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Unter dem Deckmantel der Avantgarde

Die russische Nationalbolschewistische Partei auf dem Weg zur Macht

von Ute Weinmann

Pünktlich zu ihrem zehnjährigen Bestehen im Herbst 2004 versuchte sich die NBP durch mehrere spektakuläre Aktionen als vermeintlich einzige radikale Kraft gegen das Regime von Präsident Putin zu profilieren. Im August drangen Parteiaktivisten aus Protest gegen die antisoziale Politik der russischen Regierung in die Arbeitsräume des Gesundheitsministers Michail Zurabow ein. Im Dezember stürmten 40 junge NBPschniki die Empfangsräume der Präsidialadministration und forderten den Rücktritt Putins, die Beendigung des Tschetschenienkriegs und die Beibehaltung der Gouverneurswahlen. Im Mai 2005 schließlich hissten NBP-AnhängerInnen gegenüber des Kreml am Hotel Rossija ein Transparent mit der Aufschrift "Putin, geh von allein!"

Ein neues gemäßigteres Parteiprogramm soll nun die Kompatibilität der Partei mit der sich langsam formierenden Opposition aus dem liberalen und kommunistischen Spektrum unter Beweis stellen, was ihr vor dem Hintergrund der sozialen Proteste in Russland während der vergangenen Monate auch zu gelingen scheint. Die NBP will damit nicht nur an alte Erfolge anknüpfen, sondern durch die proklamierte ideologische Erneuerung ihre Ambitionen als politische Avantgarde in die Tat umsetzen. Dass es sich bei der neuerlichen Wandlung der NBP allerdings nicht um eine Form der politischen Läuterung handelt, wird deutlich, wenn man die Aufbauphase der Partei Mitte der 1990er Jahre näher betrachtet.

Postsowjetische Gegenkultur

Die NPB erhielt ihre ursprüngliche Fasson durch ein erfolgreiches Zweiergespann: dem damals kaum bekannten monarchistisch-nationalistisch orientierten geopolitischen Strategen Alexander Dugin und dem Schriftsteller und Politemigranten Eduard Limonow. Dugin entwickelte eine komplexe Ideologie, basierend auf einer Synthese aus Elementen des europäischen Faschismus und russisch-nationalistischer und neoimperialistischer Ideen, die sich in der Zielvorstellung eines geeinten Eurasiens gegen den Hauptfeind USA manifestiert. Dabei bediente sich Dugin der Traditionen des deutschen Nationalsozialismus und der westeuropäischen Neuen Rechten und rezipierte Autoren wie Julius Evola und René Guénon.[1] Dugin, für den die NBP nur ein Projekt unter vielen darstellte, verließ 1998 die aufgrund einiger Medienerfolge popularisierte, in der großen Politik jedoch weitgehend marginalisierte NBP.[2]

Während der als ernsthafter Denker geltende Dugin die ideologische Grundlage für die NBP erarbeitete, brachte Limonow andere, nicht weniger entscheidende Qualitäten mit. Denn im Unterschied zu Dugin konnte Limonow durch seinen langjährigen Aufenthalt in Frankreich, dessen Staatsbürgerschaft er besaß, auf praktische Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Querfrontstrategen der Neuen Rechten zurückgreifen.[3] Limonow versteht sich zudem nicht als Theoretiker, sondern als Tabus brechender Künstler und Mann der radikalen Tat, was ihn für weite Kreise der künstlerischen Boheme anziehend macht.

Limonow leitete seine Rückkehr nach Russland mit einer Reihe von Kurzaufenthalten ein und publizierte Anfang der 1990er Jahre in der nationalpatriotischen Zeitung Sowjetskaja Rossija. Die rotbraune Opposition[4] gegen den damaligen Präsidenten Jelzin bildete den Ausgangspunkt für Limonows in Frankreich erworbene Praxis der Synthese rechter und linker Ideen. In seinen Texten spielt zwar auch der Antisemitismus eine gewisse Rolle, als verbindendes Element figuriert jedoch vor allem die Schaffung eines mächtigen, russisch dominierten Imperiums. Diese Gewichtung findet sich später auch bei der NBP wieder.

Die Ausgangsbedingungen für die von Dugin und Limonow propagierte nationalbolschewistische Ideologie im postsowjetischen Russland waren äußerst günstig, weil sich schon die herrschaftstragende Struktur der Sowjetunion bis in die höchsten Parteiorgane hinein rechter Inhalte bedient hatte und diese daher keineswegs neu waren.[5] Doch das eigentliche Erfolgsrezept der beiden führenden Köpfe der NBP bestand darin, durch die Absorption der gesamten postsowjetischen Gegenkultur unter gezielter Einbindung linker Strukturen und unter Zulassung beliebiger ideologischer Mischformen eine gewisse kulturelle Hegemonie zu erlangen.

Auf zu jungen Ufern

Im Unterschied zu traditionell linken Parteistrukturen wie der Kommunistischen Partei Russlands (KPRF) und kleineren Parteien, deren Wähler- und Mitgliedschaft aus Altersgründen zusehends schrumpft, verstand es die NBP von Anfang an, den Schwerpunkt ihrer Agitation auf junge Menschen unter Dreißig zu legen. Markante und freche Sprüche sowie bis dahin ungewohnte Aktionen mit Hang zum Skandalösen wirkten auf viele politisch uninteressierte junge Leute anziehend. Erst mit dem Parteieintritt begann die Vermittlung nationalbolschewistischer Inhalte, die vermischt wurden mit Freiheitsversprechen gegenüber der Bevormundung durch die Eltern und anderen unerträglich scheinenden Zuständen. Ideologische Überzeugungen spielten somit beim Eintritt neuer Mitglieder in die Partei eine untergeordnete Rolle, wichtiger waren das Gefühl der Unzufriedenheit über den sich in Russland etablierenden, teilweise mafiösen Kapitalismus und die Bereitschaft zur radikalen Aktion. Zudem liegt die Anziehungskraft der NBP in der zentralen Rolle des unbestrittenen Anführers Eduard Limonow als aufrechter Kämpfer für die Interessen der Verlierer des Kapitalismus.

Eine zweijährige Haftstrafe wegen illegalen Waffenbesitzes trug indes nicht nur zu Limonows weiterer Popularisierung als Märtyrer bei, sie war auch Auftakt für eine Annäherung an die liberale, oppositionell eingestellte Öffentlichkeit. Denn aufgrund der unsauberen Anklage und Beweisführung der Strafverfolgungsbehörden galt Limonow in weiten Kreisen als politischer Gefangener.

Im Programm der NBP von 1994 stand unverblümt geschrieben: "Nach dem Machtantritt baut die NBP einen totalen Staat auf, die Menschenrechte stehen dann hinter den Rechten der Nation zurück. Innerhalb des Landes wird eine eiserne russische Ordnung aus Disziplin, Kämpfertum und Fleiß errichtet." Zwar wurde im Jahr 2004 ein neues Programm verabschiedet, in dem sich obige Passage moderater als "Umwandlung Russlands in einen modernen mächtigen Staat" liest, und selbst das Wort "Zivilgesellschaft" darf darin nicht fehlen. Allerdings wurde das alte Programm nicht außer Kraft gesetzt.

Zwischen links und rechts

Seit sich eine wachsende Opposition gegen Präsident Putin formiert, gibt sich die NBP als soziale Protestpartei, die sich nicht mehr fast ausschließlich an den Bedürfnissen junger Menschen orientiert. Selbst ihre Haltung zum Tschetschenienkrieg hat sich verändert, die NBP fordert nun eine Beendigung des Kriegs. Aber gerade durch die harsche Kritik an den vor allem Rentner betreffenden antisozialen Reformen und durch öffentlichkeitswirksame Aktionen demonstriert die Partei Stärke. Wo Limonow noch vor wenigen Jahren die Abschaffung des Wahlrechts für Rentner forderte, sollen diese jetzt einen Teil der neuen Parteibasis stellen. Die NBP will fortan eine Volkspartei sein.

Das unlängst geänderte russische Wahlrecht fordert für die Teilnahme an den Dumawahlen von allen Parteien den Nachweis von 50.000 Unterschriften von Mitgliedern im ganzen Land. Angesichts der Tatsache, dass außer der KPRF und der Putinpartei Einiges Russland niemand dazu in der Lage oder Willens ist, den erforderlichen Nachweis ohne den an sich widerrechtlichen Kauf von Wähleradressen zu erbringen, demonstriert die NBP geradezu Gesetzestreue, indem sie ihre Mitglieder von Haus zu Haus ziehen lässt, um die begehrten Unterschriften zu sammeln. Und dies wird von Rentnern ebenso honoriert wie von Teilen der liberalen Presse, in der plötzlich Lobeshymnen nachzulesen sind über die einzige "nichtkorrumpierte" Partei Russlands.

Das macht die Nationalbolschewisten salonfähig und verschafft ihnen Zulauf von politischen Kadern sowohl aus der Rechten als auch aus der Linken. Allerdings ließ sich bislang bei den Mitgliedern immer eine recht hohe Fluktuation verzeichnen, so dass die tatsächliche Mitgliederzahl nur schwer einzuschätzen ist. Sie mag derzeit bei etwa 15.000 liegen. Der Kreml ist über diese Entwicklung so besorgt, dass er durch seine jüngst in die Gruppierung Naschi ("Unsere") umgewandelte Putin-Jugend gewaltsame Übergriffe einschließlich schwerer Körperverletzung auf die Kader der NBP organisieren lässt.

An der Querfrontstrategie der NBP ändert dies hingegen wenig. In einer Ausgabe des Parteiblattes NBP-info, die zur Ideologiekonferenz im Frühjahr 2004 erschien und seither nichts an Aktualität eingebüßt hat, heißt es: "Zweifellos schleppt die NBP noch die 'linke' russische Bewegung mit sich, jedenfalls so lange dies vor dem Hintergrund sozialer Unzufriedenheit zweckmäßig ist. Allerdings besteht unsere Hauptzielsetzung in der kompletten Auswechslung der politischen Klasse, was wesentlich wichtiger ist als alle 'linken' Komponenten im Nationalbolschewismus. Die NBP schleppt auch die 'rechte' Bewegung mit sich..."

Mit der Kombination sozialdemokratischer und faschistischer Inhalte zeichnet sich immer deutlicher ein Profil ab, welches der Partei eine weiterhin wachsende Anhängerschaft verschaffen könnte. Für die Staatsduma wird das zwar kaum ausreichen, denn die Hürde der 7-Prozent-Klausel ist nur mit Unterstützung des Establishments im Kreml zu überwinden. Zu einer aktiveren Rolle auf lokaler Ebene und einem schrittweisen Vorstoß in Verwaltungen, Medien und andere strategisch wichtige Strukturen ist die NBP jedoch allemal bereit.

Anmerkungen:

[1] Julius Evola gilt als einer der Wegbereiter des italienischen Faschismus und wurde von der Neuen Rechten als Autor wiederentdeckt. Guénon ist ein neurechter, zum Islam übergetretener französischer Spiritueller, der Evola entscheidend beeinflusst hat.

[2] Dugin baute mit Evrazija eine eigene Partei auf, die innerhalb kürzester Zeit im politischen Establishment einen sicheren Platz erringen konnte. Evrazija steht für einen antiliberalen russisch-eurasischen Sonderweg auf der Basis von wirtschaftlich autarken Räumen in Abgrenzung gegen die USA. Eines ihrer Hauptziele ist die Errichtung eines sogenannten eurasischen strategischen Blocks unter Einbindung Europas und Japans mit Russland als verbindender Achse.

[3] Limonow arbeitete u.a. mit der Zeitschrift L'idiot international zusammen.

[4] Die rotbraune Opposition bestand aus kommunistischen Parteien (u.a. KPRF von Sjuganow und die damals mitgliederstarke Russische Kommunistische Arbeiterpartei RKRP) und rechten, monarchistisch bis faschistischen Strukturen mit Großmachtambitionen (z.B. die Russische Nationalversammlung). Sie schlossen sich Ende 1992 vorübergehend zur Nationalen Rettungsfront zusammen. Die aus der Linken stammenden Parteien und Organisationen stellten zwar die Masse, aber ideologisch drückten die Rechten ihren Stempel auf.

[5] Eine Untersuchung über die Entstehung rechter Strukturen in der Sowjetunion analysiert beispielsweise die so genannte Russische Partei als eine Art rechter Ideologieschule. Siehe Nikolaj Mitrochin, Russkaja Partija, Moskau 2003

Ute Weinmann ist freie Journalistin und lebt in Moskau.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt (iz3w), Nr. 286.

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sopos 7/2005