Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Auf dem Weg zum PräventivstaatMax Stadler Bundeskanzler Gerhard Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering haben die Grünen nicht gefragt, ob sie mit vorgezogenen Neuwahlen einverstanden sind. Dennoch sieht man jetzt, nachdem der erste Schock verflogen ist, grüne Innenpolitikerinnen und Innenpolitiker mit heiterer, entspannter Miene durch die Flure des Reichstags wandeln – als wären sie froh, die Last des Regierens mit einem übermächtigen und daher ungeliebten Partner alsbald loszuwerden. In kaum einem Politikfeld befanden sich die Grünen so sehr in Gefangenschaft der SPD wie im schwierigen Terrain der Innen- und Rechtspolitik. Die Aussicht auf »pures Grün« in der Opposition erscheint vielen verlockender als die ewigen Zurechtweisungen vom ehemaligen Parteifreund Schily, der in den sieben für Bürgerrechtler mageren Jahren den Ton angegeben hat. Wer hätte das gedacht? So wie Willy Brandt zu Beginn der sozialliberalen Koalition den Aufbruch zu »mehr Demokratie« versprochen hatte, glaubten viele Bürgerinnen und Bürger an ein neues Reformzeitalter, als 1998 das »rot-grüne Projekt« startete. In der Innenpolitik setzte bald Ernüchterung ein, die jetzt, kurz vor Beendigung dieser Koalition, einer tiefen Enttäuschung Platz gemacht hat. Es gibt niemanden, der behaupten würde, die letzten Jahre wären gute Jahre im Sinne der Bürgerrechte gewesen. In diesem Bereich hatte die rot-grüne Koalition von Anfang an Konstruktionsfehler. Sie installierte einen Innenminister, der seine Aufgabe niemals darin sah, an die Amtsführung etwa einer liberalen Symbolfigur wie Gerhart Rudolf Baum anzuknüpfen, der sich noch als »Minister für innere Liberalität« verstanden hatte. Schily war – um die SPD gegen Angriffe der Konservativen zu immunisieren, aber auch aus innerer Überzeugung – von vornherein ein »Sicherheitsminister«. Diesen Part erfüllte er perfekt. Fast scheut man sich, den Nachfolger von Zimmermann und Kanther und Duzfreund von Beckstein dafür zu tadeln. Denn in unsicheren Zeiten kann jedes Land einen Verfechter von Sicherheit brauchen; Sicherheit kann ja durchaus der Freiheit dienlich sein. Aber man braucht auch Gegengewichte, die berechtigte Sicherheitsbedürfnisse und den freiheitlichen Gehalt einer Gesellschaft ins richtige Verhältnis setzen. Und daran hat es in der rot-grünen Koalition immer gefehlt. Es gab kein Justizministerium, das die traditionelle Rolle als Hüter der Grundrechte gegenüber einem sicherheitsbewußten Innenministerium ausgefüllt hätte, und es gab kein Parlament, das selbstbewußt in einem gut konservativen Sinne Grundwerte der Verfassung verteidigt hätte. Die großen Fraktionen von SPD und CDU/CSU waren sich in dem Grundsatz »Im Zweifel für die Sicherheit« einig, die Grünen hatten nicht die Substanz, innerhalb der Regierungskoalition Akzente zu setzen. So blieb in der ersten Amtsperiode des Kabinetts Schröder die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts das einzige Thema, auf das man verweisen konnte. Nur: Diese Minireform war mehr von Roland Koch als von den Grünen geprägt. Nach 2002 kam das Zuwanderungsgesetz hinzu – ein Kompromiß (nach meiner Meinung durchaus vernünftig), der den Grünen dermaßen mißfiel, daß ein Sonderparteitag ihn beinahe zu Fall gebracht hätte. Ich will nicht ungerecht sein: Manches war und ist ein Fortschritt, etwa die bessere Rechtsstellung Homosexueller oder ganz zum Schluß noch der erste zaghafte Schritt in die Informationsfreiheit. Aber die Grünen können nur hoffen, daß niemand ihr Magdeburger Programm von 1998 aufbewahrt hat. Gehen wir gnädig über unerfüllte dortige Versprechungen (Beispiel: Volksentscheide auf Bundesebene) hinweg. Die Liste der Fehlleistungen ist lang: Terrorismusbekämpfungsgesetze (»Otto-Kataloge«); Abschaffung des Bankgeheimnisses; Abkommen über die Weitergabe von 34 personenbezogenen Passagierdaten an die US-Behörden; Lizenz zum Abschuß von Passagierflugzeugen; Eingriffe in das Versammlungsrecht; Neuauflage des großen Lauschangriffs; drastische Zunahme der Telefonüberwachungen; Fortführung verdachtsunabhängiger Kontrollen durch die Bundespolizei; Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Zugegeben: Der 11. September 2001 hat die Lage verändert. Aber es ist dieser Koalition nie gelungen, im Bundestag eine Debatte zu führen, welche die Kernfragen angemessen erfaßt hätte. Schily in seiner Offenheit ist sogar dafür zu danken, daß er nie einen Zweifel an seinem Grundansatz gelassen hat. Aber es scheint noch kein allgemeines Bewußtsein dafür entstanden zu sein, wie sehr sich – in einem schleichenden Prozeß – die Qualität des Rechtsstaats schon verändert hat. Schily sagt, in Zeiten der terroristischen Bedrohung sei Vorbeugung das A und O. Der Staat schütze die Bürgerrechte, indem er Verbrechen verhindere. Strafrechtliche Repression, die auf schon begangenes Unrecht reagiere, komme zu spät. Daher liege der wahre Schutz der Menschenwürde in der Prävention. Das hört sich so logisch an, daß weder SPD noch Grüne je fundamental widersprochen haben (CDU/CSU schon gar nicht). Demgegenüber muß deutlich gefragt werden: Wie grenzt man bei einem solchen Denkansatz staatliche Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger überhaupt noch ein? Das klassische Polizeirecht unter Geltung des Grundgesetzes hat staatliche Eingriffe nur erlaubt, wenn es galt, eine konkrete Gefahr abzuwehren oder eine schon begangene konkrete Straftat zu verfolgen. In diesen Fällen muß die Polizei zum Beispiel eine Wohnung durchsuchen dürfen, etwa um Beweise sicherzustellen. Diese Einschränkung des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist zu akzeptieren, zumal grundsätzlich eine richterliche Anordnung vorausgehen muß, also das Grundrecht durch Verfahrensvorschriften geschützt ist. Niemand käme auf die Idee, daß es richtig wäre, Wohnungen vorbeugend zu durchsuchen, um dort vielleicht Hinweise auf jetzt noch unbekannte Straftaten zu finden, die irgendwann einmal verübt werden könnten. Das ist in einem Rechtsstaat nicht erlaubt. Die abstrakte Möglichkeit eventueller Gefahren rechtfertigt kein polizeiliches Eingreifen. Diese Selbstverständlichkeit gerät immer mehr aus dem Bewußtsein. Wenn auf der EU-Justizminister-Konferenz ernsthaft darüber diskutiert wird, die Telekommunikations-Verbindungsdaten aller (!) Bürger bis zu vier Jahre zu speichern, um gegebenenfalls auf sie zurückgreifen zu können, so geben die, die sich darauf einlassen, Grundrechte preis. Mit wem ich wann wie lange telefoniert habe, geht grundsätzlich niemanden etwas an. Die Verfechter der »Vorratsdatenspeicherung« können eine Frage nicht beantworten: Wo setzen sie die Grenze? Warum ist es richtig, sechs Monate Speicherfrist zu verlangen (CDU/CSU) und nicht zwölf Monate (Schily)? Können nicht auch Telefonate, die vor dreizehn Monaten geführt worden sind, für die Polizei interessant sein? Und wenn man dies zuläßt, warum nicht fünfzehn Monate oder zwei Jahre? Dasselbe Denkschema liegt der Forderung nach vorbeugender Speicherung von DNA-Analysen zugrunde. Man sichert sich Daten, die man vielleicht irgendwann einmal gegen jemanden verwenden kann. Das Bundesverfassungsgericht hat das für zulässig erklärt, falls die Gefahr schwerwiegender Straftaten droht. Heute fordert die Polizei, die DNA-Daten auch bei leichter Kriminalität vorsorglich zu speichern. Konsequent müßte dieses Präventivdenken zu der Verpflichtung führen, die genetischen Merkmale jedes neugeborenen Babys an den Zentralcomputer des Bundeskriminalamts in Wiesbaden zu melden. Vielleicht kann man sie später brauchen, denn man kann nie sicher sein, ob nicht jeder Mensch später einmal eine Straftat begeht… – Es ließen sich noch viele Beispiele bilden, was die Sicherheitsbehörden »vorbeugend« interessieren könnte. Man bekäme dann den Vorwurf, ad absurdum zu argumentieren. Die genannten Exempel entspringen jedoch der Realität. Sie beweisen: Die Idee des Präventivstaates führt unweigerlich in den Überwachungsstaat. Daß SPD und Grüne im Bundestag dieser – auch in anderen Ländern zu beobachtenden – Tendenz nicht Einhalt geboten haben, ist das schwerwiegendste Versäumnis rot-grüner Innenpolitik. Daran gemessen wäre es banal, das grüne Programm von 1998 mit den dürftigen Ergebnissen zu vergleichen, die daraus in siebenjähriger Regierungsarbeit entstanden sind. Entscheidend ist: Die Antwort der deutschen Innenpolitik auf den 11. September war eine schleichende Entwertung der Grundwerte des Rechtsstaats. Ihre weitreichenden Folgen werden sich nur noch schwer korrigieren lassen.
Max Stadler ist innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion
Kontext:
Erschienen in Ossietzky 12/2005 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |