Zur normalen Fassung

Feindrecht - Die rechtsförmige Untergrabung des Rechts

von Kai Rogusch

Krisenhaft sind unsere Zeiten, und düster die Aussichten. Die gegenwärtige, zu einer Systemkrise ausgewachsene Misere an den Finanzmärkten kennt kein Licht mehr am Ende des Tunnels. Heute, in Zeiten der "Notstandspakete", wird aber vergessen, wie schon die Sicherheitspolitik der vergangenen Jahre einen Vorgeschmack gab von einer fahrigen Politik, die sich, unter Beschwörung fatalistischer Bedrohungsszenarien, von den Fesseln demokratischer und verfassungsrechtlicher "Bedenkenträgerei" löst. Seit etlichen Jahren beschwört schon die Sicherheitspolitik die Existenzbedrohung unserer westlichen Gesellschaften, nämlich die Vorstellung eines globalen Terrorismus. Das ist heute ein wenig in Vergessenheit geraten, da die gegenwärtige Wirtschaftskrise von den meisten Menschen mit gutem Recht als existenzbedrohend empfunden wird, wohingegen die "terroristische Bedrohung" sich als das erwiesen hat, was sie in Wirklichkeit bislang ist: ein randständiges Phänomen, dessen legitimatorische Inanspruchnahme der Etablierung eines obrigkeitsstaatlichen Verhältnisses zwischen Bürger und Staat dienen kann.

Gängig ist mittlerweile die Rede von einem "asymmetrischen Krieg": von Terroristen, deren Schlagkraft der von feindlichen Angriffsstaaten entspreche und die zu jedem erdenklichen Zeitpunkt und an jedem Ort "zuschlagen" können. Als Antwort darauf schwebt Sicherheitspolitikern seit geraumer Zeit ein neuartiges Sicherheitsverfassungsrecht vor: Es soll die als altmodisch empfundenen und über das Grundgesetz und andere Gesetze lose verstreuten wehr- und sicherheitsrechtlichen Bestimmungen ersetzen und auf diese Weise "Sicherheitslücken" schließen. So steht seit Jahren der Einsatz der Bundeswehr im Inneren der Republik im Mittelpunkt der sicherheitspolitischen Debatten, und mit der Herausbildung eines speziellen Feindstrafrechtes will man angeblich schon im Vorfeld terroristischer Angriffe mögliche Gefahrenquellen ausschalten.

Düster sind die Bedrohungsbilder, vor deren Hintergrund prominente Politiker heute herkömmliche Grundsätze des Rechtsstaates prinzipiell in Frage stellen. Wolfgang Schäuble sinniert immer wieder über atomare Terroranschlägen und lässt hin und wieder unklare Äußerungen durchsickern, die die Unschuldsvermutung auf dem Gebiet der Terrorbekämpfung anzweifeln. Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung verwirft die "überkommene" Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit: Das sei ein Konzept "von gestern", meint auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Konservative Staatsrechtler, so etwa der angesehene Jurist Josef Isensee, meinen, das hergebrachte Staatsrecht sei nicht zugeschnitten auf heutige "Tendenzen zur Entgrenzung der Gefahr"[1]. Der "globale Terrorismus" habe eine Epoche des "permanenten Ausnahmezustandes" ausgelöst - so auch der konservative Staatstheoretiker Otto Depenheuer, der laut Wolfgang Schäuble[2] mit seinem paradigmatischen Traktat Selbstbehauptung des Rechtsstaats[3] einen wichtigen Beitrag "zum neuesten Stand der Diskussion" geleistet haben soll.

Indem man das weltpolitische Randphänomen verstreuter Terrorakte zu einem ideologisch aufgeladenen Politikum aufwertet, neigt man zu einer dann auch "rechtlich" zementierten Preisgabe demokratischer Rechtsstaatlichkeit. Kein Wunder also, dass sich das aufkommende "Sicherheitsverfassungsrecht" zum Hintergrund eines ständigen Tauziehens zwischen Bundesverfassungsgericht und Sicherheitspolitik entwickelt. Die Verfassungsrichter haben ein Sicherheitsgesetz nach dem anderen - vom "großen Lauschangriff" und der präventiven Telekommunikationsüberwachung über das Luftsicherheitsgesetz bis hin zur Online-Durchsuchung und KfZ-Kennzeichenerfassung - für verfassungswidrig erklärt. Auf diese Weise betreffen die Urteile eine sicherheitspolitische Entwicklung, die darauf hinausläuft, jeden auch noch so unbeteiligten Bürger in ein dichtes Netz staatlicher Maßnahmen der Überwachung und sogar Tötung einzubeziehen.

Die Wahrnehmung des Terrorismus als einer die Grundfesten unseres westlichen Lebensstils bedrohenden Angelegenheit setzt die Richter ihrerseits aber dem Vorwurf aus, den Staat zur Handlungsunfähigkeit[4] zu verurteilen. Die Sicherheitspolitik ist inzwischen schon dazu übergegangen, den Sinn von demokratischen Verfassungen grundsätzlich anzuzweifeln: Sie "entschuldigt" entsprechende Richtersprüche mit dem Hinweis, dass die Verfassungsinterpreten notwendig an ihren rechtlichen Grundkategorien festhalten müssten. Doch in der Stunde der Not, so bereits die schrilleren Stimmen in der Publizistik, sollten sich die Sicherheitsbehörden dann über die geschriebenen Interpretationen des papiernen Rechts einfach hinwegsetzen.

Sicherheitsverfassungsrecht: Die irrationale Entgrenzung des Ausnahmezustands

Hintergrund dieses Konflikts um die Herausbildung eines neuartigen Sicherheitsverfassungsrechtes ist eine eher diffuse Bedrohungswahrnehmung, deren Irrationalität darin liegt, dass sie grundsätzlich von der Vorstellung einer letztlich nicht kontrollierbaren globalen Gemengelage "unerklärlicher" Gefahrenquellen ausgeht. Dermaßen "unvorhersehbar" erscheinen die heutigen Gefahren, dass sie sich nach inzwischen gängiger Betrachtung positiver demokratischer Gestaltungsmöglichkeiten entziehen. Im Zuge dessen ist auch die Vernachlässigung objektiver Risikoanalysen in Mode gekommen, und schlimmste terroristische Anschläge werden fatalistisch herbeibeschworen. Dabei entspringt doch die landläufige fatalistische Annahme einer terroristischen Verfügung über Massenvernichtungswaffen auch heute noch eher einer Angstphantasie: sie blendet die sehr hohen praktischen Hürden aus, die der Erlangung von Biowaffen oder Nuklearbomben und ihres Einsatzes durch nicht-staatliche Akteure entgegenstehen[5].

Dennoch bergen offizielle Äußerungen ob eines angeblich unausweichlich bevorstehenden "Nuklearterrors" tatsächlich die Gefahr, dass die nötigen Maßnahmen, die eine realistische Sicherheitspolitik im Sinne einer stetigen Beibehaltung und Erhöhung dieser auf Massenvernichtungswaffen bezogenen Zugangsbeschränkungen ergreifen sollte, aufgrund eines politisch erzeugten Fatalismus unterbleiben. Zugleich wirken Äußerungen, es sei nicht mehr eine Frage des "Ob", sondern nur noch eine des "Wann" eines atom- oder bioterroristischen Armageddons, als eine geradezu animierende Einladung potenzieller Terroristen. Noch wichtiger aber: Wie soll man eine dringend benötigte und visionäre Weltfriedenspolitik denn noch entwickeln, wenn sich gerade ein antizipiertes sicherheitspolitisches Versagen zum Ausgangspunkt einer konzeptionellen Ausrichtung am Ausnahmezustand entwickelt?

Vor diesem Hintergrund offiziell erzeugter fatalistischer Krisen- und Katastrophenszenarien, in deren Mittelpunkt der Terrorismus zu einer existenziellen Bedrohung mutiert, spielt sich der gegenwärtige Konflikt zwischen Verfassungsgericht und Politik ab. Die Richter müssen sich nun mit der Behauptung auseinandersetzen, es handele sich bei der Konfrontation mit "dem Terror" um einen Krieg; und der rechtfertige die Einführung kriegsrechtlicher Zustände in unsere innerstaatlichen Verhältnisse. Die Aufwertung des Terrorismus zu einer Art Gesetzgeber (s. z. B. Heribert Prantl) folgt daraus, dass man einer auf der ganzen Welt verstreuten Vielzahl von Terrorakten, die verschiedenste Ursachen haben, eine monolithische Wesenheit zuspricht[6].

Kern der gegenwärtigen Feindpolitik ist zum einen die Schaffung eines Rahmens der erleichterten Einführung des Notstands durch ein Absenken der verfassungsrechtlichen Schwellen: Schon ein terroristischer Anschlag irgendwo in Deutschland, gar schon die Annahme terroristischer Gefahren, soll hiernach den ("Quasi"-) Verteidigungsfall einleiten, und obendrein soll gerade der Exekutive bei der Entscheidung über die Qualifizierung eines Ereignisses als Ausnahmezustand größeres Gewicht eingeräumt werden. Hier führt eine Politik des mentalen Ausnahmezustandes zur Verrechtlichung eines alltäglichen Kriegszustandes als neue gesellschaftliche Norm. Dies setzt sich dann auch fort auf der materiell-rechtlichen Ebene eines weiteren Ausbaus des Feindstrafrechts. Die Tendenz, verstärkt die Autorität freiheitlicher Verfassungen in Frage zu stellen, verursacht dabei einen chronischen Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht.

Ein neuartiges Sicherheitsverfassungsrecht würde dem Denken in den Kategorien des Notstands, das sowohl mit den Notstandsgesetzen Ende der 1960er Jahre und der Reaktion auf den RAF-Terrorismus in den 1970er und 1980er Jahren begann, eine gänzlich neue Brisanz verleihen. Zwar vollzog sich damals mit der formellen Verankerung des Verteidigungsfalles und den Anfängen einer feindstrafrechtlichen Anti-Terror-Gesetzgebung zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik so etwas wie eine Institutionalisierung des Ausnahmezustandes. Zugleich finden sich in dieser Zeit auch erste Ansätze einer vor allem prozessrechtlichen Beschneidung von Bürgerrechten. Doch waren in der RAF-Ära sowohl das Feindbild als auch die staatliche Reaktion klar umrissen und damit auch begrenzt. Überdies stellte die damalige Anti-Terror-Politik, auch wenn sie schon damals zu gewissen Überreaktionen neigte, durchaus eine erfolgreiche Bewältigung der ersten "Bewährungsprobe" der damals noch jungen Bundesrepublik dar.

Heute aber, in der Ära des "Kampfes gegen den Terror", geht eine ausufernde Gefahrenwahrnehmung mit einer tendenziellen Entgrenzung des Notstands einher: Der Staat lässt sich dabei seine Anti-Terror-Politik von disparaten Terrorakten gleichsam diktieren. Die Ad-hoc-Gesetzgebung unserer Tage richtet sowohl unser Strafrechtsystem als auch das verfassungspolitische Gefüge am Terrorismus aus. Doch obwohl man dabei, juristisch betrachtet, das Leben der Bürger einer immer engmaschigeren Kontrolle unterwirft, weckt man zugleich immer wieder den Eindruck, die angeblich mutierenden Gefahren auch so nicht wirklich bewältigen zu können. Das so erzeugte chronische Empfinden von Unsicherheit wird zum Selbstläufer, der immer weitere Eingriffe nach sich zieht.

Abkehr vom westlichen Verfassungsverständnis der Aufklärung

Die Herausbildung eines Feindrechtes im Inneren der Republik zwingt das Bundesverfassungsgericht zu einem Konfrontationskurs mit der gegenwärtigen Sicherheitspolitik. Die Einführung kriegsrechtlicher Kategorien in die innerstaatlichen Verhältnisse unterwandert den demokratischen Kernbestand der sozialen Ordnung; sie gefährdet die an den Prinzipien des Universalismus orientierte Vorstellung eines rechtlichen Zusammenschlusses freier und gleicher Menschen.

Die Abkehr vom demokratischen Verfassungsverständnis der Aufklärung liegt zum einen darin, dass auf dem Gebiet des Strafrechtes "Ausnahmen"[7] für bestimmte Sondergruppen ermöglicht werden sollen. Gerade auf diesem Rechtsgebiet, das bis heute das alleinige Monopol einschneidender und dauerhafter Freiheitsbeschränkungen innehat, vollzieht sich eine Abwendung vom allein legitimen Grundgedanken der Freiheitssicherung, der das Strafrecht trägt. Denn nun sollen für bestimmte Gruppen jene strengsten Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gelten, die den Prozess eines dauerhaften Entzugs von Freiheit öffentlich begleiten und auf diese Weise berechenbare Neutralität ermöglichen.

Auch für die große Zahl derjenigen, die nicht in den Kreis als gefährlich erachteter Personengruppen fallen, schwindet mit der Einführung eines Feindstrafrechts der freiheitliche Garantiecharakter strafrechtlicher Verfassungsnormen; denn diese kommen nur dann zum Tragen, wenn sie sich auf alle Bürger erstrecken. Zwar sollen für diejenigen, die als "prinzipiell rechtstreu" gelten, weiterhin das "Bürgerstrafrecht" und jene damit verbundenen rechtsstaatlichen Segnungen gelten. Doch indem sich nun diejenigen, von denen der Staat meint, ihre Handlungen und Absichten richteten sich "prinzipiell und dauerhaft" gegen unsere Rechtsordnung, einem "Feindstrafrecht" gegenübersehen, dessen Zweck in der "Unschädlichmachung"[8] von Gefahrenquellen liegt, verliert das Strafrecht insgesamt seinen freiheitlichen Gehalt.

Die im Feindstrafrecht liegende Tendenz zur Preisgabe der Universalität und Unabdingbarkeit aufgeklärter Rechtsprinzipien durch Aufteilung der Gesellschaft in mehr oder weniger privilegierte Gruppen ist eine maßgebliche Ursache des aktuellen Konflikts zwischen Bundesverfassungsgericht und Politik. So kam auch Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio in einer Rede vor der Bundesakademie für Sicherheitspolitik auf das "Feindrecht" zu sprechen: Er warnte vor einer "mal progressiv und ein andermal zweckrational effektiv daherkommenden Postmodernität", die "uns womöglich ein neues Mittelalter der Gruppenprivilegien und Sonderrechte schmackhaft machen will".[9]

Eine weitere Konfliktlinie, die für anhaltenden Streit zwischen Verfassungsrichtern und Regierung sorgen kann, ist die zunehmende konzeptionelle Einbettung der Sicherheitspolitik in eine erleichterte Veralltäglichung des Ausnahmezustands. Indem ein von Schäuble angestrebtes "Sicherheitsverfassungsrecht" die Schwelle zur Einführung eines Kriegszustandes herabsenken würde, bedeutete dies gerade in Zeiten eines angeblich dauerhaften "Krieges gegen den Terror" eine kontinuierliche Verschlechterung der rechtlichen und ideellen Rahmenbedingungen des freiheitlichen Gemeinwesens. Denn Freiräume gelten in Gesellschaften, die sich existenziellen Bedrohungen ausgesetzt sehen, prinzipiell als "gefährlich". In einem Klima des "permanenten Ausnahmezustandes" sinkt die Wertschätzung demokratischer Willensbildungsprozesse, denen man schleppende Langsamkeit vorwirft; parallel wächst die Macht der Exekutiven und des Militärs.

Fortsetzung des Krieges mit juristischen Mitteln

Protagonisten eines Sicherheitsverfassungsrechtes fordern die Einführung eines "neuartigen Präventionsrechtes", das "Elemente des Kriegsrechtes" aufnehmen müsse[10]. Damit tragen sie einen imaginären Kriegszustand in die innergesellschaftlichen Verhältnisse hinein. Die Neutralität und Frieden stiftende Rolle des Rechts nimmt dabei Schaden. Auch das Strafrecht mutiert zu einer Fortsetzung des "Krieges" mit juristischen Mitteln[11]; der offizielle Erwartungsdruck, die "richtigen" Ergebnisse zu produzieren, lädiert die auf rechtsstaatliche Berechenbarkeit und Vorurteilslosigkeit bedachten Grundsätze eines fairen Strafverfahrens.

Diese Entwicklung ist jedenfalls beim "Anti-Terror-Krieg" der USA erkennbar. Einschneidende Handlungen der Sicherheitsorgane - von der Inhaftierung bis zur Tötung - laufen teilweise völlig außerhalb justizförmiger Verfahren ab. Zudem deutet das Phänomen "Guantanamo" auf die Etablierung einer kriegsförmigen Rechtsprechung hin, die sich außerhalb der herkömmlichen Jurisdiktion befindet und ihre Gefangene so lange festhalten will, bis sie ihre Unbedenklichkeit überzeugend dargelegt haben.

Dass sich die Unterordnung der amerikanischen Strafjustiz unter die Prämissen des Antiterrorkrieges auch auf amerikanische Staatsbürger selbst erstreckt, zeigt der Fall des US-Amerikaners José Padilla. Er wurde unter dem Vorwurf, eine "schmutzige Bombe" einsetzen zu wollen, monatelang der herkömmlichen US-Justiz entzogen. Nach juristischem Tauziehen landete er auf Geheiß des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten dann doch vor einem scheinbar regulären Gericht; den Vorwurf der "schmutzigen Bombe" hatte man inzwischen fallen gelassen. Dennoch setzte sich die Politisierung auch in die Strafjustiz fort: nachdem eine Jury den Angeklagten Padilla nun einer nebulösen "terroristischen Verschwörung" für schuldig sprach, lobte der amerikanische Justizminister Gonzales das Straf-Urteil von 17 Jahren Gefängnis als einen "Sieg im Krieg gegen den Terror"[12].

Auch in Deutschland ist die Orientierung der Gesetzgebung an den Kategorien des Notstandes mit all den möglichen Folgen einer Deformation der Justizpraxis, dermaßen fortgeschritten, dass sich Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio genötigt sah, vor der gesetzgeberischen "Lust am antizipierten Ausnahmezustand" zu warnen[13]. Hier bezog er sich in erster Linie auf das Luftsicherheitsgesetz als den Versuch der Regelung einer vorweggenommenen tragischen Extremsituation. Was mit den Notstandsgesetzen Ende der 1960er Jahre seinen Anfang nahm, gewinnt auf dem Hintergrund des vorgeblich allgegenwärtigen Terrors eine ganz neue Dynamik.

"Bürgeropfer" auf dem Altar der "Sicherheit"

So stark ist heute das Denken in den Kategorien des Notstands, dass selbst das deutsche Grundgesetz in seiner Geltung angezweifelt wird. Der angesehene Staatsrechtler Josef Isensee stellt den Gesetzestext der Verfassung unter den Vorbehalt von "Normalitätserwartungen", die sich heute an der "Unberechenbarkeit der existenziellen Gefahr" brächen.[14] Er hebt ein "übergesetzliches Notrecht" aus der Taufe, das den Exekutivorganen Polizei und Militär gestattet, "Abweichungen" vom am der Normallage orientierten "Verfassungsgesetz" vorzunehmen. Die Autorität des Bundesverfassungsgerichtes steht dabei verstärkt unter Beschuss, denn es handelt sich den Vorwurf ein, in "autopoietischer" Verleugnung der "Realität des weltweiten Bürgerkrieges" die "Handlungsunfähigkeit" des Staates herbei zu judizieren[15]: Das Bundesverfassungsgericht fröne einem verantwortungslosen "Verfassungsautismus", meint Otto Depenheuer.

Im Mittelpunkt der Diskussion steht das Konzept des "Bürgeropfers"[16]: Neueste Gesetze verlangen vom Bürger, einen Tribut auf dem Altar der Sicherheit zu zollen. So ordnete das vom Bundesverfassungsgericht verworfene "Luftsicherheitsgesetz" die Einbüßung des Lebens von Flugpassagieren an. Doch auch im Bereich des Alltags bildete sich mit den Sicherheitsgesetzen der letzten Jahrzehnte eine zunehmende Tendenz zu milderen Ausprägungen von "Bürgeropfern" heraus[17]. Dazu gehört sowohl die "Preisgabe" der Privatsphäre als auch der Abbau von die Freiheit der Bürger sichernden Verfahrensgarantien, die mit einer Ausdehnung der Ermittlungs- und Überwachungsinstrumente der Sicherheitsbehörden einhergeht; hierzu passt auch die flächendeckende (Video-)Überwachung öffentlicher Räume.

Neueste Sicherheitsgesetze nötigen den Bürger zur Abgabe und Speicherung seiner biometrischen Vermessungsdaten von Gesicht und Fingerabdrücken; das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zwingt zur vorsorglichen Aufzeichnung der Telekommunikationsverhaltensmuster zwecks zukünftiger Kriminalitätsbekämpfung. Hier soll jeder einzelne Bürger, einerlei ob er sich bereits erwiesener Straftaten schuldig gemacht hat oder nicht, ob er verdächtig oder unverdächtig ist, einen Tribut für die auf künftige Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden bezogene "Sicherheitsvorsorge" leisten. Das Ziel dieser Maßnahmen liegt in der durch alle Bürger vorsorglich ermöglichten lückenlosen Rekonstruktion aller Handlungsabläufe, die zur Aufklärung von Kriminalität beitragen können.

Ausschluss pathologisierter Sondergruppen von universalistischen Rechtsprinzipien

Im Klima des Ausnahmezustandes schwindet der humanistische Universalismus freier und gleicher Bürger als unerlässlicher Kernbestand demokratischer Gesellschaften. Die Etablierung eines Feind-Strafrechtes unterläuft jenes rechtsstaatliche Strafrecht, das einst die grundsätzliche Mündigkeit seiner Rechtssubjekte verankerte. Heute steht der Gedanke der Sicherheit dermaßen im Mittelpunkt unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses, dass sich der Abbau von Verfassungsprinzipien als Einlösung eines "Grundrechtes auf Sicherheit" verkaufen lässt. Das neue "Sicherheitsverfassungsrecht" verstetigt die Abkehr unserer Gesellschaft von ihrem freiheitlichen Selbstverständnis; es entsteht ein Staat, der die Menschen in (mehr oder weniger) privilegierte Sondergruppen aufteilt.

Der eigentliche Angriff auf das humanistische Menschenbild der Aufklärung liegt in der Behandlung eines sich ausweitenden Kreises bestimmter Sondergruppen als verständigungsunfähige Wesen. Sie untergräbt die prinzipielle Idee menschlicher Freiheit: Denn immer mehr Personengruppen werden als pathologische "Gefahrenquellen" betrachtet und fallen einer schleichenden juristischen Sonderbehandlung anheim. Die Qualität des freiheitlichen Rechtsstaats nimmt dabei großen Schaden.

Das Feindstrafrecht unterläuft das im freiheitlichen Strafrecht verankerte humanistische Menschenbild der Aufklärung, denn es weitet die sehr enge Ausnahme des § 20 StGB, der den Kreis der "pathologisierten Unzurechnungsfähigen" auf einen sehr kleinen Personenkreis mit gravierenden seelischen Störungen begrenzt, tendenziell auf einen sich ausdehnenden Kreis angeblich rechtsfeindlicher Individuen aus[18]. So ist das Augenmerk der Feindpolitik auf Mitglieder von Sondergruppen gefallen, die - vom Terroristen über den Sexualstraftäter bis hin zum Mitglied der Organisierten Kriminalität - ihren rechtlichen Personenstatus verwirkt hätten. So vollzieht sich mit dem Argument einer staatlichen Schutzpflicht gegenüber der übrigen Gesellschaft eine Abkehr vom Universalismus unteilbarer Rechtsprinzipien.

Zwar meinen Befürworter des Feindstrafrechts, dass alle "prinzipiell rechtstreuen" Bürger weiterhin ihren Personenstatus behalten und untereinander die herkömmlichen Garantien des Rechtsstaats in Anspruch nehmen könnten. Und doch verliert der Rechtsstaat, indem er die Einführung von pathologischen Ausnahmen tendenziell zur Regel macht, seinen universalistischen Charakter; er kehrt sich von der grundsätzlichen Vorstellung der Vernunftbegabtheit der Menschen ab und gibt einer Betrachtungsweise Raum, die den Verlust verfassungsrechtlicher Verbürgungen aufgrund offizieller Annahmen legitimiert, wonach eine verdächtige Person nicht jene "kognitiven Mindestgarantien" erfülle, die für die Behandlung als Person erforderlich seien.

Der Strafrechtler Günther Jakobs meint, dass sich solche "Unpersonen" aus den herkömmlichen Bindungen des Gesellschaftsvertrages verabschiedeten, die sich "in ihrer Haltung (etwa bei Sexualdelikten) oder in ihrem Erwerbsleben (etwa bei Wirtschaftskriminalität, Rauschgiftkriminalität, sonst organisierter Kriminalität) oder durch eine Einbindung in eine Organisation (beim Terrorismus, bei organisierter Kriminalität, schon bei der Verbrechensverabredung, § 30 StGB) vermutlich dauerhaft, zumindest aber entschieden" vom Recht abgewandt hätten.[19]

Wer also den offiziellen Verdacht auf sich lenkt, Angehöriger einer solchen Sondergruppe zu sein, hat die juristische Anerkennung seiner rechtlichen Kommunikationsfähigkeit verloren. Dann fällt er aus dem Rechtskreis der freien Gesellschaft: Er wird zum Objekt geheimer Ermittlungs- und Überwachungsmethoden; er kann schon dann "festgesetzt" werden, wenn die eigentliche Straftat, die er vermutlich begehen will, noch in einer unbestimmten Zukunft liegt. Denn die Strafe des Feindstrafrechts dient vor allem der Sicherung vor zukünftigen Taten, nicht der Ahndung vollzogener.

Autokratische Vorfestlegung des Feindstatus'

Der Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und Sicherheitspolitik entzündet sich nicht zuletzt daran, dass die Einführung juristischer Sonderkategorien das rechtstaatliche Gefüge als Ganzes beschädigt. Indem die Feindpolitik der letzten Jahre dazu übergegangen ist, durch eine Einbeziehung wachsender Kreise der Bevölkerung in die staatliche Überwachung eine Kategorie des milden Bürgeropfers einzuführen, sind von der Beschneidung von Freiheitsrechten nicht mehr nur sonderbare Randgruppen betroffen; die Abkehr vom Prinzip der Unschuldsvermutung und die Anzweiflung des Wertes der "Privatsphäre" haben Folgen für alle Menschen. Die Verfassungsprinzipien schwinden als Ganzes, wenn sie einmal ihren Garantiecharakter universalistischer Unteilbarkeit verloren haben. Denn von nun an kann kein Bürger mehr sicher sein, dass nicht auch seine Person in einen sich weitenden Kreis (verfassungs-) juristischer Ausnahmen gerät.

Das liegt vor allem daran, dass die Entscheidung, ob jemand "Feind" der Gesellschaft ist und ihm aus diesem Grunde herkömmliche Verfahren vorenthalten bleiben, außerhalb des rechtsstaatlichen Verfahrens fällt[20]. Hier lassen sich autokratische Tendenzen erkennen, denn Feindstrafrecht bedeutet letztlich, dass Organe, die selber nicht mehr herkömmlichen Bindungen eines freiheitlichen Strafrechtes unterliegen, von Fall zu Fall darüber entscheiden, ob über den dauerhaften Freiheitsentzug einer verdächtigen Person rechtsstaatliche Strafverfahren befinden sollen. Denn eigentlich sollen strafprozessuale Garantien bei jeder Person zum Tragen kommen, bevor die Schuld dann zweifelsfrei erwiesen ist.

Indem vormals "unteilbare" Verfassungsgrundsätze für bestimmte Personengruppen nicht mehr gelten, verlieren sie auch ihren Garantiecharakter für alle anderen Bürger. Denn letztlich müssen begriffsnotwendig gerade jene Organe, die für den Ablauf feindstrafrechtlicher Verfahren vorgesehen sind und so nicht mehr den strengsten Grundsätzen herkömmlicher Strafverfahren unterliegen, auch selber über die Anwendung von verfassungsrechtlich verbürgten Grundsätzen entscheiden.

Das Feindstrafrecht verrechtlicht daher sowohl Auflösung der Privatsphäre als auch Abkehr von der Unschuldsvermutung. Dem Verdächtigen bleibt kein Rückzugsraum eines "noch-nicht-sozial-relevanten" Verhaltens; man betrachtet ihn als Gefahrenquelle und unterzieht ihn bei entsprechendem Verdacht einer staatlichen Ausforschung seines Privatlebens, die u. a. in Telefonabhöraktionen, "Lauschangriffen" inner- und außerhalb der Wohnung oder polizeilichen Beobachtungen liegen kann. Und das philosophische Problem des "zweifelsfreien Beweises" einer auf die unbestimmte Zukunft gerichteten kriminellen Absicht umgeht man dadurch, dass man es mit der Unschuldsvermutung nicht mehr so ernst meint.

Indem sich die Gesellschaft vom universalistischen Leitgedanken unteilbarer Verfassungsgrundsätze abwendet, ermöglicht sie es rechstaatsfremden Organen, Verdächtige in Sonderrechtssysteme zu transferieren; dort gilt die Privatsphäre wenig, und die "rechtlich eingehegte Unschädlichmachung" menschlicher Gefahrenquellen lässt sich, da das Erfordernis des zweifelsfreien Beweises objektiv begangener Taten wegfällt, mit wachsender Willkür der Organe handhaben, die sich in ihrer Arbeit dem Krieg gegen den Terror widmen.

Kai Rogusch lebt als rechtspolitischer Redakteur der Zweimonatsschrift NOVO in Frankfurt am Main.



Zum Hintergrund - Kasten

Feindstrafrecht als Sonderrechtssystem
Gegen "besonders gefährliche" Personengruppen, darunter Mitglieder der "Organisierten Kriminalität" sowie Sexualstraftäter oder Terroristen, wird das Strafrecht weit in den Bereich der Vorbereitung vorverlagert, und die Strafe dient der "Sicherung vor zukünftigen Taten, nicht der Ahndung vollzogener". So reagierte etwa der Gesetzgeber in den 1970er Jahren auf den RAF-Terrorismus mit dem § 129 a StGB, der Handlungen bestraft, die zwar keinen konkreten Schaden bewirken, von denen aber auszugehen sei, dass sie in einer noch unbestimmten Zukunft in terroristische Handlungen mündeten: das können Monate sein, vielleicht auch Jahre. Einen Rädelsführer oder Hintermann einer "terroristischen Vereinigung" trifft eine gegenüber einem versuchten Totschläger nur marginal mildere Strafe auch dann, wenn er die Vereinigung nur gründet oder sich in ihr betätigt. Das Feindstrafrecht ist nicht mehr Ergebnis einer konventionellen "Strafrechtsgesetzgebung", sondern einer ausdrücklichen "Bekämpfungsgesetzgebung". Feindstrafrecht bedeutet zudem einen Abbau prozessualer Garantien; dieser deutet sich auch in der offiziellen Infragestellung des Prinzips der Unschuldsvermutung durch einen Bundesinnenminister an. Parallel hierzu werden den Sicherheitsbehörden weit reichende Ermittlungs- und Überwachungsinstrumente bereitgestellt.

1968 - 1984: Deutsche Notstandsgesetze und Anti-Terror-Gesetze gegen RAF
Den ersten bedeutenden Schub hin zu einer verstärkten Sicherheitsorientierung der bundesrepublikanischen Gesellschaft bildeten die Notstandsgesetze Ende der 1960er Jahre, nachdem schon 1955 mit der Einführung einer "Wehr-Verfassung" der Schutz gegen äußere Angriffe seine erste rechtliche Verankerung erfuhr. Die Notstandsgesetze wurden am 30. Mai 1968, vom Bundestag gegen den Widerstand der damaligen "außerparlamentarischen Opposition" erlassen. Eine Änderung des Grundgesetzes fügte die "Notstandsverfassung" ein, welche die "Handlungsfähigkeit" des Staates in Krisensituationen (Naturkatastrophe, Aufstand, Krieg) sichern sollte.

Mit der Reaktion auf den RAF-Terrorismus der 70er Jahre setzte sich die Komponente des "Notstandes" auch auf dem Gebiet "innerer terroristischer Feinde" fort. Seitdem darf ein Angeklagter in einem Prozess höchstens noch drei Verteidiger haben. In großen Verfahren kann das eine empfindliche Behinderung sein, wenn mehrere Spezialisten als Verteidiger gebraucht werden, während auf der anderen Seite der Staatsanwaltschaft für verschiedene Detailfragen beliebig viele Vertreter handeln können. Seitdem darf zudem ein Anwalt nicht mehr als einen Angeklagten vertreten. Dieses Verbot der Mehrfachverteidigung hat zur Folge, dass in solchen Prozessen dem geschlossenen Block der Staatsanwaltschaft eine oft disparate Vielzahl von Verteidigern gegenübersteht, die schwer auf eine Linie gebracht werden können. Seit 1974 kann in besonderen Fällen gegen Angeklagte sogar in ihrer Abwesenheit verhandelt und ihren Verteidigern das ihnen erteilte Mandat gerichtlich entzogen werden. Mit dem Anti-Terror-Gesetz aus dem Jahre 1976 wurde mittels des berüchtigten § 129 a StGB, der die "Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung" bestraft, zum ersten Mal eine Strafnorm in das Gefüge des Strafrechts eingeführt, die das terroristische Vorfeld kriminalisiert und um die herum sich im Laufe der kommenden Jahrzehnte ein verzweigtes Anti-Terror-Sonderrechtssystem entwickelte. Korrespondierend mit dieser Strafnorm wurden bereits in der RAF-Ära bedeutende Beschneidungen strafprozessualer Rechte eingeführt. So reichte hier allein der Verdacht terroristischer "Bestrebungen" für den Erlass eines Haftbefehls. Es bedarf seit dieser Zeit nicht mehr der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr. Ebenso damit verbunden ist nun auch die sonst völlig unzulässige Überwachung des Schriftverkehrs mit dem Verteidiger.

Anlässlich des "Deutschen Herbstes", also der Entführung und Ermordung Hanns Martin Schleyers, wurde im Jahre 1977 das Kontaktsperregesetz erlassen. Nun konnte in "Notsituationen" eine Regierung - ohne Richter - Gefangene vollständig isolieren, nicht nur von der Außenwelt, auch innerhalb der Anstalt und ohne jeden Kontakt zu ihren Verteidigern. Ein Jahr später wurde die Trennscheibe für Gespräche von Terrorverdächtigen mit ihren Anwälten vorgeschrieben: Man redet über Mikrofon oder durch kleine Löcher in der Panzerglasscheibe zwischen zwei Räumen. Anträge auf Ablehnung von Richtern wegen Befangenheit haben seit 1978 nicht mehr zur Folge, dass darüber sofort entschieden werden muss. Der betreffende Richter kann erst einmal weitermachen. Das wichtigste Recht des Verteidigers, so genannte präsente Beweismittel - vorher nicht benannte Zeugen - in die Verhandlung einzuführen, ist beseitigt worden. Der Staatsanwalt darf dies weiterhin.

Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus aus dem Jahre 1986 reagierte die Politik der Regierungskoalition unter Bundeskanzler Helmut Kohl auf die Ermordung von Siemens-Direktor Beckarts und des Bonner Ministerialdirektors von Braunmühl. Hier führte man den Straftatbestand der "Anleitung zu Straftaten" (§ 130 a StGB) ein. Als Reaktion auf die "unkonventionellen" Protestformen gegen Atomkraftwerke weitete man zudem den Straftatbestand der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" insoweit aus, dass er von nun an auch Sachbeschädigungen umfasste.

9/11 - Politik des "permanenten Ausnahmezustandes"
Die Terrorismusbekämpfungsgesetze aus den Jahren 2002 und 2003, das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz aus dem Jahre 2006, das Luftsicherheitsgesetz und das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung sind Wegmarken auf dem Weg zu einem neuen "Sicherheitsverfassungsrecht": Ausgedehnte Vorfeldtatbestände (Bestrafung ausländischer "terroristischer Vereinigungen", Vorschläge zur Einführung eines EU-weiten Straftatbestandes der "terroristischen Verschwörung"); eine ausdrückliche Verzahnung von Polizei und Geheimdiensten über das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) und die Antiterrordatei; Gesetzesvorhaben zur Speicherung von Daten über die biometrische Gesichtsvermessung bis hin zum Telekommunikationsverhalten; "enttabuisierte" Diskussionen und Gesetzesvorhaben über die Senkung der Schwelle zum Verteidigungsfall und zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren.

Die Bürger, die noch nicht verdächtig sind, werden in eine flächendeckende staatliche Überwachung einbezogen mit dem Ziel, jene noch unbekannten "tatsächlichen Anhaltspunkte" für den Verdacht krimineller Handlungen zu finden, welche die Sicherheitsbehörden dann zu einem zielgenauen Einsatz von dem "Feind-Recht" zugehörigen, unter Umständen in den Intimbereich eindringenden Ermittlungsmaßnahmen legitimieren. Darüber hinaus ist das Ziel einer tendenziell lückenlosen Speicherung des Kommunikations-, Bewegungs-, Geldtransaktions- und anderen Verhaltens aller auch bislang noch unverdächtigen Bürger, das in Gesetzen zur "vorsorglichen" Speicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten, Videoaufzeichnungen öffentlicher Räume, KfZ-Kennzeichen, und Geldtransaktionen zum Ausdruck kommt, zudem noch die vorsorgliche Speicherung biometrischer Daten (Fingerabdrücke, Gesichtsvermessung), mit der Absicht verbunden, eine möglichst lückenlose Rekonstruktion eines auf eine kriminelle Tat bezogenen Werdegangs für den Fall zu ermöglichen, dass ein Bürger sich einer "erheblichen Straftat" verdächtig macht.

Anmerkungen:

[1] Vgl. Josef Isensee, Not kennt Gebot, FAZ v. 21.01.2008.

[2] Interview mit Wolfgang Schäuble, DIE ZEIT Nr. 30/2007, v. 19.07.2007.

[3] Otto Depenheuer, Selbstbehauptung des Rechtsstaates, Schöningh, Paderborn München Wien Zürich, 2007.

[4] vgl. Josef Isensee, Not kennt Gebot, FAZ v. 21.01.2008.

[5] Es ist äußerst schwierig, überhaupt an atomare oder biologische Massenvernichtungswaffen heranzukommen, geschweige denn, diese dann wirksam einzusetzen. Die Vorstellung, biologische Massenvernichtungswaffen (also nicht bloß jene Milzbranderreger mit zahlenmäßig begrenzter Wirkung im Gefolge von 9/11) ließen sich im eigenen Keller herstellen, ist ein Kinderglaube. Überdies sind bei Atomwaffen die Sicherheitscodes so ausgestaltet, dass der geringste Fehler beim Versuch, diese zu "knacken", zur endgültigen Unbrauchbarkeit der Waffe führt, die sich auch dadurch nicht kompensieren lässt, dass man das in der Waffe enthaltene Nuklearmaterial aus der Waffenhülle "herausholt" und eine neue Atombombe "bastelt". Bisher ist auch kein Staat absehbar, der ein mühsam erlangtes Monopol an Massenvernichtungswaffen mit nichtstaatlichen Akteuren teilen möchte. Das gilt selbst für eine Theokratie wie Iran oder stalinistische Diktaturen wie Nordkorea; denn auch hier haben rationale Motive viel zu hohes Gewicht, als dass man sich auf selbstmörderische Aktionen einlässt. Und obwohl sich Pakistan in turbulenten Zeiten befindet und von seinen Rändern her ausfranst, hat es in sein Sicherheitssystem mannigfaltige Hürden gegen atomaren Diebstahl eingebaut. Was die "schmutzigen Bomben" betrifft: Zum einen sind auch diese schwierig herzustellen; zum anderen ist die objektive Gefährlichkeit solcher schmutziger Bomben, deren Herstellung die Terroristen ihrerseits vor der Hürde einer nuklearen Kontamination bewahrt, nicht viel höher als diejenige konventioneller Bomben. (Vgl. die für Terroristen ernüchternden Ausführungen des russischen Atomphysikers Dr. Alexander B. Koldobskij, Atom- und Strahlenterrorismus: Reale Option oder eingebildete Gefahr?, in: Österreichische Militärische Zeitschrift 03/2003).

[6] Vgl. Frank Furedi, Invitation to Terror. The Expanding Empire of the Unknown, Continuum London New York, 2007; vgl. auch Aurel Croissant, Violence, Extremism and Transformation, Verlag Bertelsmann Stiftung 2006.

[7] Vgl. Günther Jakobs, Bürgerstrafrecht und Feindstrafrecht, in: HRRS 3/2004.

[8] Vgl. Michael Pawlik, Der Terrorist will nicht resozialisiert werden, in: FAZ v. 25.02.2008.

[9] Udo Di Fabio, Bundesakademie für Sicherheit, 06.11.2007; ders., Der Westen muss Westen bleiben, in: DIE WELT v. 12.11.2007.

[10] Vgl. Fn. 9.

[11] Vgl. Alejandro Aponte, Krieg und Politik - Das politische Feindstrafrecht im Alltag, in: HRRS 8-9/2006.

[12] s. FAZ v. 18.08.2007.

[13] Vgl. Fn. 9.

[14] Vgl. Fn. 5.

[15] Vgl. Fn. 3.

[16] Vgl. Fn. 3.

[17] Vgl. Fn. 8.

[18] Vgl. Arndt Sinn, Moderne Verbrechensverfolgung - auf dem Weg zu einem Feindstrafrecht?, in: ZIS 3/2006, S. 113 f.

[19] Vgl. Fn. 7.

[20] Vgl. Matthias Lehnert, "Wer den Tod liebt, der soll ihn auch haben", in: Forum Recht 03/2005, S. 100.

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sopos 5/2009