton- und Bildarchive und setzt sie anschließend wieder auf freien Fuß, ohne dass die Festnahme irgendwo dokumentiert wird - außer mit den Kameras der Kolleg_innen. [Video 41: Angriff auf einen Deutschland-Korrespondenten und Festnahme seines Kollegen am 4. August 2011; sowie Video 42: Angriff auf einen Kameramann (Kopfnuss seitens eines Polizisten) und Festnahme des Journalisten Patricio Narvaez von Chilevisión am 6. Oktober 2011] Die Regierung verfolgt im Rahmen des so genannten »Hinzpeter-Gesetzes« unter anderem auch das Ziel, die internationale Presse zu nötigen, jegliches audiovisuelles Material der Polizei zu übergeben, und zwar ohne gerichtliche Verfügung. Die Assoziation wandte sich unter anderem an Frank La Rue, den UN- Sonderbeauftragten für Meinungs- und Pressefreiheit und das UN- Menschenrechtshochkommissariat.
Am 18. und 19. Oktober 2011 fand wieder ein Generalstreik statt. Zwei Vertreter_innen konnten außerdem zur Mittagsstunde die offiziellen Ergebnisse des Plebiszits im Präsidentenpalast einem Minister überreichen, nachdem die Polizei sie lange aufgehalten hatte. Studierende, Lehrer_innen, Umweltaktivist_innen, die Central Unitaria de Trabajadores CUT (der wichtigste Gewerkschaftszusammenschluss) sowie unzählige Organisationen und Gruppierungen hatten dazu aufgerufen, sich am Mittwoch, dem 19. Oktober an den Märschen massiv zu beteiligen. Landesweit waren es beeindruckende 300.000 Menschen - die Bewegung lässt nicht nach.
Am 20. Oktober 2011 sollte zur Mittagsstunde das Bildungsbudget für 2012 im ehemaligen Kongressgebäude in Santiago de Chile mit den Senatoren und dem Bildungsminister diskutiert werden. Ungefähr 60 Personen, darunter Schüler_innen, Eltern, Studierende, Umweltschützer_innen, queer-feministische und andere zivile Organisationen, besetzten das Gebäude [Video 43], nachdem drei Frauen den Polizisten am Eingang mit einer festen Umarmung für einen Moment unbeweglich machen konnten; sie waren imstande, die Sitzung zu unterbrechen [Video 44] und forderten ein Referendum zum Thema Bildung sowie die Aufnahme bindender Volksabstimmungen in die Verfassung. Vor dem Gebäude wurden zwar von der Polizei die Straßen abgesperrt, sie konnte dennoch nicht verhindern, dass sich hunderte Protestierende versammelten, um die Aktion zu unterstützen. [Video 45]
Die Empörung in Chile richtet sich nicht nur gegen das Vorgehen der jetzigen Regierung. Es handelt sich um eine viel systemischere Kritik, die verschiedene Institutionen mit einbezieht (Kongress, Parteien, Polizei, usw.). Die Forderungen können zusammengefasst werden in mehr Gleichheit, Zugang zu Bildung, Transparenz und Beteiligung. Der irische Politiker, Dramatiker und Pazifist Georg Bernard Shaw hat einmal geschrieben: »Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider. Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft, während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung, sie passten heute noch«. Bleibt zu hoffen, dass die Protestbewegung den langersehnten und bitter nötigen Paradigmenwechsel in der chilenischen Bildungspolitik erreicht. Die Maßstäbe für Bildung können im heutigen Chile nicht die gleichen sein wie unter einem autoritären Regime inmitten des Kalten Krieges, vor allem nicht, wenn das System nach über dreißig Jahren nicht die versprochenen Erfolge sondern nur mehr Ungleichheit fördert.
Möge im gebeutelten Chile der vernünftige Schneider siegen.
Leonor Abujatum Berndt absolvierte das Studium der Spanischen Philologie, Neueren Geschichte und Politikwissenschaften und promoviert am Institut für Romanistik der Universität Potsdam über »Erinnerungen chilenischer Romane als Beitrag zur Vergangenheitsaufarbeitung«. Zurzeit befindet sie sich auf einem Forschungsaufenthalt in ihrer Heimatstadt Santiago de Chile und begleitet dort die studentischen Proteste. Kontakt über die Redaktion.
20. Oktober 2011
[1] Die OECD brachte vor wenigen Tagen eine Studie heraus, laut der Chile innerhalb der Mitgliedsstaaten an letzter Stelle steht, was Einkommenshöhe, Umweltqualitäten und Bildungsniveau angeht.
[2] Am 11. Juli 1971 wurde im Kongress einstimmig beschlossen, das chilenische Kupfer, den »Lohn Chiles«, wie Salvador Allende das rote Metall nannte, zu verstaatlichen. Elf Jahre später, im Jahr 1982, wurde während Pinochets Diktatur im Zuge der schockartigen Neoliberalisierung, wie sie von den Chicago-Boys angeleitet wurde, ein Gesetz erlassen, welches den Weg zur Privatisierung des Kupfers ebnete. In den beiden Jahrzehnten, in denen das Mitte- Links-Bündnis Concertación an der Macht war, wurden schließlich weitere Gesetze erlassen, welche Konzessionen an multinationale Firmen ohne Erhebung zusätzlicher Steuern ermöglichten, so dass heutzutage nur rund 26 Prozent der Kupferbestände in staatlicher Hand verbleiben, während der Rest an private, vorrangig ausländische Konzerne quasi verschenkt wird. Dabei wären staatliche Einnahmen aus dem Kupferabbau bitter nötig, nicht nur um die öffentliche Bildung zu finanzieren, sondern auch um das marode Gesundheitswesen zu sanieren und das kaum vorhandene Sozialsystem weiter auszubauen.
[3] Siehe die Fälle von Alto Bío Bío, Pascua Lama, Hidroaysén-Patagonia sin represas, Punta de Choros usw.
[4] Siehe PDF-Dokument auf elmostrador.cl.
[5] Um 21 Uhr beginnen in Chile die Nachrichten. Mit den cacerolazos, die immer um diese Uhrzeit stattfinden, wird nicht nur Solidarität gegenüber der Bewegung gezeigt, sondern auch den Medien signalisiert, dass ihre verfälschte Darstellung der Ereignisse nicht glaubhaft ist.
[6] Vergleiche Tabellen des Wirtschaftsministeriums.
[7] Siehe SPIEGEL-Video.
[8] Wie die Erklärung der Confech lautet, werden die Beschlüsse horizontal und in offenen, regelmäßigen Sitzungen getroffen. In diesen nimmt das Präsidium der jeweiligen Föderationen teil und vertritt dort die Beschlüsse, die von ihren Föderationen verabschiedet wurden. Jede Föderation hat eine Stimme, seit diesem Jahr auch die Föderation der Mapuche-Studierenden. Vergleiche: confech.wordpress.com.
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sopos 10/2011