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Aber was in der Verfassung steht, ist keine Tatsachenfeststellung, sondern ein Gebot. Ein Auftrag. Ob die BRD diesem Auftrag gerecht wird, ob sie also wirklich ein Rechtsstaat ist, bedarf der Prüfung. Ein Kriterium: Der Staat und seine Behörden sind an Recht und Gesetz gebunden. Halten sie sich daran? Ein anderes Kriterium: Wenn sie sich nicht daran halten, können wir die Justiz anrufen. Aber steht uns der Rechtsweg wirklich offen? Und: Wenn die Richter entschieden haben, müssen Staat und Behörden den Richterspruch befolgen. Tun sie es? Eine Prüfung hat stattgefunden. Im »Grundrechte-Report 2007« ist das Ergebnis zu lesen: In zahlreichen Fällen handeln Behörden nicht nur gegen Recht und Gesetz, sondern mißachten auch Gerichtsurteile konstant. Folglich wäre es leichtfertig, etwa fest daran zu glauben, daß die BRD ein Rechtsstaat ist. * Bei der Präsentation des Reports in Karlsruhe sprach der frühere Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling von »der stillen Erosion von Grundrechten durch fortschreitende Eingriffsbefugnissen der Polizei, durch unzureichenden Rechtsschutz vor Behördenwillkür, durch mangelnde Verteilungsgerechtigkeit im Sozialrecht«. Der schon in den vorangegangenen Jahren im »Grundrechte-Report« »vielfach beschriebene Trend, Freiheitsrechte einem überzogenen Sicherheitsbedürfnis zu opfern, den Armen mit sozialer Kälte zu begegnen«, setze sich fort. Zur Beruhigung fügte Kühling hinzu, neben diesen schlechten gebe es auch gute Nachrichten: Das Bundesverfassungsgericht habe »der Ausweitung von Eingriffsbefugnissen deutliche Grenzen gesetzt« und sei »einem nachlässigen Umgang der Behörden und Gerichte mit den Grundrechten in zahlreichen Entscheidungen entgegengetreten«. Doch die Beruhigung ist keine, wenn sich herausstellt, daß Behörden auf höchstrichterliche Entscheidungen pfeifen. Allein im Zeitraum von März bis September 2006 gab der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in sieben Entscheidungen Beschwerden gegen rechtswidrige Durchsuchungen statt, wie der Rechtswissenschaftler Helmut Pollähne im »Grundrechte-Report 2007« berichtet. Die Hoffnung, solch nachträglicher Rechtsschutz beuge weiteren Rechtsverletzungen vor, habe getrogen, bilanziert Pollähne. Kühling konstatierte dann »Hilflosigkeit gegenüber einer anscheinend nicht zu stoppenden rechtswidrigen Durchsuchungspraxis«. Ein anderes Beispiel (Tobias Singelnstein schreibt im »Grundrechte-Report« darüber): Seit den 1990er Jahren und vor allem nach dem 11. September 2001 haben die Parlamente des Bundes und der Länder die Befugnisse zu heimlicher Überwachung massiv ausgeweitet. Das Bundesverfassungsgericht sah sich veranlaßt, in mehreren Entscheidungen auf Verfassungsgrundsätze zu pochen, die Legislative und Exekutive zu respektieren hätten. Doch die beanstandeten Polizeigesetze einzelner Bundesländer wurden seitdem nicht geändert. Schlimmer noch: Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg verschärfen ihre Polizeigesetze just in der Weise, wie es ihnen die Entscheidungen aus Karlsruhe verbieten. Till Müller-Heidelberg, langjähriger Vorsitzender der Humanistischen Union, befaßt sich mit der Einkesselung von Demonstranten und fragt, ob »gegen vorsätzlich rechtswidriges Handeln der Polizei kein Kraut gewachsen« sei. Traurige Berühmtheit hatte schon 1989 der »Hamburger Kessel« erlangt: Nach Auflösung einer Demonstration hatte die Polizei die Teilnehmer nicht etwa nach Hause gehen lassen, sondern sie auf dem Kundgebungsplatz eingeschlossen. Sie ließ sie dort acht Stunden stehen, ermöglichte kaum Toilettenbesuche, sorgte nicht für Verpflegung, ließ keinen Kontakt zu Verwandten oder Rechtsanwälten zu. Verwaltungsgerichte stellten später die Rechtswidrigkeit des Hamburger Kessels fest, Zivilgerichte sprachen den Teilnehmern 200 DM Schmerzensgeld zu – aber die Polizeibehörden in ganz Deutschland störten sich nicht daran. So folgten der Münchner Kessel, der Göttinger Kessel, der Braunschweiger Kessel, der Mainzer Kessel. Sie alle wurden von den Verwaltungsgerichten für rechtswidrig erklärt, und wer klagte, bekam Schmerzensgeld. Trotz alledem wird die Einkesselung von Demonstranten in der Polizeiausbildung weiterhin ausdrücklich empfohlen und gelehrt. Die gleiche Unempfindlichkeit gegenüber Gerichtsentscheidungen zeigt sich sogar bei der Justizverwaltung. Miriam Gruß, Vorstandssprecherin der Neuen Richtervereinigung schildert Fälle, in denen die Strafvollstreckungskammern der Gerichte Lockerungen von Haftbedingungen anordneten und die Vollzugsanstalten die Beschlüsse zwar zur Kenntnis nahmen, sich aber weigerten, umzusetzen. Schon diese wenigen Beispiele zeigen: Es wird noch vieler harter Auseinandersetzungen bedürfen, bis die BRD vielleicht einmal ein Rechtsstaat wird. Zur Zeit sieht es eher so aus, daß wir uns von rechtsstaatlichen Verhältnissen immer weiter entfernen, Richtung Guantanamo. Vor allem weil die Medien, fast vollzählig monopolisiert, in der Regel nicht mehr als Wächter fungieren, sondern als Scharfmacher. Auch der Spiegel greift neuerdings das Bundesverfassungsgericht an, weil es mit seinem Pochen auf Rechtsstaatlichkeit den sogenannten Anti-Terror-Krieg behindere. Während sich die deutsche Filmindustrie immer noch und immer mehr mit Spitzelei in der DDR beschäftigt, die bekanntlich ein Unrechtsstaat war, läßt die Verfassungsschutzbehörde das Berliner Sozialforum und dessen Gründer Professor Peter Grottian von nicht weniger als fünf eingeschleusten Agenten bespitzeln. 80 Seiten eines Dossiers über Grottian haben sich schon gefüllt, obwohl er selber gar nicht als Beobachtungsobjekt gilt, sondern nach offizieller Darstellung nur kollateral in die Beobachtung hineingeraten ist, weil er im Sozialforum Kontakt mit Extremisten habe. So geht es lokal zu (Näheres im Beitrag von Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie). Und so global (dargestellt von Thilo Weichert, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz in Schleswig-Holstein): Über die belgische Firma Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication (SWIFT) wickeln die Banken alle grenzüberschreitenden Geldüberweisungen ab, täglich oft mehr als zwölf Millionen Transaktionen mit einem Gesamtumfang von bis zu 4,8 Billionen Euro. SWIFT leitet diese Daten in ein Rechenzentrum in den USA weiter, wo sie gespeichert und von der CIA und dem FBI ausgewertet werden... Der »Grundrechte-Report«, an dem auch die Ossietzky-Herausgeber Rolf Gössner und Eckart Spoo mitwirken, wird von neun Menschenrechtsorganisationen gemeinsam herausgegeben. Er erscheint im Fischer Taschenbuch Verlag, hat in diesem Jahr 248 Seiten und kostet 9,95 Euro. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 11/2007 |
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