Zur normalen Fassung

Der dritte Verlierer

Israels Linke und der Libanonkrieg

von Stefan Vogt

Ein bißchen Frieden mag möglich sein, ein bißchen Krieg nicht. In Kriegszeiten sind Bekenntnisse gefragt. Viele israelische Linke haben sich hinter die politische Führung des Landes gestellt und den Krieg gegen die Hisbollah im Libanon unterstützt. Dies hat zu Auseinandersetzungen nicht nur zwischen den diversen Parteien und Organisationen geführt, sondern zu einem Riß quer durch die israelische Friedensbewegung.

In den ersten Tagen des jüngsten Libanon-Krieges konnten sich die wenigen Demonstranten, die sich vor dem israelischen Verteidigungsministerium in Tel Aviv eingefunden hatten, noch mit Analogien zum ersten Libanon-Krieg Mut machen. Auch damals hatte es einige Zeit gedauert, bis die Menschen zu begreifen begannen, in welches Desaster die politische und militärische Führung sie da führte. Schließlich war daraus aber die größte Friedensbewegung in der Geschichte Israels entstanden, die nicht unwesentlich zu der Stimmung beitrug, die später den Oslo-Prozeß ermöglichte.

Tatsächlich wuchsen die Teilnehmerzahlen der Demonstrationen gegen den neuen Libanonkrieg auf mehrere Tausend. In den letzten Kriegstagen häuften sich auch in den Medien und in linksliberalen Kreisen die kritischen Stimmen. Mittlerweile dominiert der Unmut in der israelischen Gesellschaft. Doch mit einer neuen Friedensbewegung hat dies nicht viel zu tun. Vielmehr hält die übergroße Mehrheit der Israelis den Krieg weiterhin für gerechtfertigt. Kritisiert wird statt dessen die unprofessionelle Kriegsführung und daß der Krieg nicht konsequent genug geführt worden sei. Die Linke konnte durch diesen Krieg keine Unterstützung in der Bevölkerung gewinnen, sie sieht sich noch stärker in die Defensive gedrängt als zuvor.

Taube auf dem Dach

Nicht zuletzt ist dafür die Uneinigkeit innerhalb des ehemaligen »Friedenslagers« – also den linken, linksliberalen und sozialdemokratischen Parteien und Gruppierungen – verantwortlich, die in diesem Krieg besonders deutlich hervortrat. Verheerend wirkte sich dabei insbesondere aus, dass sich die Arbeitspartei, und allen voran ihr bis dahin als »Taube« geltender Vorsitzender Amir Peretz[1], mit besonders markigen Sprüchen an die Spitze der Kriegsbefürworter stellte. Für die Linke, die in Peretz einen Hoffnungsträger gesehen und seine Wahl zum Parteivorsitzenden lebhaft begrüßt hatte, war dies eine schwere Enttäuschung. Nicht umsonst richteten sich bei den Demonstrationen die wütendsten Parolen gegen den Verteidigungsminister.

Noch schwerwiegendere Folgen als das Zerwürfnis mit der Linken dürfte es aber haben, daß die Arbeitspartei durch den Krieg einen großen Teil ihrer Anhänger in der Bevölkerung verloren hat. Wären jetzt Wahlen, so würde die Arbeitspartei die Hälfte ihrer Sitze verlieren. Schon macht man sich Gedanken, wie man am besten den Vorsitzenden loswerden kann. Peretz hatte die Hoffnung, sich durch einen erfolgreichen Krieg als zukünftiger Regierungschef zu profilieren. Das Gegenteil ist eingetreten. Während er noch zu Beginn des Krieges lauthals prophezeite, daß »Nasrallah meinen Namen in Erinnerung behalten« wird, steht nun für ihn zu befürchten, daß man ihn selbst in Israel bald vergessen haben wird. Vor allem aber ist die Arbeitspartei bis auf weiteres als parlamentarische Basis für eine Politik verloren, die als Alternative zu den rechten Parteien Kadima und Likud eine Verhandlungslösung bieten würde.

Doch auch jenseits der Arbeitspartei war und ist sich die Linke nicht einig in ihrer Einschätzung des Krieges. Einige der wichtigsten Repräsentanten der gemäßigten Linken, so der Schriftsteller Amos Oz[2], waren zu Beginn des Krieges mit der Forderung an die Öffentlichkeit getreten, daß die israelische Friedensbewegung die militärischen Operationen unterstützen solle. Auch die Organisation Shalom Achshav (Frieden Jetzt) konnte sich zu keiner kritischen Position durchringen und erklärte lediglich, daß ihre Haltung zum Krieg »komplex« sei, sie die israelischen Reaktionen auf die Aggression der Hisbollah unterstütze, aber insgesamt eine politische Lösung des Konflikts befürworte. Im Übrigen war von der einstmals größten Friedensbewegung während des Krieges so gut wie nichts zu vernehmen.

Der Stimme enthalten

Ebenso wie Shalom Achshav weigerte sich auch die linksliberale Partei Meretz-Yahad, sich an einer Mobilisierung gegen den Krieg zu beteiligen. Bei Abstimmungen in der Knesset über die Libanon-Politik der Regierung enthielten sich die Meretz-Abgeordneten der Stimme. Deren Vorsitzender Yossi Beilin[3] beteuerte bei jeder Gelegenheit, daß auch Meretz die Rechtmäßigkeit einer militärischen Reaktion auf die Angriffe der Hisbollah anerkenne. Beilins Position war dennoch differenzierter als die manch anderer Linksliberaler. Auch wenn die Militäraktion gerechtfertigt sei, bedeute dies noch lange nicht, daß sie eine kluge und verantwortungsvolle Politik darstelle. Beilin wies darauf hin, daß die Aufgabe der Verhandlungsoption, an der die israelische Regierung aktiv beteiligt war, erst die Voraussetzungen für den Libanon-Krieg geschaffen habe, und daß eine einseitige militärische »Lösung« nicht in der Lage sei, Stabilität und Sicherheit für Israel zu garantieren. Deshalb forderte er einen unverzüglichen Waffenstillstand und die Wiederaufnahme der Bemühungen um eine umfassende Einigung mit den Palästinensern, mit dem Libanon und mit Syrien.

Während also die zionistische Linke, wenn überhaupt, nur sehr vorsichtige Kritik am militärischen Vorgehen Israels gegen die Hisbollah übte, blieb es der so genannten »radikalen Linken« – mit diesem Begriff wird in Israel das sehr heterogene politische Spektrum all jener linken Gruppen bezeichnet, die sich nicht explizit als zionistisch verstehen – überlassen, öffentlichen Protest zu organisieren. Obwohl die Slogans der Demonstrationen (sofortiger Waffenstillstand, Schutz der Zivilisten, Verhandlungen über Gefangenenaustausch, Friedensverhandlungen mit Syrien, Libanon und der Palästinensischen Selbstverwaltung) sich durchaus mit den Forderungen Beilins trafen, waren weder Meretz noch Shalom Achshav dort vertreten. Entsprechend scharf fiel die Kritik der radikalen Linken an diesen Organisationen aus. Der langjährige Aktivist Reuven Kaminer[4] etwa konstatierte in seinem Web-Blog, daß sich Shalom Achshav mit dieser Position aus dem »Peace Camp« verabschiedet und die offizielle Linie einer unilateralen Lösung des Palästinakonfliktes übernommen habe.

Zum Ende des Krieges zeichnete sich allerdings eine Veränderung dieser Position ab. Für den 10. August rief Shalom Achschav erstmals »alle diejenigen, die den Krieg bisher befürwortet haben und jetzt ein Ende der Gewalt und der Zerstörung verlangen«, zu einer Demonstration auf. Die Bilanz des Krieges, die Galia Golan[5] schließlich zog, war nicht weniger negativ als diejenige der wenigen linken Intellektuellen wie Zeev Sternhell und Tom Segev[6], die bereits während des Krieges diesen öffentlich verurteilt hatten. Keines der erklärten Kriegsziele sei erreicht worden, weder wurde die Fähigkeit der Hisbollah unterbunden, Israel mit Raketen zu bedrohen, noch das Abschreckungspotentials der israelischen Armee wiederhergestellt, noch die gefangenen israelischen Soldaten frei gelassen. Statt dessen sei die Hisbollah zur führenden politischen Macht im Libanon avanciert und ihre Entwaffnung in noch größere Ferne gerückt.

Am Ende des Prozesses

Der radikalen Kritik am Libanonkrieg will sich die zionistische Linke allerdings trotzdem nicht anschließen. Man halte an der Notwendigkeit fest, so Yossi Beilin in einem Artikel in der Zeitung Ha’aretz, den jüdischen Staat notfalls auch mit Gewalt gegen seine Feinde zu verteidigen und lehne deshalb einseitige Zugeständnisse an die Hisbollah ebenso ab wie an die Hamas. Die Differenz zur »radikalen Linken« liegt also darin, daß die zionistische Linke ein militärisches Vorgehen gegen die Islamisten als grundsätzlich legitim erachtet. Außer der Frage, ob die angewandten Mittel, bei denen viele zivile Tote in Kauf genommen werden, richtig und ethisch vertretbar sind, sei, so Beilin, jedoch vor allem der politische Kontext entscheidend, in dem diese militärische Aktion stattfinde. Wäre Israel den Weg einer umfassenden Verhandlungslösung weiter gegangen, so wäre weder der einseitige Abzug aus dem Libanon, noch der einseitige Abzug aus dem Gaza-Streifen notwendig gewesen. Dann hätte es weder die Angriffe mit Qassam-Raketen auf den Süden, noch diejenigen mit Katjusha-Raketen auf den Norden Israels gegeben, und weder im Gaza-Streifen noch im Libanon wäre es zu einer militärischen Auseinandersetzung gekommen.

Für Beilin ist die Aufgabe der zionistischen Linken damit klar: die Verhandlungsoption als einzige tragfähige Lösung für den Konflikt und als Alternative zum von Regierungschef Olmert wie schon von seinem Vorgänger Sharon[7] als Allheilmittel angepriesenen Unilateralismus zu präsentieren.

Beilin war nicht der erste, der den Krieg im Libanon mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt in Verbindung brachte. In den Internet-Foren der »radikalen Linken« wurde darauf von Beginn des Krieges an immer wieder hingewiesen. Für die Linke – ob zionistisch oder nicht – ist klar, daß nur eine Lösung dieses Konfliktes für Israel Stabilität und Sicherheit auch gegenüber den arabischen Staaten bringen kann. Wie eine solche Lösung aussehen kann, darüber gehen die Meinungen innerhalb des Spektrums allerdings weit auseinander. Weiterhin stehen sich die Befürworter der Zwei-Staaten-Lösung und diejenigen gegenüber, die einen »gemeinsamen demokratischen Staat« anstreben. Die zionistische Linke, die an der Notwendigkeit eines jüdischen Staates festhält, aber auch manche »linksradikale« Gruppen wie Gush Shalom, lehnen diese letzte Option ab. Dabei wird nicht zuletzt damit argumentiert, daß sie für die Mehrheit der israelischen Gesellschaft inakzeptabel sei. Im Moment jedoch stellt sich die Frage, ob die Mehrheit der Israelis überhaupt noch an die Möglichkeit einer Verhandlungslösung glaubt.

Damit ist die Frage nach einer politischen Alternative zur derzeit vorherrschenden unilateralen und militärischen Strategie Israels im Nahostkonflikt aufgeworfen. Die Verhandlungslösung ist nur dann wieder eine realistische Option, wenn sich in Israel eine relevante politische Kraft findet, die sie entschieden vertritt. Die linken Zionisten von Meretz-Yahad sind und bleiben eine kleine Minderheit. Die Arbeitspartei droht durch den Krieg nicht nur ihren politischen Einfluß zu verlieren. Sie hat auch bis auf weiteres jede Glaubwürdigkeit als Vertreterin einer Verhandlungslösung eingebüßt. Daß ausgerechnet Ehud Barak[8], der als Ministerpräsident wesentlich zur Etablierung der unilateralen Strategie beigetragen hat, als mögliche Alternative zum gescheiterten Parteivorsitzenden Peretz gehandelt wird, deutet darauf hin, daß sich daran so schnell auch nichts ändern wird. Neben den Israelis und den Libanesen ist der Friedensprozeß im Nahen Osten, so scheint es, der dritte große Verlierer in diesem Krieg.

Anmerkungen:

[1] Amir Peretz, geb. 1952, israelischer Verteidigungsminister (seit Mai 2006) und Vorsitzender der Arbeitspartei (seit November 2005), zuvor langjähriger Vorsitzender der israelischen Gewerkschaftsorganisation »Histadrut« (1995-2005).

[2] Amos Oz, geb. 1939, israelischer Schriftsteller, Autor u.a. von »Mein Michael« (1968), »Der dritte Zustand« (1991), »Eine Geschichte von Liebe und Finsternis« (2003), Mitbegründer der Friedensbewegung Shalom Achschav.

[3] Yossi Beilin, geb. 1948, seit März 2004 Vorsitzender von Meretz-Yahad, zuvor langjähriges Mitglied der Arbeitspartei, verschiedene Kabinettsposten in den Regierungen Rabin, Peres und Barak, Initiator und israelischer Verhandlungsführer im Oslo-Prozesses und in den nachfolgenden Verhandlungen mit der palästinensischen Führung.

[4] Reuven Kaminer, geb. 1929, Gründer und Redakteur des Web-Forums »Ha’gada Ha’smolit« (Linkes Ufer), Autor von »The Politics of Protest« (1996). Sein Web-Blog findet sich unter www.reuvenkaminer.com.

[5] Galia Golan, Professorin für Politikwissenschaft am Interdisciplinary Center Herzliya, langjähriges führendes Mitglied der Partei Meretz-Yahad und von Shalom Achschav, Mitbegründerin der Frauenfriedensorganisation Bat Shalom.

[6] Zeev Sternhell, geb. 1935, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Hebräischen Universität Jerusalem, und Tom Segev, geb. 1945, Journalist und Publizist, sind regelmäßige Kommentatoren und Kolumnisten in der linksliberalen Tageszeitung Ha’aretz.

[7] Ehud Olmert, geb. 1945, israelischer Ministerpräsident (seit Mai 2006, seit Januar »amtierender Ministerpräsident«), Vorsitzender der Partei Kadima (seit Januar 2006), zuvor führendes Mitglied der Partei Likud und langjähriger Bürgermeister von Jerusalem (1993-2003). Ariel Sharon, geb. 1928, langjähriges führendes Likud-Mitglied, Begründer der Partei Kadima, von März 2001 bis April 2006 israelischer Ministerpräsident, während des ersten Libanonkrieges Verteidigungsminister (1981-1982).

[8] Ehud Barak, geb. 1942, führendes Mitglied der Arbeitspartei, israelischer Ministerpräsident 1999-2001, zuvor Generalstabschef der israelischen Armee (1991-1995).

Stefan Vogt ist Historiker und lehrt an der Universiteit van Amsterdam.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 296.




Glossar: Parteien und Friedensbewegung in Israel

Arbeitspartei, hebräisch: Avoda, hervorgegangen 1968 aus Mapai, der Partei der zionistischen Arbeiterbewegung in Palästina und Israel, vor 1948 die dominante politische Kraft des jüdischen Gemeinwesens in Palästina und in den ersten 30 Jahren des Staates Israel. Heute sozialdemokratische Partei und Teil der Regierungskoalition. Vorsitzender ist Verteidigungsminister Amir Peretz.

Kadima, hebräisch für »vorwärts«, derzeit stärkste Partei im Parlament und führende Partei der Regierungskoalition unter Ministerpräsident Ehud Olmert, der auch Vorsitzender der Partei ist. Entstanden 2005 nach dem Austritt des damaligen Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Ariel Sharon und vieler seiner Anhänger aus der Partei Likud, um dessen Vorstellung einer unilateralen Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes durch Abzug aus dem Gaza-Streifen und Teilen des Westjordanlandes gegen den rechten Flügel der Likud-Partei durchzusetzen.

Likud, hebr. für »Festigung«, derzeit stärkste Oppositionspartei unter der Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Likud verfolgt eine marktliberale Politik und lehnt Friedensverhandlungen mit der palästinensischen Führung ebenso ab wie einen einseitigen Rückzug aus Teilen der besetzen Gebiete.

Meretz-Yahad, hervorgegangen aus der Partei Meretz (hebräisch für »Energie«), diese wiederum ist 1992 als Vereinigung der beiden liberalen Parteien Raz und Shinui mit der marxistisch-zionistischen Partei Mapam entstanden. 2003 Neugründung zunächst als Yahad (hebräisch für »zusammen«), dann als Meretz-Yahad. Meretz-Yahad vertritt einen linken Zionismus, der linksliberale und linkssozialdemokratische Elemente mit einem Eintreten für den Rückzug aus den besetzten palästinensischen Gebieten und eine Verhandlungslösung des Nahostkonfliktes verbindet. Die Partei ist derzeit in der Opposition, Vorsitzender ist Yossi Beilin.

Shalom Achshav, Hebräisch für »Frieden Jetzt«, außerparlamentarische, linksliberale Friedensbewegung, gegründet 1978, tritt für eine friedliche Lösung des Nahostkonfliktes auf der Grundlage des Rückzugs aus den besetzten Gebieten und der Gründung eines palästinensischen Staates ein. Derzeitiger Generaldirektor: Yariv Oppenheimer.

Gush Shalom, hebräisch für »Friedensblock«, gegründet 1993 u.a. von Uri Avnery. Die Organisation vertritt eine radikale Kritik an der israelischen Besetzung der palästinensischen Gebiete und eine Lösung des Nahostkonfliktes durch die Schaffung eines palästinensischen Staates im Gaza-Streifen und im Westjordanland.

Zur normalen Fassung


https://sopos.org/aufsaetze/4589ada6424d5/1.phtml

sopos 12/2006