von Wolfgang Pomrehn
Es gibt Spaßvögel, die meinen, daß ein paar Celsius Grade mehr nicht so schlimm sein können, so schlecht wie das Wetter in Deutschland sei. Die 90.000 Mosambikaner, die Ende Januar auf der Flucht vor den Fluten des Sambesi umgesiedelt wurden, den vermutlich schlimmsten seit Menschengedenken, werden da sicher eine andere Meinung haben. Auch die über 30.000 zumeist älteren Menschen, die im Jahrtausendsommer 2003 nach Zählung der Weltmeteorologie-Organisation in Westeuropa an den extremen Temperaturen gestorben sind, vermitteln einen anderen Eindruck.
Der Klimawandel ist zweifelsohne eine sehr bedrohliche Angelegenheit. Ursache sind vor allem die Treibhausgase (siehe Kasten), die durch die industrielle Aktivität des Menschen erzeugt werden - des europäisch-amerikanischen Menschen, um genau zu sein. Sicherlich haben einige der so genannten Schwellenländer im Zuge ihrer teilweisen Industrialisierung auch in Sachen Treibhausgasemissionen etwas aufgeholt. Namentlich China wird in absoluten Zahlen wahrscheinlich in diesem Jahr die USA überflügeln und damit zum größten CO2-Emittenten aufsteigen. Allerdings ist zweierlei zu bedenken: Zum einen ist der bisherige Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre ein historischer Prozeß, für den allein die Industriestaaten verantwortlich sind. Zum anderen hat China mit 1,3 Milliarden Menschen eine wesentlich höhere Einwohnerzahl als die USA mit ihren 300 Millionen oder gar Deutschland mit seinen 82 Millionen Bürger. Daß Chinas Emissionen größer sind als die hiesigen oder auch die US-amerikanischen, ist zunächst genauso selbstverständlich wie die Tatsache, daß die deutschen CO2-Emissionen wesentlich größer sind als die Dänemarks.
Viel sinnvoller, als die absoluten Zahlen heranzuziehen, ist folglich ein Blick auf die Pro-Kopf-Emissionen, und da wird der Unterschied zwischen Nord und Süd noch viel deutlicher: In Deutschland werden pro Person und Jahr etwas über zehn Tonnen CO2 ausgestoßen. Rechnet man die anderen Treibhausgase in CO2-Äquivalente um, so sind es gar 12 Tonnen. In den USA beträgt dieser Wert sogar 20, in den meisten Entwicklungsländern hingegen nur eine Tonne oder weniger.
An dieser Stelle ist es wichtig, daran zu erinnern, daß Ozeane und Biosphären einen Teil der CO2-Emissionen aufnehmen, sie haben die Funktion einer Senke. Umgerechnet auf die Erdbevölkerung sind es jährlich rund zwei Tonnen pro Person. Oder anders ausgedrückt: Jeder Mensch könnte etwa zwei Tonnen Treibhausgas im Jahr in die Atmosphäre blasen, ohne daß das Klimasystem aus dem Schritt gebracht werden würde. Die meisten Menschen in den Entwicklungsländern nehmen diesen Spielraum jedoch nicht wahr, sondern überlassen ihn - unfreiwillig - den Menschen im Norden. Zugleich werden viele von ihnen jedoch zu denen gehören, die am härtesten vom Klimawandel getroffen werden. Auf diesen Sachverhalt haben bereits 1991 die beiden indischen Wissenschaftler und Umweltaktivisten Anil Agarwal und Sunita Narain in ihrem auch ins Deutsche übersetzten Buch "Globale Erwärmung in einer ungleichen Welt" hingewiesen. Selbst Schwellenländer wie Indien und Indonesien mit ihrer einsetzenden Industrialisierung befinden sich noch unter dieser Zwei-Tonnen-Schwelle; und des Westens liebster Buhmann China hat sie erst zu Beginn des Jahrtausends überschritten. Derzeit betragen die dortigen jährlichen Pro-Kopf-Emissionen etwa fünf Tonnen. Angesprochen auf diese Entwicklung verweisen chinesische Diplomaten gerne auf die Tatsache, daß der bisherige Anstieg der Treibhausgaskonzentration allein auf das Konto des Nordens geht, der auch zur weiteren Zunahme mit seinen "Luxus-Emissionen" am meisten beiträgt.
Der Verweis auf China und Indien ist also nichts als ein Propagandatrick. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel benutzt ihn und operiert dabei besonders geschickt. Auf der internationalen Bühne mimt sie die Klimaschutz-Vorkämpferin und drängt die USA dazu, endlich Verpflichtungen in Sachen Klimaschutz einzugehen. Daheim verfolgt sie hingegen eine höchst widersprüchliche Politik, zu der kreatives Jonglieren mit Zahlen gehört. Auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm hatte Merkel noch verkündet, bis 2020 sollten die hiesigen Treibhausgasemissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden. Das hört sich gewaltig an und sorgte im In- wie Ausland für gute Presse. Knapp zwei Monate später war dann in einem mit großem Tamtam verabschiedeten Eckpunktepapier der großen Koalition nur noch von 35 Prozent die Rede. Den in dem Papier aufgeführten Maßnahmen trauen Greenpeace und andere Umweltschutzorganisationen allerdings nur gerade 30 Prozent Reduktion zu. Selbst Fachleute des Umweltbundesamtes gestehen ein, daß noch nachgebessert werden muß.
Von diesen 30 Prozent sind übrigens 17 Prozent bereits erreicht, und zwar zum größten Teil durch die Deindustrialisierung Ostdeutschlands. Bleiben also noch dreizehn Prozent. Das hört sich nicht mehr ganz so gewaltig an, erst recht nicht, wenn man auf die absoluten Zahlen guckt. Wenn die erwähnte Zwei-Tonnen-Grenze erreicht werden soll, dann stehen Deutschland jährlich 160 Millionen Tonnen CO2-Emissionen zu. Tatsächlich sind es derzeit rund 880 Millionen Tonnen. Zieht man davon dreizehn Prozent ab, bleiben 765 Millionen Tonnen jährlicher Emissionen. Die scheinbar so radikale Ankündigung der Bundesregierung ist also in Wirklichkeit Lichtjahre vom Notwendigen entfernt.
Dabei könnte Merkel durchaus anders, wenn sie wollte. Die Bundesregierung müsste sich dazu nur mit den großen Energiekonzernen anlegen: Rund 42 Prozent der deutschen CO2-Emissionen stammen aus der Stromerzeugung. Das liegt daran, daß zwischen Rhein und Oder fast die Hälfte der elektrischen Energie in Kohlekraftwerken erzeugt wird. Oftmals wird in ihnen sogar Braunkohle verbrannt - Deutschland ist der weltweit größte Produzent dieser minderwertigen Kohle -, die aufgrund ihres niedrigen Brennwertes die mit Abstand höchsten spezifischen CO2-Emissionen von allen fossilen Energieträgern verursacht.
Doch ausgerechnet an die Braunkohle hat Merkel ihr Herz verloren. Anstatt für den Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohletechnik zu sorgen, läßt sie keine Gelegenheit aus, für den Bau neuer Kohlekraftwerke zu werben. Mindestens 23 davon sollen in den nächsten Jahren hochgezogen werden, viele davon im Ruhrgebiet. Diese Großanlagen, in die RWE, E.ON und andere Konzerne dutzende Milliarden Euro investieren wollen, werden jährlich 130 bis 150 Millionen Tonnen CO2 in die Luft blasen. Ganz nebenbei werden sie die zentralisierte Netzstruktur zementieren, die langsam zum Hindernis für den weiteren Ausbau der Windenergie wird.
Es gibt noch einige andere Schauplätze des Klimaschutzes, wie die Verkehrspolitik und die Privatisierung der Bahn. Aber der Widerstand gegen den Kraftwerksneubau wird hierzulande in den nächsten Jahren der wichtigste Brennpunkt im Kampf gegen den Klimawandel sein. Zum Glück formiert sich an vielen Orten massiver Protest, wie in Krefeld oder Greifswald, in Hamburg oder im saarländischen Ensdorf. Einige Projekte konnten bereits gekippt werden.
Wolfgang Pomrehn veröffentlichte 2007 bei PapyRossa das Buch "Heiße Zeiten - Wie der Klimawandel gestoppt werden kann". Er ist Redaktionsmitglied des wirtschaftspolitischen Magazins Lunapark21, das im Februar zum ersten Mal erschien.
Dieser Beitrag sowie der unten stehende Text erschienen zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 305.
Wie das Treibhaus funktioniert
Jede Stunde strahlt die Sonne rund 170 Billionen Kilowattstunden Energie auf die Erde. Das entspricht etwa dem Jahresenergiebedarf der Menschheit. Diese gewaltige Energiemenge führt allerdings keinesfalls dazu, daß sich unser Planet aufheizt. Wie jeder andere Körper und jeder Stoff strahlt auch die Erde entsprechend ihrer Temperatur Energie in Form elektromagnetischer Wellen ab. Die Energie, die rein kommt, geht auch wieder raus. Anders als die Sonne strahlt die Erde allerdings nicht im sichtbaren Teil des Spektrums, sondern hauptsächlich im infraroten.
An dieser Stelle kommt der Treibhauseffekt ins Spiel: Einige Gase in der Atmosphäre wie Wasserdampf, Kohlendioxid und Methan sorgen dafür, daß die infrarote Wärmeabstrahlung größtenteils in den unteren Schichten der Atmosphäre absorbiert wird. Die Luft erwärmt sich dadurch, und an der Erdoberfläche wird es erheblich wärmer. Da die Gasmoleküle ihrerseits abstrahlen, entweicht die Energie letztendlich doch ins Weltall. Doch ohne diese Wirkung von Wasserdampf & Co., die den Scheiben eines Treibhauses ähnelt, wäre es auf der Erde im globalen Mittel rund 33 Grad kälter.
Auftritt der Menschen: Durch großflächige Entwaldung und vor allem durch die Verbrennung von Kohle, Erdgas und Erdölderivaten wird der Atmosphäre CO2 zugeführt. Dessen Konzentration liegt heute mit etwa 380 Millionstel Volumenanteilen (ppm) weit über dem vorindustriellen Niveau von 280 ppm. Jedes Jahr kommen derzeit knapp zwei ppm hinzu. Das Ergebnis: Der Treibhauseffekt wird verstärkt; das globale Klima beginnt sich zu erwärmen; Klimazonen werden sich in den nächsten Jahrzehnten verschieben; einigen Regionen, wie dem Mittelmeerraum, droht ein extremer Wassermangel. Eines der größten Probleme dürfte der Anstieg des Meeresspiegels sein, von dem bis zum Ende des Jahrhunderts etliche hundert Millionen Menschen zum Verlassen ihrer Dörfer und Städte gezwungen werden könnten.
Neben CO2, das für etwa 55 Prozent des zusätzlichen, das heißt vom Menschen gemachten, Treibhauseffektes verantwortlich ist, gibt es weitere wichtige Treibhausgase wie Methan (ca. 16 Prozent), FCKW (11 Prozent) und bodennahes Ozon (12 Prozent). Die entscheidende Frage wird sein, auf welchem Niveau die Treibhausgaskonzentration stabilisiert werden kann. Um die schlimmsten Folgen zu vermeiden, sagen Wissenschaftler, müssen die Emissionen bis 2050 auf die Hälfte des Niveaus von 1990 reduziert werden. Hierzulande bestehen die Treibhausgasemissionen zu rund 85 Prozent aus CO2 und müßten, da sie weit über dem weltweiten Durchschnitt liegen, um fast 90 Prozent vermindert werden.
https://sopos.org/aufsaetze/47f16fc0dae44/1.phtml
sopos 4/2008