von Gregor Kritidis (sopos)
Die Polizei an der Grenze ihrer Möglichkeiten - diese Perspektive malen gegenwärtig selbsternannte Sicherheits-Experten wie der Chef der Polizei-Gewerkschaft, Konrad von Freiberg, an die Wand: Der Einsatz während des G8-Gipfels werde der größte Polizei-Aufmarsch in der Geschichte der Bundesrepublik, man gerate an die Grenze der Belastbarkeit der Staatsorgane. Was liegt da näher als der Einsatz der Bundeswehr im inneren der Republik, wie Innenminister Wolfgang Schäuble schon seit mehr als 15 Jahren propagiert?
Demokratisch-rechtsstaatliche Prinzipien stehen gegenwärtig nicht hoch im Kurs. In den aktuellen Debatten lugt überall die häßliche Fratze des autoritären Staates hervor. Dem "Krieg gegen den Terrorismus" sind in den letzten Jahren sukzessive die Bürgerrechte geopfert worden. Die politischen Eliten verfolgen eine Gesetzgebung, die - wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung kritisiert hat - auf einen "Präventionsstaat" hinausläuft, der seine Staatsbürger einer vorbeugenden Überwachung unterwirft.[1] Die Wahl des Begriffes dürfte nicht zufällig an den von Ernst Fraenkel in Bezug auf das "Dritte Reich" geprägten Begriff des "Maßnahmestaats" angelehnt sein.[2] Und tatsächlich ist es vom Präventions- zum Maßnahmenstaat nur ein kleiner Schritt: Im Falle manifester Konflikte ist der Weg von der vorbeugenden Überwachung zur vorbeugender Inhaftierung nicht weit. Das hat Innenminister Schäuble indirekt bestätigt: Neben der verdachtsunabhängigen Ermittlung soll das Instrument der vorbeugenden Ingewahrsamnahme verstärkt zur Anwendung kommen.
All das ist im Prinzip weder neu noch originell; Schäuble versucht lediglich, das maßnahmestaatliche Terrain vor dem G8-Gipfel großzügiger abzustecken. Dennoch ist energischer demokratischer Widerstand zur Verteidigung der Bürgerrechte das Gebot der Stunde: Die Erfahrungen, die in den letzten Jahren im Wendland gesammelt worden sind, sprechen eine deutliche Sprache: Bei jedem Castor-Transport wurden - regional und zeitlich befristet - die demokratischen Grundrechte und die kommunale Selbstverwaltung aufgehoben; statt dessen regierte der niedersächsische Innen- und Polizeiminister. Ist es sehr schwer vorstellbar, was das im Falle verallgemeinerter sozialer und politischer Proteste bedeutet? Schon beim ver.di-Streik schien auf, daß die Polizei und Bundeswehr das Mittel einer "robusten" Tarifschlichtung sein könnten. In welcher Weise dieses Jahr die Polizei in Heiligendamm und gegen die streikenden Telecom-Mitarbeiter eingesetzt werden wird, ist eine Frage, die in den nächsten Tagen und Wochen entschieden wird.
Noch befinden sich Teile der politischen Klasse und der Medien in der Phase der rhetorischen Aufrüstung. Innenminister Wolfgang Schäuble hat sich dabei als ein Meister der zweideutigen Tabuverletzung erwiesen. Bisher hat er sich mit seiner Forderung nach weitergehenden polizeilichen und geheimdienstlichen Befugnissen und deren Anwendung nicht vollends durchgesetzt. In der liberalen Öffentlichkeit ist diese Frage umkämpft, wie sich am Beispiel der Süddeutschen Zeitung zeigen läßt. Dort war im Wirtschaftsteil ein Beitrag von Claus Hulverscheidt mit dem Titel "Gegner des G-8-Gipfels drohen mit Gewalt" erschienen, ohne daß auch nur die Spur eines Beleges für eine solche Drohung geliefert wurde.[3] Im politischen Teil verteidigt dagegen Heribert Prantl vehement rechtsstaatliche Standards.[4]
Entscheidend wird sein, ob die Linke die Frage der demokratischen Freiheiten zu einem zentralen Thema machen kann. Auf Seiten der politischen Linken ist seit einigen Monaten eine verhaltene Aufbruchstimmung feststellbar, die durchaus mit dem politischen Klimawechsel nach den Protesten gegen die WTO in Seattle 1999 vergleichbar ist. Der steigende Einfluß des heterogenen Spektrums der politischen Linken, wie er sich beim EU-Gipfel in Göteborg und beim G8-Gipfel in Genua offenbart hatte, wurde durch die islamistischen Terror-Anschläge auf das WTC in New York und die Verkündung des "Krieges gegen den Terror" jäh abgeschnitten. Die Position der politischen Defensive, in welche die Linke geraten war, konnte in den letzten Jahren nur partiell überwunden werden. Daß sich die Aktivisten der Antiglobalisierungsbewegung von Attac bis autonom nun im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm auch von indirekten Drohungen und staatlicher Gewalt nicht haben einschüchtern lassen, ist ein erfreuliches Zeichen gestiegenen Selbstbewußtseins. Ein Beleg dafür sind die Reaktionen auf die Razzien der Polizei gegen Gipfel-Gegner am 10. Mai 2007.
Die Razzien hatten ganz offensichtlich den Zweck, potentielle Demonstranten einzuschüchtern, die Proteste im Vorfeld zu kriminalisieren und Informationen über den Stand der Bewegung zu gewinnen. Die Razzia habe, so ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, "nicht in erster Linie zur Verhinderung von konkreten Anschlägen gedient, denn "dafür gab es keine Anhaltspunkte." Noch deutlicher wurde ein an den Großrazzien beteiligter Ermittler im Spiegel: "Wir haben in den Busch geschossen, nun sehen wir, was und wer sich dort bewegt."[5] Zumindest hinsichtlich der Einschüchterung eines breiteren kritischen Spektrums ist das Kalkül der Polizeiaktion nicht aufgegangen. Die spontanen Proteste gegen die Durchsuchungsaktion und die Eintrittswelle bei Attac zeigen, daß allenfalls politisch wenig informierte Leute sich durch die Versuche, die Proteste gegen den Gipfel in einen Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten zu stellen, haben desinformieren lassen.[6] Der politische Klimawechsel hat sich auch in den Wahlen in Bremen niedergeschlagen: Trotz der internen, wenig inhaltlichen Kontroversen in Linkspartei und WASG hat die Linke in Bremen ein beachtliches Wahlergebnis erzielt.
Nun wird es darauf ankommen, durch eine breite Aufklärung die ‚Strategie der Spannung' der Großen Koalition zu unterlaufen und den Spielraum der Protagonisten einer weiteren Demontage der sozialen und politischen Bürgerrechte einzuschränken. Die Chancen dafür sind günstig: Es zeichnet sich ab, daß auf dem Gipfel in Heiligendamm - etwa in der Klima- oder in der Entwicklungspolitik - Vereinbarungen getroffen werden können, die als Alibi für einen politischen Kurswechsel taugen. Angesichts der tiefgreifenden Delegitimierung der politischen und sozialen Eliten kann einer breiteren Öffentlichkeit vermittelt werden, daß es auf die eigene Aktivität vor Ort ankommt, eine bessere Welt zu erkämpfen.
[1] Heribert Prantl, Der große Rüssel. Jeder Bürger wird zum Ausländer im eigenen Land: Vom Umbau des Rechtsstaats in einen Präventionsstaat. SZ v. 21./22. April 2007.
[2] Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat (1941). Frankfurt/M 1974. Vgl. Joachim Perels, Entsorgung der NS-Herrschaft? Konfliktlinien im Umgang mit dem Hitler-Regime. Hannover 2004, S. 13f.
[3] SZ v. 25.4.2007.
[4] Vgl. z.B. Das Recht auf Widerspruch, SZ v. 11.5.2007. Die SZ ist zu einem Seismograph für das politische Klima in der Bundesrepublik geworden: Bisher war die SZ im Besitz mehrerer Eigentümer-Familien; ein Großteil des breiten Meinungsspektrums in der SZ verdankt sich dieser Streuung des Besitzes. Sollte nun ein Teil der gegenwärtigen Eigentümer seine Anteile an der SZ an einen Medienkonzern verkaufen, könnte es zu einer erheblichen Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Redaktion kommen. Vom Ergebnis im Kampf um die Süddeutsche Zeitung wird maßgeblich abhängen, in welche Richtung sich die liberale Öffentlichkeit bewegt. Es ist ein Verdienst von Jürgen Habermas, in der SZ selbst in dieser zentralen Auseinandersetzung im Sinne der inneren Pressefreiheit interveniert zu haben. Vgl. Medien, Märkte und Konsumenten. SZ v. 16./17. Mai 2007.
[5] Zitiert nach Attac-D-Info 6/07 vom 14. Mai 2007. Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß der §129a (Bildung einer terroristischen Vereinigung), nach dem auch in diesem Fall ermittelt wurde, ein Instrument der Repression ist: Über 90% der Verfahren nach 129a werden eingestellt.
[6] Für die Vertreter der herrschenden Meinung in Medien und Wissenschaft ist freilich jeder Gegner der Weltwirtschaftsordnung entweder naiv oder ein potentieller Terrorist. Vgl. Loccumer Initiative kritischer WissenschaftlerInnen (Hrsg.), Globaler Widerstand gegen den Kapitalismus. Auf dem Weg zu einer neuen Internationale? Kritische Interventionen Bd. 9. Hannover 2006.
https://sopos.org/aufsaetze/465232756c353/1.phtml
sopos 5/2007