Noch gibt es sie, die Antiimperialisten, die in neuen Süd-Süd-Beziehungen den Ausweg aus der Abhängigkeit vom Norden sehen. Neben einer Reihe von arabischen Staatschefs und einem Kreis um den venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez, seinen kubanischen Kollegen Fidel Castro und Luiz Inácio Lula da Silva aus Brasilien (siehe Kasten unten) sind es auch immer mehr afrikanische Regierungen, die auf den Handel innerhalb der Staaten des Südens setzen. Simbabwes Diktator Robert Mugabe schlug kürzlich gar vor, Afrika sollte sich endlich vom "imperialistischen Westen" abnabeln und mehr nach Osten schauen. China sei ein alternatives Machtzentrum und könne auf der Suche nach einem gerechteren globalen System die Führungsrolle übernehmen.
Doch auch weniger anti-westlich orientierte Entwicklungsländer beschränken sich längst nicht mehr nur auf den Handel mit den Industriestaaten. Südafrika etwa forciert die - vor allem ökonomischen - Beziehungen zu den großen und wachsenden Ökonomien Chinas, Indiens oder Brasiliens. Verbunden mit dieser Ausweitung des Handels ist auch eine Umorientierung in der Wirtschaftspolitik. Nach dem Vorbild Chinas versucht Staatschef Thabo Mbeki liberale Elemente mit staatlicher Lenkung zu verknüpfen. Statt große Staatsunternehmen wie den Stromkonzern Eskom oder den Transportriesen Transnet zu privatisieren, hat der regierende ANC sie mit frischem Kapital ausgestattet - und damit indirekt zu einem Kernstück der eigenen Wachstumsstrategie gemacht.
Der Afrika-Asien-Gipfel im April dieses Jahres in Jakarta hat die Tendenz noch einmal verstärkt. Bereits heute gehen 13 Prozent aller afrikanischen Exporte nach Asien - vor allem nach China, das mit steigender Wirtschaftskraft einen ebenso wachsenden Bedarf an Rohstoffen hat. Das Gesamtvolumen des chinesisch-afrikanischen Handels betrug 2004 fast 30 Milliarden US-Dollar, was einem Anstieg von jährlich mehr als 30 Prozent seit 2001 entspricht. Chinesische Unternehmen bekamen den Zuschlag für den Bau von drei der vier Abschnitte des 650 Millionen US-Dollar teuren Merowe-Damms am Nil. Ein chinesischer Telefonkonzern erhielt den Auftrag zur Wartung der Mobilfunknetze in Kenia, Simbabwe und Nigeria. Und Simbabwe hat gerade von der Volksrepublik sechs Kampfflugzeuge im Wert von 120 Millionen Dollar gekauft. Dafür soll das bankrotte Regime einen Großteil seiner Tabakernte nach China exportieren.[1]
Das vorrangige Ziel chinesischer Außenhandelspolitik ist aber die Sicherung des ständig steigenden Rohstoffbedarfs. Knapp zehn Prozent Wirtschaftswachstum und der parallel dazu extrem schnell wachsende Individualverkehr benötigen viel Energie. Die internationale Energieagentur IEA schätzt, daß die Volksrepublik schon jetzt 5,8 Millionen Barrel Rohöl pro Tag benötigt, Tendenz stark steigend.
Folgerichtig steigen Chinas Ölkonzerne in den Handel und die Förderung von Öl und Gas ein, zunächst vor allem in Asien. Die chinesische staatliche Ölfirma CNPC erwarb schon 1997 die Anrechte auf zwei lukrative Ölfelder in Kasachstan und warf dabei amerikanische und europäische Ölkonzerne aus dem Rennen. Im Austausch für die Bohrrechte verpflichtete sich CNPC, Pipelines nach China zu bauen, um damit den Export von bis zu 50 Millionen Tonnen kasachischen Öls pro Jahr nach China zu ermöglichen. Inzwischen deckt China seinen Energiebedarf auch aus anderen Regionen. Das staatliche Unternehmen Sinopec fördert Öl in Gabun und will dort auch eine Raffinerie bauen. Vertragspartner Total Gabun verpflichtete sich umgekehrt auf die tägliche Lieferung von 20.000 Barrel Rohöl an China, immerhin rund acht Prozent der derzeitigen Förderung des Landes. Das Regime in Angola, das ansonsten vor dem Problem steht, wegen verbreiteter Korruption als wenig kreditwürdig angesehen zu werden, hat von China kürzlich ein zinsgünstige Darlehen von zwei Milliarden US-Dollar erhalten - und liefert im Gegenzug 10.000 Barrel Öl pro Tag.
Überhaupt ist China zum größten Konkurrenten der US-amerikanischen und europäischen Ölfirmen bei der Ausbeutung der Vorkommen in Afrika geworden. Schon jetzt bezieht China ein Viertel seiner Ölimporte aus Afrika. In Algerien haben chinesische Firmen mehrere hundert Millionen Euro in Erdölraffinerien gesteckt. Besonders stark ist die Volksrepublik im Sudan engagiert, wo chinesische Firmen bereits mehrere Milliarden Euro in Förderanlagen investiert haben.
China ist zwar der stärkste, aber keineswegs der einzige erfolgreiche Akteur auf dem Süd-Süd-Markt. Der Anteil der Entwicklungsländer am Welthandel legte von 1990 bis 2001 um 4,2 Punkte auf 10,7 Prozent zu, und die Tendenz ist weiter steigend. Der Süd-Süd-Handel spielt dabei eine wachsende Rolle, er ist seit 1990 von 219 Milliarden auf 640 Milliarden Dollar im Jahr 2001 gestiegen. Laut einem kürzlich veröffentlichten Weltbankbericht beliefen sich im Jahr 2002 die Direktinvestitionen aus Entwicklungsländern in Afrika auf 16 Milliarden US-Dollar. Für 2004 beziffert sie die Weltbank bereits auf 40 Milliarden.
Südafrikanische Supermarktketten, Banken und Hotels expandieren in vielen Teilen des eigenen Kontinents, während Unternehmen aus asiatischen Schwellenländern ihre Zelte in Südafrika aufgeschlagen haben, weil sie das Land am Kap als Sprungbrett für ganz Afrika betrachten. Die Spanne reicht von Hausgeräteherstellern über indische IT-Dienstleister, Autoproduzenten bis hin zu Investitionen der Textilbranche, etwa der malaysischen Textilfirma Ramatex in Namibia.
Diese "horizontalen" Direktinvestitionen erlauben es Unternehmen, Handelsbarrieren zu überwinden, die viele ärmere Länder zum eigenen Schutz errichtet haben. Hier liegt eines der Hauptprobleme dieses neuen Süd-Süd-Handels. Während lateinamerikanische, afrikanische und asiatische Produzenten nämlich gegenüber der Konkurrenz aus den Industriestaaten den Vorteil niedriger Lohnkosten und damit häufig geringerer Herstellungskosten haben, sind die Produkte aus China konkurrenzlos billig. China vereint die Vorteile eines Industriestaates - wie hohes Wachstum im technischen Bereich, multinationale Konzerne, gut ausgebildetes Personal, ständig wachsende Inlandsnachfrage und Investitionen in Forschung und Bildung - mit denen eines Entwicklungslandes: Niedrige Lohn- und Produktionskosten und günstige Investitionsbedingungen für ausländisches Kapital. Für die Konkurrenz sind das denkbar ungünstige Voraussetzungen, weshalb die Handelsbilanz für China sowohl gegenüber Industrie- als auch gegenüber Entwicklungsländern positiv ist.
Die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) begünstigen diese Entwicklung noch. Nachdem die Textilquoten in diesem Januar weltweit weitgehend aufgehoben wurden, nahmen Chinas Textilexporte drastisch zu: 342 Prozent mehr T-Shirts wurden seither allein in die EU geliefert. Der mexikanische Wirtschaftsprofessor Enrique Dussel spricht von 600.000 Arbeitsplätzen, die allein Mexiko in den letzten zwei Jahren in der Textilindustrie an China verloren habe.[2] Auch sei die gesamte mexikanische Spielzeugindustrie aufgrund der chinesischen Konkurrenz vom Erdboden verschwunden. Ein Grund dafür seien die höheren Löhne in Mexiko. Doch gehe es auch um die schnellen Produktivitätsgewinne in China. "Wir erleben eine sehr direkte, blutige Konkurrenz mit China", so Dussel.
Auch in Vietnam und Kambodscha brachen große Teile der Textilbranche zusammen. Der Generalsekretär des malaysischen Gewerkschaftsverbandes MTUC, Govindasamy Rajasekaran, befürchtet einen drastischen Lohnverfall aufgrund der Konkurrenz aus China: "Arbeitgeber und Regierung verbreiten die Botschaft, daß alle begraben werden, die sich nicht auf die chinesische Herausforderung vorbereiten. Wir müssen die Globalisierung überdenken."
Die Folge ist eine ständig sinkende Handelsbilanz vieler Entwicklungsländer. Südafrikas Handelsbilanzdefizit beträgt schon jetzt jährlich 1,2 Milliarden Euro. China lieferte im Jahr 2003 Waren im Wert von zwei Milliarden Euro, die südafrikanischen Exporte nach China beliefen sich dagegen nur auf 32 Millionen Euro. Von einem Freihandelsabkommen, so Dirk van Seventer vom Johannesburger Institut für Trade and Industrial Policy Studies (TIPS), werde daher in erster Linie China profitieren. Während nämlich Südafrika derzeit dem asiatischen Riesen vor allem Rohstoffe liefert (für die ohnehin nur geringe Zölle erhoben werden), kommen aus China verarbeitete Produkte wie Elektrogeräte, Spielzeug, Kleider oder Schuhe.[3]
Doch Chinas derzeit globale Dominanz der Textilindustrie ist erst der Anfang. "Auf die Textilbranche wird die Elektronik folgen", prophezeit Wirtschaftsprofessor Zha Daojiang. Klar ist, daß China längst nicht mehr nur mit niedrigen Löhnen konkurriert, sondern mit zunehmender Produktivität und technologisch hochwertigeren Produkten. Schon stellt China 50 Prozent aller Kameras der Welt, 25 Prozent aller Waschmaschinen und 20 Prozent aller Kühlschränke her. Für andere Länder des Südens bedeutet dies, daß sie zwar kostengünstiger an diese Produkte kommen, daß ihre eigenen Anstrengungen zur Industrialisierung jedoch deutlich erschwert werden.
So droht eine Wiederholung der Erfahrungen, die die Länder des Südens im Handel mit den Industriestaaten machen mußten: "Die Rohstoffabhängigkeit wechselt vom Westen nach China", glaubt Neva Makgetla, Leiterin der Politischen Abteilung des südafrikanischen Gewerkschaftsdachverbands Cosatu. Die Länder des Südens wären weiter von Rohstoffexporten abhängig, und zwar nicht mehr nur von Europa oder Nordamerika, sondern auch von China. Gleichzeitig würden Länder wie Südafrika immer mehr industriell gefertigte Güter aus China importieren. So beginne der alte Teufelskreis der Unterentwicklung von neuem.
[1] Allgemeine Zeitung Windhoek (Namibia), 16. Mai 2005
[2] taz vom 17.5.2005
[3] Johannes Dietrich: Angst vor der asiatischen Konkurrenz. In: E+Z, Nr. 1/2005
Stephan Günther ist Mitarbeiter im iz3w.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 287.
"Kühn in seinen Zielen und ehrgeizig in seinen Bestrebungen" nannte Brasiliens Präsident Lula das erste lateinamerikanisch-arabische Gipfeltreffen, zu dem im Mai Vertreter von 22 Staaten der Arabischen Liga und zwölf südamerikanischen Staaten in Brasilia zusammengekommen waren. Lula forderte dabei eine "Demokratisierung der internationalen Organisationen, damit die Stimme der Entwicklungsländer gehört wird" und einen "gerechten und ausgeglichenen Handel ohne aufgezwungene Subventionen." Nur so könnten auch die armen Länder von der Globalisierung profitieren.
Der brasilianische Sozialist präsentierte sich nicht nur am Rande dieses Treffens als Sprecher des Südens, der die Handelsbeziehungen zu anderen Entwicklungsländern stärken will. Lula sucht schon länger die Zusammenarbeit mit Südafrika und Angola, hat Handelsverträge mit China und Indien abgeschlossen und strebt eine enge Kooperation der lateinamerikanischen Staaten an - nicht zuletzt als Gegengewicht zu den USA. Er spricht von einer "neuen Handelsgeographie", die mit stärkerer Süd-Süd-Kooperation zu erreichen sei, um der einseitigen Abhängigkeit vom Norden zu entkommen. Einen Schritt in dieser Richtung sieht Lula auch in dem beim Gipfel in Brasilia beschlossenen neuen Rahmenabkommen zwischen dem Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay) und dem Golf-Kooperationsrat (Saudi-Arabien, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait, Oman, Bahrein), durch das die wirtschaftliche Kooperation der beiden Blöcke verstärkt werden soll. Allein Brasilien erhofft sich in den nächsten drei Jahren eine Verdoppelung des Außenhandels mit der arabischen Welt.
Lula setzt auf Exportförderung und schafft ein "gutes Investitionsklima" für ausländische und multinationale Unternehmen - durch Steuererleichterungen, aber auch dadurch, daß er die Löhne und Lohnnebenkosten in engen Grenzen hält. Den Kritikern aus Gewerkschaften und seiner eigenen Partei hält er entgegen, daß Brasilien im vergangenen Jahr erstmals seit langer Zeit ein Plus in der Handelsbilanz verzeichnen konnte. Dabei profitiert es nicht zuletzt vom chinesischen Wirtschaftsboom und exportiert vor allem Stahl und Agrarprodukte nach Asien. Auf der anderen Seite, so kündigte der chinesische Staatschef Hu Jintao kürzlich an, wird die Volksrepublik China in den kommenden zehn Jahren 100 Milliarden US-Dollar in Lateinamerika - und einen Großteil davon in Brasilien - investieren.
Parallel zu dieser neoliberalen Ausrichtung zeichnen sich aber auch gegenläufige politische Trends ab, vor allem im Rahmen der lateinamerikanischen Kooperation. Am Rande des lateinamerikanisch-arabischen Gipfels in Brasilien unterzeichneten Lula, der venezolanische Präsident Chávez und sein argentinischer Kollege Kirchner drei Verträge zur Gründung von Pedrosul (einer großen Erdölfirma), von Telesur (eines transnationalen TV-Netzes) sowie einer Bankgesellschaft für regionale Entwicklung. Venezuela, Argentinien, Uruguay, Kuba und Brasilien (zunächst nur als Kooperationspartner) betreiben das Projekt Telesur, einen lateinamerikaweiten Nachrichtenkanal mit Sitz in Venezuela, der als "Südalternative" zu den dominanten westlichen Medien, allen voran CNN, dienen soll. (Die USA haben bereits vor dem Sendebeginn am 24. Juli ein Gesetz beschlossen, diesen Sender durch Störfrequenzen zu behindern und Gegenprogramme auszustrahlen).
Auch Pedrosul zielt auf mehr Autonomie Lateinamerikas. Um die Abhängigkeit in der Energieversorgung zu verringern, will Venezuela als größter Erdöllieferant des Kontinents feste Quoten für die Vertragspartner garantieren. Schon zuvor hatte Chávez eine regionale karibische Ölgesellschaft gegründet, die karibischen Staaten Erdöl zu günstigen Konditionen liefert. Die Gegengeschäfte sind vielfältiger Art. So entsendet etwa Kuba mehrere Tausend Ärzte und Sozialarbeiter nach Venezuela, die dort für jeweils zwei Jahre im Rahmen von "Barrio Adentro", einem Programm zur Verbesserung der Infrastruktur in den armen Regionen des Landes, tätig sind. Hugo Chávez betont, daß sich diese Ansätze ausdrücklich gegen die von den USA propagierte Freihandelszone richten.
Zumindest in diesem Punkt sind sich die linkspopulistischen, sozialdemokratischen und sozialistischen Regierungen, die momentan in Lateinamerika in der Mehrzahl sind, einig: Sie wollen der Dominanz der USA mit eigenen politischen und ökonomischen Bündnissen entgegentreten. Die Intensivierung der Kooperationen mit China und vor allem mit den arabischen Staaten transportiert insofern auch eine deutliche politische Botschaft. Die Abschlußerklärung des Gipfels in Brasilia wertete die Tageszeitung Folha de São Paulo dann auch als "Manifest gegen den nordamerikanischen Unilateralismus, die Besatzung palästinensischer Territorien durch Israel und die Wirtschaftspolitik der reichen Länder".
https://sopos.org/aufsaetze/43629b654b8e2/1.phtml
sopos 10/2005