Zur normalen Fassung

Unsere Hilfe als Drohung

Über die Wirkung von "Entwicklungshilfe" und "Demokratieförderung" in der arabischen Welt

von Peter Schäfer

Spätestens seit den Rücktritten von Tunesiens Präsident Zine El Abidine Ben Ali und Ägyptens Hosni Mubarak sprechen die USA, die Europäische Union und einige ihrer Mitgliedsstaaten davon, den "demokratischen Wandel" in diesen Ländern unterstützen zu wollen. Das klingt nach einem Umdenken in den westlichen Staaten. Als würde man jetzt einsehen, dass die enge Kooperation mit den ehemaligen Diktatoren falsch, man aber nun ehrlich gewillt war, dem Streben nach Demokratie und Freiheit zum Durchbruch zu verhelfen.

Für viele Menschen in der Region sind diese Hilfsversprechen jedoch eine Drohung, da sie den bekannten Interessen der Europäischen Union und der USA - Verhinderung "illegaler" Einwanderung, freier Zugang zu den Rohstoffen der Region, Sicherheit Israels, "Krieg gegen den Terror" - eigentlich zuwider laufen. Ungleiche, also für den Westen profitable Handelsbeziehungen können nur aufrecht erhalten werden, wenn die Regierungen der rohstoffliefernden Staaten kooperieren. Und der "Krieg gegen den Terror", unter dem in der Praxis vor allem die Zivilbevölkerung in den angegriffenen Ländern leidet, kann nur weitergeführt werden, wenn sich zumindest einige der regionalen Regierungen daran beteiligen, durch politische Billigung, geheimdienstliche Zusammenarbeit, finanzielle Unterstützung oder durch die Bereitstellung von Militärstützpunkten.

Es liegt auf der Hand, dass demokratische arabische Regierungen, also solche, die unter anderem die Mehrheitsmeinung ihrer Bevölkerung repräsentieren, zu dieser Art von Zusammenarbeit mit dem Westen nicht mehr bereit sein werden. Die Frage ist jedoch, ob sie eine andere Chance haben.[1] Regierungen, Wirtschaftssysteme, einzelne Unternehmen, der Nichtregierungssektor in der Region: in unter- schiedlichen Ausmaßen sind sie von Krediten und anderen Finanzhilfen aus dem Westen abhängig bzw. dadurch gebunden. Dieses System zu verändern, wäre ein Schritt mit weit reichenden Konsequenzen, vor allem für ein individuell handelndes Land.

Deshalb klingen die westlichen Unterstützungsabsichten für die ägyptische und tunesische Demokratiebewegung in den Ohren der Beteiligten wie Säbelrasseln.

Aktuelle ausländische Einmischung in arabische Angelegenheiten und die Stützung repressiver Regime wird in der Region durchaus in eine ununterbrochene Reihe (neo-)kolonialer Politikansätze der Geschichte gesehen. Direkte oder indirekte europäische Kolonialherrschaft ist Teil der Vergangenheit aller arabischen Staaten. Direkte britische Kontrolle reichte gar bis in die 1960er Jahre, die aktive Erinnerung daran ist also noch groß. Europäer setzten in einigen Staaten sogar noch die ersten "unabhängigen" Regierungen ein, die Kontakte zu Teilen der alten Eliten wurden weiter gepflegt. Und über ökonomischen und/oder militärischen Druck beeinflusst der Westen das Verhalten der regionalen Staaten bis heute aggressiv. Die noch anhaltenden Waffengänge gegen den Irak und Afghanistan sind hier nur die augenscheinlichsten Beispiele.

Die Entdeckung der Zivilgesellschaft

Nach dem Ende des Kalten Kriegs entdeckte der Westen die arabische "Zivilgesellschaft" oder vielmehr deren scheinbar notwendigen Aufbaubedarf. Methoden, wie sie etwa vom US-amerikanischen Kongress für kulturelle Freiheit bis Ende der 1960er Jahre in Westeuropa im Kampf gegen den Kommunismus eingesetzt wurden, kamen nun in der arabischen Welt zum Einsatz. Dabei blieb das westliche Verständnis von den Zivilgesellschaften in der arabischen/islamischen Welt stets sehr eng. Es geht meist nicht um Parteien, Gewerkschaften und andere gesellschaftlich verankerte Zusammenschlüsse, sondern um Menschenrechtsorganisationen und andere thematische Initiativen, in denen Menschen heute nicht mehr ehrenamtlich, sondern hauptberuflich arbeiten.

Diese Organisationen sind teils seit Jahrzehnten aktiv, haben ihre Wurzeln in einer politischen Bewegung und machen sehr notwendige Arbeit hinsichtlich der Kontrolle ihrer Regierungen, der Vermittlung fortschrittlicher Werte, in Politik und Kultur. Sie sind jedoch normalerweise höchstens lose miteinander vernetzt, administrativ, vor allem in patriarchalen Gesellschaften wie den arabischen, auf Einzelpersonen zugeschnitten und in dieser unkontrollierten Form in ihrer politischen Ausrichtung sehr anfällig gegenüber anderen Anreizen. Traditionell basierte dieser Sektor auf ehrenamtlicher Arbeit und der Unterstützung der repräsentierten Bevölkerungs- oder Interessengruppe. Die nun verfügbaren beträchtlichen westlichen Finanzmittel veränderten diesen Sektor jedoch tiefgreifend.

Heute ist ein Großteil der von ausländischen Institutionen finanzierten und von lokalen NGOs durchgeführten Projekte im engen Zusammenhang mit dem "Krieg gegen den Terror" und der Zunahme islamophober Politik insgesamt zu sehen. Hinter den Etiketten "Entwicklungshilfe" und "Demokratie- förderung" verbirgt sich allzu oft eine vielschichtige Unterstützung für ein unterdrückerisches Regime, bei gleichzeitiger Hilfe für Nichtregierungsorganisationen, die zwar eine wichtige, aber feigenblättrige Beobachterfunktion für das Ausland spielen, in ihren eigenen Gesellschaften jedoch wenig Einfluss haben. Es lohnt sich finanziell, eine NGO zu gründen oder in einer zu arbeiten. So sind einige NGO- Chefs und ihre höheren Angestellten auf Grund ihres Einkommens heute Teil der oberen Mittelklasse in vielen regionalen Staaten.

Rechenschaftspflichtig ist dieser Teil der Zivilgesellschaft nicht (mehr) gegenüber ihrer Gesellschaft oder ihrem (ehemaligen) politischen Zusammenhang, sondern gegenüber der ausländischen Geberorganisation. Solche NGOs haben Geld und internationale Beziehungen. Aber jenseits dieses relativ kleinen Kreises direkter Nutznießer finden sich in den betreffenden Gesellschaften oft nur wenige, die das Engagement und die Arbeitsschwerpunkte einer ausländischen Institution politisch begrüßen. Im Ergebnis sieht die Wirkung der Interventionen westlicher Organisationen über NGOs in der arabischen Welt so aus:

Fortschrittliche Politik wird delegitimiert

Ein Großteil der westlich unterstützten NGOs entstammt der gesellschaftlichen Linken. So kommt es zum nur scheinbar verqueren Phänomen, dass auch streng konservative Organisationen aus dem Westen arabische Kommunisten unterstützen.

Wenn fortschrittliche, linke Menschen mit dem Geld politisch anders denkender Geber arbeiten, ist das nicht nur in der arabischen Welt verdächtig und die von der NGO angebotenen fortschrittlichen Inhalte werden von vielen zurückgewiesen. Das hat beispielsweise hinsichtlich der Stärkung von Frauenrechten in Palästina dazu geführt, dass, so die lokale Kritik, der extern finanzierte Diskurs abgelehnt wurde und sich die Beteiligten Organisationen zuwandten, die als glaubwürdiger empfunden werden, nämlich Vertretern des politischen Islams.

Im Irak ist die ausländische Einmischung über lokale NGOs am augenfälligsten. Die dort zum allergrößten Teil erst nach 2003 (außer Kurdistan) entstandenen Organisationen werden als ziviler Arm der Kriegsführung instrumentalisiert, direkt finanziert und politisch geschützt von der US- Regierung und ihren Alliierten. Damit kommen Inhalte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit automatisch in den Ruch, nur die Hülle für eigentlich ganz andere Interessen zu sein.

"Effektives Krisenmanagement erfordert einen umfassenden politischen, zivilen und militärischen Ansatz", formuliert die NATO in ihrer Strategie vom Dezember 2010 und macht damit die staatliche Unterstützung für NGOs nun offiziell Teil ihrer Militärpolitik. "Die Allianz wird mit anderen internationalen Akteuren vor, während und nach Krisen aktiv zusammenarbeiten."

Fortschrittliche Parteien und andere Basisorganisationen werden geschwächt

Die Delegitimierung fortschrittlicher Werte wie Meinungsfreiheit und Gleichstellung der Geschlechter führt auch zum Vertrauensverlust in die lokalen linken Parteien. Darüber hinaus werden diesen die fähigsten Mitarbeiter entzogen. Eine NGO bezahlt schlicht besser. Sie leistet zudem einen Großteil der sozialen Arbeit, die Parteimitglieder vormals ehrenamtlich erledigten, was einmal zur Attraktivität der Linken beitrug. Das hinterlassene Vakuum konnte in vielen Gesellschaften wiederum von religiösen Wohlfahrtsorganisationen effektiv gefüllt werden.

Diese Nebenwirkungen werden von den ausländischen Durchführungsorganisationen nur selten entdeckt. Die einzelnen, selbst verfassten Projektberichte stellen meist sehr positive Ergebnisse dar. Und eine externe Evaluation (im Auftrag der Durchführungsorganisation) wird auch von Institutionen und Menschen gemacht, die vom Entwicklungshilfegeschäft beruflich abhängig sind. Bei Nichtgefallen können diese Berichte verändert oder eingestampft werden. Insgesamt wurde die Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern des arabischen Raums bisher kaum unabhängig bearbeitet.

Die Rückkopplung im Westen

Der westliche Hilfsansatz für den arabischen Raum sorgt jedoch auch in den Herkunftsländern für negative Wirkung. So stellen die schwerpunktmäßig unterstützten genehmen staatlichen und nicht- staatlichen Akteure auch die wesentlichen Kontakte zu diesem Teil der Erde dar. Sie bestätigen, oft wegen ihrer Abhängigkeit vom Westen, bequem dessen Sichtweisen und Ängste, wie beispielsweise die vor dem politischen Islam. Direkte Kontakte mit Vertretern der sehr heterogenen politischen Strömungen des Islamismus finden nur im Ausnahmefall statt. So werden uns der politische Islam, dessen Anhänger und deren Motivationen von dessen Gegnern, den uns genehmen Arabern, scheinbar neutral erklärt.

So kann eben auch eine undemokratische Regierung als Bollwerk gegen den Islamismus leicht mit westlicher Hilfe rechnen. Wie kürzlich bekannt wurde, ging beispielsweise die ägyptische Regierung sehr weit, um sich dieser zu versichern. Derzeit wird gegen den abgesetzten ägyptischen Innenminister Habib El-Adly wegen des Verdachts ermittelt, hinter dem Bombenanschlag auf eine Kirche in Alexandria zu stecken, bei dem am 31. Dezember 21 Menschen starben. Die Regierung machte damals "islamische Extremisten mit Verbindungen zu Al-Qaida" für den Anschlag verantwortlich.

Alle wohlklingenden westlichen Bekundungen zur Freundschaft mit "den Muslimen" wurden bisher nicht mit Inhalt gefüllt. Der proklamierte "Dialog mit dem Islam" stellte sich bisher nicht nur als Gesprächsreihe unter Gleichgesinnten dar, bei dem Streitpunkte kaum zur Sprache kamen. Darüber hinaus wurden damit auch alle Menschen in der gesamten Region von Marokko bis Pakistan mit einem Schlag zu Muslimen gemacht, zu Menschen, deren Leben völlig nach spirituellen Kriterien organisiert zu sein scheint, stets darauf aus, einem offenbar gewalttätigen Gott zu dienen. Die wirklichen Menschen in den verschiedenen Gesellschaften und ihre Kontexte sind so jedenfalls nicht zu verstehen.

Soll die Beschäftigung mit dem arabischen Raum in Wissenserlangung resultieren, muss sich zunächst die Einstellung gegenüber dieser großen und diversen Region ändern. Der Grund für Konflikte, auch innergesellschaftliche, ist nicht in der Konfrontation verschiedener Religionen zu suchen, auch wenn dieser Punkt von religiös motivierten Akteuren (in der arabischen Welt und im Westen) betont wird. So sind weder die Spannungen zwischen Sunniten bzw. Christen und der schiitischen Hisbollah im Libanon religiöser Natur, noch der Krieg zwischen dem islamischen Norden und dem nicht-islamischen Süden im Sudan. Konflikte wie diese sind auf soziale Ungleichheit zurückzuführen, die von ausländischen Akteuren teils massiv befeuert werden.

Wenn sich diese westlichen Einstellungen nicht ändern, werden die angekündigten massiven Hilfen für die arabischen Demokratiebewegungen voraussehbar nicht zur Schaffung demokratischer, menschenrechtsfreundlicher Systeme führen.

Anmerkung

[1] Am 20. Juni erklärte die ägyptische Planungsministerin, Fayza Abul Naga, dass ihre Regierung einen Weltbank- Kredit zurückweise. Die daran geknüpften Bedingungen seien mit den Zielen der Revolution nicht kompatibel (siehe: http://www.masryalyoum.com/en/node/469888). Einzelheiten oder Konsequenzen dieses Schritts sind jedoch nicht bekannt.

Peter Schäfer leitet das Büro der Rosa Luxemburg Stiftung in Ramallah und ist zuständig für Kooperationen in Palästina und Ägypten.
Der Text ist die leicht aktualisierte Version des ak-Artikels vom 18. März 2011.

Zur normalen Fassung


https://sopos.org/aufsaetze/4e14e54f688c0/1.phtml

sopos 7/2011