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Huntingtons Theorem basiert auf der Annahme, jede Kultur der Welt bestehe aus sozialen und politischen Normen, die mit denen der anderen Kulturen unvereinbar seien. Eine friedliche Koexistenz sei nur so lange möglich gewesen, wie räumliche Distanz vorhanden war. Da wir im Zeitalter der Globalisierung in Nahverhältnissen zueinander kämen, gleichsam wie in einem globalen Dorf lebten, jedenfalls geographische Distanz keinen Schutz mehr biete, sei ein »Kampf der Kulturen« unvermeidlich. Die Welt des 21. Jahrhunderts werde zu einer Arena von Kulturkämpfen. Der Höhepunkt dieses zunächst kalten, dann heißen Zusammenpralls der Kulturen könnte nach Huntingtons Vorstellungen eine Entscheidungsschlacht in Form eines Weltkrieges sein. Dabei gehe es nicht – wie noch in der Phase des Imperialismus Anfang des 20. Jahrhunderts – um Landnahmen durch Krieg, sondern um kulturelle Hegemonieansprüche, gleichsam um Identitätsfragen im Sinne der Selbstbehauptung. In allen Kulturen werde ein Fundamentalismus die Macht ergreifen und dazu führen, daß das Bewußtsein für die kulturellen Unterschiede größer als das für die Gemeinsamkeiten werde. »The rest against the west.« Huntington appellierte sogleich an den Westen, sich auf diesen Kampf gut vorzubereiten (Rüstung), um nicht zu unterliegen. Wäre Huntington selbst von alledem überzeugt, müßte man ihm Verfolgungs- und Identitätswahn bescheinigen. Viel wahrscheinlicher handelt sich bei dem Kulturkampftheorem um eine Legitimationsideologie für imperiales Handeln des Westens, das dadurch verschleiert wird. Jede Eskalation wie der derzeitige Karikaturenstreit, die das Theorem womöglich auch noch verifiziert, wäre der weiteren Verschleierung imperialen Handelns förderlich. Huntingtons beraterische Tätigkeit für den US-Präsidenten wird etwas durchschaubarer, wenn man seine Ausführungen in einen geopolitischen Kontext stellt. Als »den Westen« faßt er Europa und die USA zusammen. Gerade diese beiden Machtbereiche, die während des Kalten Krieges und der bipolaren Weltordnung vorgaben, gleichsam unverbrüchlich in der NATO Seite an Seite zu stehen, gerieten nach der Auflösung ihres gemeinsamen ideologischen Gegners, des Warschauer Paktes, zwar nicht in ideologische Konfrontation, aber in harte Konkurrenz zueinander. Die EU stellt »den Westen« nicht als gemeinsame zivilisatorische Grundlage, jedoch als politisches Gebilde zunehmend in Frage. In Gestalt der EU versucht Europa sich gegenüber den USA als eine ökonomische und militärische Weltmacht zu behaupten, verliert deshalb das Interesse an der NATO und schafft sich mit einer EU-Armee auch ein unabhängiges militärisches Droh- und Eingreifpotential, um eigenständig handeln zu können, wenn ein Konflikt mit den Interessen der USA aufzukommen droht. Das alles geschieht deshalb, weil der Imperialismus nach dem Kalten Krieg nicht obsolet, sondern im Gegenteil in der Konkurrenz um den Zugang zu Energieressourcen sehr aktuell geworden ist. In diesem Kontext kann man in Huntingtons Kulturkampftheorem auch einen strategischen Zweck erkennen, der auf Europa gerichtet ist: die gemeinsame zivilisatorische Grundlage des Westens nicht in Frage zu stellen, weil man noch aufeinander angewiesen sei, um sich gegen den Rest der Welt, der seinen Teil vom energetischen Kuchen verlangt, zu behaupten – vor allem gegen das wirtschaftlich erstarkende China. Spätestens seit dem 11. September 2001 könnte man meinen, Huntington habe Recht behalten, und wir befänden uns bereits mitten in einem Kampf der Kulturen – an der Stelle, wo er von seiner kalten zur heißen Phase übergegangen ist. Ganz unstrittig liegen die Rauchschwaden des Krieges in der Luft. Aber es ist ein Krieg, der nur als Legitimationsvorwand auf das Theorem vom »Kampf der Kulturen« zurückgreift, um imperiale Interessen der Weltmächte zu maskieren und die Schuldfrage für einen möglichen Flächenbrand abzuweisen. Huntington selbst – als wäre ihm wie Goethes »Zauberlehrling« bewußt geworden, daß er die Geister, die er rief und die großen Unheil anstiften, nicht mehr loswird – distanzierte sich nach dem 11. September 2001 von seinem Theorem. Er warnte geradezu davor, die aktuellen Konflikte durch die Kulturkampfbrille zu betrachten. Aber er ist nicht mehr Herr seines Theorems. Die Diskussion darum reißt nicht ab, sondern spitzt sich zu wie zuletzt im Karikaturenstreit. Die Gazetten bersten vom »Kampf der Kulturen« wie das Haus des Hexenmeisters vom Wasser, das der verhexte Besen unermüdlich heranschleppt. Es ist offenbar der Fall einer self-fulfilling prophecy, die aus den Beraterzimmern von den Kommandohöhen der Weltpolitik bis ins Fundament der Gesellschaften hineinwirkt und dort auf den kolossalen Verstärker eines Massenresonanzbodens stößt, der es den Regierungen der Weltmächte erlaubt, nur noch entschiedener ihren imperialen Interessen nachzugehen, ohne dafür belangt zu werden, weil die Massen nach Schutz und Identität verlangen und den Krieg für unausweichlich halten könnten. Was sich hier womöglich ankündigt, ist ein Weltkrieg, in dem es auf jeder Seite nicht um den Schutz der Menschen geht, sondern auf der einen Seite um die Sicherung des Wohlstands der westlichen Welt, deren Teilhabe dem Rest der Welt verwehrt bleiben soll, und auf der anderen Seite um das Recht auf eine eigene, wenn auch religiös verschleierte, Moderne der orientalischen Welt. »O du Ausgeburt der Hölle! / Soll das ganze Haus ersaufen? / Seh ich über jede Schwelle / doch schon Wasserströme laufen. / Ein verruchter Besen, / der nicht hören will! / Stock, der du gewesen, / steh doch wieder still!« Huntington hat sich aus guten Gründen von seinem Theorem distanziert, das, genauer betrachtet, selbst vom Un-Geist des Fundamentalismus angetrieben ist und in der politischen Praxis auf den Mißbrauch kultureller Unterschiede hinausläuft. Huntington hat Fakten nach eigenen Interessen zusammengestellt und andere, die sein Theorem widerlegt hätten, unterschlagen. So taugt es zur Rechtfertigung von Herrschaftsinteressen. Es ist gleichsam das historische Pech der Araber und Perser, auf einem Ölsee zu leben, der von der ganzen Welt begehrt und vom Westen aggressiv beansprucht wird. Das Öl ist der Grund, warum der Westen die arabische Welt in der Vergangenheit immer wieder darin behinderte, sich zu modernisieren – oft mit Gewalt.
Erschienen in Ossietzky 5/2006 |
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