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Boom, Bust und Biosprit

Die Sorge um den Weltmarkt ist größer als die Kritik an der Agrarproduktion

von Thomas Fritz

Die traditionellen Industriestaaten taumeln in die Rezession. Hochkonjunktur aber haben verklärende Analysen. Allerorten hören wir, Ursache der Ernährungskrise sei die Spekulation mit Agrarprodukten. Sie wird dargestellt als Defekt der Zirkulation, der Handels- und Finanzsphäre. Die Agrarproduktion indes kommt ungeschoren davon. Sie erscheint lediglich als Opfer von - je nach Standpunkt - überbordender Spekulation oder Protektion. Dieses Muster charakterisiert auch die Debatte um den Biosprit. Hier geht es vor allem um die Frage, welchen Einfluss die nachwachsenden Energieträger auf die Rohstoffpreise haben. Nachdem US-amerikanische Verbraucher den Höhenflug der Rohstoffpreise an der Zapfsäule und im Supermarkt zu spüren bekamen, luden Kongressabgeordnete zu Anhörungen, um sich von "Experten" über die Gründe aufklären zu lassen. Zum Star avancierte der Hedgefonds-Manager Michael Masters, der den Vormarsch institutioneller Anleger an den Terminbörsen als Urheber des Preisübels ausmachte. Mit dem Kauf von Futures würden diese Anleger "virtuelle Hortung" betreiben. Sie hätten das Äquivalent von 1,1 Milliarden Barrel Erdöl eingelagert und säßen auf einem Berg von Mais-Futures, mit dem die gesamte US-Ethanolindustrie ein Jahr befeuert werden könne.

Masters Erklärung gefiel auch den Maisbäuerinnen und -bauern. "Diese Blase wurde nicht durch Ethanol verursacht", sekundierte ein Vertreter der National Corn Growers Association. Vielmehr sei sie aufgrund einer "dramatischen Vermehrung nicht-traditioneller Investoren, besonders Index- und Hedge-Fonds sowie Swap-Händler", entstanden. Sein Kollege von der National Farmers Union versuchte gar nachzuweisen, dass Maisethanol preisdämpfend wirke. Biosprit senke den Benzinpreis mittlerweile um 15 Prozent. Geflissentlich unterschlug er dabei die üppigen Ethanolsubventionen, die in den USA allein für das Jahr 2006 auf 6,3 Milliarden Dollar geschätzt wurden.

Damit der Kongress gegen die "exzessive Spekulation" vorgeht, formierten sich Lobbygruppen der Agrar-, Energie- und Verkehrsindustrie. Die großen US-Fluglinien schlossen sich mit Speditionen und Ölhändler zu der Koalition Stop Oil Speculation Now zusammen. Sie behauptet ebenfalls, Spekulanten seien für den "dramatischen Preisanstieg" verantwortlich, unter dem "amerikanische Verbraucher und Unternehmen" gelitten hätten.

Das Interesse all dieser Gruppen ist durchsichtig: die Verlängerung des Erdölzeitalters. Die Biospritbranche ist nicht nur von staatlichen Beimischungsquoten und Subventionen abhängig, sondern auch vom Absatzmarkt der fossilen Treibstoffe. Damit die Politik aber nicht an Quoten und Subventionen rüttelt oder gar die Treibstoffsteuern erhöht, serviert man ihr einen attraktiven Sündenbock für den Preisanstieg: die Spekulanten. Nicht ohne Erfolg: Zufrieden vermerkt die Renewable Fuels Association, dass Barack Obama im gesamten Wahlkampf felsenfest hinter der steigenden Biosprit-Quote stand.

Der Future zieht den Pflug

Zugleich haben all die spekulationskritischen Maisbauern und - bäuerinnen mit den Rohstoffbörsen kein grundsätzliches Problem. Durchgehend beteuern sie die als segensreich empfundenen Serviceleistungen, besonders das Risikomanagement. Es gehe folglich nur darum, die Effizienz der Terminmärkte gegen Missbrauch und Manipulation zu verteidigen. Durch die ideologische Trennung in die "nützliche Absicherung" (das Hedging) und die "schädliche Spekulation" bleibt die Produktionsweise, die die Börsen fördern, unhinterfragt.

Auch die großen internationalen Entwicklungsorganisationen sprechen sich für eine Eindämmung "exzessiver Spekulation" aus. Ihr Motiv ist es, die weltmarktorientierte Hochleistungslandwirtschaft gegen die aufkeimenden Ansätze einer besseren Selbstversorgung zu verteidigen. Offensiv bringt etwa die von den Vereinten Nationen eingesetzte "High-Level Task Force zur globalen Nahrungskrise" Terminmärkte als Alternative zum Aufbau physischer Nahrungsmittelreserven in Stellung. Deren Management sei "mit signifikanten Kosten und Komplexitäten" verbunden, "besonders wenn dies vom öffentlichen Sektor übernommen wird." Weitaus günstiger sei es, Börsen als Absicherungsinstrumente zu nutzen. Die internationalen Finanzinstitutionen sollen daher vermehrt Pilotprojekte durchführen, "welche die Niedrigeinkommensländer mit Futures- und Optionsmärkten, Rohstoffbörsen und wetterbasierten Anleihe- und Rückversicherungsmärkten verbinden".[1]

Bereits jetzt unterstützt die UN-Organisation für Handel und Entwicklung UNCTAD viele Länder beim Aufbau von Terminmärkten. Ihr Lob der Börse aber verdeutlicht, welches Produktionsmodell sie globalisieren will. Die Hedging-Instrumente würden es in einem ersten Schritt erlauben, "Kulturen mit höherem Risiko, aber höherem Ertrag zu pflanzen". Im nächsten Schritt öffne die internationale Börsenvernetzung "den Zugang zu globalen Wertschöpfungsketten". Im Ergebnis bestimmt der Weltmarkt über die Pflanzung: "Die Futures-Preise ermöglichen es den Bauern, ihre Entscheidungen über die Aussaat an dem antizipierten Marktpreis auszurichten."

Weltbank kritisiert Biosprit

Während die Ethanollobby behauptet, der Pflanzensprit habe mittlerweile sogar einen preisdämpfenden Effekt, finden wir am anderen Ende des Meinungsspektrums die Weltbank. Sie kommt zu dem Schluss, dass zwar mehrere Faktoren zum Anstieg der Agrarpreise beitrugen, "der wichtigste aber war die große Zunahme der Biokraftstoffproduktion aus Getreide und Ölsaaten in den USA und der EU."[2] So verflüssigen die USA in diesem Jahr über 30 Prozent der Maisernte zu Ethanol. Im Jahr 2000 lag dieser Anteil noch bei 6 Prozent. Dieser Trend macht sich unmittelbar auf dem Weltmarkt bemerkbar, da die USA ein Drittel der weltweiten Maisproduktion und zwei Drittel der Exporte auf sich vereinigen. Elf Prozent der globalen Maisernte wandern derzeit in den Tank. In der EU wurden 2007 bereits 6,1 Millionen Tonnen Pflanzenöl zu Biodiesel verarbeitet. 2001 betrug diese Menge noch eine Million Tonnen. Allein 60 Prozent der Raps-Ernte machen sich hier auf den Weg zur Zapfsäule. Sieben Prozent der globalen Pflanzenölproduktion landen mittlerweile in Biodieselfabriken.

Als Transmissionsriemen der Preisinflation betrachtet die Weltbank die Flächenkonkurrenz. Während in den USA der Mais dem Soja den Platz streitig machte, musste andernorts der Weizen den Ölsaaten weichen. Hätten die Landwirte auf den Feldern Weizen gepflanzt, "wären die Weizenvorräte 2007 annähernd genauso groß wie in 2001", so die Weltbank.

Nach ihrer Schätzung gehen 70 bis 75 Prozent der Lebensmittelverteuerung zwischen Januar 2002 und Juni 2008 auf das Konto des Agrosprits und der von ihm ausgelösten Konsequenzen: geringe Getreidevorräte, Landnutzungsänderungen, Spekulation sowie die von manchen Regierungen verhängten Exportstopps, um die Versorgung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen. 25 bis 30 Prozent des Preisanstiegs kommen demnach durch die höheren Energiekosten und den schwächeren Dollarkurs zustande. Da der Welthandel überwiegend auf Dollarbasis abgerechnet wird, erhöhen Agrarhändler die Preise, um den Kursverlust auszugleichen.

Gleichwohl bleibt das Motiv der Weltbank-Analyse ein freihändlerisches. "Subventionen, Beimischungsziele und Importzölle" sind ihr Stein des Anstoßes, denn diese verzerren die Marktpreise. "Biotreibstoffproduktion aus Zuckerrohr in Brasilien ist kostengünstiger als die Biospritherstellung in den USA oder der EU". Die Beseitigung der Importzölle und der Abbau der Subventionen würde "Brasilien und anderen Entwicklungsländern, etwa afrikanischen Staaten, eine profitable Ethanolproduktion für den Export erlauben, um die Quoten in den USA und der EU zu erfüllen", so die Weltbank.

Obgleich die Weltbank dem Biosprit also einen sehr hohen Einfluss auf die Agrarpreise attestiert, bleibt ihr Ziel die Expansion agroenergetischer Cash Crops - nur eben der kostengünstigsten. Gleichgültig ist sie jedoch gegenüber der Produktionsweise, die dieser Massenmarkt diktiert: monokulturelle Landwirtschaft auf großen Flächen mit den besten Böden. Der Konflikt dieses Modells mit der Ernährungssicherheit spielt bei ihrer Fixierung auf die "handelsverzerrende" Protektion keine Rolle.

Misstrauen in den Weltmarkt

Die Debatte über die Frage, welche Faktoren den größten Anteil am vergangenen Rohstoffboom hatten, ist ein interessengeleitetes Blame Game: Es geht um die Abwälzung von Verantwortung. Zwar ist diese Auseinandersetzung nicht unerheblich, zum Problem wird sie aber, weil die Produktionsverhältnisse in der Agrarbranche weitgehend ausgeblendet bleiben. Hinzu kommt, dass auch manche Bewegungen allzu bereitwillig den auf die Zirkulation (Handel und Finanzen) beschränkten Erklärungsmustern folgen. Jedoch sind weder eine freihändlerische Weltbank noch Spekulation geißelnde Biospritfirmen seriöse Verbündete im Kampf für Ernährungssicherheit. Beide setzen auf ein landwirtschaftliches Produktionsmodell, das Bauern und Bäuerinnen weltweit einem gnadenlosen Verdrängungswettbewerb aussetzt. Besser ließe sich an ein wesentlich weitreichenderes Phänomen anknüpfen: das erschütterte Vertrauen in den Weltmarkt. Selbst die Verwalter der globalen Ungleichheit sind bereits erheblich beunruhigt. Der Chefökonom der Weltbank, Justin Lin, schreibt: "Das Endergebnis der jüngsten Krise ist der Zusammenbruch des Vertrauens in den internationalen Getreidemarkt. Nun versuchen viele Länder, ihre Selbstversorgung mit Getreide zu erreichen und ihre eigenen öffentlichen Reserven wieder aufzubauen." Aus demselben Grunde sorgt sich auch die UN-High-Level Task Force nicht einfach um die Hungernden, sondern um den Weltmarkt: "Die gegenwärtige Nahrungskrise bedroht ebenfalls den größeren internationalen Nahrungsmittelmarkt." Die Botschaft fortschrittlicher Kräfte könnte das genaue Gegenteil sein: Das Misstrauen in den Weltmarkt ist gerechtfertigt! Statt globaler Konkurrenz bedarf es einer demokratischen Organisation von Produktion und Tausch.

Anmerkungen:

[1] High-Level Task Force on the Global Food Security Crisis: Comprehensive Framework for Action. Juli 2008.

[2] World Bank: A note on Rising Food Prices. Policy Research Working Paper 4682, Donald Mitchell, Juli 2008.

Thomas Fritz ist Freier Journalist. Er lebt und arbeitet in Berlin.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 310.

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sopos 5/2009