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Thomas Morus – Urvater des Kommunismus und katholischer Heiliger

Rezension

von Joachim Wink

"Wenn’s einmal den Marx gelesen haben..."


Gerald Munier, Thomas Morus. Urvater des Kommunismus und katholischer Heiliger, Hamburg (VSA-Verlag) 2008, 327 Seiten.

Der Titel dieser neuen Morus-Biographie enthält nur einen scheinbaren Widerspruch. Unterscheidet doch der Autor, während er auf über zweihundert Seiten noch einmal alle bekannten Stationen im Leben des englischen Humanisten durchgeht, sehr genau zwischen einem progressiven jüngeren Morus und einem als Lordkanzler selbst Teil des repressiven Systems gewordenen älteren Morus. Scheint dieser Gegensatz bisherige Biographen eher verunsichert zu haben, so betrachtet ihn Munier völlig entspannt. Tatsächlich kann ja für einen Linksaktivisten des Jahrgangs 1951 kein großes Mysterium sein, daß Menschen manchmal "zu den schlimmsten Bekämpfern ihrer gestrigen Anschauungen und einstigen Weggefährten werden" (12), und sicherlich hatte Munier (er ist geschäftsführender Redakteur der grünen Fachzeitschrift Alternative Kommunalpolitik) in den letzten beiden Jahrzehnten Gelegenheit, in noch schwindelerregendere Abgründe des Karrierismus hinabzuschauen als den des Thomas Morus. Letzterer mußte sich nach dreijähriger Kanzlerschaft, in deren Verlauf oft Scheiterhaufen mit protestantischen Ketzern angezündet wurden, 1535 selbst auf einen solchen begeben, angeblich für seine Weigerung, den englischen König als Oberhaupt einer von Rom abgespalteten Landeskirche anzuerkennen. Nach katholischer Auffassung ist er damit zu einem Märtyrer, ab 1935 sogar zu einem Heiligen avanciert. Dies alles wird von Munier in lebendiger Weise dargestellt.

Zweitens enthält Muniers Untersuchung eine ausführliche Interpretation der berühmten Utopia. Unter Anschluß vor allem an Norbert Elias gelingt es ihm, auf fast fünfzig Seiten noch einmal überzeugend darzulegen, warum jene Renaissance-Schrift, in der laut darüber nachgedacht wird, wie die menschliche Gesellschaft von Grund auf neu aufzubauen sei, damit es weniger Mord und Totschlag, weniger Hunger und Elend gäbe, nicht einfach nur als ein "fröhlicher Scherz" aufzufassen ist. Daß als Antwort auf diese Frage die Abschaffung des Privateigentums empfohlen wird, hat Morus – so jedenfalls nach Auffassung von Karl Kautsky – zum "Urvater des Kommunismus" gemacht. Auch dieser Teil des Buches bietet eine anregende Lektüre auf hohem gedanklichen Niveau.

Vielleicht aber geht es Munier gar nicht so sehr um eine Gegenüberstellung der beiden Bilder "Urvater des Kommunismus" vs. "katholischer Heiliger". Sein Buch enthält nämlich – drittens – ein abschließendes Kapitel, in welchem er auf über fünfzig Seiten die "Aktualität" des Morus unter Beweis stellen möchte. Erst hier habe ich Kritik zu äußern, die nicht als eine Herabwürdigung der – wie gesagt vortrefflichen – ersten 240 Seiten des Buches mißverstanden werden möge.

Tatsächlich genügt es ja dem Verfasser nicht, die Utopia als "ersten historischen Entwurf eines auf Gemeinschaftseigentum fußenden Staatswesens zu würdigen" (247). Den "Realsozialismus" des 20. Jahrhunderts nicht als von außen zu Fall gebrachtes, sondern als in der Praxis an sich selbst gescheitertes Gesellschaftssystem betrachtend, scheint er die marxistische Gesellschaftstheorie für überholt zu halten, ja geht sogar so weit, im Hinblick auf eine (dennoch zu erstrebende) sozialistische Zukunft die Überlegenheit modellhafter Utopie-Entwürfe à la Morus gegenüber dem "wissenschaftlichen Sozialismus" der Herren Marx und Engels zu proklamieren, welch letzterer ja in Wirklichkeit so "wissenschaftlich" gar nicht sei:

"Marx und Engels hielten im 19. Jahrhundert ihre Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung wissenschaftsmethodisch gegenüber der Utopie für überlegen, weil sie meinten, den zwangsläufigen Gang der geschichtlichen Entwicklung aus den antagonistischen Widersprüchen des Kapitalverhältnisses ableiten zu können. Die von ihnen als «wissenschaftlicher Sozialismus» bezeichnete Denkweise postulierte, daß sich die Agenzien und Ziele des weiteren Geschichtsverlaufes vorhersagen lassen – quasi determiniert sind –, wenn die Mechanismen und Grundzusammenhänge kapitalistischer Ausbeutung entschlüsselt werden und dann als revolutionäre Theorie zur materiellen Gewalt reifen." (248)

Es ist das alte Lied: Während allen möglichen "Wissenschaften" bisher noch jede Fehlprognose nachgesehen wurde (z.B. über schwindende Erdölreserven, abschmelzende Polkappen, ansteckende Seuchen, den Gewinner der nächsten Wahlen, das Wetter von morgen, die wirtschaftliche Konjunktur des nächsten Jahres), möchte man andererseits die "Nichtwissenschaftlichkeit" des Marxismus spätestens ab dem Datum des Mauerfalls für endgültig erwiesen halten. Dem liegt offenbar die seltsame Idee zugrunde, daß der Marxismus, um tatsächlich als "wissenschaftlich" gelten zu können, sämtliche gegnerischen Schachzüge, die schließlich zu seinem Untergang führen würden, hätte vorhersehen müssen. Wie ja auch sonst kein Mangel an verblüffend einfachen Argumenten herrscht, mit denen sich bequem der komplette Marx widerlegen läßt, etwa:

"Die große Industrie ballt gar nicht immer mehr Proletarier in den Fabrikhallen zusammen, sondern aufgrund der Produktivitätsfortschritte und fortschreitenden Technologieentwicklung werden es tendenziell eher wieder weniger." (286)

Oder man stellt ganz einfach in Abrede, daß nicht entfremdete Arbeit den Menschen zu einem ersten Lebensbedürfnis werden könne. Die kommunistische Zielvorstellung Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen, welche nach Marx’ eigenen Worten ein solches erstes Lebensbedürfnis nach Arbeit voraussetzt[1] ist nach Muniers Auffassung eine...

"Zukunftsvision, die ihre Verwirklichungsmöglichkeit auf Erden [...] von einer vollständigen Ummodelung der real existierenden Menschennatur abhängig macht". (253)

Diese Meinung des Autors überrascht insoweit, als ihm doch eigentlich bekannt sein müßte, daß es Marx nie um die Idee einer "vollständigen Ummodelung der real existierenden Menschennatur" ging, sondern immer nur um die einer Veränderung gesellschaftlicher Strukturen, welche dann (wenn man wirklich so sagen möchte) die "real existierende Menschennatur" aus ihrem Zustand der Unterdrückung bzw. Entfremdung befreien würde. Aber leider ist nun einmal die Verlockung groß, mittels unabweislicher "Wahrheiten" wie etwa der, daß der Mensch lieber faulenze als arbeite, vermeintliche Konstruktionsfehler des Marxismus’ aufzudecken. Bereits Brecht legte einer der Hauptfiguren seines Dreigroschenromans folgende Thesen über den Sozialismus und die Sozialisten in den Mund:

"Sie wollen nicht arbeiten. Sie wollen auch nicht den Gegenwert für das Geld erlegen, das sie bekommen. Im Grunde wollen sie ein bequemes Leben und sonst nichts. Das ist es auch, was mich am Sozialismus verstimmt. Dieser platte Materialismus ist unerträglich. Das höchste Glück eines solchen Wesens ist es, sich der Faulheit hinzugeben. Diese Menschheitsverbesserer werden niemals etwas erreichen. Sie rechnen nicht mit der menschlichen Natur, die durch und durch verderbt ist. Ja, wenn die Menschen so wären, wie wir möchten, dann könnte man allerhand mit ihnen anfangen. So scheitert alles." (Brecht 1973, II: 97)

In Wirklichkeit ist es natürlich gar nicht so einfach, Marx unter Berufung auf die menschliche Faulheit zu widerlegen. Wie sich ein heute lebender Mensch, der täglich Visionen der Freizeit und des Freizeitvergnügens ausgesetzt ist, zu seiner zur käuflichen Verwirklichung dieser Visionen notwendig zu verrichtenden Arbeit stellt, sagt jedenfalls mit Sicherheit mehr über die Funktionsweise des kapitalistischen Systems als über die "Menschennatur" aus. Und auch das wußte schon Brecht, wenn er in seinen Flüchtlingsgesprächen zynisch verlauten läßt:

"Aber das Entscheidende ist: Das Genußleben ist vollständig getrennt vom übrigen Leben. Es ist nur zur Erholung, damit Sie wieder tun können, was kein Genuß ist." (Brecht 1973, III: 295)

Überhaupt hätten wir ja von Anfang an mit gleichem Recht die Frage aufwerfen können, ob es nicht eher die kapitalistische Fortschrittsvision ist, die (ich kehre zum letzten Munier-Zitat zurück) "ihre Verwirklichungsmöglichkeit auf Erden [...] von einer vollständigen Ummodelung der real existierenden Menschennatur abhängig" macht. Vielleicht sollten alle, die dies nicht nachvollziehen können, wirklich wieder etwas mehr Brecht lesen, in dessen Flüchtlingsgesprächen z.B. auch folgender Gedanke über das Schulsystem begegnet:

"Der Schüler lernt alles, was nötig ist, um im Leben vorwärts zu kommen. Es ist dasselbe, was nötig ist, um in der Schule vorwärts zu kommen. Es handelt sich um Unterschleif, Vortäuschung von Kenntnissen, Fähigkeiten, sich ungestraft zu rächen, schnelle Aneignung von Gemeinplätzen, Schmeichelei, Unterwürfigkeit, Bereitschaft, seinesgleichen an die Höherstehenden zu verraten usw. usw." (Brecht 1973, III: 217)

Und der gewiefte Kapitalist Macheath, so wie er im Dreigroschenroman sein Unwesen treibt, weiß nur zu gut, warum es sich für ihn und seinesgleichen lohnt, einen "menschlichen Selbständigkeitstrieb" zu beschwören:

"Er nannte diesen Trieb einen Urtrieb der menschlichen Natur, gab jedoch der Vermutung Ausdruck, daß besonders der moderne Mensch, der Mensch des technischen Zeitalters, begeistert von dem allgemeinen, beispiellosen Triumph der Menschheit über die Natur, in einer Art sportlichen Geistes sich und andern seine überragende Tüchtigkeit zu beweisen wünsche. Diesen Ehrgeiz hielt Herr Macheath für hochgradig sittlich, da er in Form der alles verbilligenden Konkurrenz allen Menschen gleichermaßen zugute komme. An dem Konkurrenzkampf der Großen wünsche der Kleine nunmehr teilzunehmen. Es kam also für die Geschäftswelt darauf an, sich diesem Zuge der Zeit zu fügen und ihn sich nutzbar zu machen. Nicht gegen die menschliche Natur müssen wir handeln, rief Herr Macheath in seinen aufsehenerregenden Artikeln aus, sondern mit ihr." (Brecht 1973, II: 49)

Wie auch immer: Indem Munier "begründete Zweifel" anmeldet, daß die Mehrheit der Menschen jemals ein erstes Lebensbedürfnis nach Arbeit entwickeln könne, und indem er die (bei Marx nirgendwo auftauchende) Konzeption einer "veredelten Menschennatur" ins Spiel bringt und mit Nachdruck fragt, ob es sich bei dieser "marxistischen Vorstellung von einer veredelten Menschennatur nicht um sehr eigenwillige Phantasien" handele (256), wirft auch er – wie so viele seiner Generation – den Marxismus im Grunde genommen auf den Müllhaufen der Geschichte. Was wiederum an einen Passus aus den Flüchtlingsgesprächen erinnern könnte:

"Eine halbwegs komplette Kenntnis des Marxismus kostet heut, wie mir ein Kollege versichert hat, zwanzigtausend bis fünfundzwanzigtausend Goldmark, und das ist dann ohne die Schikanen. Drunter kriegen Sie nichts Richtiges, höchstens so einen minderwertigen Marxismus ohne Hegel oder einen, wo der Ricardo fehlt usw. Mein Kollege rechnet übrigens nur die Kosten für die Bücher, die Hochschulgebühren und die Arbeitsstunden und nicht, was Ihnen entgeht durch Schwierigkeiten in Ihrer Karriere oder gelegentliche Inhaftierung, und er läßt weg, daß die Leistungen in bürgerlichen Berufen bedenklich sinken nach einer gründlichen Marxlektüre; in bestimmten Fächern wie Geschichte und Philosophie werdens nie wieder wirklich gut sein, wenns den Marx durchgegangen sind." (Brecht 1973, III: 253)

Was allerdings bei Munier nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte landet, ist der vom Marxismus säuberlich abgetrennte "Sozialismus". Dieser sei aufgrund der "kommunistischen Zielperspektive" leider immer nur als "Übergangsgesellschaft" betrachtet worden, und nun sei es an der Zeit, ihn "konsequent als eigenständige Gesellschaftsformation zu konzipieren" (257). Was dem Autor dabei überraschend wenig Kopfzerbrechen bereitet, ist die gesellschaftliche Durchsetzung dieses "Sozialismus ohne marxistische Kommunismusverheißung": Er lasse sich "durch einen grundlegenden gesellschaftlichen Sinneswandel relativ schnell verwirklichen" (257), heißt es überaus vage, als ob den Besitzenden (wenn ich in Ermangelung einer geeigneteren wissenschaftlichen Bezeichnung einmal so sagen darf) die Einsicht zuzutrauen sei, daß die jeweils aktuelle "Krise" nur noch mit "Sozialismus" zu bewältigen sei. Dem ist eine Wunschliste der wichtigsten politischen Systemveränderungen beigefügt, in der – so wenig der Autor mit einer "in höhere Sphären entschwebenden marxistischen Lehre" (257) zu tun haben will – interessanterweise dann doch von einer Umwandlung der Besitzverhältnisse die Rede ist:

"Der Staat würde [sc. im Falle der Verwirklichung des Sozialismus durch einen grundlegenden gesellschaftlichen Sinneswandel] mehr Einfluß auf Groß- und Grundlagenindustrien sowie öffentliche Dienstleistungen von der Müllabfuhr über den Öffentlichen Personennahverkehr bis zur Energie- und Trinkwasserversorgung nehmen, damit hier gegebenenfalls jeder einen Arbeitsplatz finden und sich für die Gesellschaft nützlich machen kann. Zu diesem Zweck würden die Besitzverhältnisse solcher Betriebe entsprechend umgewandelt (ggf. rekommunalisiert) werden." (257)

Dem liegt offenbar die Hoffnung zugrunde, daß "die Ära des Neoliberalismus [...] allmählich ihren Zenit überschritten" habe (259) bzw. die "blindwütige Privatisierungspolitik, wie sie im Kontext neoliberaler Wirtschaftsdoktrinen und wegen angeblicher Globalisierungszwänge seit mehr als einer Generation in den führenden kapitalistischen Ländern betrieben wird" (258) theoretisch und praktisch am Ende sei, weshalb wohl demnächst – wenn ich Munier richtig verstanden habe – umfangreiche Verstaatlichungen fordernde rot-rot-grüne Parteienbündnisse demokratisch an die Macht gewählt würden, wo sie dann auch tatsächlich ihr Wahlprogramm und ihren Wählerauftrag erfüllen würden, unter geduldigem Zusehen in- und ausländischer Finanzinvestoren und tolerantem Stillhalten imperialistischer Land-, See- und Luftstreitkräfte.

In solch frohe Zuversicht läßt sich allerdings nur dann entschweben, wenn man von der marxistischen Tradition abrückt, das Bewußtsein der Menschen aus ihrem Sein, statt wie bisher ihr Sein aus ihrem Bewußtsein zu erklären.[2] Wir haben uns also vorzustellen, wie ein sozialistischer Geist die Welt überkommen und zu einer friedlichen Entprivatisierung führen werde, nachdem der alles dem privaten Profit unterwerfende neoliberale Geist – man weiß nicht genau wie und warum – von selbst dahingeschwunden sein werde, und dies noch lange bevor tatsächlich der letzte Baum gerodet, der letzte Fluß vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist. Wobei wir uns natürlich auch von dem unheilvollen Verdacht zu befreien haben, daß die Konzeption eines "Geistes" oder "Zeitgeistes" vor allem dazu dient, über die Existenz wichtiger materieller Strukturen der öffentlichen Meinungsbildung und deren Benutzung oder Beeinflussung durch mächtige Interessengruppen hinwegzutäuschen – wäre doch eine allzu seltsame Annahme, daß sich eben diese Interessengruppen bei genauer Berechnung ihrer Milliardengewinne dazu entschließen könnten, in den Köpfen der Menschen einen die Besteuerung von Profiten oder gar die Verstaatlichung von Produktionsmitteln fordernden "sozialistischen Geist" wiederauferstehen zu lassen. Vielleicht aber ist die Annahme nicht ganz unwahrscheinlich, daß es schon lange keinen "gesellschaftlichen Sinneswandel" mehr gegeben hat, der sich nicht in evidenter Weise auf milliardenschwere Gewinninteressen zurückführen läßt. Ist z.B. nicht bereits den "Kulturwissenschaften" – wenn wir ihr Aufblühen einmal nicht nur mit frohem Staunen betrachten wollen – vor allem die historische Aufgabe zugefallen, den präzisen Satz Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt (MEW, XIII: 9) implizit in sein Gegenteil zu verkehren? Und hat sich nicht genau dieser heimliche Paradigmenwechsel im stetig schrumpfenden Marktsektor der Geisteswissenschaften innerhalb der letzten zehn, fünfzehn Jahre als entscheidender Wettbewerbsvorteil erwiesen, der sich in barer Münze auszahlen ließ?

Was aber bleibt Munier nach Tabuisierung des "Klassenkampfes" anderes übrig, als zum deutschen Idealismus zurückzukehren? Die Spielregel lautet offenbar: Wer in Politik und Gesellschaft mitreden möchte, der äußere sich zum Marxismus als einer unter vielen Theorien und stelle mit größter Selbstverständlichkeit dessen Wissenschaftlichkeit in Abrede. Leider hat auch Munier – mag er sich dabei auch manchmal noch ein bißchen quälen[3] – seinen Beitrag hierzu geleistet.

Anmerkungen

[1] Der entsprechende Passus aus der Kritik des Gothaer Programms lautet: "In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch die Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten und die Gesellschaft auf ihre Fahnen schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!" (MEW, IXX: 21)

[2]So Engels in der Einleitung seines Anti-Dühring (MEW, XX: 25).

[3]Zwar sei "unbestritten", daß die materialistische Geschichtsauffassung "durchaus den einen oder anderen recht plausiblen Gedanken enthält"; dennoch sei sie "kein letztgültiges wissenschaftliches Resultat, sondern lediglich Bestandteil einer parteilichen Weltanschauung" (284). Zwar würden "die bürgerlichen Gesellschaftswissenschaften primär der amtierenden Herrschaft und dem durch sie favorisierten Weltbild dienen"; nicht anders hätten aber auch "Dialektik und materialistische Geschichtsauffassung allenfalls ihre methodische Tauglichkeit für die dogmatische Staatsideologie des realen Sozialismus bewiesen" (284). Zwar solle "auch nicht bezweifelt werden, daß die von Marx entdeckten Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Ökonomie im wesentlichen zutreffend sind"; daraus aber auf "die Unausweichlichkeit des Zusammenbruchs des Kapitalismus und des Übergangs in den Sozialismus" zu schließen, verlasse "das Terrain wissenschaftlich haltbarer Schlußfolgerungen" und sei "rein weltanschaulicher Natur" (284). Zwar sei "unbestritten [...] unter heutigen Sozialisten, daß mit der Enthüllung des Mehrwerts durch Karl Marx der innere Mechanismus der kapitalistischen Ausbeutung offengelegt wurde"; doch habe sich Engels geirrt, wenn er daraus den zukünftigen Verlauf der Geschichte wissenschaftlich herleiten zu können glaubte (285).

Literaturliste

Norbert Elias: Thomas Morus’ Staatskritik. Mit Überlegungen zur Bestimmung des Begriffs der Utopie, in: Wilhelm Voßkamp (Hg.), Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie, Bd. 2, Stuttgart 1982, S. 101-150.

Karl Kautsky: Thomas Morus und seine Utopie, Bonn 1973 [= Nachdruck der 1922 erschienenen 5. Auflage].

Bertold Brecht, Prosa, Bd. II u. III, Berlin und Weimar 1973.

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sopos 1/2011