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Umweltpolitik, ökonomische Naturverhältnisse und die Systemfrage[1]

Einblicke und Ausblicke aus politisch-ökonomischer Sicht

von Athanasios Karathanassis

Abstract:

Wenn vorherrschende Politiken sich als unbrauchbar erweisen, die gegenwärtigen Ausmaße von Naturzerstörungen nachhaltig einzudämmen und kritische Fragen nach der Rolle der Ökonomie in diesem Kontext weitestgehend ignoriert werden, drängt sich das Erfordernis der kritischen Analyse des ökonomischen Naturverhältnisses auf. Erweisen sich zudem eine "innere Logik" bzw. allgemeine Gesetzmäßigkeiten des Kapitals sowie besondere Varianten ihrer praktischen Umsetzung als ursächlich für die gegenwärtigen destruktiven gesellschaftlichen Naturverhältnisse bleibt es unerlässlich, Lösungen dieser Probleme jenseits bisheriger Politiken und kapitalistischer Ökonomien zu suchen.

Nach einer Darstellung und Kritik umweltpolitischer Ansätze liegt der analytische Fokus dieses Aufsatzes in der Aufschlüsselung des Zusammenhanges von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und Strategien und Veränderungen in der Natur, um Ursachen von Naturzerstörungen identifizieren zu können. Hierauf aufbauend werden abschließend einige systemkritische Positionen skizziert, um streitbare Ansätze eines alternativen Gesellschaftsmodells formulieren zu können.

1. Ansätze und Kritik hegemonialer Politiken

Ein handelsübliches Handwaschbecken; in dieses wird – wie von unsichtbarer Hand – in immer größerer Geschwindigkeit immer mehr Wasser eingelassen. Und trotz eines gut funktionierenden Abflusses steigt der Wasserstand kontinuierlich an.

Das Problem wird zunehmend offensichtlich und eine Reihe von anerkannten und selbsternannten Experten, Entscheidungsträgern und Moralisten versammeln sich um den Beckenrand, um eine Reihe von Vorschlägen zu äußern, die ein Überlaufen verhindern sollen:

Sollten diese Vorschläge greifen, könnte man beruhigt immer mehr Wasser, und wenn möglich noch schneller laufen lassen. Einige wenige, die Vorschläge machen, die Wasserausflussmenge zu drosseln, indem der Hahn einfach zuzudrehen ist, werden zumeist als realitätsfremde Querulanten mit dem Hinweis ignoriert, dass Wasser zum Leben notwendig sei.

Während also eine Vielzahl von "intellektuellen" und politischen Ressourcen gebunden werden, um dieses wachsende Problem zu thematisieren, und weitere stoffliche und energetische Ressourcen umgesetzt werden, um ein Überlaufen zu verhindern, wird gleichzeitig noch intensiver daran gearbeitet, die Ausflussgeschwindigkeit aus dem Hahn und dementsprechend die ausfließende Wassermenge zu steigern.

So und ähnlich stellen sich m.E. die meisten bisherigen Diskursqualitäten und Politikansätze dar, wenn es um Lösungsstrategien gegen den Klimawandel und weitere Naturzerstörungen[2] geht.

Entsprechend dem o.g. "Gleichnis" gibt es in der gegenwärtigen Praxis eine Reihe hegemonial gewordene umweltpolitische Ansätze:

Komplementär hierzu werden die am häufigsten genannten Gründe für Naturzerstörungen zumeist auf den Feldern der Moral, der Politik, der Technologie und der Demografie gesucht.

Welche praktischen Wirkungen können Maßnahmen entfalten, die sich auf o.g. Felder beziehen bzw. warum ist das Verharren auf diesen Feldern nicht ausreichend zum Erhalt ökosystemischer Gleichgewichte?

1.1 Moralisch motiviertes Handeln

Insbesondere Entscheidungsträger in den Unternehmensetagen der privaten Kapitale sind an "Zwangsgesetze der Konkurrenz" rückgebunden. Die privat agierenden Einzelkapitale sind aufgrund der Konkurrenzverhältnisse, in denen sie stehen, gezwungen, Kosten zu minimieren. Umweltschutzmaßnahmen, wie die zuvor genannten Filteranlagen oder Abscheidungstechnologien sind Kosten bzw. Bestandteile des konstanten Kapitals, welche i.d.R. weder direkt noch indirekt dazu beitragen, den Warenoutput zu erhöhen. Sie sind also zur Produktion nicht notwendig, weswegen diese Art von konstantem "Kapital" in besonderer Weise negative Auswirkungen auf die Profitrate hat.

Mit zunehmender Ausweitung von Konkurrenzverhältnissen auf internationalem bzw. globalem Maßstab ändert sich das Verhältnis von politischen Zugriffsräumen zu ökonomischen. Während wesentliche Bereiche politischer Entscheidungsprozesse im nationalen Raum verortet bleiben, öffnen sich mit der Tendenz zur ökonomischen Globalisierung neue Räume für das Kapital. (Standort)politiken treten vielfach um die Gunst des Kapitals in Konkurrenz zueinander, woraufhin Investitionen i.d.R. in den Regionen getätigt werden können, in denen keine oder geringere ordnungspolitisch verpflichtenden Umweltschutzauflagen existieren und so geringeren Kostendruck versprechen.

So stellt sich den privaten Kapitalakteuren die Wahl zwischen moralischer Integrität gegenüber der Natur und dem Erreichen bzw. Erweitern von Konkurrenzvorsprüngen im internationalen Geflecht der Kapitale, um die Akkumulation ihres Kapitals durch strategisch richtige Entscheidungen zu steigern.

Je unmoralischer bzw. sozial ignoranter die ökonomische Praxis individueller Kapitale, desto wahrscheinlicher ist also der private ökonomische Erfolg. Umweltschutz ist so gesehen keine Frage der Moral, sondern der Eingebundenheit in kapitalistische Konkurrenzverhältnisse und der damit verbundenen Fragen des privaten ökonomischen Erfolgs. Hierin liegt m.E. ein nicht unerheblicher Grund für moralische Ignoranz, insbesondere von Entscheidungsträgern in Konzernen. Was den Unternehmen i.d.R. bleibt, sind:

Wirksame bzw. nachhaltige Veränderungen im Verhältnis zur Natur bleiben fast ausnahmslos unerreicht.

1.2 Politische (De)regulierung

Zu unterscheiden ist hierbei eine Kritik an der praktischen Umsetzung und Ausgestaltung politischer Konzepte und der Kritik an den Konzepten selbst bzw. an den Inhalten bestimmter Politiken als solche.

Bisheriges konzeptionelles Politikversagen wird auf unterschiedliche Gründe zurückgeführt und führt dementsprechend zu unterschiedlichen Lösungsansätzen.

Ich möchte kurz zwei entgegen gesetzte Konzepte bzw. Ansätze vorstellen:

1.3 Ökonomisch-technische Effizienzsteigerung

Spätestens seit den 1970er Jahren und insbesondere im Zuge der Ölkrisen von 1973 und ´78 erfolgte eine erhebliche Effizienzsteigerung insbesondere im Energiesektor. Von 1970 bis´91 verringerte sich der Energieverbrauch je produzierter Einheit um ca. 33% (OECD 1999), was eine relative Abnahme um 1/3 bedeutet. Das hatte den Effekt langfristiger Kostenersparnisse mit positiven Auswirkungen auf die Profitrate.

Gleichzeitig erfolgte aber eine absolute Zunahme des Energieverbrauchs und der damit verbundenen Schadstoffemissionen, da die Effizienzsteigerungen in den einzelnen ökonomischen Prozessen vom gesamten ökonomischen Wachstum überkompensiert wurden (Karathanassis 2003:59). Bisherige Effizienzsteigerungen verlangsamen zwar den steigenden Verbrauch von Ressourcen und den zunehmenden Ausstoß an Schadstoffmengen, verringern diese aber nicht absolut, wenden die bisherige Entwicklung also nicht ab, denn die Entkopplung von ökonomischem Wachstum und steigendem Schadstoffausstoß ist bisher dauerhaft nicht möglich.

Der aus der Steigerung der Effizienz folgende positive Effekt der Entschleunigung der Schadstoffausstoße führt also dazu, dass ökologische Probleme bestenfalls verspätet auftauchen, aber nicht gelöst werden, da Ineffizienz nicht die Ursache des Ausmaßes an Naturzerstörungen im Kapitalismus ist.

1.4 Begrenzung des Bevölkerungswachstums

Wenn von Wachstumsbegrenzung die Rede ist, beziehen sich die meisten Diskurse und fast alle politischen Ansätze auf die Begrenzung der Bevölkerungsgröße, insbesondere im Trikont, und nicht auf die Begrenzung ökonomischer Outputmengen oder gar der Profite. Bevölkerungswachstum führt zwar in einigen Regionen, insbesondere mit gering entwickelter Ökonomie zu gravierenden Problemen, u.a. zur Ressourcenknappheit und auch zu Naturschädigungen; diese bleiben aber i.d.R. regional begrenzt und stehen in keinem bedeutenden Zusammenhang zur globalen Naturzerstörung, denn nicht die Anzahl der Menschen ist für das Ausmaß der emittierten Schadstoffmenge entscheidend, sondern der Schadstoffausstoß pro Kopf; und der ist in den OECD-Ländern – mit relativ geringem Bevölkerungsanteil und -wachstum – etwa 10 bis 40-mal höher als im Trikont mit relativ hohem Bevölkerungsanteil und -wachstum[8].

Wenn also Umweltschutz, Naturzerstörungen oder insbesondere der Klimawandel thematisiert wird, geht es demnach gegenwärtig sowohl in öffentlichen Diskursen als auch im politischen und wissenschaftlichen Mainstream zumeist um Fragen der technischen Beherrschbarkeit von Natur, wobei insbesondere die Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz angestrebt wird, zunehmend um eine neoliberale, marktgesteuerte ökonomische Strategie der Inwertsetzung oder um normativ formulierte politische Forderungen, wie z.B. im Brundtland-Bericht manifestiert[9] oder in einer Vielzahl politischer Appelle akklamiert.

Die Möglichkeiten, der damit verbundenen Politiken der zunehmenden Naturzerstörung und -plünderung entgegenzuwirken, scheinen sehr begrenzt, z.T. sogar – im Sinne ökologisch nachhaltiger Verbesserungen – kontraproduktiv.

Auffällig ist hierbei, dass unabhängig von ihren bisher empirisch nur sehr vereinzelt festzustellenden Erfolgen, zumindest die in bedeutendem Umfang eingesetzten juristischen und technischen Maßnahmen i.d.R. darauf abzielen, in ökonomische Verwertungszusammenhänge integrierbar zu sein und generell investitions- und somit wachstumsfördernden Charakter haben:

Die zumeist diskutierten und auch umgesetzten Ansätze zur Verringerung zunehmender Naturzerstörungen und Ressourcenknappheit werden so zunehmend mit den Interessen und Zielsetzungen einer kapitalistischen Wachstumsökonomie verknüpft bzw. dieser untergeordnet.[12]

Selbst der regenerative Energiesektor ist dieser Praxis unterworfen, denn als Folge gegenwärtiger hegemonialer Energiepolitiken werden regenerative Energiequellen nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung fossiler Energieträger gefördert und somit wachstumsfördernd eingesetzt, was bestenfalls hilft, den Schadstoffemissionsanstieg zu verlangsamen.

Demzufolge stellen sich zwei politische Hauptstrategien heraus:

  1. Eine Politik, die die "Freiheit der Märkte" befördert. Also eine Strategie, die die Lösung der Umweltprobleme in einer weitestgehenden von staatlicher Seite unangetasteten ökonomischen Verwertungslogik und Praxis erhofft, d.h. ein neoliberaler, marktgesteuerter Ansatz und
  2. eine durch staatliche, d.h. ordnungspolitische Eingriffe regulierende und sanktionspolitische Praxis, die z.B. o.g. Emissionen begrenzen will, sogenannte Auswüchse des Kapitalismus ökologieverträglicher bändigen soll.

Gleichzeitig sind die meisten Auseinandersetzungen mit der "Ökologieproblematik" sowie ihre Begründungen gekennzeichnet durch die Abwesenheit einer expliziten Thematisierung ökonomiekritischer, insbesondere wachstumskritischer Ansätze. Eine Kritik am ökonomischen System bzw. am ökonomischen Naturverhältnis fehlt, womit die gesamtgesellschaftliche Dimension der "Naturproblematik" unterbelichtet bleibt.

Forschungsansätze, die sich mit Zusammenhängen der "inneren Logik" oder weicher formuliert der Rationalität des Kapitals sowie ihren spezifisch historischen Umsetzungen, und der zunehmenden Zerstörung von Ökosystemen bzw. der natürlichen Lebensgrundlagen befassen, fehlen fast gänzlich.

Zumindest zwei Begründungsvarianten für die o.g. Abwesenheit drängen sich m.E. auf:

  1. Die entscheidungstragenden Auseinandersetzungen über die offensichtlicher werdenden Naturschäden und Ressourcenverknappungen finden fast ausschließlich auf dem Feld der politischen Regulation statt. Hierbei soll der Staat als institutioneller Fokus politischen Handelns entweder in ökonomische Prozesse intervenieren, oder zugleich umweltschützend und wachstumsfördernd (de)regulieren.
  2. Kapitalistische Ökonomie scheint als unverrückbar, einem Naturgesetz gleich bzw. als gottgegeben interpretiert zu werden; ein gesetztes Fixum zu sein, was nicht zur "Disposition" steht, sondern ggf. nur innerhalb des vorgegebenen Rahmens der Gewährleistung von Verwertungsbedingungen für das Kapital reformierbar ist.[13]

Dementsprechend existiert ein Mangel an systemüberschreitenden Denkansätzen bzw. Alternativen und es bedarf einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Feld der ökonomischen Naturverhältnisse, um zu prüfen, inwieweit diese für Naturraubbau und –zerstörung ursächlich sind.

2. Ökonomische Naturverhältnisse, Kapitallogik und Akkumulationsstrategien

Wie entwickeln sich ökonomische Naturverhältnisse und unter welchen Bedingungen? Mit welchen primären Zielen wird Ökonomie getätigt und in welchem Wachstumsausmaß entwickeln sich bisher ökonomische Prozesse?

Produktion, Zirkulation und natürlich auch Konsumtion sind zweifelsohne unerlässliche und historische Phasen überschreitende anthropologische Konstanten. Wie sich hierbei insbesondere die stofflich-energetische Seite der Ökonomie entwickelt hat wird deutlich, wenn man sich bisherige ökonomische Entwicklungsumbrüche vergegenwärtigt:[14]

Ein erster grundlegender, d.h. lokale Grenzen überschreitender Umbruch im gesellschaftlichen Naturverhältnis, der die Natur maßgeblich in die ökonomische Praxis mit einbezog, entwickelte sich mit der Industrialisierung. Insbesondere durch den zunehmenden Einsatz und der Ausweitung von Maschinen, der Entwicklung der Kommunikations- und Verkehrsmittel sowie der zunehmenden Kapitalzentralisation und -konzentration[15] wuchs die Industrie und mit ihr die Produktivkraft in enormen Ausmaßen. Die mit dieser Steigerung des Produktausstoßes notwendig einhergehenden Stoff- und Energietransformationsprozesse entwickelten sich exponentiell. Massive Natureingriffe mit entsprechend destruktiven Folgen für die Natur blieben so nicht aus. Stofflicher Motor dieser bis dahin einmaligen ökonomischen Wachstumsprozesse war maßgeblich die Kohle.

Eine weitere wiederum exponentielle Steigerung des ökonomischen Wachstums erfolgte in der Phase des Fordismus. Ausgehend von den USA am Anfang des 20. Jahrhunderts und insbesondere durch das Übergreifen tayloristisch strukturierter Produktionsprozesse auf Europa kam es erneut zu einer enormen Steigerung der Produktivität.[16] Neben der Industrie und dem Verkehr wuchs nun auch durch die Entwicklung der Konsumgüterindustrie der Konsum der Massenware. Eine Folge dieser Entwicklung war und ist der zunehmende Bedarf an Ressourcen. Neben Kohle wurde jetzt zunehmend Erdöl und -gas benötigt, um diesen Prozess der Stoffumwandlung am Laufen zu halten.

Die globale Industrieproduktion stieg seit Beginn des 20. Jahrhunderts um mehr als das Fünfzigfache, wobei vier Fünftel dieser Steigerung von 1950-1990 erzielt wurden (Hauff 1987; Loske 1990). Der globale Energiedurchsatz ist allein im Zeitraum von 1865-1985 um das 60fache gestiegen (Meadows/Meadows/Randers 1992).

Gegenwärtig wird u.a. durch den Einzug von Mikroprozessoren in Produktionsprozesse z.B. in so genannten "Computer-aided-systems" (CA-Systeme), sowie durch "Just in time" Praktiken (JiT) die Umschlagszeit, d.h. die Produktions- und Umlaufzeit des Kapitals verringert, um weitere Wachstumssteigerungen zu erreichen. CA-Systeme führen dazu, dass nun auch Kleinstreihen hochproduktiv herstellbar sind und somit ergänzend zur Massenware die globale Warenpalette erweitern. JiT-Prozesse sollen nicht nur durch die Einsparung von Lagerkapazitäten u.a. zur Senkung des konstanten Kapitals beitragen[17]; sie und auch der selbstverständlich gewordene Einsatz des Internets dienen der Beschleunigung von Kapitalzirkulationsprozessen. Das dadurch vorzeitig akkumulierte Kapital kann früher in einen erneuten Prozess der Investition eintreten, Wachstumsprozesse und somit auch Stoff- und Energieumwandlungsprozesse beschleunigen.

Zumindest zwei Punkte lassen sich daraufhin feststellen:

  1. Wir haben es seit der Industriellen Revolution mit exponentiellem ökonomischen Wachstum zu tun und
  2. dieses basiert auf einer fossilistischen, also kohle-, öl-, gasdominierten Ökonomie.
    Das Ausmaß des Einsatzes dieser fossilen Stoffe wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass bis 1997 87% des Gesamtenergiebedarfs der OECD-Staaten fossiler Natur war (OECD 1999) und dass eine Reihe der größten Unternehmen der Welt gegenwärtig Öl- und Automobilkonzerne sind.[18]

Worin besteht nun ein notwendiger und wesentlicher Zusammenhang von Natur und Ökonomie, bzw. was ist das Problem dieses fossilistisch dominierten ökonomischen Naturverhältnisses?

Zum Verständnis dieser Problematik ist es erforderlich, die physisch-stoffliche und die physikalisch-thermodynamische Seite um die wertmäßig-ökonomische zu ergänzen. Ökonomie wird so als zusammenhängende Einheit verstanden, die es ermöglicht, die Wert- und Geldseite ökonomischer Prozesse als energetisch-materiellen Prozess von Natur zu analysieren.

Die stofflich-energetischen Umwandlungsprozesse fossiler Stoffe vollziehen sich auf Grundlage von Naturgesetzen. Unter Berücksichtigung menschlicher Zeithorizonte und ökonomisch-stofflicher Zugriffsbereiche lassen sich diese Prozesse der Umwandlung im Kontext der 1. und 2. Thermodynamischen Hauptsätze formulieren:

  1. In einem isolierten System (hier also dem stofflich-fossilen) bleibt der Gehalt an Stoffen auf diesem Globus konstant; d.h. nichts an fossilen Stoffen wird von außen – also extraterrestrisch – hinzugefügt und
  2. bei der Nutzung von Energie geht verfügbare ständig und unumkehrbar in nicht verfügbare über, d.h. brauchbare Stoffe werden weniger.

Darüber hinaus ist es evident, dass Prozesse des Umschlags von Quantität in Qualität stattfinden. Wir haben massenhafte stoffliche Umwandlungsprozesse von einer Qualität in eine andere, d.h. von Ressourcen bzw. Rohstoffen in zum einen Nutzstoffe bzw. positive Gebrauchswerte und zum anderen in Schadstoffe bzw. negative Gebrauchswerte, die entweder gar nicht oder nur mit erneutem Stoff- und Energieaufwand durch so genannte Recyclingprozesse nutzbar gemacht werden können.

Dieser ökonomische qualitative Prozess der Stoffumwandlung verläuft allerdings als ein doppelter – und hier liegt der Kern des Problems –, d.h. als physisch-stofflicher Umwandlungsprozess von Natur und gleichzeitig als einer unter dem Primat des Wachstums einer kapitalistischen Wertökonomie sich vollziehender, mit dem Ziel bruttosozialproduktwirksames Wachstum endlos zu steigern.

Aus diesem Wachstum auf Grundlage von Natur- und Umschlagsgesetzen folgt eine Reihe von Problemen. Zwei unmittelbare Felder von Problemkomplexen lassen sich m.E. herausstellen:

Festzustellen bleibt demnach eine hegemoniale Umweltpolitik ohne Ökonomiekritik, sowie ein evidenter Zusammenhang von exponentiellem ökonomischen Wachstum, zunehmender Ressourcenknappheit und Naturzerstörungen.

Um das Verhältnis von Natur und Kapital dechiffrieren zu können, bedarf es der Analyse einiger seiner wesentlichen Konstitutionsmerkmale. So stellt sich die Frage nach den inneren ökonomischen Gesetzmäßigkeiten, die die Natur tangieren, sowie den Akkumulationsstrategien, mit denen diese Gesetzmäßigkeiten implementiert werden.[20] Es geht hier deshalb darum, kurz die "innere Logik" dieser kapitalistischen Wachstumsökonomie aufzuschlüsseln und zu fragen, was den Kapitalismus naturdestruktiv macht.

Kennzeichen einer "inneren Logik" des Kapitals sind eine Reihe von durchgängig durch alle innerkapitalistischen Phasen durchlaufenden kapitalistischen Konstanten. Hierzu gehören u.a.:

U.a. durch diese Eckpfeiler bzw. Konstitutionsmerkmale eines ökonomischen Systems, die den Charakter innerer Gesetzmäßigkeiten haben und in allen innerkapitalistischen Phasen existieren, lassen sich bestimmte historische Phasen überschreitende Kontinuitäten interpretieren.

Andererseits existieren vielfältige Varianten bzw. Umsetzungspraktiken dieser Gesetzmäßigkeiten, die sich u.a. zeitlich, räumlich, kulturell und/oder sozial unterscheiden. Demzufolge verläuft kapitalistische Entwicklung zugleich homogen und heterogen. Ausdruck der Heterogenität dieser Entwicklung sind verschiedene Akkumulationsstrategien und politische Regulationsweisen[21], auf die ich im Folgenden noch eingehe.

Eine grundlegende, allgemeine Kapitallogik bzw. -rationalität sowie räumlich und zeitlich differierende, spezifische Akkumulationsstrategien wirken so zusammen, werden gesellschaftlich-institutionell bzw. strukturell, z.B. durch unterschiedliche Gesetze, Ideologien oder Wertesysteme abgesichert, und entwickeln sich – nach Häusler und Hirsch (1987) – zu einer hegemonialen Gesellschaftsstruktur, die sich u.a. in Prozessen von "trial and error" (Hirsch / Roth 1986) herausbildet. So strukturiert sich gesellschaftliche Komplexität zu einem netzwerkdynamischen Zusammenhang, z.B. durch die Stärke und Richtung sozialer Bewegungen, Gewerkschaften und Unternehmensverbänden, die nationale Einbindung bzw. Stellung im Weltmarktgeflecht und/oder durch die Lohn- und Konkurrenzverhältnisse.

In welchen Zusammenhängen stehen Kapitallogik und die hier genannte hegemoniale Struktur mit der Natur bzw. was sind wesentliche Konstitutionsmerkmale kapitalistischer Naturverhältnisse?

Da hier der Raum für eine ausführlichere Argumentation nicht gegeben ist, beschränke ich die Argumentation im Folgenden auf wenige zentrale Thesen.[22]

Ausgangspunkt der ökonomischen Analyse im Kontext einer ökologischen Ökonomiekritik ist die Kategorie des Werts als die maßgebliche ökonomische Kategorie, da diese notwendig an Stofflichkeit gebunden ist. Wert braucht zur Realisierung immer einen Gebrauchswert, und der ist ausnahmslos selbst stofflich oder stofflich vermittelt. Die aus Wert und Gebrauchswert sich konstituierende und aus dem Produktionsprozess hervorgehende Ware ist stofflicher Natur; aber auch Waren in Form von Dienstleistungen, wie z.B. Konzerte, Operationen und Transporte sind an stoffliche Vorgaben, wie z.B. Konzertsäle, Krankenhäuser oder Automobile gebunden.[23] Gleichzeitig ist die Grundlage des Tausches der Wert.

So komme ich zu zwei Thesen:

  1. Unter der Voraussetzung des Primats des Kapitals in einer Ökonomie wird etwas "rein Gesellschaftliches" – nämlich Wert – zur ökonomischen Basis des Tausches von etwas Stofflichem. So ist die Grundlage des ökonomischen Austausches eine Abstraktion von der Natur, obwohl mit der konkreten Natur umgegangen wird. Wert entfaltet so eine "zweite Natur", die die erste – die Natürlichkeit der Gebrauchswerte – überformt und bestimmt.
    Das aus der Kategorie des Werts sich entwickelnde allgemeine Äquivalent Geld bleibt mit diesen Eigenschaften bestehen.
  2. Die Verkörperung des allgemeinen Äquivalents, also Geld ist tendenziell qualitativ schrankenlos und quantitativ immer begrenzt vorhanden. In seiner Eigenschaft als allgemeines Äquivalent ist Geld in alle anderen Waren umsetzbar und nur durch seine Quantität beschränkt, woraus in seiner Funktion als Kapital das Bestreben erwächst, dieser Beschränktheit entgegenzuwirken.

Die damit verbundene Problematik des kapitalistischen Naturverhältnisses wird m.E. an der Zirkulationsbewegung des Kapitals am offensichtlichsten:

Das aus der Wertlogik "geborene" Bestreben, diesen Widerspruch zwischen Qualität und Quantität zu lösen, mündet in der Geldbewegungsform, d.h. in einem Prozess bzw. in der beständigen Zirkulation, aus Geld mehr Geld machen zu wollen. Es ist ein rein quantitatives Bestreben, das seinem Wesen nach maßlos ist.

Geld &ndash> Ware &ndash> mehr Geld (G – W – G’), ist die Bewegungsform, in der Geld beständig in diesem Prozess bleibt, um sich quantitativ auszudehnen, und Waren, also Stoffe beständig heraus- und neu hineinfließen, um diese Zirkulation aufrechterhalten zu können. So bedarf es der notwendigen Kopplung von Stofflichkeit und Wert, in der allerdings das Stoffliche den Gesetzen der Kapitalbewegung folgen muss.

Demgegenüber sind Zirkulationsprozesse in der Natur wesentlich Prozesse qualitativer Stoffumwandlungen. Stoffe gehen in die Natur bzw. in ökosystemische Prozesse ein und verändern sich, d.h. ihre Qualität verändert sich.

Hieraus ergibt sich ein erster Widerspruch zwischen Naturkategorien und Kapitalkategorien:
Der gesellschaftliche Prozess der Kapitalzirkulation bedingt qualitative Gleichheit und quantitative Verschiedenheit. In der Natur ist es umgekehrt: Natürliche Prozesse sind – in Analogie zu den 1. und 2. Thermodynamischen Hauptsätzen – durch qualitative Verschiedenheit und quantitative Gleichheit bestimmt![24] Beide Prozesse – Kapitalzirkulations- und Stoffumwandlungsprozesse – bilden jedoch in der kapitalistischen Ökonomie eine Einheit.

Aus dem Primat der Kapitalzirkulationsbewegung, die gleichzeitig stoffliche Prozesse der Umwandlung voraussetzt und bewirkt, d.h. aus der notwendigen Kopplung von maximaler Geldvermehrung und entsprechender Stoffumwandlung als ein realer Prozess folgt die Umsetzung einer destruktiven Wachstumslogik, die ab einer gewissen Schwelle in der Praxis naturzerstörerisch umschlägt.

Der Drang nach maßloser Kapitalakkumulation führt zu einer auf Maßlosigkeit abzielenden Produktion mit dem Ziel, die Warenausstoßmenge u.a. mittels Produktionsausweitung und Produktivkrafterhöhung zu steigern, woraus ein zweiter Widerspruch entsteht:
Die endlichen Stoffmengen bzw. Gebrauchswerte und somit auch die Endlichkeit der Stofftransformationsprozesse stehen im Widerspruch zur "Unendlichkeitszielsetzung" des sich verwertenden Werts. Natürliche Grenzen der realen Stofftransformationsprozesse widersprechen so den Prozessen der Kapitalmaximierung.[25]

In der Natur existieren: Natur ist in naturzeitlichem Kontext verortet.
Das Kapital ist wesentlich bestimmt durch: Naturstoffe als ökonomisch genutzte Stoffe sind einem kapitalistischen Zeitregime unterworfen.

So lassen sich Widersprüche zwischen Natur und Kapital zusammenfassen, die in der ökonomischen Realität eine Einheit bilden:

Wollte man diese Widersprüchlichkeiten auflösen, müsste sich entweder die Natur an das Kapital oder das Kapital an die Natur anpassen, was in beiden Fällen "Wesensbrüchen" gleich kommen würde.[27]

Das Wertgesetz und eine auf diesem basierende innere Kapitallogik sowie thermodynamische Gesetze wirken in der (Natur)Stofflichkeit zusammen und resultieren einerseits in der Vielfalt der Waren, anderseits in einer Vielfalt von Schadstoffen, die in Natur und Gesellschaft rückwirken.[28]

Diese Kritik an der "inneren Logik" der kapitalistischen Ökonomie ist erforderlich, weil diese Logik – gepaart mit strategischen Varianten unterschiedlicher politischer, sozialer und kultureller Praktiken – zunehmend zur Gesellschaft durchdringenden Praxis wird.

Deshalb folgt ein kurzer Einblick in die historisch-strategischen Ausformungen bzw. Umsetzungen kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten:
Was allen den zuvor dargestellten innerkapitalistischen Phasen – Industrialisierung, Fordismus, Postfordismus – gemeinsam ist, ist nicht nur das Wachstum, sondern das Bestreben der endlosen Steigerung des ökonomischen Wachstums, d.h. aus dem eingesetzten, investierten Kapital soviel Output wie möglich zu gewinnen, eben ein Mehr am Ende des Prozesses als am Anfang, eine Differenz an Kapital mit dem Ziel, diese größere Kapitalsumme erneut in diesen Kreislauf zu werfen usw., also endlos Kapital zu akkumulieren, wodurch auch Natur dieser kapitalistischen Wachstumspraxis mit den inzwischen vielfach bekannten Folgen dauerhaft unterworfen wird.

Was diese Phasen unterscheidet sind die verschiedenen Strategien der Kapitalakkumulation bzw. die praktischen Durchsetzungsmechanismen und Ausformungen der Kapitallogik. Eine besondere ökologische Bedeutung in der Umsetzung der Kapitallogik erhält hierbei die Phase des Fordismus.

Ich nenne im Folgenden nur einige wenige ökonomische und politische Gründe:[29]

Politische Maßnahmen zur Unterstützung dieser ganz auf Massenwachstum ausgerichteten Phase waren u.a.:

All das führte zu dem Ergebnis der Massenproduktion und des Massenkonsums auf Grundlage relativ hoher Löhne, also zu dem, was den kompletten Fordismus wesentlich charakterisiert. Durch das Zusammenwirken ökonomischer und anderer gesellschaftlicher "Institutionen" in Richtung auf eine Wachstumsstrategie entwickelte sich eine kommodifizierte Konsumnorm und u.a. durch ihre gesellschaftliche Verstetigung sowie ideologische Unterfütterung eine m.E. seit dem so zu bezeichnende kommodifizierte Konsumkultur. Wachstum wurde nun nicht mehr nur auf dem Feld der Ökonomie und diesbezüglich unterstützender Politiken maßgebend; Freizeitverhalten, Medieninhalte u.a. formten ein Wertesystem von Wachstum und Warenkonsum mit, welches zu einer die Gesellschaftsstruktur durchdringenden kulturellen Hegemonie wurde und an der Entwicklung einer inneren und äußeren Subjektkonstitution mitwirkte.

Dreierlei wirkt so zusammen:

  1. in energetisch-stofflicher Hinsicht eine fossilistisch dominierte Ökonomie,
  2. eine durch maßloses Wachstum bestimmte Wertökonomie und
  3. eine kommodifizierte Kultur des Massenkonsums als Ergebnis des Zusammenwirkens ökonomischer und weiterer gesellschaftlicher "Institutionen".

So tritt – durch das richtungsgleiche Zusammenwirken von Ökonomie, Staat und Gesellschaft – der systemische Charakter eines destruktiven nun gesellschaftlichen Naturverhältnisses deutlich hervor, welches gegenwärtig u.a. durch eine hegemonial gewordene neoliberale Durchdringung sämtlicher Politikfelder noch untermauert wird.

Das Ende des Fordismus bedeutet nicht das Ende des Massenkonsums. Im Gegenteil, die Veränderungen in der Dominanz der Akkumulationsstrategie und der politischen Regulationsweise beinhalten primär wachstumsorientierte Strategien. Dominante Akkumulationsstrategien sind gegenwärtig u.a. gekennzeichnet durch den Einsatz der schon zuvor genannten "Computer-aided-systems" in der Produktion, der Just-in-time Praktiken sowie durch den globalen Einsatz des Internets. Der damit einhergehende relative Bedeutungsverlust des Binnenmarktes gegenüber dem Weltmarkt ist gepaart mit neoliberalen Politiken, die u.a. darauf abzielen, zunehmend deregulierte gesellschaftliche Bereiche zu schaffen, auf denen sich die sogenannten "Gesetze des Marktes" – verbunden mit der zunehmenden Inwertsetzung und Privatisierung dieser Bereiche – Geltung verschaffen sollen. Hierzu gehört einerseits z.B. die Zunahme befristeter Lohnarbeitsverhältnisse oder der Abbau von sozialen Sicherungssystemen, wie z.B. der finanziellen Absicherung bei Lohnarbeitslosigkeit oder bei Krankheit; andererseits liegt die Priorität auf Standortpolitiken, wie z.B. Steuererlasse für Unternehmen. Beides soll dazu dienen, "inländische" Unternehmen im Kontext des zunehmend globalen Wettbewerbs konkurrenzfähig zu machen.

So bleibt es bei der Kontinuität dieses politisch-ökonomischen Systems, die Kapitalisierung nach innen und außen voranzutreiben; was sich lediglich ändert ist die vorherrschende Strategie des Wachstums.

Moralische Ignoranz, Politisches Versagen, unzureichende ökonomisch-technische Effizienz sowie das Bevölkerungswachstum tragen zwar zur Naturverschmutzung bzw. zum Naturraubbau bei. Gleichzeitig wird aber ökonomisches Wachstum grundsätzlich nicht in Frage gestellt und fast nie im Zusammenhang zum zunehmend destruktiven und plündernden Naturverhältnis thematisiert. Beziehen sich also umweltpolitische Ansätze bzw. Konzepte lediglich auf die o.g. Felder, tragen sie bestenfalls zur Entschleunigung der Naturzerstörung bei. Lösungsansätze, die sich auf die Beseitigung ihrer Ursachen beziehen, bleiben dann aber unberücksichtigt.

3. Zur gesellschaftlichen Systemfrage

Wenn sich bisherige Umweltpolitiken als ungeeignet erwiesen haben, den destruktiven gesellschaftlichen Naturverhältnissen entgegenzuwirken und der systemische Charakter dieser Verhältnisse evident ist, ist es m.E. legitim, die gesellschaftliche Systemfrage zu stellen, was heißt, nicht alle, aber wesentliche Konstitutionspfeiler der Ökonomie, Politik und Kultur des kapitalistischen Gesellschaftssystems in Frage zu stellen. Eine Frage, die verbunden mit der Suche nach systemüberschreitenden Alternativen m.E. zentraler Gegenstand zu etablierender Forschungsinitiativen werden sollte.[30]

Einige streitbare, ursachenrückgebundene Lösungsansätze möchte ich im Folgenden kurz skizzieren, die im Weiteren einer hier nicht zu leistenden Problematisierung bedürfen.

Zur Auseinandersetzung mit der Frage, wie o.g. Ansätze bzw. Alternativen zum gegenwärtigen politisch-ökonomischen System des Kapitalismus aussehen könnten ist es erforderlich, den Boden der Argumentation zu verlassen, um auf diesem "Luftsprünge" zu machen. Fragen ihrer Realisierbarkeit in der Praxis bleiben somit selbstverständlich höchst kontrovers.

Zentrale Voraussetzungen wären zum einen eine Abkehr vom Fossilismus hin zu regenerativen Energiequellen, die ersetzend und nicht ergänzend eingesetzt werden, und zum weiteren eine Abkehr von der von Maßlosigkeit bestimmten Wachstumsökonomie.[31]

Die Abkehr von einer Wachstumslogik setzt hierbei ein Denken und Praktizieren einer Ökonomie ohne Kapital voraus, was letztlich auch heißt, die Wertökonomie in Frage zu stellen, da in der Wertökonomie die notwendigen Entwicklungsvoraussetzungen des Kapitals liegen; ein Vorhaben, das in Zeiten der Ausweitung von Kapitalverhältnissen und somit der Wertüberformung tendenziell sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche nicht realisierbar zu sein scheint.

Ökologisch und sozial erforderlich wäre mit diesem Abschied vom Kapitalismus einerseits eine – bis zu einer noch näher zu bestimmenden Bedarfsdeckung – schrumpfende und nachhaltige Ökonomie in den ökonomisch hoch- bzw. überentwickelten Regionen, andererseits eine bis zur o.g. Bedarfsdeckung wachsende Ökonomie in den bisher ökonomisch unterentwickelten Regionen. Diese Eckpfeiler alternativer Ökonomieansätze, die sowohl auf dem Theoriefeld interdisziplinär-kritischer Wissenschaften zu thematisieren als auch in der unmittelbaren Praxis zu verorten sind, müssten im Gegensatz zur Inwertsetzung bzw. Bepreisung der Natur[32] m.E. auf einer Entwertung der Ökonomie aufbauen. So wäre eine Voraussetzung für eine Gebrauchswertökonomie der Bedarfsdeckungslogik mit zunächst degressivem Charakter geschaffen. Zu prüfen wäre hierbei nicht nur die technisch-administrative Machbarkeit makroökonomischer, z.B. "strichcodeorientierter" Planungen der Distribution, die im Gegensatz zur gegenwärtigen mikroökonomischen, nach individuellen Privatinteressen orientierten Marktbildung stehen; auch die Frage nach der Grundlage eines "Austausches" von bzw. des Zugangs zu Gebrauchswerten wäre eine von vielen ökonomisch relevanten Fragen, die bisher offen sind.

Eine Grundlage für eine entwertete Ökonomie wäre m.E. ein qualitatives Verständnis von Produktivkraft. D.h. auch, dass das Ziel der Produktivkrafterhöhung nicht darin liegt, die Warenausstoßmenge zu steigern, sondern die Produktivkrafterhöhung –auf Grundlage einer gedeckelten Produktmenge- zur Senkung der Arbeitszeit zu nutzen. Eine derart begrenzte Produktionszeit führt zur Verringerung der Produktmengen und demzufolge zu geringerer Schadstoffproduktion. Die sinkende Arbeitszeit würde komplementär die Zeit zur "freien Verfügung" vermehren.

Hierin bestünde das Potential eines Wertewandels. Bildung, "Kultur", Muße oder die Vertiefung sozialer Beziehungen hätte Priorität gegenüber stoffgebundener Konsumtion und Produktion. Massenkonsum wird hier nicht mit Lebensqualität gleichgesetzt. Die Seite der immateriellen Bedürfnisse bekäme stärkeres Gewicht und könnte so auf dem Weg hin zu einem dekommodifizierten Wertesystem besser entfaltet werden.[33]

Die politische Forcierung z.B. einer Abkehr vom Individualverkehr hin zu einer öffentlich-kollektiven Verkehrsinfrastruktur, oder die Förderung der Priorität ökologisch motivierter regionaler ökonomischer Zusammenhänge in der Produktion und Zirkulation gegenüber globalen ökonomischen Praktiken, die wesentlich durch das Motiv der Kostenminimierung bestimmt sind, wären begleitend unterstützende Maßnahmen.

So kristallisieren sich m.E. zumindest drei gesellschaftskonstituierende Entwicklungsperspektiven heraus:

  1. Die allmähliche und umfassende Zerstörung der gegenwärtigen Natur und Lebensweise mit ihren zivilisatorischen und emanzipatorischen Ergebnissen in bisher unbekanntem Umfang und Ausmaß, sowie in hohem Maß degradierte und von Konfliktverhältnissen geprägte sowie permanent von Zerfall bedrohte und vermachtete Gesellschaften, in denen – so H.J. Schellnhuber – keine Hochkultur mehr möglich sein wird[34].
  2. Ein umfassendes auf nahezu globalem Maßstab agierendes supranationales politisches Regulativ, ein Primat einer nahezu "weltstaatlichen" Politik, sozusagen eine "gute" im Sinne einer "moralisch integeren Übermacht" zumindest im Raum konkurrenzfähiger Ökonomien, die letztlich ökologisch nachhaltige Prioritäten setzt, und so erfolgreich die weiter bestehenden Bestrebungen globaler Wertüberformung des Kapitals deckelt oder
  3. eine Ökonomie ohne Kapital bzw. eine insbesondere in den bisher hochentwickelten Regionen noch näher zu entwickelnde schrumpfende Ökonomie, von der sich bisher m.E. nur allgemeine und normative Eckpunkte formulieren lassen: selbstbestimmt, solidarisch, bezüglich der Energieversorgung soweit wie möglich regenerativ und dezentral und bezüglich der Stoffnutzung weitestgehend regional strukturiert und organisiert.

So scheint sich m.E. die Wahl zu stellen zwischen einer in höchstem Maß unerträglichen aber gegenwärtig sehr wahrscheinlichen Gesellschaftsperspektive und zwei – aus jetziger Sicht – mehr oder weniger absurden Utopien, bei denen sich die Frage stellt, welche realisierbarer bzw. erfolgversprechender ist. Räume für kreative Diskussionen und kritische Forschungen sowie wirkungsmächtige Gegenöffentlichkeit sind m.E. auszuweiten, um die erstgenannte Gesellschaftsperspektive verhindern zu können und um alternative Gesellschaften entwickeln zu können.

Anmerkungen

[1] Dieser Aufsatz ist die Ausarbeitung eines Vortrags mit dem Titel "Kapitallogik, Akkumulationsstrategien und Ursachen der Naturzerstörung", der im September 2008 im Rahmen der Konferenz "Zur Kritik der politischen Ökologie" in Berlin gehalten wurde.

[2] Unter Naturzerstörungen wird im Folgenden die Verringerung der Lebensvielfalt bzw. der Biokomplexität verstanden, womit u.a. ökosystemische Gleichgewichtsstörungen und Degradationen sowie die Vernichtung von Arten in erheblichem Ausmaß verbunden sind.

[3] Die Zahl der Abkommen und Institutionen zum Thema Natur- und Umweltschutz haben sich seit 1868 kontinuierlich erhöht. Waren es z.B. von 1868-1899 nur zwei, stieg ihre Anzahl von 1980 bis 1989 auf 94 (vgl. Heinrich / Hergt, 1990).

[4] Vgl. hierzu ausführlich: Altvater / Brunnengräber: 2008.

[5] Vgl. hierzu u.a.: Chomsky / Herman (1988) oder im übertragenen Sinn Dahlerup (1984).

[6] Vgl. hierzu ausführlich: Karathanassis 2003 und 2006.

[7] Vgl. hierzu ausführlich: Hirsch 1995.

[8] Vgl. Meadows/Meadows/Randers 1992.

[9] Vgl. ausführlich: Hauff 1987.

[10] Auf die mit der CCS-Technologie verbundenen ökologischen, ökonomischen und politischen Implikationen sowie Sicherheitsrisiken, die den ökologischen Nutzen dieser Technologie massiv in Frage stellen weist z.B. Grefe in einem kürzlich erschienenden Artikel in der "Zeit" vom 20.05.2009 hin.

[11] Vgl. hierzu ausführlich: Altvater/Brunnengräber 2008: 51ff.

[12] Brunnengräber analysiert die Klima- und Umweltpolitiken der EU, G8 und der BRD als verkleidete Standort- und Wachstumspolitiken (a.a.O.: 133ff).

[13] Beispiele für Debatten bzw. Positionen, die sich (frei von Systemkritik) mit dem für und wider von Reformen innerhalb des Kapitalismus befassen finden sich vielfach; so z.B. bei Mayer u.a. 2001.

[14] Ausführlicheres und Weiteres hierzu findet sich u.a. bei Loske (1990) oder Karathanassis (2003) und (2006).

[15] Zur Differenzierung von Zentralisation und Konzentration des Kapitals siehe ausführlich: MEW 23: 650ff.

[16] Näheres hierzu ist u.a. bei Hirsch /Roth (1986) zu lesen.

[17] Zwar wächst mit der globalen Ausnutzung von Produktionsvorteilen die Bedeutung des Transports und somit auch die Bedeutung der Transportkosten. Solange aber die Energiepreise nicht erheblich steigen, werden durch den Verzicht auf andere Kapitalanteile, wie z.B. Lagerhallen, Grundstücke etc. die Kosten insgesamt sinken.

[18] Vgl. hierzu u.a.: http://www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/ranking-die-umsatzstaerksten-firmen-2007_did_19935.html oder Wolf (2004). Dieser stellt in diesem Zusammenhang fest: "Untersucht man die »Global 500«-Unternehmen nach ihren Zugehörigkeiten zu einzelnen Branchen, dann stellt sich heraus: Die größte einzelne Branche ist das Ölbusiness (»crude oil production«, »petroleum refining« und »oil equipment«). Allein hier sind mehr als zwölf Prozent des gesamten addierten Gruppenumsatzes gebunden - mehr als beim Bankensektor. Bildet man eine Gruppe derjenigen Großunternehmen, die eng von Öl, Ölverarbeitung und den Ölderivaten (Benzin, Diesel, Kerosin und Treibstoff für Raketen, Panzer und Militärjets) abhängig sind, rechnet man also zu dem Ölgeschäft noch die Autokonzerne, die Airlines, den Flugzeugbau und die Rüstungsindustrie hinzu, dann kommt diese Gruppe »Öl-Auto-Flugzeugbau-Rüstung« auf einen addierten Umsatz von 3726 Milliarden US-Dollar, was bereits mehr als einem Viertel des gesamten Umsatzes der »Global 500« entspricht." (Wolf 2004:10)

[19] Ausführliches hierzu ist u.a. aus den Berichten des WBGU 2008 und des IPCC 2007 oder aus der OECD Environmental Data Reihe zu entnehmen.

[20] Die ebenfalls unerlässliche Frage, wie sich ökonomische Eingriffe in Ökosysteme für die Natur auswirken ist wesentlich im Feld der Naturwissenschaften verortet und kann hier nicht angemessen thematisiert werden. Ausführlicheres hierzu findet sich u.a. bei Georgescu-Roegen (1971) und (1987) oder bei Klötzli (1993).

[21] Vgl. hierzu ausführlich insbesondere: Aglietta (1979) sowie Lipietz (1985).

[22] Die Entfaltung dieser und weiterer Thesen findet sich u.a. in Karathanassis (2003) und (2006).

[23] Vgl. Daly 1991.

[24] Vgl. Karathanassis 2006: 21.

[25] Vgl. ebd.: 23.

[26] Signifikant wird diese Entwicklung z.B. an der Bestimmung des Peak Oil. (Vgl. hierzu ausführlich: Seifert / Werner 2006: 244)

[27] Für eine derartige Anpassung der Natur an das Kapital bräuchte man ein stofflich offenes System, was es ermöglicht auf Stoffe nicht nur von der Erde, sondern auch auf Stoffe anderer Himmelskörper zugreifen zu können, und die zum Transport und zur Umwandlung dieser Stoffe erforderliche Energie müsste unbegrenzt zur Verfügung stehen oder müsste –nachdem sie verbraucht wurde- wieder in ihren vorherigen Zustand rückverwandelbar sein. So müsste z.B. Öl nach seiner Umwandlung in Rauch oder Kunststoff anschließend wieder in Öl rückverwandelbar sein. Die hierfür verbrauchte Energie müsste ebenfalls in die zuvor eingesetzte Energie rückverwandelbar sein usw., und das alles in Zeiträumen, die den Erfordernissen des Kapitals entsprechen. Energie müsste also in einer Art Kreislaufprozess letztlich verlustfrei zirkulieren und darüber hinaus in diesem Umwandlungsprozess ihre schadstoffliche Qualität verlieren, um somit erneut wie zuvor nutzbar zu sein.
Man bräuchte also wissenschaftliche Kompetenzen und technische „Apparaturen", die entweder „energieneutrale Prozesse" oder die beliebige Umwandlung unbegrenzt vorhandener Energie -z.B. Sonnenenergie- ermöglichen. Gepaart mit stofflicher Zirkularität müsste dann alles noch innerhalb des o.g. Zeitregimes profitabel sein. Etwas, was gegenwärtig nur Fiktion ist.

[28] Wenn mit wachsender Menge und Vielfalt der Schadstoffeinträge Ökosysteme degradieren (Klötzli 1993) und kulturelle Entwicklungen be- und verhindert werden, stehen demnach Qualitäten und Quantitäten von Schadstoffen in umgekehrtem Verhältnis zur Qualität der Natur und Kultur.

[29] Ausführlicheres zur akkumulationsstrategischen Ausgestaltung und politischen Regulationsweise des Fordismus ist u.a. bei Aglietta (1979) und Lipietz (1985) zu lesen.

[30] Wesentlich für den wissenschaftlichen Charakter einer derartigen Forschung wäre m.E. ihr Anspruch und Versuch einer Letztbegründung, um Ursachen von Problemen bzw. Krisen aufdecken zu können. Erforderlich wäre hierfür die Entwicklung einer radikalen und interdisziplinären Theorie, um entsprechende Begründungskompetenzen entfalten zu können.
Politischer Anspruch dieser auf radikaler Theorie gegründeten Forschung wäre es, durch Theorie zur Beseitigung von Problemen in der Praxis beizutragen.

[31] Eine postfossile Gesellschaft wird –früher oder später- angesichts des rasanten Verbrauchs fossiler Stoffe zur Realität; fraglich bleibt aber, ob diese Gesellschaft eine postkapitalistische sein wird.

[32] Zumindest zwei Ansätze dieser Bepreisung sind zu unterscheiden. Ein erster Ansatz wirft die Frage auf, welche Kosten zur "Reinhaltung" der Natur nötig gewesen wären, versucht also Umweltschäden im Nachhinein zu erfassen (ex post Ansatz); ein zweiter versucht Schätzpreise festzulegen, die zur Verhütung von Umweltschäden erforderlich sind (ex ante Ansatz). So wird versucht, Natur einen Wert bzw. Preis zu geben, was mit einer Vielzahl von Problemen verbunden ist. Was z.B. ein Urwald, ein Korallenriff oder ein anderes funktionierendes Ökosystem kosten soll, ob und wie komplexe Qualitäten in einfachen wert- oder preisbasierten quantitativen Verhältnissen treffend abgebildet werden können, bleibt fraglich.
Abgesehen von der grundsätzlichen Frage nach welchen Kriterien so eine Bepreisung bzw. Quantifizierung der Qualität Natur möglich sein soll, und der Problematik, dass mit einer Inwertsetzung von Natur diese direkt Teil der o.g. Wachstumslogik wird, bleibt z.B. auch die Frage nach den Adressaten der Verschmutzung aufgrund zeitlich und räumlich verschobener Ursache-Wirkungszusammenhänge unbeantwortet (näheres hierzu findet sich u.a. bei Leipert 1988).

[33] Vgl. hierzu auch die von Marcuse (1967) aufgeworfenen Fragen.

[34] "Fünf bis sechs Grad, das ist der Unterschied zwischen einer Warmzeit und einer Kaltzeit, das gibt einen anderen Planeten, auf dem es nicht möglich sein wird, eine Hochkultur, wie wir sie kennen, aufrechtzuerhalten. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer." Die Menschheit werde zwar "in irgendeiner Form überleben", aber "nicht mit dem derzeitigen Zivilisationsgrad."
(Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und einer der vier Träger des Deutschen Umweltpreises 2007, laut dpa am Rande der Preisverleihung in Aachen.)

Quellen

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http://www.focus.de/finanzen/boerse/aktien/ranking-die-umsatzstaerksten-firmen-2007_did_19935.html vom 25.01.09

Athanasios Karathanassis, Dr. phil., Politik- und Sozialwissenschaftler am Institut für Soziologie an der Leibniz Universität Hannover (LUH). Seit 2004 Lehrbeauftragter, seit 2008 interdisziplinäre Forschungskoordination an der LUH. Studium der Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin.
Wichtigste Veröffentlichungen: Naturzerstörung und kapitalistisches Wachstum. Ökosysteme im Kontext ökonomischer Entwicklungen, Hamburg 2003; Marxsche Theorie, Regulationstheorie und das kapitalistische Naturverhältnis. Zusammenhänge kritischer Gesellschaftstheorien und naturdestruktiver Praxen, Berlin 2006; Soziale Bewegungen im Kontext kapitalistischer Entwicklungen. Eine politisch ökonomische Skizze zum Zusammenhang von Akkumulation, Regulation und sozialer Widerständigkeit, in: Bologna, S.; Danner, M.; Hajek, W.; Heide, H.; Karathanassis, A.; Meyer, L.; (Hg.): Selbstorganisation… Transformationsprozesse von Arbeit und sozialem Widerstand im neoliberalen Kapitalismus, Berlin 2007.

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sopos 10/2010