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Guatemalas (un)heilige Allianz des Fortschritts: Liberalismus, Kulturrassismus und Kaffee-Export im 19. Jahrhundert

von Dirk Krüger

Guatemala ist eines der wenigen lateinamerikanischen Länder, in dem die Indígenas[1] den Genozid der kolonialen Eroberung weitgehend überlebt haben, so dass sie bis heute die Bevölkerungsmehrheit stellen. Die folkloristische Vermarktung ihrer Kultur durch die Tourismusindustrie ist nur das letzte Kapitel einer langen Geschichte fremdbestimmter Ausbeutung. Das bedeutendste Kapitel aber reicht weiter zurück, genauer gesagt bis ins 19. Jahrhundert. Es trägt den obigen Titel und soll im Folgenden näher unter die Lupe genommen werden: Wieso ist Kaffee ein "liberales" Getränk? Warum wurde die Kulturpflanze zum Synonym für Fortschritt und Modernisierung? Welche Denk- und Verhaltensmuster reiften zusammen mit der braunen Bohne heran? In welcher Art und Weise veränderte sie die soziale, politische und kulturelle Dynamik zwischen den einzelnen Klassen des kleinen mittelamerikanischen Landes?

Herrschaftselemente des kolonialen Feudalsystems

In der kolonialen Epoche hielt sich die ökonomische Ausbeutung der Indígenas im Vergleich zu anderen spanischen Kolonien noch in Grenzen und konzentrierte sich auf wenige Regionen. Angesichts fehlender Edelmetallvorkommen und einer kaum entwickelten Plantagenökonomie war der Bedarf an Arbeitskräften relativ gering. Bis Ende des 18. Jahrhunderts wurden nur die pazifische Küstentiefebene und das östliche Hochland kulturell transformiert, d.h. ladinisiert[2]. Die Indigoplantagen (Farbstoff für die europäische Textilindustrie) des Südostens verdrängten die dortigen indianischen Gemeinden weitgehend. Der Großteil der im westlichen Hochland lebenden Indígenas war dagegen zur Kolonialzeit noch durch ihre unzugängliche Lage und die königlichen Gesetze vor willkürlicher privater Aneignung von Arbeitskräften geschützt.[3]

Die aktive Segregationspolitik der Kolonialverwaltung zementierte ein polares Stadt-Land-Gefälle, in dem sich statische Sozialstrukturen manifestierten. Im hierarchischen Raumordnungsmodell blieben die ländlichen indianischen Unterschichten strikt von den urbanen kreolischen Oberschichten getrennt. Die Bevölkerungsmehrheit lebte in isolierten Dorfgemeinschaften (cofradías), die ein eigenes "soziales Universum" bildeten. "Die koloniale Herrschaftsorganisation drückte die Dörfer auf den Status abgeschlossener, gettoartiger Sozialgebilde, ein Prozeß, der sein Komplement fand in den Isolationsbemühungen der Indianer selbst, die dadurch der spanischen Gewaltpraxis zu entgehen suchten."[4] Für die kolonialen Eliten war das mandamiento (ab 1616) das wichtigste Instrument der Aneignung von Arbeitskraft:[5] Städtische Beamte zogen einmal jährlich in die indianischen Gemeinden und teilten den Dorfoberhäuptern die Zahl der Arbeiter mit, die diese für Land- und Bauarbeiten bereitzustellen hatten. Der Aktionsradius des schwachen Kolonialstaates war jedoch aufgrund der schlechten infrastrukturellen Erschließung des Landes gering. In die abgelegenen westlichen Gebirgsregionen (insbesondere das Alta Verapaz) drang die harte Hand der Kolonialbeamten nicht vor, so dass hier selbstverwaltete indigene Dörfer mit kommunalem Landbesitz überlebten.

Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein blieb das guatemaltekische Wirtschaftssystem feudal geprägt. Wesentliche kapitalistische Elemente wie die Einbindung in den Weltmarkt, kaufkräftige Absatzmärkte (Handelsmonopol der Krone) und vor allem ein bürgerliches Unternehmertum und eine breite Mittelschicht fehlten. Wirtschaftliche Aktivitäten fanden isoliert voneinander statt und dienten der Produktion von Reichtum für eine kleine adlige Oberschicht. Ein Großteil des Grundbesitzes befand sich in Händen der hacenderos und Kirchenoberen und wurde nur extensiv oder als Rentenkapital genutzt.[6]

Doch spätestens in den letzten drei Dekaden des 19. Jahrhunderts verabschiedete sich Guatemala von seinem feudalen Erbe und trat in eine bürgerlich-liberale Freihandelsepoche ein, die als markanteste Epoche in der Geschichte des zentralamerikanischen Landes angesehen werden kann. Denn in diesen dreißig Jahren wurden Maßnahmen von bisher ungekannten Ausmaß umgesetzt, deren Folgen bis in die Gegenwart hinein reichen.

Erste liberale Gehversuche

Die erste Liberalisierungswelle unter Präsident Mariano Gálvez (1831-39) wogte bereits zehn Jahre nach der Unabhängigkeit heran. Sie währte nur kurz, setzte aber einen starken Strukturwandel in Gang. Die liberale Regierung hob die kolonialen Schutzgesetze auf, verbot kommunalen Landbesitz und zerschlug die bis dahin bestehenden lokalen Autonomien. Immer mehr indianisches Gemeindeland fiel der Privatisierungsoffensive und Ausweitung des Großgrundbesitzes zum Opfer.[7]

Als ökonomisches und politisches Vorbild der Modernisierung galt Europa. Daher versuchte man - zunächst vergeblich - europäische Siedler ins Land zu locken. Außerdem wollten die Liberalen ihre Herrschaft mit einem homogenen Nationalstaat mit formalrechtlich gleichgestellten Bürgern absichern. Dieses ebenfalls nach europäischem Muster konzipierte Konstrukt musste scheitern, denn es beinhaltete keine sozialen Reformen. Stattdessen versperrte der liberale Staatsapparat trotz anders lautender Versprechen einem Großteil der indianischen Bevölkerung den Zugang zu Bildung und entzog ihnen mit der Vertreibung von ihrem Land die Lebensgrundlage.

Das radikale Reformpaket der Liberalen provozierte einen klassenübergreifenden Aufstand von ladinischen Bauern, Indígenas und der Kirche, der den konservativen Diktator Rafael Carrera an die Macht (1839-65) brachte. Dieser leitete eine Regression hin zu einer ständischen Gesellschaftsordnung ein: Carrera stärkte die Position der katholischen Kirche, drängte ausländische Investoren zurück und verbot die Übertragung von indianischem Gemeinschaftsbesitz. Das meiste Indígena-Land beruhte jedoch weiterhin auf Gewohnheitsrecht und nicht auf Eigentumsurkunden, so dass es kaum vor Privatisierungsoffensiven zukünftiger liberaler Regierungen geschützt war.[8] Zunächst aber reaktivierte Carrera die alten Kolonialgesetze zum "Schutz und zur Entwicklung der Indígenas", da "... die Natur zwar allen Menschen gleiche Rechte gegeben habe, ihre Chancen in der Gesellschaft jedoch nicht die gleichen seien. Um also das soziale Gleichgewicht aufrechtzuerhalten ... müßten die Schwachen gegen die Starken verteidigt werden. Deshalb müßten Gesetze die schwache Gruppe der Indígenas schützen und eine verbesserte Bildung sie dabei unterstützen, nicht in ihren Rechten betrogen zu werden und sie nicht in der Ausübung der von ihren Vorfahren übernommenen Traditionen und Bräuche zu stören."[9] Die konservative Ideologie festigte die schon vorhandenen kulturellen, ökonomischen und politischen Unterschiede und zementierte den Status der Indígenas als Bürger zweiter Klasse.[10] Andererseits konnten sie innerhalb dieser Statik weiterhin regional begrenzt ihre autonomen Wirtschaftsformen ausüben und ihre kulturelle Identität bewahren. Von Bildung und damit von jeglichen Aufstiegsmöglichkeiten blieben die Indígenas wie zu Zeiten der Liberalen nahezu ausgeschlossen.

"Während die 'Konservativen' eine 'Politik der Differenz' verfolgten, die den Indígenas unter dem Argument ihrer 'Schutzbedürftigkeit' die gleichberechtigte Partizipation auf nationaler Ebene verwehrte, betrieben die 'Liberalen' mit dem Argument der Gleichheit und Gleichbehandlung aller eine Politik der Assimilation der indigenen Bevölkerung unter die Maßstäbe der ladinisch definierten guatemaltekischen Nation. Sie betrachteten die indigene Bevölkerung und deren Lebensweisen in erster Linie als Hindernis für die Modernisierung der Nation Guatemala und für deren innere Einheit. Beiden Positionen diente die Feststellung ethnischer Differenz letztlich der Sicherung von Privilegien der herrschenden Gruppen."[11]

Auch wenn der erste liberale Anlauf nur ein kurzes Intermezzo war, hatten die Liberalen ihre machtpolitische Lektion gelernt. Denn "Carrera`s success showed that Guatemala`s masses could not be dispossessed as long as they remained politically unified. In building a stronger state apparatus and formenting capitalist development in Guatemala, the new Liberals found it both possible and useful to divide the masses."[12]

Aufstieg und Konsolidierung des liberalen Modells

Der endgültige Siegeszug des Liberalismus setzte nach 1870 ein, als sich die ökonomischen Rahmenbedingungen grundlegend veränderten: Als Europa Mitte des 19. Jahrhunderts Verfahren zur Herstellung synthetischer Farbstoffe entwickelte, brachen Guatemalas Exporte von Indigo und Koschenille ein. Nun musste das defizitäre Loch in der Handelsbilanz gestopft werden. Als Lückenfüller bot sich Kaffee an, denn schließlich hatten die Nachbarländer Costa Rica und El Salvador bereits Erfahrungen mit dem Cash-Crop-Produkt[13] gesammelt. Zudem herrschten in Guatemala äußerst günstige klimatisch-naturräumliche Bedingungen für den Kaffeeanbau. Präsident Justo Rufino Barrios, selbst Großgrundbesitzer und Angehöriger der kreolischen Oberschicht, forcierte in seiner Amtszeit (1871-85) den Aufbau einer exportorientierten Plantagenökonomie.

Die Liberalen erklärten kollektive Landbesitzformen für illegal, überführten Kirchen- und Gemeindeländereien in Privatbesitz, begünstigten Investoren im Exportsektor mit niedrigen Landverkaufspreisen und bauten landesweit die Infrastruktur (Häfen, Straßen, Eisenbahnlinien, Telekommunikation) aus.[14] Die neue Wirtschaftspolitik sah sich von glänzenden Wachstumsraten bestätigt: Das Exportvolumen verfünffachte sich in nur 20 Jahren, und die braune Bohne machte Ende des 19. Jahrhunderts bereits 80-90 % des Gesamtexports aus. Schon 1883 hatte sich das kleine Land zu einem der größten Kaffee-Exporteure der Welt entwickelt.[15]

Die neu entstehende Kaffeebourgeoisie setzte sich aus der alten kreolischen Führungsschicht und europäischen Investoren zusammen. Insbesondere aus dem Deutschen Reich immigrierten Händler und Pflanzer, mit Know-How und Kapital im Gepäck. Schon bald befand sich ein Drittel der nationalen Produktion in ihrem Besitz. Auch als Kreditgeber und Kontrolleure des Im- und Exports spielten sie eine bedeutende Rolle.[16] Dieser starke ausländische Einfluss war gewollt – trotz der Abhängigkeiten, die er mit sich brachte. Die liberalen Eliten strebten ein Wirtschafts- und Nationalstaatsmodell nach europäischem Vorbild an. Man sah sich als Teil Europas und errichtete in den Städten ein Spiegelbild europäischen Lebensstils: In Guatemalas Hauptstadt zeugt noch heute ein kleiner Eifelturm von der Nachahmungswut europäischer Kultur.

Die liberale Wirtschaftspolitik fokussierte vor allem darauf, Guatemala stärker in den wachsenden Welthandel einzubinden. In der sich neu formierenden kapitalistischen Weltordnung hatten die Führungsriege am meisten zu gewinnen, wenn sie als Brückenköpfe für die industriellen Zentren in Europa fungierten und im Modell der internationalen Arbeitsteilung einen abhängigen, peripheren Entwicklungsweg als Agrarexporteur einschlugen.[17] Im Zuge der globalen Fortschrittseuphorie wurde der Weltmarkt zu einer säkularisierten Ersatzreligion und zivilisatorischen Utopie überhöht. Der Ökonom Belgrano blies wie viele andere ins Horn der Freihandelspropaganda: "Je mehr sich ein Staat der absoluten Freiheit im gesamten Außen- und Binnenhandel nähert, um so mehr nähert er sich seinem ewigen Wohlstand: Wenn es dabei Hindernisse gibt, dann vollziehen sich seine Schritte zum Wohlstand schwerfällig und langsam."[18] Angesichts der Kompromisslosigkeit, mit der Guatemalas Regierung sämtliche Hindernisse aus dem Weg räumte, spricht Riekenberg von einer "Liberalen Entwicklungsdiktatur".[19]

Ideologische Grundlagen des liberalen Herrschaftsmodells

Guatemalas liberales Modell benötigte eine ideologische Absicherung der bestehenden Machtverhältnisse, die auf der Zuschreibung von Höher- und Minderwertigkeit beruhte. Der aus Europa importierte Fortschrittsglaube basierte auf einer linearen Vorstellung von kontinuierlich anhaltendem ökonomischem Wachstum und Erkenntnisgewinn. Dieses spezifische kulturelle Konstrukt des Westens, das noch heute weltweit die Definitionsmacht beansprucht, beruht auf den Säulen des Konkurrenzprinzips und der individuellen Leistungsbereitschaft.[20] Verbunden damit war ein evolutionäres Entwicklungsstufenmodell: Die höchste zivilisatorische Stufe der Erkenntnis erreichten jene, die die liberalen Werte verinnerlicht hatten und sich mit Technik und Bildung die Natur aneigneten. Mit der Ausbreitung von Handel und Plantagensystem assoziierte man eine zunehmende Naturbeherrschung, ja gar einen "nachahmenden Schöpfungsprozess."[21] Mangelnde Kontrolle der Natur verbanden die Liberalen dagegen mit geringer Leistungsfähigkeit. Auf diesem ideologischen Nährboden entstand ein spezifisch guatemaltekischer Rassismus, der sich vor allem gegen die Indígenas richtete. Man setzte sie mit Natur gleich und stufte sie so als potentiell fortschritts- und zivilisationsfeindlich ein. Ihre religiös-spirituelle Tradition halte sie im "Ewig-Gestrigen" (Max Weber) fest, und aufgrund mangelnder Bildung seien sie schicksalhaft in ihrer Unterentwicklung gefangen. Auch die staatlich gelenkte Zuwanderungspolitik verlief ganz im Sinne der rassistisch-liberalen Leistungsideologie, denn man war davon überzeugt, dass weiße Europäer am produktivsten wirtschaften.[22] Dementsprechend wichtig war es für die herrschenden Klassen, sich als Weiße und Europäer, also als Träger einer höherwertigen Kultur, zu fühlen.

Die ehemals biologischen Kriterien des Rassismus verloren in Guatemala im Laufe der Zeit mehr und mehr an Bedeutung und vermischten sich mit modernen Formen. Man sah "Indianer" nicht mehr als eine andere biologische Art an, sondern degradierte sie mit stereotypen Zuweisungen von minderwertigen Eigenschaften zu Modernisierungsverlierern. Kulturelle Fremdheit und ökonomische Rückständigkeit wurden mit dem Stigma der Minderwertigkeit verbunden.[23] Es entstand eine neue Form des liberalen Kulturrassismus, dessen Abgrenzungsfunktion auch dazu diente, die auf Klassengegensätzen beruhende Herrschaftsform zu verschleiern.

Parallel dazu bildete sich eine Mentalität der Nichtwahrnehmung heraus: Der kulturellen und ökonomischen Andersartigkeit der Indígenas brachte man keinerlei Interesse entgegen. Was zählte, war lediglich deren Verwertbarkeit im Arbeitsprozess, wie es der deutsche Finca-Verwalter Karl Sapper Ende des 19. Jahrhunderts anschaulich beschrieb: "Wer die Eingeborenen und ihre Sitten genau kennt und mit ihnen in ihrer Umgangssprache zu sprechen versteht und zudem über den nötigen pädagogischen Takt verfügt, der wird überall auch gute Erfahrungen mit ihnen als Arbeiter machen. Wohl ist ihre Intelligenz vielfach weniger entwickelt ..., aber überall finden sich doch auch wieder geschicktere Hände, die den schwierigen Aufgaben gewachsen sind, und wer sichs nicht verdrießen läßt, mit Geduld und Nachsicht arbeitsungewohnte Gesellen allmählich zu geschickten Helfern umzugestalten, der wird überall gute Erfolge erzielen ... Rassenhochmut muß ausgeschaltet bleiben, wenn ein inneres Verhältnis und ein fröhliches Zusammenarbeiten mit den Eingeborenen erreicht werden soll. Aber damit ist nicht gesagt, daß man sich etwa auf gleiche Stufe mit den Eingeborenen in Sitten, Gebräuchen und Redeweise stellen soll; vielmehr muß immer Abstand gewahrt bleiben, damit der Eingeborene den nötigen Respekt behalte. Ein gesunder Rassestolz muß den Siedler davor bewahren, sich mit Eingeborenen allzusehr auf eine Linie zu stellen; er muß die Grenze einhalten können, die zwischen Weißen und Farbigen einmal besteht, und soll nie vergessen, was er dem Ansehen seiner eigenen Rasse schuldig ist. (...) Wir müssen aber versuchen, auch künftighin die Herrenstellung der Weißen in den Ländern mit farbiger Bevölkerung aufrecht zu erhalten."[24]

Für die Kritik an der angeblichen Modernisierungsfeindlichkeit der Indígenas lassen sich zahlreiche Beispiele finden: Sie brächten "häufig ... Rechtsansprüche auf Ländereien vor, die sie nicht kultivieren und verhindern den Verkauf von Böden, die sie nicht besitzen ... Sie geben sich damit zufrieden, kleine Felder anzulegen"[25] und verhinderten so den dem Gemeinwohl dienlicheren Kaffeeanbau. In einer Reiseschilderung aus dem Jahr 1878 heißt es: "Die Presse der Ladinos sieht in den Indianern das größte Hemmnis für den geträumten Progreso und Desarrollo des Landes, und spricht es offen aus, daß ihr Untergang ein Glück wäre."[26]

Zum Modernisierungsrausch der Liberalen gehörte es, Aufstiegsoptimismus zu verbreiten. Das Schicksal des Einzelnen hänge von seiner Bereitschaft ab, Eigenverantwortung zu übernehmen. Jeder Besitzende sei ein Beispiel, dass man es durch Tüchtigkeit zu Reichtum bringen könne. Voraussetzung sei der Ausbau der Bildung. In einer Festrede von 1875 tritt der "Bildungsfetischismus" besonders deutlich zutage: "Der Einfluß der Bildung ist, wie Sie sehr wohl wissen, etwas wunderbares; sie verwandelt alles wie durch Zauberkraft. Vergleichen Sie nur ... ein Individuum der indianischen Rasse, das für das Licht der Zivilisation ganz unzugänglich zu sein scheint; vergleichen Sie ihn, sage ich, mit einem Dorfbewohner der Nationen, die die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht erreicht haben. Sie werden finden, daß der erstere auf dem Land dahinvegetiert ...; in seinen Anbaumethoden und seinem ganzen Verhalten ist er ein Gewohnheitsmensch, und es ist fast unmöglich, daß er irgendetwas anders macht als seine Vorväter ... Wenn man zu ihm von der Religion spricht, stellt sich heraus, daß er gar keine hat ... Er ersetzt sie durch einen rein sinnlichen Götzendienst. Nicht so der Landwirt ...; der mit dem heiligen Öl der Bildung gesalbt ist ... In seinen Anbaumethoden führt er bewunderungswürdige Verbesserungen ein, dank der ... Kenntnisse, die er sich über die Naturerscheinungen angeeignet hat."[27]

In der liberalen Rhetorik sollten gleiche Ausbildungschancen für alle die Grundlagen dafür schaffen, dass jeder eine seinem Talent und Fleiß entsprechende soziale Stellung bekäme. Auch die rückständigen Indígenas müssten in das neue Bildungssystem integriert und so Teil des modernen guatemaltekischen Nationalstaats werden. Zum einen aber ließen unerfüllte Bildungsversprechen den Indígenas kaum Möglichkeiten zum Aufstieg innerhalb der liberalen Gesellschaft. Vor allem jedoch verbarg das euphorische Szenario des individuellen Erfolgsweges völlig, dass das liberale Modell gar nicht auf freien Entscheidungen, sondern auf kultureller Zwangsassimilation beruhte. "Im Sinne einer evolutionistischen Ideologie von Rassenhierarchien sollten die als höher entwickelt geltenden spanischen und mestizischen Bevölkerungsgruppen den 'zurückgebliebenen' Teilen (als diese galten die Indígenas) helfen, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Die Reaktion, daß dieses Bestreben von vielen Indígenas zurückgewiesen wurde, verstanden die criollos (...) wiederum nicht und sahen ihr Vorurteil von der 'Ignoranz' der Indígenas bestätigt."[28] Der Versuch der Indígenas, ihre kulturelle Identität zu schützen, wurde von der Modernisierungselite als mangelnde Anpassungsleistung gewertet. Jeder, der sich weiterhin gegen die Moderne und für kulturelle Rückständigkeit entschied, hätte also seine sozioökonomische Marginalisierung selbst zu verantworten. Mit dieser Schuldzuweisung konnte die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher (Klassen)Realität und dem auf Chancengleichheit basierenden Partizipationsversprechen des liberalen Bürgertums gerechtfertigt werden.[29]

Der invasive Strukturwandel und seine sozioökonomischen und -kulturellen Auswirkungen

Der Kaffeeboom besiegelte Guatemalas Weltmarkteinbindung endgültig und veränderte die Raumstruktur des Landes drastisch. Während die Farbstoffe nur in bestimmten Tieflandregionen angebaut wurden, dehnten sich die Kaffeeplantagen nun auch auf das Hochland aus, was die bisherigen Landbesitzstrukturen und Lebensverhältnisse der Kleinbauern auf verheerende Weise umwälzte.

Da insbesondere die zwei- bis dreimonatige Erntesaison auf den Kaffeeplantagen sehr arbeitsintensiv war, konnten die freien Lohnarbeiter den Arbeitskräftebedarf nicht decken. Zur Produktionssteigerung und Profitmaximierung benötigten die Plantageneigner ein Heer flexibel verfügbarer Arbeitskräfte, eine "agrarische Reservearmee". Die ehemals sich selbst überlassenen indigenen Dorfgemeinschaften wurden jetzt als Reservoir angesehen, und ein stark ausgebauter Verwaltungsapparat stellte mit verschiedenen neuen Gesetzen sicher, dass man sich Arbeitskraft auch zwangsaneignen konnte. Der Arm des Staates war bis Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur stärker, sondern auch erheblich länger geworden und langte jetzt in Richtung der ländlichen Indígena-Gemeinden.[30]

Wie in der Kolonialzeit wurden diese wieder mit Steuern belegt (Tributpflicht), und auch das mandamiento erlebte eine Renaissance.[31] Die aus den Dörfern rekrutierten Arbeiter mussten für eine bestimmte Anzahl von Tagen auf den Plantagen Lohnarbeit verrichten. Einige dieser saisonalen Migranten führten bei ihrer Rückkehr neue Wertvorstellungen und Moden ein und weichten die traditionellen Sozialstrukturen der Dorfgemeinschaft auf.

Ferner hatten die Indígenas stets Arbeitspapiere bei sich zu tragen, in die der finquero Angaben zu Arbeitsleistung, Verhalten und Kreditwürdigkeit der Person eintrug. So konnte eine ganze ethnische Gruppe kontrolliert und diszipliniert werden. Die rechtliche Grundlage boten Gesetze gegen Vagabundentum, mit denen man jede Person, die keine lohnabhängige Beschäftigung ausübte, zu jeder Arbeit zwingen konnte (neben Plantagenarbeit gab es die "Berufsoptionen" Straßenbau und Militärdienst).[32] Ausnahmen galten lediglich für diejenigen, die lesen und schreiben konnten und ihre traditionelle Kleidung aufgaben, sich also ladinisierten.[33] Hier stach das kulturrassistische Menschenbild der Liberalen besonders deutlich hervor.

Ein weiterer Aneignungsmechanismus war die Schuldknechtschaft. Dabei halfen Arbeitskräfte-Anwerber (zumeist Ladinos) kräftig nach: Man bot dem Organisator eines indianischen Dorffestes einen großzügigen Vorschuss (habilitación) an, mit dem er eine rauschende Feier geben und so sein Prestige aufrecht erhalten konnte. Der Verschuldete konnte den Betrag zumeist nicht sofort zurückzahlen und daraufhin zur Arbeit auf den Plantagen verpflichtet werden. Die dort gezahlten Niedriglöhne reichten bei Weitem nicht, um die Ausgaben der Schuldner zu decken, so dass sie noch tiefer in der Verschuldungsspirale versanken.[34] Die rechtliche Grundlage für die Einklagbarkeit von Schuldverträgen bot das Reglamento de Jornaleros von 1877. Wie sehr dieses Gesetz den Plantagenbesitzern entgegenkam, drückten sie in einem Dankesbrief an die Regierung aus: Nun hätten sie endlich die rechtliche Handhabe, die "faulen Indianer" zur Arbeit zu zwingen.[35]

Gemäß der liberalen Prämisse des Rechtes auf Privateigentum trat der Staat als dessen Schutzmacht auf. Parallel zu den Arbeitsgesetzen setzten staatliche Institutionen seit den 1870er Jahren einen großräumigen Enteignungsprozess in Gang. Der Grundbesitz der Kirche wurde 1873 unter Vorgabe von Anbaurichtlinien an private Pflanzer verteilt, ebenso wie indianisches Gemeindeland. Als Rechtfertigung für diese gewaltigste innere Landnahme seit der Eroberung durch die Spanier[36], die zahlreiche Indígenas ihrer Existenzgrundlage beraubte, führte man auf, dass die geringe Anzahl von Privateigentümern für die Rückständigkeit des Landes verantwortlich sei.[37]

Erstmals waren nun auch die ehemals abgeschotteten indianischen Gemeinden des westlichen Hochlandes bedroht. Denn als der Schutzstatus der Kolonialgesetze aufgehoben und das neue Agrargesetz von 1877 erlassen wurde, konnten sich Pflanzer wie Zwischenhändler auch dort niederlassen (mit dem Landkauf sicherte man sich auch gleichzeitig die darauf lebenden Arbeitskräfte). Ihnen folgten Arbeitsvermittler und Alkoholverkäufer.[38] Alle Pächter mussten ihr Land nun innerhalb von 18 Monaten registrieren lassen und erwerben, um eine öffentliche Versteigerung auf dem freien Markt zu verhindern. Den meisten fehlten dazu die finanziellen Mittel.[39] Indianisches Gemeindeland ohne eindeutigen Besitztitel wurde nicht selten zum Staatsland erklärt und bei Verwaltungsstellen zum Verkauf ausgeschrieben, wenn nicht fristgerecht mit einer Besitzurkunde ein Veto dagegen eingelegt wurde. Zudem konnten alle Ländereien, auf denen kein Kaffee, Kakao, Zucker oder Viehfutter angebaut wurde, als Brachland deklariert und beschlagnahmt werden[40], selbst jene, die der Nahrungsmittelproduktion dienten. Die staatlichen Beamten nutzten ihren juristischen Wissensvorsprung bewusst aus, und bis die Indígenas (die zumeist weder lesen und schreiben konnten noch Privateigentum und Mechanismen der Privatisierung kannten) den Betrug bemerkten, war die Enteignung längst abgeschlossen. Bei deren Übervorteilung spielten die Ladinos als willige Vollstrecker des Staatsapparates eine wichtige Rolle.

Selbst jene Indígenas, die nicht in der Enteignungswelle ertranken, waren häufig dazu gezwungen, in der Saison für einen minimalen Lohn als Wanderarbeiter auf den Kaffeeplantagen zu arbeiten. Denn man hatte sie auf unfruchtbare, erosionsanfällige Hanglagen zurückgedrängt, die keine ausreichende Grundlage mehr zur Subsistenzwirtschaft boten.[41] Diese gewaltsame Entziehung der agrarischen Basis degradierte die Kleinbauern zu "Lohnsklaven", denn nun konnten die Großgrundbesitzer während der saisonalen Erntezeit aus einem großen Pool von Arbeitskräften schöpfen, ohne auf arbeitsrechtliche Mindeststandards Rücksicht nehmen zu müssen. Die Landenteignung erfüllte also zweierlei Funktion: Sie schuf exportorientierte Anbauflächen und sicherte deren Versorgung mit abhängig gemachten Arbeitskräften.[42] Trotz umfangreicher Zerstörung des kommunalen Landbesitzes benötigte das Plantagensystem diesen bis zu einem gewissen Ausmaß. Denn die Indígenas sollten sich außerhalb der Zeit der Kaffee-Ernte auf ihren Feldern in den Dorfgemeinschaften selbst versorgen. Die Subsistenzwirtschaft stellte sicher, dass die Arbeitskräfte zwar saisonal für das Kapital produzierten, sich aber außerhalb der Saison nichtkapitalistisch reproduzierten.[43]

Auf ihrem Zug von Osten nach Westen drangen zahlreiche Ladinos in die indigenen Gemeinden des westlichen Hochlandes ein und änderten dort die ethnische Bevölkerungsstruktur erheblich. 1950 setzte sich bereits ein Drittel der ländlichen Bevölkerung aus Ladinos zusammen.[44] Damit wurde die klare ethnisch-räumliche Trennung von Indígenas und Ladinos aus der Kolonialzeit aufgehoben: Die indianischen Gemeinden konnten sich nur in der Höhenzone tierra fria umfassend erhalten, deren Klima für den Kaffeeanbau ungeeignet ist.

Während die sozioökonomische Ausgrenzung der Indígenas zunahm, zählten einige Ladinos zu den Modernisierungsgewinnern. Ihnen boten sich Aufstiegsmöglichkeiten in den lokalen Verwaltungspositionen des wachsenden bürokratischen Apparats (zum Beispiel als Lehrer, Anwälte, Buchhalter, Techniker, Arbeitskräfte-Anwerber und Landvermesser). Nicht wenige machten im westlichen Hochland Karriere, vom Vorarbeiter bis hin zum mittleren Grundbesitzer, manche übernahmen gar politische und ökonomische Schlüsselpositionen. Wenn man bedenkt, dass die Ladinos vor der Unabhängigkeit den Indígenas bis auf ihre Befreiung von Tributzahlungen sozial, rechtlich und politisch gleichgestellt waren, lässt sich die Dimension ihres gesellschaftlichen Aufstiegs erkennen. Die soziale Schere zwischen den beiden am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen klaffte nun immer weiter auseinander. Mit der Verbesserung ihres sozialen Status verinnerlichten die Ladinos ein Gefühl der Überlegenheit über "das Indigene". Selbst die Mehrzahl der ladinischen Wanderarbeiter, die vom Aufstieg ausgeschlossen blieben und auf den Plantagen Lohnarbeit verrichteten, entsolidarisierten sich und bezogen ihren Rest von Selbstwertgefühl aus der Tatsache, dass sie immer noch besser gestellt seien als die Indígenas.

Mit dem Modell "sozialer Aufstieg durch Integration und Anpassung" identifizierten sich sowohl die Eliten als auch die Ladinos, denn beide zogen daraus Vorteile. Aus Sicht ersterer war es elementar für die Stabilität des neuen Herrschaftssystems, einigen Bevölkerungsteilen das Gefühl zu geben, Teil eines modernen fortschrittlichen Nationalstaats zu sein, indem man sie am produktiven Reichtum partizipieren ließ.[45] Die entstehende kapitalistische Nation bedurfte einer integrierten und loyalen, wenn auch kleinen, Mittelschicht. Und die Ladinos konnten ihren sozialen Aufstieg in eben diese nur sicherstellen, indem sie Kultur und Wertesystem der Herrschenden imitierten. Ihr neues Klassen(selbst)bewusstsein fand in der Übernahme des westlich-modernen Lebensstils seinen Ausdruck. Die strukturelle Gewalt dieser Assimilierung tritt kaum zutage, da der Schritt in die Moderne mit sozialem Aufstieg belohnt wird und somit von den Ladinos "freiwillig" unternommen wird. Der Elite gelang es im Falle der Ladinos, "dem Einheimischen neue Betrachtungsweisen aufzuzwingen, besonders eine geringschätzige Einschätzung seiner ursprünglichen Existenzformen."[46] Da in den Adern der Ladinos zumindest teilweise "weißes Blut" floss und sie bereit waren, sich mit der modernen Nation zu identifizieren, widersprach ihr Aufstieg nicht dem traditionellen und modernen rassenhierarchischen Denken.[47]

"Die Ladinos waren willige Agenten der kreolischen Macht, nicht nur, weil einige von ihnen von der Ausbeutung der Indígenas profitierten, sondern weil alle von ihnen davon profitierten, als Nicht-Indianer behandelt zu werden."[48] In der Phase der Modernisierung wurden die Ladinos zu Erfüllungsgehilfen der liberalen Reformen. Smith bezeichnet sie als sichtbare Agenten des unterdrückerischen Systems, hinter denen die "weiße" kreolische Elite nahezu unsichtbar bleibt.[49]

Der Aufstieg der Ladinos gefährdete die Stellung der kreolischen Elite nicht, weil er auf Kosten der schwächsten Klasse erfolgte. Die Übertragung lokaler Privilegien und Machtbefugnisse über die Indígenas blieb stets unter Kontrolle der weißen Eliten: Die Ladinos waren nur Marionetten der Regierung und besaßen keine autonomen Strukturen mit eigener ökonomischer Basis[50], wie sie sich einige Indígena-Gemeinden bewahren konnten. So entstand eine hierarchisch gesteuerte Machtverteilung. Heckt spricht hier von "ethnische(r) Grenzziehung als Mechanismus von Herrschaft."[51] "Während im 19. Jahrhundert die politische und ethnische Teilung zwischen 'weißer Elite' (criollos) und 'nichtweißen Massen' (Indígenas und Ladinos) verlief, verlagerte sich diese Trennlinie mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und verläuft seitdem zwischen Indígenas und Ladinos."[52] Die Indígenas beantworteten ihre zunehmende ökonomische Ausgrenzung mit kollektivem "Mißtrauen gegen die neuen Herren, verbunden mit ethnischer Abgrenzung und passivem Widerstand ..."[53] In Anbetracht fehlender Entfaltungsmöglichkeiten hielten sie noch stärker an ihrer Kultur fest und verteidigen diese bis heute erfolgreich. So bildete sich eine statische Gesellschaftsordnung mit einer sehr starken Klassenspaltung entlang ethnischer Grenzen heraus, die gegenwärtig ein zentrales Problem Guatemalas darstellt und progressive soziale Entwicklungen blockiert.

Auch die Nachahmung des europäischen Lebensstils sowohl von Seiten der Eliten als auch der ladinischen Mittelschicht verhinderte das Entstehen einer eigenen und gemeinsamen nationalen Identität. Wandel und Entwicklung kamen nicht aus der inneren Dynamik der Gesellschaft, sondern von außen durch den Weltmarkt und den Zufluss ausländischen Kapitals. "Die zwangsweise Eingliederung der Bevölkerung in die Export-Produktion und die Übertragung fremder Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle verhinderten eine selbständige Entwicklung Guatemalas. Das Land wurde als untergeordnete Nation in die Weltwirtschaft eingegliedert."[54]

Unter den damit verbundenen Abhängigkeiten leidet Guatemala bis heute. Denn die Kaffee-Monokultur schuf nicht nur eine strukturelle Heterogenität zwischen modernem Export- und traditionellem Subsistenzsektor, sondern birgt auch breite Risiken in sich, von Schädlingsbefall bis zu sinkenden Weltmarktpreisen. Der Rückgang des Nahrungsmittelanbaus führte trotz steigender Nahrungsmittelimporte in der jüngsten Vergangenheit immer wieder zu Hungersnöten.[55] Für die Rechnung der liberalen Führer, die "... Fortschritt mit Kapitalismus und das Wohlergehen der Nation mit dem Wohl der eigenen Schicht gleich..."[56] setzten und ihre Wirtschaftspolitik einseitig auf kurzfristig hohe Wachstumsraten ausrichteten, zahlt die ausgegrenzte Bevölkerungsmehrheit bis heute einen hohen Preis.

Anmerkungen

[1] Indígenas ist der landestypische Begriff für die Nachfahren der indianischen Ureinwohner.

[2] Als Ladinos wurden diejenigen Indianer bezeichnet, die (größtenteils nicht freiwillig) ihre traditionelle Lebensweise aufgaben, Spanisch lernten und sich in das System der Kolonialherren integrierten. Auf diese Weise gelang einigen ein sozialer Aufstieg – insbesondere nach 1871. Seit der Liberalisierung fasst man unter dem Begriff alle Mestizen, die keine Verbindung zur indianischen Kultur haben, zusammen.

[3] Smith, Carol A. (1992b): Origins of the National Questions in Guatemala: A Hypothesis. In: Smith, Carol A. (Hg): Guatemalan Indians and the State: 1540 to 1988, Austin, S. 72-95, hier S. 77

[4] Riekenberg, Michael (1990): Zum Wandel von Herrschaft und Mentalität in Guatemala. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte Lateinamerikas, Wien, S. 22f

[5] Zur Rechtfertigung dienten rassistische Ideologien. Ginés de Sepúlveda, ein Vertreter gewaltsamer Bekehrung, hielt Indianer für Barbaren, "die von Natur aus anderen gehorchen müssen und deren Herrschaft ablehnen." Allein die "naturgegebene Sklaverei" sei imstande, die Indianer "zu wahrer Humanität, zur Tugend und zur Religion zu erheben" (Zitat in: Kossok, Manfred/Markov, Walter (1955/56): Konspekt über das spanische Kolonialsystem, II. Teil. In: Krüger, Hans-Jürgen: Einführung in Geschichte und Gesellschaft Lateinamerikas, Berlin, keine Jahresangabe, 23 03 23).

[6] Trümper, Katharina (1996): Kaffee und Kaufleute. Guatemala und der Hamburger Handel 1871-1914, Hamburg, S. 15

[7] Riekenberg, a.a.O., S. 54ff

[8] Hamnett, Brian R. (1992): Zentralamerika 1821-1900. In: Handbuch der Geschichte Lateinamerikas. Lateinamerika von 1760-1900, Band 2, Stuttgart, S. 557-577, hier S. 569

[9] Heckt, Meike (2000): Guatemala. Interkulturelle Bildung in einer ethnisch gespaltenen Gesellschaft, Münster, S. 55

[10] Woodward, Ralph Lee Jr. (1990): Changes in the Nineteenth-Century Guatemalan State and its Indian Policies. In: Smith, Carol A. (Hg): Guatemalan Indians and the State: 1540 to 1988, Austin, S. 52-71, hier S. 67

[11] Heckt, a.a.O., S. 222

[12] Smith, 1992b, a.a.O., S. 83

[13] Im Gegensatz zu Food Crops ("Nahrungsfrüchte") bezeichnen Cash Crops im Agrarbereich Feldfrüchte, die speziell zum Verkauf und Export angebaut werden.

[14]Wünderich, Volker (1994): Die Kolonialware Kaffee von der Erzeugung in Guatemala bis zum Verbrauch in Deutschland. Aus der transatlantischen Biographie eines "produktiven" Genußmittels (1860-1895). In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte, S. 37-60, hier S. 39

[15] Wünderich, Volker (1991), Der Kaffeekonsum in Europa und die Transformation Guatemalas im Zeitalter der Liberalen Reform. In: Peripherie Nr. 43/44, S. 147-159, hier S. 153. In dem entstehenden bürgerlich-liberalen Milieu Europas erfüllte das "strategische Handelsgut" Kaffee als die Arbeitseffektivität steigernde Leistungsdroge sowie aufgrund seiner klassenübergreifenden Ausstrahlungskraft ebenfalls wichtige Funktionen. Nun konnten sich auch kleinbürgerliche und proletarische Schichten als Konsumenten der Kolonialwaren als Teilhaber von Deutschlands Weltmachtstellung fühlen (vgl. Wünderich, 1994, a.a.O., S. 49ff). Vor der industriellen Revolution war die "Colonialware" dem Luxuskonsum vorbehalten.

[16] Wünderich, 1994, a.a.O., S. 40. Insbesondere der Deutsch-guatemaltekische Freundschaftsvertrag von 1887 festigte die Investitions- und Handelsströme. Knapp die Hälfte des guatemaltekischen Kaffees gelangte nun durch Dampfergesellschaften nach Hamburg, wo sich eine Reihe von Handelshäusern auf den Kaffeeimport aus Zentralamerika spezialisiert hatte. Erst der schnelle Transport ermöglichte die kommerzielle, großflächige Produktion von Kaffee für den Weltmarkt.

[17] Smith, 1992b, a.a.O., S. 91

[18] Belgrano zit. in: Kossok/Markov, 1955/56, a.a.O., 23 03 40

[19] Riekenberg, 1990, a.a.O., S. 76

[20] Ahlers, Ingolf (1994): Fundamentalismus und Moderne. Zur Dialektik von Eurozentrismus-Kritik und Fremd-Analyse. In: Hannoversche Studien über den Mittleren Osten, Band 15, S. 25-45, hier S. 27f

[21] Wünderich, 1994, a.a.O., S. 56

[22] Smith, 1992b, a.a.O., S. 94

[23] Heckt, 2000, a.a.O., S. 21

[24] K. Sapper zit. in: Heckt, 2000, a.a.O., S. 210f

[25] Jefatura política zit. in: Riekenberg, 1990, a.a.O., S. 76

[26] Wünderich, 1994, a.a.O., S. 42

[27] Zitat in: Wünderich, 1991, a.a.O., S. 155f

[28] Heckt, 2000, a.a.O., S. 56

[29] Noch heute besteht die Grundessenz der Modernisierungstheoretiker darin, dass die Unterentwicklung der Entwicklungsländer darauf beruhe, dass sie sich nicht von den lähmenden Fesseln der Tradition befreit und an die Denk-, Produktions- und Konsummuster moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften angepasst hätten. Gewisse Parallelen zwischen dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts und dem heute global vorherrschenden Neoliberalismus sind offensichtlich.

[30] Smith, Carol A. (1992a): Introduction: Social Relations in Guatemala over Time and Space. In: Smith, Carol A. (Hg): Guatemalan Indians and the State: 1540 to 1988, Austin, S. 1-30, hier S. 16

[31] Smith, 1992b, a.a.O., S. 84; Hamnett, 1992, a.a.O., S. 573

[32] Wünderich, 1991, a.a.O., S. 154

[33] Trümper, 1996, a.a.O., S. 20

[34] Cambranes, J.C. (1985): Coffee and peasants in Guatemala, Vermont, S. 154

[35] Trümper, 1996, a.a.O., S. 20

[36] Smith, 1992b, a.a.O., S. 84; Wünderich, 1991, a.a.O., S. 153

[37] McCreery, David (1992): State Power, Indigenous Communities, and Land in Nineteenth-Century Guatemala, 1820-1920. In: Smith, Carol A. (Hg): Guatemalan Indians and the State: 1540 to 1988, Austin, S. 96-115, hier S. 100

[38] Smith, 1992b, a.a.O., S. 86

[39] Trümper, 1996, a.a.O., S. 17

[40] Kurtenbach, Sabine (1998): Guatemala, München, S. 29

[41] Smith, 1992b, a.a.O., S. 84

[42] Wünderich, 1991, a.a.O., S. 154

[43] In der Theorie lässt sich diese Ambivalenz gut bei Rosa Luxemburg nachvollziehen. Sie spricht von einem "Prozeß des Stoffwechsels, der sich zwischen der kapitalistischen und den vorkapitalistischen Produktionsweisen vollzieht. Ohne sie kann die Akkumulation des Kapitals nicht vor sich gehen. Die Akkumulation besteht aber, von dieser Seite genommen, im Zernagen und Assimilieren jener. Die Kapitalakkumulation kann demnach sowenig ohne die nichtkapitalistischen Formationen existieren, wie jene neben ihr zu existieren vermögen ... Die Akkumulation ist nicht bloß ein inneres Verhältnis zwischen den Zweigen der kapitalistischen Wirtschaft, sondern vor allem ein Verhältnis zwischen Kapital und dem nichtkapitalistischen Milieu ..." (Luxemburg zit. in: Potts, Lydia (1988): Weltmarkt für Arbeitskraft, Hamburg, S. 224)

[44] Smith, 1992b, a.aO., S. 88

[45] Kurtenbach, 1998, a.a.O., S. 35f. In diesem Sinne halte ich es nicht für übertrieben, auch für Guatemala den Begriff "gesellschaftlicher Bestechungsfonds" zu verwenden, den der Sozialwissenschaftler Gellner für die modernen kapitalistischen Demokratien des Westens entwickelt hat.

[46] Fanon, Frantz (1994): Ein Signal für die Verdammten. Frantz Fanons Kritik des kulturellen Rassismus. In: Claussen, Detlev: Was heißt Rassismus? Darmstadt, S. 185-202, hier S. 192

[47] Smith, 1992b, a.a.O., S. 85

[48] ebd., S. 90

[49] ebd., S. 87ff. Die Einbindung der Ladinos in die machtpolitischen Ziele der Regierung ging so weit, dass lokale Revolten jetzt gemeinsam durch die Eliten und Ladino-Milizen niedergeschlagen wurden.

[50] ebd., S. 88

[51] Heckt, 2000, a.a.O., S. 130

[52] ebd., S. 58

[53] Wünderich, 1991, a.a.O., S. 154

[54] Trümper, 1996, a.a.O., S. 26

[55] Wünderich, 1991, a.a.O., S. 156

[56] Burns zit. in: Trümper, 1996, a.a.O., S. 23

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sopos 5/2010