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Diffuses foucaultianisches Lebensgefühl?

Hans-Ulrich Wehlers Attacke gegen die "Modeströmung der 'postkolonialen Studien'"

von Joachim Zeller

Die nichtwestlichen Regionen des Globus hätten "aus Mangel an einem hinreichenden endogenen Entwicklungspotential durch den westlichen Imperialismus gewaltsam an die moderne Welt" angeschlossen werden müssen. Die deutsche Arbeitspolitik in den Kolonien habe gar nicht anders gekonnt, "als die Einheimischen in einem langwierigen Disziplinierungsprozeß an regelmäßige Arbeit im europäischen Sinn zu gewöhnen". Solche kruden modernisierungstheoretischen Argumentationsmuster ins Feld zu führen, die den Kolonialismus als eine frühe Form der Entwicklungshilfe verklären, ja das Bild vom "Müßiggang des Negers" heraufzubeschwören, das war bisher die Domäne Ewiggestriger. Die Feststellungen stammen aber von einem der führenden bundesdeutschen Historiker: Hans-Ulrich Wehler. Der Bielefelder Emeritus gefällt sich in der Rolle des politisch unkorrekten Provokateurs. Noch in guter Erinnerung ist seine Stellungnahme gegen den EU-Beitritt der Türkei.

In dem oben zitierten Aufsatz[1] bedachte er nun die viel diskutierte "Transnationale Geschichte" mit einer Generalkritik. Großzügig gesteht er ein berechtigtes Interesse an der Transfergeschichte, den "entangled histories" zu, tue man doch gut daran, den muffigen Provinzialismus, den Germano- und Ethnozentrismus endlich hinter sich zu lassen. Zweifellos sei Geschichtsschreibung hierzulande viel zu sehr auf die nationaldeutsche Geschichte fixiert. Doch dann polemisiert er gegen die jüngeren Historikerkollegen, die sich seit einigen Jahren verstärkt mit den "wenig verlockenden Problemen des deutschen Kolonialimperialismus" auseinandersetzten. Öfters "ziemlich unreflektiert, um nicht zu sagen naiv" seien sie der "Modeströmung der ‚postkolonialen Studien' gefolgt". Dabei gäbe es sehr viel ergiebigere Ansätze, als den Fokus auf den "kleinen Teilbereich" der deutschen Kolonialgeschichte zu richten.

Wehler, der darum bat, vom "postkolonialen Gedöns" verschont zu werden, folgt damit seinen früheren Überblicksdarstellungen zur deutschen Geschichte, in denen die überseeische Kolonialherrschaft des Kaiserreiches von 1871 allenfalls eine Fußnote der deutschen Geschichte ist. Ganz offensichtlich hat es sich noch nicht bis zu ihm herumgesprochen, daß formale Kolonialherrschaft nicht mit Kolonialismus und kolonialem Denken verwechselt werden sollte, denn Deutschland hatte mit und ohne Kolonien Anteil am europäischen Kolonialprojekt. Aber es ist gerade dieser Ansatz, den Wehler im Ton der Besserwisserei mit einem Federstrich beiseite fegt. Wehler lehnt die Übertragung des postkolonialen Forschungsansatzes auf die deutsche Geschichte rundweg ab. Er erachtet ihn nur für die ehemaligen großen Imperialmächte England, Frankreich, Spanien oder Holland für sinnvoll.

Den inzwischen zahlreichen kultur- und mentalitätsgeschichtlich ausgerichteten Studien zum deutschen Kolonialismus spricht er die empirischen Grundlagen ab. "Von einer historisch solide fundierten Diskursanalyse" könne bei diesem "luftigen Kulturalismus" kaum die Rede sein. Zwar ist Kritik an der postmodernen Diskursverehrung nicht unberechtigt, doch haben vor Wehler schon Andere auf dieses Problem hingewiesen, wenn auch keineswegs so pauschalisierend. Abstruse Züge nehmen Wehlers Ausführungen an, wenn er den "unheilvollen Einfluß von Foucault" bei jenen Historikern am Werke sieht, deren Forschungsinteresse der deutschen Kolonialgeschichte gilt. Bei Foucault findet sich bekanntlich das Leitmotiv vom modernen "Kerkerstaat" mit seinen allumfassenden Disziplinierungsmethoden - eine Vorstellung, die sich mühelos auf die koloniale Situation übertragen ließe.

Davon abgesehen scheint Wehler entgangen zu sein, daß zwei vor und nach dem Ersten Weltkrieg erschienene Kolonialromane zu den auflagenstärksten Büchern ihrer Zeit gehörten, nämlich "Peter Moors Fahrt nach Südwest. Ein Feldzugsbericht" (1906) von Gustav Frenssen und "Volk ohne Raum" (1926) des völkischen Schriftstellers Hans Grimm. Und für viele Wissenschaftsbereiche wie die Medizin, die Geographie bis hin zur Ethnologie - ganz zu schweigen von den pseudowissenschaftlichen Disziplinen Eugenik und Rassenkunde - stellte der Kolonialismus mit seinen Experimentiermöglichkeiten eine wichtige Durchgangsstation ihrer Fachgeschichte dar.

Voreilig sind auch Wehlers Äußerungen zu den möglichen Kontinuitäten zwischen dem Genozid 1904-08 in Deutsch-Südwestafrika und der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten - eine auf Hannah Arendt zurückgehende These, die die Kolonialkriege als Vorläufer des Totalen Krieges und des NS-Genozids deutete. Auch hier ist in seinen Augen die Forschung empirische Nachweise bisher schuldig geblieben. Man kommt allerdings nicht umhin, Wehler zu unterstellen, daß er die sehr kontrovers geführte Debatte zu dieser Fragestellung nicht so vollständig zur Kenntnis genommen hat, um sich ein abschließendes Urteil erlauben zu können.

Gleiches gilt für die Einwirkung des kolonialen Rassismus auf das Kaiserreich, welche ebenfalls nicht überzeugend nachgewiesen worden sei. Nach Wehlers Dafürhalten könne die Analyse des Sozialdarwinismus und des Antisemitismus für das Verständnis des deutschen Rassismus viel ergiebiger ausfallen. Woher er letzteres so genau weiß, bleibt sein Geheimnis. Die Diskussionen über die Biologisierung des Politischen sind jedenfalls noch längst nicht abgeschlossen. Manches gewichtige Argument spricht dafür, die Aufteilung der sozialkulturellen Welten nach den Kategorien von "Rasse" als eines der "unheilvollsten Vermächtnisse des europäischen Kolonialismus" (David M. Ciarlo) zu sehen.

Von der "Alternativlosigkeit der imperialistischen Welterschließung" zu schwadronieren, das ist für einen Historiker vom Range Wehlers unter Niveau. Solcherart Apologetik bediente sich einst der weiße Herrenmensch zur Legitimation seiner kolonialen Expansion, die im Gewand einer Zivilisationsmission daherkam. Der Ambivalenz des kolonialen Projektes mit seiner "Zwangsmodernisierung" wird man damit jedenfalls weder gerecht, noch werden damit die Handlungsoptionen der vormaligen Kolonialuntertanen in Afrika, Asien oder Amerika gewürdigt, die keineswegs nur passive Opfer kolonialer (Gewalt-)Herrschaft waren. Welche Bedeutung dem Kolonialismus für die deutsche und europäische Geschichte zukommt, ist eine spannende, vor allem aber noch offene Frage.

Anmerkung:

[1] Hans-Ulrich Wehler: Transnationale Geschichte - der neue Königsweg historischer Forschung? In: Gunilla Budde/Sebastian Conrad/Oliver Janz [Hg.]: Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien, Göttingen 2006, S. 161-174.

Joachim Zeller ist Historiker in Berlin.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 300.

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sopos 7/2007